Kants Friedensidealismus


Seminararbeit, 2004

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Der Friedensgedanke vor Kant
1.1 Antike und Mittelalter
1.2 Frühe Neuzeit bis Aufklärung

2. Kants Friedenschrift
2.1 Anlass, Form und Absicht
2.2 Der Weg zum ewigen Frieden
2.2.1 Die Präliminarartikel
2.2.2 Die Definitivartikel
2.2.3 Garantie und Sicherung des Friedens

3. Der Verzicht auf eine Zwangsgewalt

4. Resümee

Literaturverzeichnis

Einleitung

Vor mehr als zwei Jahrhunderten verfasste Immanuel Kant den philosophischen Entwurf „ Zum ewigen Frieden “. Sein Ruf als bedeutender politischer Denker liegt darin begründet. Es gelang ihm, den Frieden zu einem Grundbegriff der Philosophie zu erheben. Kant war nicht der erste, der den Friedensgedanken in eine Konzeption zu fassen suchte. Es wird sich aber zeigen, dass das, was ihn gegenüber seinen Vorgängern auszeichnet der universale und stringente Charakter seiner Schrift ist. Im ersten Kapitel soll deshalb die Entwicklung des Friedensgedankens und die Geschichte von Friedensplänen vor Kants Friedensschrift skizziert werden, um dann im zweiten Kapitel die Schrift selbst systematisch zu rekonstruieren. Im dritten Kapitel wird auf die wohl umstrittenste Passage der Friedenschrift aufmerksam gemacht und versucht, die Kritik zu widerlegen. Ausgehend davon soll in den Kapiteln drei und vier gezeigt werden, dass die Friedensschrift einen zeitlosen, in sich geschlossenen, rechts- und moralphilosophischen Entwurf darstellt, der den Rang einer realistischen Utopie einnimmt und durch seinen Charakter einer Idealtheorie jeder empirischen Kritik sich verwehrt.

1. Der Friedensgedanke vor Kant

Ein Blick in die Geistesgeschichte bestätigt: Kants Idee ist durch die Verbindung von Staatsphilosophie und Friedensgedanken umfassender, gründlicher und kühner als die Konzeptionen seiner Vorgänger.

1.1 Antike und Mittelalter

Der Begriff des Friedens, zumal seine überstaatliche Sphäre, ist in der antiken Philosophie kein Thema übergeordneter Bedeutung, es empfiehlt sich daher zuerst auf seine Bedeutung außerhalb der Philosophie einzugehen.

Zunächst herrscht in verschiedensten Kulturen - z.B. Alt-Israel, bei Griechen und später Römern- ein positiver Friedensbegriff vor. Dieser deutet den Frieden, aus einer innergesellschaftlichen Sicht, als „ein rundum gelungenes Zusammenleben“[1]. Besonders bei den Griechen ging der Friedensbegriff über die bloße Abwesenheit von Gewalt hinaus, er umfasst Wohlstand und Wohlsein des Gemeinwesens. Ab ca. 400 v.Chr., vermutlich aufgrund des Peloponnesischen Krieges, erkennt man die Verbindung von zwischenstaatlichen Beziehungen und innerer Stabilität und Zufriedenheit. Hier entstehen erste Vereinbarungen über territoriale Unversehrtheit, Abzug von Besatzungstruppen und Sanktionen gegen Friedensbrecher, eine Art Exekutive sollte über die Einhaltung der Vereinbarungen wachen (Höffe 2002, S.245). Diese Fortschritte beschränkten sich aber auf Griechenland und auch die Philosophen entfalten diese Gedanken nicht weiter. Platon beschäftigt sich zwar in der Politeia mit einem umfassenden Frieden, welcher durch die innere Zufriedenheit der Menschen zwischen ihnen sich einstelle, jedoch überträgt er ihn nicht auf zwischenstaatliche Beziehungen. Auch Aristoteles verzichtet trotz seiner Feststellung, Ziel des Krieges müsse der Frieden sein, auf weitere eingehendere Untersuchungen (Höffe 2002, S.243).

Bei den Römern besteht der Frieden innenpolitisch in der staatsbürgerlichen Eintracht beziehungsweise dem Zusammenhalten (Concordia) der Römer, welches die Glückseeligkeit (Felicitias) sichert (Merle 2004, S.31). Dies schließt öffentliche Sicherheit und Rechtsschutz mit ein. Außenpolitisch bezeichnet er ein dauerhaftes Kriegsende, „das den Schutz vor einem künftigen Krieg einschließt“[2]. Dies jedoch unter dem Vorbehalt einer Vormachtstellung Roms. So führen die Römer als Gründe für einen gerechten Krieg - wie die Griechen- Selbstverteidigung, Vergeltung für geschehenes Unrecht und Bündnistreue an; darüber hinaus jedoch zwei weitere, deren Interpretation einer Expansionspolitik Tür und Tor öffnet: „ pro salute, für die Unversehrtheit des Römischen Reiches, und de imperio: Um die eigenen exklusiven Herrschaftsansprüche zu sichern“[3]. Somit beruht die Vorstellung eines außenpolitischen Friedens (pax romana) auf einem hegemonialen Modell, in dem das Römische Reich die alles beherrschende Macht des Stärkeren ausübt.

Kaiser Augustus modifiziert die pax romana in ein dauerhaftes Kriegsende, das innen bürgerliche Eintracht und außen das Ende der Expansionspolitik seiner Vorgänger besiegelt. Das Kaiserreich findet seinen friedlichen Höhepunkt, „d.h. eine allmähliche innere Stabilisierung und relative äußere Sicherheit“[4]. Zugleich besteht die Auffassung (v.a. bei Sallust und Valerius) den Frieden durch Waffen sichern zu müssen.

In der Spätantike (v.a. durch Augustinus) und im Mittelalter wird den zwei Dimensionen des Friedens, der auf einer gerechten Rechtsordnung beruhenden inneren Eintracht und äußerer Abwesenheit von Gewalt, eine dritte Dimension des Friedensbegriffes beigefügt. Diese besteht in einem `wahren Frieden`, der auf einer hierarchischen kosmischen Ordnung basiert.

Augustinus entwickelt in diesem Sinne die erste bedeutende und umfassende Friedenstheorie: Der Friede sei zwar Leitmotiv des Menschen, bleibe jedoch im Diesseits unerreichbar. Auch hinsichtlich des Friedens sei der Mensch göttlicher Gnade ausgeliefert, es ist somit sinnlos selbst darauf hinzuarbeiten. Dieser `wahre und ewige` Friede soll im ganzen Kosmos herrschen, jedem Wesen in der hierarchischen Ordnung seinen Platz zuweisen, die Menschen innen beseelen und außen in Gott vereinigen. Der irdische, zeitliche Friede gilt grundsätzlich nur als unvollkommenes Abbild des Friedens im Gottesstaat; Augustinus spricht von ` pax mala ` und ` pax falsa `. Er beschränkt sich auf eine „eschatologische Staatstheorie“[5], in der die globale, irdische Friedensordnung zu kurz kommt. Dennoch hat er eine so überragende Bedeutung, dass bis „weit in die Neuzeit das abendländische Friedensdenken wesentlich ein politischer Augustinismus ist“[6]. Diese Konzeption des geistigen, kosmischen Friedens herrscht in den folgenden Jahrhunderten vor, sein irdisches Pendant wurde aber modifiziert und weiterentwickelt. Es wird den Christen zunehmend zur Aufgabe, einen irdischen, zeitlichen Frieden herzustellen. Dieser beschränkt sich räumlich und personell freilich auf die Christenheit und leidet so unter einem quantitativen Defizit, welches von verschiedenen Denkern versucht wird zu marginalisieren und zu umgehen. So sieht Thomas von Aquin im Kriege (auch in dem gegen Nicht-Christen) nur den Zweck der Schaffung von Frieden. Die mittelalterliche Abgrenzung zwischen den Konfessionen hat nicht von vornherein Feindschaft zwischen Christen und Nicht-Christen zur Folge, vielmehr soll sie zu einem Frieden zweiter Klasse führen, einer friedvollen Koexistenz. Die Rechts- und Gerechtigkeitsgemeinschaft allerdings soll sich auf die Christenheit beschränken (Höffe 2002, S.254f). Erst im Hochmittelalter nimmt Dante eine territoriale Entgrenzung des Friedens vor. Er denkt kosmopolitisch und entwickelt den Gedanken einer universalen Rechtsgemeinschaft, die in einer Universalmonarchie verwirklicht sein soll. In ` Monarchia ` zählt er alle Völker zur Menschheit und begründet dies erkenntnistheoretisch: Nicht im Individuum, sondern erst durch die gesamte Menschengattung verwirkliche die Vernunft sich vollständig (Höffe 2002, S.253). Nicht das Recht, wie später bei Kant, sondern die Entfaltung der Vernunftbegabung spielt die entscheidende Rolle bei der Errichtung des diesseitigen Friedens. Wie auch bei Marsilius von Padua (` Defensor pacis `) erlangt der Friede den Rang einer Bedingung der Verwirklichung der Humanität (vgl. Höffe 2002, S.253 oder Merle 2004, S.33).

1.2 Frühe Neuzeit bis Aufklärung

Seit dem ausgehenden Mittelalter, vor allem durch Reformation und Renaissance, trennt sich die politische Theorie immer mehr von der Theologie. Durch die Kirchenspaltung und die Einbindung der jeweiligen Konfessionen in die entstehenden Nationalstaaten wird die Dringlichkeit einer europäischen säkularisierten Friedensordnung vermehrt erkannt. Auch wird die Legitimität von Kriegskoalitionen gegen Nicht-Christen hinterfragt. So lehnt beispielsweise Erasmus (Querela pacis undique gentium ejactae profligataeque, 1517) zu Beginn des 16.Jahrhunderts einen Krieg gegen das türkische Reich strikt ab (ebenso Suarez) und fordert stattdessen eine Rechtsprechung unter Staaten (Merle 2004, S.34).

Alarmiert durch die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges werden zahlreiche Friedensschriften veröffentlicht, auch der Trennung von politischen und juristischen Problemen einerseits und religiösen Fragen andererseits wird weiter Vorschub geleistet. Als bedeutend darf in diesem Zusammenhang Hugo Grotius gelten. Ihm gelingt es, den Naturrechtsgedanken wieder aufleben zu lassen und so zu verändern, dass er nicht mehr aus einem göttlichen Willen deduziert wird; damit schafft er zwischenstaatlich als auch innerstaatlich eine weltliche Grundlage für juristische und politische Beziehungen („ De jure belli ac pacis “). Er entwickelt aus naturrechtlichen Vorstellungen eine Menschen und Staaten umfassende Rechtsordnung, aus der später das Völkerrecht sich entwickelt. Grotius vertritt die Anschauung, dass das Naturrecht für alle Menschen gelte, insofern auch der aus ihm zu schaffende Friede auf die ganze Menschheit sich erstrecken solle (Merle 2004, S.34). Sein Gedanke einer zwischenstaatlichen Rechtsordnung basiert auf zwei Ebenen: die erste Ebene bietet einen Kodex zur Vermeidung und Beendigung eines Krieges. Als Kriegsgründe sind nur Selbstverteidigung oder Sanktionierung eines Vertragsbruches zulässig, die Kriegserklärung muss öffentlich erfolgen und begründet werden. Zur Beendigung des Krieges unterbreitet er zwei Vorschläge, entweder durch `Colloquium` (Diskussion), oder durch ein Schiedsgericht (`Compromissum`). Auf der zweiten Ebene formuliert er ein ius in bello, er fordert die „Einhaltung der natürlichen Pflichten auch im Kriegszustand“[7]. Unter diese Pflichten fallen beispielsweise die Respektierung der weißen Fahne und ein Angebot zur Kapitulation auszusprechen, sowie Erniedrigungen und unmenschliche Behandlung der Feinde zu unterlassen (Merle 2004, S.36f). Da Grotius einen Weltstaat für unregierbar hält und keine Vorschläge für supranationale Gewalten entwirft, bleibt die Sanktionierung bei Nicht-Einhaltung der naturrechtlichen Pflichten dem guten Willen einzelner Staaten überlassen. Hieran knüpft auch Kants Kritik an Grotius, Pufendorf und anderen Vorreitern des Völkerrechts: Das fälschlicherweise mit dem Begriff `Recht` geadelte Konzept werde „immer treuherzig zur Rechtfertigung eines Kriegsangriffs angeführt“[8].

Anders Abbé Castel de Saint-Pierre, dieser präsentiert 1713 das Projet pour rendre la paix perpétuell en Europe. Dieses Konzept sieht einen, mit Zwangsbefugnissen ausgestatteten Staatenbund auf freiwilliger Basis vor, jedoch beschränkt sich dieser Plan wiederum auf die europäischen Staaten, obwohl bereits 100 Jahre zuvor Émeric Crucé einen Staatenbund unter Einschluss Nicht-Christlicher Staaten empfiehlt (Höffe 2002, S.255f). Crucés Vorschlag beinhaltet gar eine mit Zwangsbefugnissen ausgestattete Völkerversammlung. Jedoch sind in dieser, entgegen ihres Titels, die Herrscher und nicht die Völker vertreten. Zusätzlich finden Papst und Sultan ihren Platz. Diese Institution ist streng hierarchisch organisiert, die Macht der Staaten entscheidet über den Rang in dieser Versammlung (Merle 2004, S.38). In Crucés Plan, wie auch in den Konzeptionen seiner Zeitgenossen (u.a. Leibniz, Sully, Richelieu, vgl. Merle 2004) herrscht die Idee eines europäischen Mächtegleichgewichts vor.

Im 18.Jahrhundert wird der Gedanke einer internationalen Organisation übernommen, zunehmend wird aber der Idee des Mächtegleichgewichts das Prinzip der Rechtsordnung entgegengestellt. Einige dieser Pläne sind religiös motiviert, wie etwa W. Penns Essay towards the present and future Peace in Europe oder auch der des oben bereits erwähnten Saint-Pierre. Sie beruhen vordergründig auf christlicher Nächstenliebe, „[d]ennoch argumentieren sie alle unter Annahme des Eigeninteresses als Triebfeder“[9]. Zunehmend wird auch das auf innerstaatlicher Ebene erfolgreiche Modell des Gesellschaftsvertrages, das auf T. Hobbes (Leviathan, 1651) zurückgeht und den Krieg aller gegen alle, der im gesetzlosen Naturzustand herrscht, zu Gunsten einer Staatsautorität zu endigen sucht, auf die zwischenstaatliche Ebene übertragen. Bei Penn und Saint-Pierre setzt dieser Gedanke sich durch, die Staaten sollen in einem Kongress, in dem jeder Staat eine Stimme inne hat, sich zusammenschließen und diesem finanzielle Mittel wie auch Soldaten zu Verfügung stellen.

Man verlässt sich nicht auf den Gedanken der Nächstenliebe und stellt ihm deshalb eine Zwangsgewalt zur Seite.

Auch werden Friedenspläne ohne institutionellen Hintergrund entwickelt. So wird seit dem Ende des 17.Jahrhunderts vermehrt die Handelsfreiheit gefordert. Innerhalb dieser Theorien (u.a. von Hume) werden der Merkantilismus und seine Handelsschranken als Ursache der Armut und des Krieges verstanden. Andere Strömungen sprechen sich für Rede- und Meinungsfreiheit, sowie Religionsfreiheit aus. „Damit erhofft sich z.B. Voltaire die Abschaffung von inneren und äußeren Kriegen“[10].

Während der Französischen Revolution werden die Forderungen nach Handels-, Berufs-, Religions- und Meinungsfreiheit übernommen. Die Partikularinteressen der Machteliten werden als Ursache für inneren und äußeren Unfrieden verantwortlich gemacht. Als Konsequenz dessen scheint ein, „im naturrechtlichen Sinne gerechter Krieg (...) von den Unterdrückten gegen die Unterdrücker“[11] geboten. In diesem Sinne wurde innerhalb des radikalen Flügels der Aufklärung der Ruf laut, „Frieden im Äußeren (...) durch Transformation der Verfassungen des Innern“[12] ermöglichen zu müssen.

Was Kants philosophischen Entwurf gegenüber den Friedensplänen seiner Vorgänger auszeichnet, ist also nicht der Friedensgedanke selbst, sondern die rechtsphilosophische und universale Argumentation. Sie ist unabhängig von kulturellen und religiösen Überzeugungen, schließt alle Menschen und Staaten mit ein, zielt auf einen zeitlich unbegrenzten Friedenszustand ab und überwindet das Hegemonie- und Gleichgewichtsdenken seiner Zeit.

[...]


[1] Höffe 2002, S. 244.

[2] Höffe 2002, S. 246.

[3] ebd.

[4] Merle 2004, S. 31.

[5] Höffe 2002, S. 249.

[6] Höffe 2002, S. 251.

[7] Merle 2004, S. 36.

[8] Kant 1977, S. 210.

[9] Merle 2004, S. 39.

[10] Merle 2004, S. 40.

[11] Merle 2004, S. 42.

[12] Beutin 1996, S. 33.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Kants Friedensidealismus
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
28
Katalognummer
V144728
ISBN (eBook)
9783640541379
ISBN (Buch)
9783640541614
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kant, Zum ewigen Frieden, Friedensschrift, politische Philosophie, Frieden, Friedensbegriff, Weltordnung, Weltstaat, Präliminarartikel, Definitivartikel, Rechtsstaat, Menschenrechte, Utopie, Friedensidealismus
Arbeit zitieren
Bernd Jäger (Autor:in), 2004, Kants Friedensidealismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144728

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