Adverse Selektion und Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt

Problemdarstellung, Lösungsansätze und empirische Evidenz zur Praxisgebühr


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2009

21 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Darstellung von Adverser Selektion und Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt
2.1 Adverse Selektion im Krankenversicherungsmarkt
2.2 Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt

3. Lösungsansätze für Adverse Selektion und Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt
3.1 Lösungsansätze für Adverse Selektion
3.1.1 Versicherungsverträge mit festen Preis-Mengen-Kombinationen
3.1.2 Staatliche Zwangsversicherung mit freiwilliger Ergänzungsversicherung
3.2 Lösungsansätze für Moral Hazard
3.2.1 Konzepte zur Kostenbeteiligung
3.2.2 Limitierung des Leistungskatalogs und des Anbieterkreises

4. Auswirkungen der Praxisgebühr auf die Problematik des Moral Hazard im deutschen Krankenversicherungmarkt
4.1 Notwendigkeit der Eindämmung von Moral Hazard
4.2 Empirische Befunde zur Auswirkung der Praxisgebühr auf Moral Hazard
4.2.1 Daten und Methoden von Schreyögg und Grabka
4.2.2 Ergebnisse von Schreyögg und Grabka
4.3 Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen der Praxisgebühr

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Da Individuen in der Regel risikoavers sind (vgl. Breyer et al. (2005), S. 191), werden sie sich unter Umständen gegen Krankheit durch eine Krankenversicherung absichern wollen, denn dadurch können sie ihr Risiko, hohe finanzielle Verluste durch Krankheit zu erleiden, auf alle Mitversicherten verteilen (vgl. Zeckhauser (1970), S. 10). Im Ge- genzug müssen sie nur eine vergleichsweise geringe Versicherungsprämie leisten. Dieses Konzept funktioniert dann optimal, wenn keine Informationsasymmetrien zwi- schen den Krankenversicherungen und den Versicherten bzw. den Individuen, die in Betracht ziehen sich zu versichern, (potentiell Versicherte) bestehen. Unter Informa- tionsasymmetrien wird die Nichtbeobachtbarkeit von Charakteristika, Informationen, Handlungen und Intentionen einer Partei durch eine andere Partei verstanden (vgl. Ame- lung und Amelung (2007), S. 32). In der Realität bestehen aber Informationsasymmet- rien zwischen Versicherungen einerseits und (potentiell) Versicherten andererseits. Die Beziehung zwischen diesen Parteien kann mit Hilfe der Prinzipal-Agenten-Theorie er- läutert werden (vgl. Amelung und Amelung (2007), S. 33). Der Prinzipal (Versicherun- gen) möchte, dass der Agent (Versicherte bzw. potentiell Versicherte), der in der Regel andere Ziele als der Prinzipal verfolgt, sich im Sinne des Prinzipals verhält bzw. alle relevanten Charakteristika und Informationen preisgibt. Er kann dies aber nicht beo- bachten bzw. validieren (vgl. Amelung und Amelung (2007), S. 30f.). Der Krankenver- sicherung ist es nicht oder nicht vollständig möglich zu erkennen, welches Erkran- kungsrisiko der potentiell Versicherte in sich birgt. Beispielsweise gibt das Individuum an, Nichtraucher zu sein, obwohl dem nicht so ist. Dieses Problem kann zu Adverser Selektion führen. Der Begriff „Adverse Selektion“ entstammt der Versicherungstheorie und bedeutet „negative Auslese“ (Alparslan (2006), S. 26). Ebenso kann eine Versiche- rung in der Regel das Verhalten des Versicherten nicht beobachten. Beispielsweise geht der Versicherte schon wegen eines kleinen Schnupfens zum Arzt, obwohl er dies ohne Kostenübernahme durch die Versicherung nicht getan, sondern sich selbst behandelt hätte. Dieses Problem wird als Moral Hazard bezeichnet. Der Begriff „Moral Hazard“ entstammt ebenfalls der Versicherungstheorie und bedeutet „moralisches Risiko“ (Al- parslan (2006), S. 27). Sowohl Adverse Selektion als auch Moral Hazard können zu Marktversagen führen, weshalb deren Vermeidung bzw. Eindämmung von höchster Relevanz ist.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Problematik der Adversen Selektion und des Moral Hazard grundlegend vorzustellen (Abschnitt 2), eine Auswahl von Lösungsansät- zen darzulegen (Abschnitt 3) und die Auswirkungen der Praxisgebühr als ein Beispiel aktueller Anstrengungen der Politik zur Eindämmung von Moral Hazard bei den gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland zu diskutieren (Abschnitt 4). In Abschnitt 5 erfolgt eine Zusammenfassung der Ausführungen.

2. Theoretische Darstellung von Adverser Selektion und Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt

Informationsasymmetrien können verschiedenen Zeiträumen zugeordnet werden (siehe Abbildung 1). Zum einem bestehen Informationsasymmetrien bereits vor Vertragsab- schluss in Form von für die Versicherung nicht beobachtbaren Eigenschaften (hidden characteristics) der Individuen. Die Krankenversicherung kann die Qualität der Indivi- duen, z. B. bezüglich des Erkrankungsrisikos, nicht erkennen. Dieses Informationsprob- lem kann Adverse Selektion verursachen (vgl. Jost und Backes-Gellner (2001), S. 28).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Zeitliche Zuordnung der Informationsasymmetrien und deren Folgen. Quelle: Eigene Darstellung.

Zum anderen bestehen Informationsasymmetrien nach Vertragsabschluss in Form von für die Versicherung nicht beobachtbaren Handlungen (hidden action) und nicht beob- achtbaren Informationen (hidden information). Dies kann zu „moralisch verwerflichem“ Verhalten der Individuen führen, Moral Hazard (vgl. Jost und Backes-Gellner (2001), S. 25f. und 30f.). Dabei ist weiterhin zwischen Informationsasymmetrien vor (ex ante) und nach (ex post) Eintritt des Krankheitsfalls zu unterscheiden. Das Individuum könnte sich aufgrund der Kostenübernahme durch die Versicherung beispielsweise ungesünder ernähren (ex ante Moral Hazard) oder medizinische Dienste häufiger als notwendig in Anspruch nehmen (ex post Moral Hazard) (vgl. Wigger (2006), S. 78f.).

2.1 Adverse Selektion im Krankenversicherungsmarkt

Die folgenden Ausführungen basieren auf Feldstein (2005, S. 127f.). Es wird ange- nommen, dass nur ein Versicherungsunternehmen, das risikoneutral ist und sich wett- bewerblich verhält, besteht.1 Wird weiterhin vereinfachend von zwei Gruppen, die sich nur im Risiko unterscheiden (Bevölkerungsgruppe G hat ein geringeres Erkrankungsri- siko als Bevölkerungsgruppe S), ausgegangen und nur ein Vollversicherungsvertrag angeboten, dessen Prämienhöhe auf dem Gesamtdurchschnittsrisiko aller Individuen basiert, ist dieser Vertrag für die Bevölkerungsgruppe G unter bestimmten Vorausset- zungen nicht attraktiv, sodass die niedrigen Risiken den Vertrag nicht eingehen werden. Dagegen ist der Vertrag für die Gruppe S attraktiv. Die Attraktivität des Vertrages hängt im Wesentlichen vom Verlauf der Indifferenzkurven der Nutzenfunktionen der Indivi- duen, dem Erkrankungsrisiko und dem Bevölkerungsanteil guter bzw. schlechter Risi- ken ab (siehe Abschnitt 3.1.1). Diese Voraussetzungen werden für beide Gruppen be- züglich der Attraktivität des Vertrages als erfüllt angenommen. Da das Erkrankungsrisi- ko der Gruppe S größer als das Gesamtdurchschnittsrisiko aller Individuen ist, ist die Prämie des Vertrages geringer als ihre faire Prämie, bei der „die Prämieneinnahme […] dem Erwartungswert der Schadenzahlung“ (Zweifel und Eisen (2003), S. 84) entspricht. Dies hätte zur Folge, dass die Versicherung Verluste erleiden würde. Antizipiert die Versicherung diesen Sachverhalt und wird davon ausgegangen, dass sie weiterhin nur einen Vertrag anbietet, so wird die Krankenversicherung für den Vertrag eine Prämie wählen, die auf dem Erkrankungsrisiko der Gruppe S basiert. Demnach werden sich nur die hohen Risiken versichern. Die niedrigen Risiken bleiben ohne Versicherungsschutz. Nur die schlechten Risiken bleiben als (mögliche) Konsumenten der Versicherung üb- rig. Dieses Problem wird unter dem Begriff der Adversen Selektion subsumiert und kann zu Marktversagen führen (vgl. Akerlof (1970), S. 492f.).2

Die Verdrängung der niedrigen Risiken beruht auf einem negativen externen Effekt, der aus der Existenz von Individuen mit hohem Erkrankungsrisiko resultiert (vgl. Rothschild und Stiglitz (1976), S. 648). Würden Individuen mit niedrigem Erkrankungsrisiko den Vollversicherungsvertrag des obigen Beispiels abschließen, so würden sie die Individuen mit hohem Erkrankungsrisiko subventionieren und deshalb Nutzeneinbußen erleiden (vgl. Breyer et al. (2005), S. 216f.).

2.2 Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt

Informationsasymmetrien bestehen auch nach Vertragsabschluss. Dies ist insofern prob- lematisch, da der Versicherungsfall (Erkrankung) nicht unabhängig vom Verhalten des Individuums ist und dadurch negative Verhaltensanreize entstehen können (vgl. Arrow (1963), S. 961). Negative Verhaltensanreize resultieren im Fall einer Versicherung aus der (teilweisen) Eliminierung des finanziellen Risikos3 der Versicherten (vgl. Breyer et al. (2005), S. 221f.). Wird medizinische Versorgung als ein homogenes Gut angenommen (vgl. Wellisch und Hange (2000), S. 230f.), so kann im Fall ohne Versicherung und bei genügend hoher Nachfrage bzw. Zahlungsbereitschaft ein positiver Preis für dieses Gut ermittelt werden. Schließt das Individuum hingegen eine Vollversicherung ab, re- duziert sich der Preis faktisch auf Null (vgl. Santerre und Neun (2000), S. 400). Zum einen kann dies zur Folge haben, dass sich die versicherten Individuen nicht mehr oder reduziert präventiv verhalten. Dadurch erhöht sich ihr ursprüngliches Erkrankungs- risiko, was zu einer höheren Beanspruchung von medizinischen Leistungen führt als im Fall ohne Versicherung (vgl. Anlauf (2001), S. 17f.). Dies beschreibt den Fall des ex ante Moral Hazard.

Zum anderen verursacht die Preisreduktion, dass der Versicherte bei Eintreten einer Krankheit sich nicht ressourcenschonend verhält, er also medizinische Leistungen häu- figer, in größerem Umfang und / oder teurere Behandlungen nachfragt als im Fall ohne Versicherung (vgl. Wigger (2006), S. 80). Dies beschreibt den Fall des ex post Moral Hazard.

Ursächlich für Moral Hazard ist die faktische Senkung der Grenzkosten des Versicher- ten für medizinische Leistungen durch die Versicherung. Unter der Annahme eines fort- während positiven aber abnehmenden Grenznutzens aus dem Konsum medizinischer Versorgung weitet der Versicherte die Nachfrage bis zu dem Punkt aus, wo der Grenz- nutzen den durch die Versicherung „gesenkten“ Grenzkosten entspricht (vgl. Feldstein (2005), S. 130). Im Fall der Vollversicherung entspricht dieser Punkt der Sättigungs- menge des Individuums für medizinische Leistungen (vgl. Breyer et al. (2005), S. 224).

Das Kalkül eines einzelnen Versicherten besteht dabei darin, dass die Mehrkosten, die er durch den Mehrkonsum von medizinischen Leistungen verursacht, auf alle Versicher- ten verteilt werden, sodass die Gesamtprämienerhöhung für das verursachende Indivi- duum nur marginal ausfällt (vgl. Santerre und Neun (2000), S. 399f.). Da dieses Verhal- ten vollkommen rational ist (vgl. Pauly (1968), S. 535), werden alle Versicherten ent- sprechend vorgehen, sofern von einer Welt rationaler Individuen ausgegangen wird. Dies hätte zur Folge, dass die Prämien sukzessive steigen würden. Pauly (1968, S. 534) beschreibt dies als ein Gefangenendilemma, weil es für jedes Individuum vorteilhaft ist, mehr zu konsumieren, anstatt nur die notwendige Menge (Fall ohne Versicherung) nachzufragen. Wird dieser Prozess von den Individuen vor Vertragsabschluss antizi- piert, ist die Folge, dass wie im Fall von Adverser Selektion kein Markt zustande kommt bzw. Marktversagen resultiert (vgl. Wigger (2006), S. 80).

Aber ob die faktische Reduktion des Preises für eine Einheit medizinische Versorgung zu einer tatsächlichen Ausweitung der Nachfrage führt, hängt von der Elastizität der Nachfrage für medizinische Versorgung ab (vgl. Pauly (1968), S. 532). Abbildung 2 stellt die obigen Ausführungen grafisch dar. Die Gerade GK0 bildet die Grenzkosten für medizinische Leistungen ab. Die Vertikale N0 beschreibt die Nachfrage nach medizinischen Leistungen, wenn diese vollkommen preisunelastisch ist. Gerade N1 symbolisiert hingegen eine Nachfrage, die nicht vollkommen preisunelastisch ist. Im Fall ohne Versicherung fragt das Individuum die Menge m0 zum Preis p0 nach.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Moral Hazard in Abhän- gigkeit der Nachfrageelas- tizität.

Quelle: In Anlehnung an Pauly (1968), S. 533 und Santerre und Neun (2000), S. 400.

Bei Vollversicherung und vollkommen preisunelastischer Nachfrage sinken die Grenz- kosten faktisch auf Null. Da die Nachfrage aber preisunelastisch ist, erfolgt keine Men- genausweitung und das Individuum fragt nach wie vor die Menge m0 nach. Es resultiert kein Moral Hazard.

Hingegen dehnt bei Vollversicherung und preiselastischer Nachfrage das Individuum die Menge auf m1 (Sättigungsmenge) aus, da die Grenzkosten bzw. der Preis faktisch Null betragen. Es resultiert ein Wohlfahrtsverlust in Höhe der Fläche des Dreiecks ABC (vgl. Phelps (2003), S. 326).

In den obigen Ausführungen wird stets davon ausgegangen, dass der Mehrkonsum vom versicherten Individuum ausgeht. Es handelt sich also um nachfrageinduziertes Moral Hazard (vgl. Newhouse (2002), S. 80f.). Allerdings kann Moral Hazard auch aus einer Verhaltensänderung der Leistungsanbieter resultieren. Beispielsweise kann ein Arzt bei Patienten mit großzügiger Versicherung umfangreichere Behandlungen durchführen als tatsächlich erforderlich (vgl. Arrow (1963), S. 961f. und Graf Schulenburg und Greiner (2007), S. 47). Diese Problematik wird als angebotsinduziertes Moral Hazard bezeich- net (vgl. Newhouse (2002), S. 81-83).

[...]


1 Für die folgenden Abschnitte wird angenommen, dass die Krankenversicherung (und auch der Staat) nur die Risikostruktur insgesamt beobachten kann.

2 Die Problematik der Adversen Selektion auf die Funktionsfähigkeit von Märkten wurde als erstes von Akerlof (1970) erläutert. Rothschild und Stiglitz (1976) und Wilson (1977) gehören zu den ersten Au- toren, die diese Problematik modelltheoretisch in Versicherungsmärkten analysiert haben.

3 Das finanzielle Risiko besteht aus den Kosten der Behandlung und dem entgangenen Einkommen (vgl. Breyer et al. (2005), S. 221).

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Adverse Selektion und Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt
Sous-titre
Problemdarstellung, Lösungsansätze und empirische Evidenz zur Praxisgebühr
Université
University of Bayreuth  (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre III - insbesondere Finanzwissenschaft)
Cours
Gesundheitsökonomik
Note
1,3
Auteur
Année
2009
Pages
21
N° de catalogue
V145134
ISBN (ebook)
9783640557240
ISBN (Livre)
9783640557950
Taille d'un fichier
586 KB
Langue
allemand
Mots clés
Adverse, Selektion, Moral, Hazard, Krankenversicherungsmarkt, Problemdarstellung, Lösungsansätze, Evidenz, Praxisgebühr
Citation du texte
Thomas Bohm (Auteur), 2009, Adverse Selektion und Moral Hazard im Krankenversicherungsmarkt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145134

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