Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der face Begriff nach Goffman
2.1 Was ist face ?
2.2 Face-work
3. Politeness Theory nach Brown / Levinson
3.1 Gemeinsamkeiten mit Goffman
3.2. Face als wants
4. Postmoderne Ansätze
4.1 Relational work nach Locher / Watts
4.1.1 Relational work: Eine Kritik an Brown / Levinson
4.1.2 Face im Zusammenhang mit relational work
4.2. Rapport Management nach Spencer-Oatey
4.2.1 Rapport Management
4.2.2 Respectability face und identity face
4.2.3 face und values
5. Fazit und Ausblick
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Komplexität der Frage, was face genau bedeutet, wird einem spätestens dann klar, wenn man versucht den Begriff in ein paar einfachen Sätzen zu erklären. Das Problem des Begriffs an sich ist, dass er sich auf die Grundlagen der Gesellschaft an sich bezieht und dadurch sehr kompliziert wird. Allein die Zeitspanne von fast 100 Jahren, in der sich Menschen mit dieser Thematik beschäftig haben, zeigt, dass die Frage nach dem face und seiner Funktion nicht einfach zu beantworten ist. In Anlehnung an den französischen Soziologen Émile Durkheim untersuchte Erving Goffman 1967 in seinem Werk Interaction Ritual die Interaktionsebene zwischen Individuen genauer. Dabei entstanden die ersten Definitionen von face und face-work. Da dieser Ansatz bis heute Einfluss auf die face- Forschung hat, wird er auch Teil meiner Arbeit sein, in der ich mich anhand einiger ausgewählter Ansätze näher mit der komplexen Thematik des face befassen möchte. Dabei sollen die Probleme deutlich werden, die unter anderem durch verschiedene Kulturkreise und deren Auffassung von face entstehen. Neben Goffmans Arbeit werde ich dazu den modernen Ansatz von Brown / Levinson (1987) als Grundlage heranziehen und diesen beiden zwei postmoderne Ansätze gegenüberstellen, um die Kritikpunkte herauszuarbeiten, die die postmoderne gegenüber der modernen und traditionellen Forschung erhebt.
2. Der face Begriff nach Goffman
2.1 Was ist face ?
Um Goffmans (1967) Definition des Begriffs face zu begreifen, ist es zunächst einmal entscheidend zu verstehen, von welchem Punkt aus er sein Konstrukt aufgebaut hat. Goffman geht hierbei von der Annahme aus, dass die Welt voller sozialer Begegnungen in jeglicher Form ist. Es spielt dabei keine Rolle, wie diese Begegnungen zustande kommen. Entscheidend ist nur, dass durch diese Begegnungen Menschen dazu gezwungen sind, ein bestimmtes Selbstbild zu vermitteln und das Selbstbild anderer zu rezipieren. Laut Goffman geschieht dies durch eine line, einer bestimmten Verhaltensweise, welcher die betreffende Person in einer solchen Begegnung folgt. Es ist dabei völlig ohne Bedeutung ob der Interagierende diese line bewusst oder unbewusst wählt, da sein gegenüber in jedem Fall annehmen wird, er hätte sich absichtlich so verhalten. Menschen sind demnach in ihren sozialen Interaktionen an lines gebunden, da es für die Darstellung des eigenen Selbstbildes entscheidend ist den Eindruck zu berücksichtigen, den andere über einen selbst bekommen. (Goffman, 1967: 5)
Goffman geht nun davon aus, dass jeder Mensch einen positiven sozialen Wert für sich beansprucht, der ihn dazu bringt bestimmte lines bewusst oder unbewusst zu verfolgen. Diesen Wert bezeichnet er als face und definiert ihn wie folgt:
The term face may be defined as the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact. Face is an image of self delineated in terms of approved social attributes - albeit an image that others may share, as when a person makes a good showing for his profession or religion by making a good showing for himself.
(Goffman, 1967: 5)
Aus dieser Definition geht hervor, dass Goffman face als ein Konstrukt sieht, welches sich aus der verfolgten line und dem daraus resultierenden Feedback entwickelt. Zudem liegen dem face selbst gesetzte und bewährte Attribute zu Grunde, die allerdings ebenso Veränderungen durchmachen wie das face selbst. Face ist demnach bei Goffman nichts statisches, sondern etwas, das sich mit der Person und ihren Erfahrungen weiterentwickelt. Spätere moderne Theorien, wie zum Beispiel die von Brown / Levinson, unterscheiden sich in diesem Aspekt von Goffman, worauf ich in Kapitel 3 genauer eingehen möchte.
Ein weiteres Merkmal dieser Definition ist ihre Ausrichtung auf westliche Kulturen. Der Abschnitt „[…]when a person makes a good showing for his profession or religion by making a good showing for himself.” (Goffman, 1967: 5) zeigt dies, da es generell nur in westlichen Kulturen üblich ist, den persönlichen face -Gewinn eines einzelnen als Besserstellung der Gruppe zu sehen, zu der diese Person gehört. Auch Goffman selbst war sich der westlichen Befangenheit seiner Definition bewusst und verweist deshalb in seinem Essay unter anderem auf Hu (1944) oder Yang (1945), die sich näher mit der chinesischen Auslegung des face Begriffs beschäftigt haben. Auf die Ost-West-Problematik werde ich im Kapitel der postmodernen Ansätze (Kap. 4) noch näher eingehen.
2.2 Face-work
In diesem Kapitel soll es um den Umgang des Menschen mit seinem eigenen face und dem anderer gehen. Dabei möchte ich zuerst klären was Menschen dazu bewegt, sich für ihr eigenes face und das anderer einzusetzen und danach darauf eingehen, was face-work ist und wozu es dient. Um dies verstehen zu können, muss man jedoch erst einmal wissen, inwiefern face in das soziale Geschehen eingebunden ist, und wie die Gesellschaft sowohl positiv als auch negativ auf das face des einzelnen einwirkt.
Grundsätzlich erhält der Mensch in jeder zwischenmenschlichen Begegnung eine unmittelbare Rückmeldung auf sein face, sofern sein Gegenüber es gestattet und sich nicht verstellt, um ihm einen falschen Eindruck zu vermitteln. Menschen sind dabei emotional mit ihrem face verbunden. Bestärkt die Begegnung ein Image, das die betroffene Person von sich entworfen hat, so wird dies wenig emotionale Auswirkung haben, da es sich lediglich um eine Bestätigung durch außen handelt. Werden die Erwartungen übertroffen, wird die Person positive Emotionen empfinden. Ebenso wird sie sich verletzt bzw. schlecht fühlen, falls ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Goffman geht jedoch davon aus, dass eine Person nicht nur Emotionen für das eigene face, sondern auch für das der anderen Personen hat, die an der Begegnung beteiligt sind. Diese Emotionen unterscheiden sich allerdings in ihrer Art und Ausprägung von denen, die die Person selbst betreffen. Weiterhin entscheiden Gruppendynamik und die Situation selbst über Art und Umfang der Emotionen, die der einzelne seinem eigenen face und den faces der anderen zugesteht (Goffman, 1967: 6).
Der emotionale Aspekt führt dazu, dass die maintenance of face (Aufrechterhaltung des face) die essentiellste Bedingung für zwischenmenschliche Interaktion ist. Diese ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass das eigentliche Ziel (z. B. der Zuwachs an eigenem face, die Lösung von Aufgaben und Problemen oder das Mitteilen von Informationen, die den anderen womöglich herabsetzen) überhaupt verwirklicht werden kann (Goffman, 1967: 12). Um dies zu ermöglichen sind die Mitglieder einer Gesellschaft im Normalfall[1] darauf bedacht, in jeglichen Begegnungen sowohl das eigene, wie auch das face der anderen Beteiligten zu bewahren (Goffman, 1967: 11). Zu diesem Zweck verfügt laut Goffman (1967: 9 ff) jede Gesellschaft über zwei Regeln, die in Kombination zu dem Effekt der gegenseitigen face -Bewahrung führen.
Die erste davon ist die rule of self-respect (Goffman, 1967: 9 f). Sie besagt, dass von jedem erwartet wird, sein selbst gewähltes Image zu verteidigen, indem er bestimmte Erwartungshaltungen erfüllt, die sich mit diesem Image decken. Tut die Person dies nicht, so wird ihr die Gesellschaft ihr face entziehen, bis sie sich als würdig erweist, dieses selbst gewählte Image durch ein entsprechendes face zu repräsentieren (Goffman, 1967: 10). Goffmans Definition von face beinhaltet zwar nicht die Bedingung, dass die Gesellschaft das selbst gewählte face anerkennen muss. Dennoch ergibt es Sinn, wenn man bedenkt, dass es ohne soziale Interaktionen kein face geben würde und umgekehrt. Denn obwohl das face jedes einzelnen etwas individuell Entworfenes ist, wählt jeder bei dessen Konstruktion aus einer von der Gesellschaft vorgegeben Palette an Attributen. Diese werden dadurch direkt mit dem eigenen face verknüpft. Goffman beschreibt dies mit dem Beispiel „Approved attributes and their relation to face make of every man his own jailor; […] even though each man may like his cell“ (Goffman, 1967: 10). Weiterhin gibt er dem face in diesem Zusammenhang den Namen social face, da es hier als Leihgabe der Gesellschaft an das Individuum verstanden wird (Goffman, 1967: 10).
[...]
[1] Ein Ausnahmefall wäre es z. B. wenn man jemand absichtlich verletzten möchte. In diesem Fall würde die maintenance of face keine Rolle spielen.