Vera von Bissing

Eine Kunstfliegerin der 1930-er Jahre


Livre Spécialisé, 2010

59 Pages


Extrait


Eine der besten und erfolgreichsten deutschen Kunstfliegerinnen in den 1930-er Jahren war Vera von Bissing (1906–2002). Sie beherrschte als erste Frau den Looping nach vorn, der als sehr anstrengende Kunstflugfigur gilt. Ihr erschien das Fliegen als „das Schönste, was es auf der Welt gibt“.

Vera von Bissing wurde am 23. Oktober 1906 in Frankfurt am Main geboren. Sie war die Tochter einer begüterten adligen Offiziersfamilie, die bis 1918 in Mühlhausen (Elsass) lebte. Im Elsass hat Vera ihre unbekümmerte Jugend verbracht.

Früh begeisterte sich Vera für die Fliegerei. Deswegen äußerte sie schon im Mädchenalter ihren Wunsch, fliegen zu lernen. Doch dieses Ansinnen fand bei ihren Eltern – vor allem bei ihrer Mutter – keine Gegenliebe und sie musste bis über ihre Volljährigkeit hinaus für ihren Traum kämpfen.

Erst im November 1929 erhielt die nun 23 Jahre alte Vera von Bissing die Erlaubnis für Flugstunden. Sie begann ihre Ausbildung in Frankfurt-Rebstock beim Fluglehrer Erich Wiegmeyer auf einer Maschine des Typs „Raab-Katzenstein RK II b Pelikan“ (D-1193). Während ihrer Ausbildung gab es einen „kleinen Bruch“, für den nach ihrer Ansicht ihr

Fluglehrer verantwortlich gewesen sein soll. Im Januar 1930 erhielt sie ihren lange ersehnten Pilotenschein.

Bald danach bekam Vera von Bissing ihr eigenes Flugzeug, eine gebrauchte „Raab-Katzenstein Kl I c Schwalbe“ (D-1742) Mit dieser Maschine zog sie nach Kassel, um sich vom „Deutschen Kunstflugmeister“ Gerhard Fieseler (1896–1987) zur Kunstfliegerin ausbilden zu lassen. Im September 1930 besaß sie die Kunstflugscheine I und II. Außerdem hatte ihr Fieseler seinen von ihm selbst entwickelten eindrucksvollen Looping nach vorne beigebracht. Vera war die Erste, die diese schwierige Figur beherrschte und vorführte.

Dank ihrer Ausbildung und ihres Könnens erwarb sich Vera von Bissing rasch einen guten Ruf als Fliegerin im In- und Ausland. Erfreulicherweise stiegen damit auch ihre Gagen für ihre Auftritte. Laut Online-Lexikon „Wikipedia“ flog sie jedes Flugzeug, dessen sie habhaft werden konnte. Dazu gehörte auch das im Auftrag der Dresdner Zigarettenfirma Hans Bergmann von dem Flugzeugkonstrukteur Alexander Lippisch (1894–1976) entworfene und von Gerhard Fieseler als „F 3 Wespe“ gebaute zweimotorige Flugzeug, das Fieseler nach dem Einfliegen und den ersten Erprobungsflügen als für normale Piloten unfliegbar gehalten hatte.

1932 wurde Vera von Bissing als eine der besten europäischen Kunstfliegerinnen von der „Woman’s International Association of Aeronautics“ („WIAA“) zum Ehrenmitglied ernannt. 1933 trat sie in Paris bei der „Internationalen Kunstflugmeisterschaft der Damen“ an und siegte sehr überzeugend. Wegen einer Erkrankung konnte sie diesen Titel 1934 nicht verteidigen. Statt dessen siegte die Deutsche Liesel Bach (1905–1992), die in der Folgezeit noch oft ihre Konkurrentin war. Mittlerweile hatte Veras altes Flugzeug „Schwalbe“ ausgedient und war durch eine leistungsfähigere „BFW M 35 (D-ESIV)“ ersetzt worden. Dabei handelte es sich um einen eleganten Tiefdecker, der wie das Vorgängerflugzeug ihr Logo trug, das Gerhard Fieseler selbst für sie entworfen hatte. Ihr guter Ruf verhalf Vera von Bissing zu Werbeverträgen der erwähnten Zigarettenfirma Hans Bergmann und der Kraftstofffirma Shell.

Am 1. März 1933 trat die völlig unpolitische Vera von Bissing in die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ („NSDAP“) ein. Davon versprach sie sich vermutlich Vorteile für ihre fliegerische Karriere.

Anlässlich der Olympiade 1936 in Berlin trat Vera von Bissing beim „Kunstflugwettbewerb der Damen“ gegen ihre alte Konkurrentin Liesel Bach an und siegte. Einige Tage später beim großen Flugtag in Tempelhof, bei dem das Publikum urteilen durfte, lag dagegen Liesel Bach vorne. Im selben Jahr wurde Vera von Bissing von der in Paris ansässigen „Ligue Internationale des Aviateurs“ zum Ehrenmitglied ernannt. Was sie damals noch nicht wusste: das war ihr letzter Tag als frei arbeitende Kunstfliegerin.

Nach der Schaffung des „Nationalsozialistischen Fliegerkorps“ („NSFK“) 1937 wurde Vera von Bissing mitgeteilt, dass Kunstflieger künftig bei allen Flugtagen nicht mehr bezahlt würden. Damit wäre ihr im Inland die wirtschaftliche Grundlage entzogen worden, wenn sie nicht auf ein gleichzeitig gemachtes Angebot des Korpsführers des „NSFK“ eingegangen wäre. Man bot ihr an, sie als Sachbearbeiterin bei dieser Parteigliederung mit festem Gehalt einzustellen. Ihr Flugzeug sollte zwar offiziell von der „NSFK“ erworben werden, ihr aber weiterhin für Auftritte zur Verfügung stehen. Vera blieb wohl oder übel nicht anderes übrig, als auf diesen Vorschlag einzugehen.

In der Folgezeit wohnte und arbeitete Vera von Bissing in Eschwege (Hessen). Neben ihren Aufgaben bei der „NSFK“ konnte sie weiterhin an ausländischen Wettbewerben teilnehmen,. Bei der „Niederländischen Kunstflugmeisterschaft“ im Mai 1937 in Eelde bei Groningen beispielsweise erreichte sie gegen sieben männliche Teilnehmer den vierten Platz. Einen Monat später glänzte sie beim Großflugtag auf dem Rotterdamer Flugplatz, wo unter anderem die Französin Maryse Hilsz (1903–1946) ihre Konkurrentin war. Im August 1938 brillierte sie bei einem Flugtag in Eastborn (England), worüber die Zeitschrift „Flight“ schrieb, ihr Auftritt habe einen eigenen Artikel verdient, der jedoch nie erschien. Ihr letzter großer flugsportlicher Auftritt war ihre Teilnahme am Zuverlässigkeitsflug der Sportfliegerinnen 1938, für den das „NSFK“ allen Beteiligten eine „Klemm Kl 25“ zur Verfügung gestellt hatte. Noch einmal zeigte sie ihr Können 1938 beim von Gerhard Fieseler in Kassel veranstalteten Großflugtag, wo sie mit der legendären Fliegerin Hanna Reitsch (1912–1979) und dem Kunstflieger Albert Falderbaum (1913–1961) brillierte.

Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) wurde auch die Luftwaffe zum Auftraggeber für Vera von Bissing. Man ernannte sie zur Leiterin eines Überführungskommandos, das von Eschwege aus neue, überholte oder reparierte Flugzeuge zu den Luftparks brachte. Sie selbst unternahm oft Kurierflüge, meistens zwischen Berlin und Paris. Zwischendurch konnte sie immer wieder ihre „D-EXIV“ aus der Halle holen und damit ein wenig fliegen.

Nach dem Einrücken der Amerikaner wurde Vera von Bissing verhaftet und längere Zeit festgehalten. Mit Tränen in den Augen sah sie von ihrem Zellenfenster aus, wie ihr mit amerikanischen Sternen bemaltes Flugzeug in Richtung Westen für immer verschwand.

Nach ihrer Entlassung arbeitete Vera von Bissing zunächst als Dolmetscherin für die Besatzungsmacht. Später hat sie nicht mehr ernsthaft versucht, in der Fliegerei noch einmal Fuß zu fassen, wie es beispielsweise Liesel Bach getan hat. Vera bestritt mit der Leitung einer Wäscherei ihren Lebensunterhalt und den ihrer Eltern.

Die Traditionsgemeinschaft „Alte Adler“ ehrte Vera von Bissing mit der Aufnahme als Mitglied. Sie selbst schloss sich 1979 der „Vereinigung Deutscher Pilotinnen“ (VDP) an.

Am 15. Juni 2002 ist Vera von Bissing im Alter von 95 Jahren in Eschwege gestorben. Man hat sie unter großer Anteilnahme der Bevölkerung im Familiengrab beigesetzt.

Daten und Fakten aus der Luftfahrt

4. Juni 1784: Die französische Opernsängerin Elisabeth Thible, nach anderer Schreibweise auch Tible, fliegt in Lyon als erste Frau in einem Heißluftballon (Montgolfière) mit.

10. November 1798: Die Französin Jeanne Labrosse (1775–1845), die Ehefrau des Luftakrobaten André-Jacques Garnerin (1769–1823), unternimmt als erste Frau selbstständig einen Flug in einem Ballon.

12. Oktober 1799: Jeanne Labrosse wagt als erste Frau der Welt aus einer Höhe von rund 900 Metern einen Fallschirmsprung.

7. Juli 1819: Die erste professionelle Luftschifferin Frankreichs, Madeleine Sophie Blanchard (1778–1819), kommt in Paris bei einer Ballonfahrt als erste Frau beim Fliegen ums Leben.

Um 1850: Die französische Fallschirmspringerin Rosalie Poitevin (1819–1908) stellt in Parma (Italien) mit einem Sprung aus rund 2.000 Metern einen Frauenrekord auf, der erst 1931 von der Deutschen Lola Schröter (1906–1953) überboten wird.

4. Juli 1880: Mary Hawley Myers (1849–1932) unternimmt in Little Falls (New York) als erste Amerikanerin einen Alleinflug mit einem Ballon.

19. Juli 1893: Käthe Paulus (1868–1935) unternimmt in Nürnberg (Bayern) zusammen mit ihrem Verlobten Hermann Lattemann (1852–1894) ihren ersten Ballonflug. Sie gilt als erste Luftschifferin in Deutschland.

1893: Die Luftschifferin Käthe Paulus wird in Elberfeld bei Wuppertal die erste deutsche Fallschirmspringerin.

9. Juli 1903: Die Amerikanerin Aida de Acosta (1884–1962) unternimmt in Paris als erste Frau einen Alleinflug in einem lenkbaren Luftschiff.

1906: Die Amerikanerin E. Lillian Todd (1865–1937) entwirft und baut als erste Frau ein Flugzeug, das allerdings nie fliegt.

8. Juli 1908: Die französische Bildhauerin Therésè Peltier (1873–1926) unternimmt in Turin (Italien) an Bord eines Doppeldeckers zusammen mit dem französischen Piloten Léon Delagrange (1873–1910) den ersten Flug mit einem weiblichen Passagier.

7. Oktober 1908: Edith Berg fliegt als erste Amerikanerin in Le Mans (Frankreich) in einem Flugzeug mit. Sie ist eine Passagierin des amerikanischen Luftpioniers Wilbur Wright (1867–1912) und die Ehefrau von Hart O. Berg, des europäischen Agenten von Wright.

26. Oktober 1909: Die Französin Marie Marvingt (1875–1963) fliegt als erste Frau mit einem Ballon von Frankreich nach England.

8. März 1910: Die französische Schauspielerin Raymonde de Laroche (1844–1919) wird die erste Pilotin der Welt.

9. April 1910: Hélène Dutrieu (1877–1961) wird die erste Pilotin in Belgien.

19. April 1910: Hélène Dutrieu fliegt als erste Frau der Welt einen Passagier.

Sommer 1910: Hilda Hewlett (1864–1943) wird Mitbegründerin der ersten Flugschule in England.

2. September 1910 (oder 6. September oder Mitte Oktober): Blanche Stuart Scott (1889–1970) wird angeblich die erste amerikanische Pilotin. Ihr Flug wird von der „Aeronautical Society of America“ nicht anerkannt, weil er zufällig erfolgt.

16. September 1910: Bessica Medlar Raiche (1875–1932) wird angeblich die erste amerikanische Pilotin.

8. November 1910: Marie Marvingt wird die dritte Frau mit Pilotenlizenz in Frankreich.

1. August 1911: Harriet Quimby (1875–1912) wird die erste Amerikanerin mit Pilotenlizenz.

10. August 1911 (4. September 1911) : Lidija Swerewa (1890–1916) wird die erste Pilotin in Russland.

17. August 1911: Matilde Moissant (1878–1964) wird die zweite Amerikanerin mit Pilotenlizenz.

29. August 1911: Hilda Hewlett wird erste Britin mit Pilotenlizenz.

4. September 1911: Harriet Quimby unternimmt als erste Frau einen Nachtflug.

13. September 1911: Melli Beese-Boutard (1886–1925) legt als erste Deutsche die Pilotenprüfung ab.

10. Oktober 1911: Beatrix de Rijk (1883–1958) wird eine der ersten Pilotinnen in Holland.

Dezember 1911: Die Amerikanerinnen Harriet Quimby und Matilde Moisant (1878–1964) unternehmen als erste Pilotinnen einen Flug über Mexiko.

16. April 1912: Harriet Quimby überfliegt als erster weiblicher Pilot den Ärmelkanal (Englischer Kanal).

Juli 1912: Lilly Steinschneider (1891–1975) wird die erste Pilotin in Österreich-Ungarn.

2. September 1912: Die Französin Jeanne Pallier (1871–1939) fliegt bei ihrer Pilotenprüfung als erste Frau über Paris.

1912: Die Pilotin Ruth Law (1887–1970) fliegt als zweite Amerikanerin bei Nacht.

21. November 1912: Die russische Pilotin Ljuba Galanschikoff (1884–1968) stellt einen Höhenweltrekord für Frauen auf. Sie erreicht mit einem geliehenen Fokker-Eindecker eine Höhe von 2.000 Metern.

5. Januar 1913: Rosina Ferrario (1888–1959) wird die erste Pilotin in Italien, die vor dem Ersten Weltkrieg eine Fluglizenz erhält,

31. Juli 1913: Die amerikanische Pilotin Alys McKey („Tiny“) Bryant (1880–1954) unternimmt in Vancouver den ersten Flug einer Frau in Kanada. Ihre Flüge in Kanada waren Teil des Unterhaltungsprogramms für den Prinzen von Wales und den Herzog von York, die Vancouver und Victoria besuchen.

20. August 1913: Ljuba Galanschikoff unternimmt zusammen mit dem Piloten Léon Letort (1888–1913) den ersten Flug innerhalb eines Tages von Berlin nach Paris.

September 1913: Katherine Stinson (1891–1977) betätigt sich in Montana als erste Luftpostpilotin der USA.

1913: Hélène Dutrieu wird erstes weibliches Mitglied der „Pariser Luftwache“ und schützt die französische Hauptstadt im Ersten Weltkrieg (1914–1918) vor Angriffen deutscher Flugzeuge und Militärluftschiffe.

19. Mai 1914: Die russische Pilotin Lydija Swerewa (1890–1916) fliegt in Riga (Litauen) als erste Frau einen Looping (Kunstflugfigur in senkrechter Kreisbahn).

6. Juni 1914: Else Haugk (geboren 1889) wird die erste Pilotin der Schweiz.

1914: Prinzessin Eugenie Michailowna Shakhovskaya (1889–1920) wird die erste russische Militärpilotin. Sie unternimmt als Fähnrich im Dienste des Zaren etliche Aufklärungsflüge.

1915: Marjorie Stinson (1896–1975 und Katherine Stinson (1891–1977) betreiben mit ihrer Mutter Emma Beaver Stinson in Texas die erste von Frauen geleitete Flugschule.

17. Januar 1915: Ruth Law (1887–1970 wagt in Daytona Beach (Florida) als erste amerikanische Pilotin einen Looping. Katherine Stinson glückt dieses Kunststück am 18. Juli 1915 über dem Flugplatz „Cicero Field“ in Chicago.

1915: Nahdeshda Degtera, deren Geburts- und Todesdatum unbekannt sind, ist die erste russische Pilotin, die bei einem Kampfeinsatz im Ersten Weltkrieg verwundet wird.

1916: Die Deutsche Käthe Paulus erfindet den zusammenlegbaren Fallschirm.

12. Juli 1919: Raymonde de Laroche stellt einen Höhenrekord für Frauen auf (4.800 Meter).

[...]

Fin de l'extrait de 59 pages

Résumé des informations

Titre
Vera von Bissing
Sous-titre
Eine Kunstfliegerin der 1930-er Jahre
Auteur
Année
2010
Pages
59
N° de catalogue
V145506
ISBN (ebook)
9783640545711
ISBN (Livre)
9783656798835
Taille d'un fichier
3403 KB
Langue
allemand
Annotations
Mots clés
Vera von Bissing, Fliegerin, Pilotin, Kunstfliegerin, Frauenbiografien, Biografien, Luftfahrt, Ernst Probst, Fliegerinnen, Pilotinnen, Kurzbiografien
Citation du texte
Ernst Probst (Auteur), 2010, Vera von Bissing, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145506

Commentaires

  • Ernst Probst le 24/7/2010

    Literatur zum Thema:
    Ernst Probst: Königinnen der Lüfte von A bis Z, GRIN 2010

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Titre: Vera von Bissing



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