Regionalpolitische Implikationen der Neuen Ökonomischen Geographie


Diplomarbeit, 2003

64 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Regionalpolitik der Europäischen Union und die Neue Ökonomische Geographie
2.1 Ziele und Instrumente der europäischen Regionalpolitik
2.2 Konvergenz oder Divergenz – ein empirischer Befund für die EU
2.3 Die Aussagen der Neuen Ökonomischen Geographie

3. Das Zentrum-Peripherie-Modell
3.1 Das Zentrum-Peripherie-Modell mit immobilen Arbeitskräften
3.2 Verbesserung der Infrastruktur
3.3 Erweiterung des Modells und empirische Relevanz
3.4 Konsequenzen für die EU-Regionalpolitik

4. Endogenes Wachstum im Modellrahmen der Neuen Ökonomischen Geographie
4.1. Der Modellrahmen
4.1.1 Finanzieller Transfer in die arme Region
4.1.2 Verbesserung der Infrastruktur
4.1.3 Förderung von Forschung und Entwicklung
4.2 Empirische Relevanz des Modells
4.3 Konsequenzen für die EU-Regionalpolitik

5. Handlungsempfehlungen für eine zukünftige EU-Regionalpolitik
5.1 Investitionen in Humankapital
5.2 Förderung regionaler Innovationsnetzwerke
5.3 Förderung regionaler Wachstumszentren

6. Einige kritische Anmerkungen zur Anwendbarkeit der NEG

7. Fazit

8. Anhang
8.1 Statistischer Anhang
8.2 Mathematischer Anhang

9. Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abbildung 1: Disparität beim BIP pro Kopf in der EU von 1986-1996

Abbildung 2: Die U-Kurve

Abbildung 3: Das Vier-Quadranten-Diagramm

Abbildung 4: Finanzieller Transfer in die arme Region

Abbildung 5: Verbesserung der Infrastruktur

Abbildung 6: Verbesserung des Wissenstransfers

Abbildung 7: Die Ziel-1-Regionen

Abbildung 8: BIP pro Kopf in der EU, 1987 und 1995

Abbildung 9: Arbeitslosenquoten in der EU, 1986 und 1996

Abbildung 10: Änderung des BIP pro Kopf in der EU-25, 1995-2000

Tabelle 1: Regionalpolitische Fördergelder für die EU-15 von 1989-1999

Tabelle 2: BIP pro Kopf in den reichsten und ärmsten Regionen der EU, 1986 und 1996

Tabelle 3: Arbeitslosenquoten in den am stärksten und am wenigsten betroffenen Regionen in der EU, 1987 und 1997

Verzeichnis der Abkürzungen (Abkürzungen in der Reihenfolge ihres Vorkommens)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Symbolverzeichnis (Symbole in der Reihenfolge ihres Vorkommens)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die Europäische Union (EU) ist ein wirtschaftlich sehr heterogenes Gebiet mit großen räumlichen Unterschieden. So betrug laut EU-KOMMISSION [2003a] das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Jahre 2000 in der Region Inner-London 266,1% vom Durchschnitt der EU-15, während in der griechischen Region Ipeiros das BIP lediglich 51,9% des EU-Durchschnittes erreichte und somit gerade einmal die Hälfte des durchschnittlichen BIP pro Kopf der EU.

Die reichen Regionen innerhalb der EU sind fast ausnahmslos im Zentrum der EU zu finden, die wirtschaftsschwachen Regionen überwiegend an den Außengrenzen. Es ist somit eine Zentrum-Peripherie-Struktur in der EU erkennbar, und empirische Studien belegen darüber hinaus einen Divergenzprozess auf regionaler Ebene.

Viele Jahrzehnte konnte die Bildung dieser räumlichen Strukturen und dieses Divergenzprozesses modelltheoretisch nicht erklärt werden. Erst Anfang der 1990er Jahre gelang dies mit Hilfe der Neuen Ökonomischen Geographie (NEG), allen voran dem amerikanischen Ökonomen PAUL KRUGMAN [1991a,b].

Er zeigt, wie sich bei Berücksichtigung von steigenden Skalenerträgen in der Produktion, durch das Zusammenspiel von zentripetalen und zentrifugalen Kräften in einem Land endogen ein industrielles Zentrum und eine agrarische Peripherie herausbilden, wenn Arbeiter vollkommen mobil sind und die Transportkosten exogen sinken.

Die EU-Kommission meint, dass die freien Marktkräfte allein nicht zu einer ökonomischen und sozialen Konvergenz führen und betreibt daher aktive Regionalpolitik. Sie sieht sich durch die Ergebnisse der NEG bestätigt.

Im Rahmen meiner Arbeit studiere ich, wie ausgewählte regionalpolitische Maßnahmen der EU auf der Grundlage einzelner Modelle der NEG beurteilt werden können. Dazu untersuche ich, wie Infrastrukturinvestitionen, finanzielle Transfers und Innovationsförderung auf die Raumstruktur, das Wachstum und die Einkommensverteilung wirken und ob die EU mit diesen Instrumenten die von ihr angestrebten Ziele erreichen kann. Darauf aufbauend werde ich abschließend Empfehlungen für eine zukünftige EU-Regionalpolitik aufzeigen, die sich aus den erzielten Ergebnissen ableiten lassen.

Die Arbeit ist wie folgt gegliedert. Im nächsten Kapitel werde ich die Ziele und Instrumente der EU-Regionalpolitik skizzieren und die wirtschaftliche Situation der EU anhand von empirischen Untersuchungen darlegen. Indem ich die Grundlagen der NEG kurz darstelle, werde ich zeigen, dass sie geeignet ist, die EU-Regionalpolitik zu bewerten.

Im dritten Kapitel werde ich anhand eines Zentrum-Peripherie-Modells untersuchen, wie eine Verbesserung der Infrastruktur auf die räumliche Struktur und die Einkommensverteilung der Wirtschaftssubjekte wirkt, sowie diese Politikmaßnahme kritisch bewerten.

Im Rahmen eines kombinierten, die Wirklichkeit besser abbildenden Modells aus NEG und neuer Wachstumstheorie, werde ich in Kapitel vier zeigen, wie Transferzahlungen in die arme Region, eine Verbesserung der Infrastruktur und Investitionen in Humankapital wirken und dabei einen möglichen Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Gleichverteilung in der wirtschaftlichen Aktivität und im Einkommen darlegen. Darauf aufbauend werde ich erarbeiten, was die Modellergebnisse der NEG für die Ausgestaltung regionalpolitischen Handels auf der europäischen Instrumentenebene implizieren.

Im fünften Kapitel werde ich mit Hilfe der erzielten Ergebnisse darstellen, was sich für Handlungsempfehlungen an eine zukünftige EU-Regionalpolitik ergeben können.

Anschließend werde ich im sechsten Kapitel kurz einige kritische Anmerkungen zu den Modellen der NEG machen, bevor ich mit einem zusammenfassenden Fazit schließe.

2. Die Regionalpolitik der Europäischen Union und die Neue Ökonomische Geographie

2.1 Ziele und Instrumente der europäischen Regionalpolitik

Im Allgemeinen wird aktive Regionalpolitik aus distributiver und/oder allokativer Sicht begründet. Aus distributiver Sicht soll sowohl die ökonomische Aktivität als auch die Einkommensverteilung zwischen den Regionen und zwischen den Wirtschaftssubjekten möglichst gleich verteilt sein. Aus allokativer Sicht sollten Produktionsfaktoren möglichst Pareto-effizient eingesetzt werden, um die aggregierte Wohlfahrt zu maximieren. Die EU verfolgt laut EG-VERTRAG [1997, ART. 158] insbesondere das Ziel der regionalen Konvergenz, d.h., das „… Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete oder Inseln, einschließlich der ländlichen Gebiete zu verringern .“ Nach EG-VERTRAG [1997, ART. 2] soll aber auch ein „…beständiges, nichtinflationäres Wachstum …“ erzielt werden, um eine „… nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens …“ zu erreichen.

Die EU-Kommission[1] ist der Ansicht, dass die Marktkräfte allein diese Ziele nicht erreichen und rechtfertigt so Eingriffe einer übergeordneten Gebietskörperschaft in die Märkte.

Die Regionalpolitik basiert auf umverteilender Solidarität: Da die Einlage in den EU- Haushalt proportional zum BIP pro Kopf der einzelnen Länder erfolgt, finanzieren die reichen Regionen innerhalb der EU die armen. Auf diese Weise stehen laut EU- KOMMISSION [2003b] im Haushalt der Jahre 2000-2006 ca. 213 Milliarden (Mrd.) Euro für die Regionalpolitik in verschiedenen Fonds zur Verfügung, das entspricht etwa einem Drittel des Gesamthaushaltes der EU. Für die Regionalpolitik sind die vier Strukturfonds und der Kohäsionsfonds von entscheidender Bedeutung. Die Strukturfonds sind der Fonds für die Regionale Entwicklung (EFRE), der Europäische Sozialfonds (ESF), der Europäische Ausrichtungsund Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), sowie das Finanzinstrument für die Ausrichtung der Fischerei (FIAF). Von den 213 Mrd. Euro entfallen 195 Mrd. Euro auf die Strukturfonds und 18 Mrd. Euro auf den Kohäsionsfonds. Die Finanzmittel wurden in den letzten Jahren laut MARTIN [1999b] drastisch erhöht. Sie stiegen von 3.7 Mrd. ECU in 1985 auf 18.3 Mrd. ECU in 1992 und auf 33 Mrd. ECU in 1999, letzteres entspricht etwa 0,45 % der gesamten Wertschöpfung der EU in 1999.[2] Die anstehende Erweiterung der EU um die ostund mitteleuropäischen Länder wird dieses Finanzvolumen noch weiter vergrößern.

Der Ansatz der EU-Regionalpolitik bestimmt sich nach den wirtschaftlichen und sozialen Unterschieden der einzelnen Mitgliedsländer. Dazu wurde das Hoheitsgebiet in Regionen eingeteilt und die Förderwürdigkeit mittels eines Indikators festgesetzt. Für die Regionalpolitik entscheidend sind die NUTS-II-Regionen,[3] die als administrative Einheiten die Empfänger der Fördergelder sind. Innerhalb dieser Regionen wird das BIP pro Kopf der Bevölkerung zu Kaufkraftstandards als Maßstab der Disparität zwischen Regionenabgrenzungen innerhalb der EU. Sie entsprechen in Deutschland den Regierungsbezirken.

den einzelnen NUTS-II-Regionen gemessen.[4] Gefördert werden die NUTS-II-Regionen, die weniger als 75% des durchschnittlichen BIP pro Kopf in der EU erreichen. Diese befinden sich hauptsächlich in den peripheren Gebieten der EU, wie Griechenland, Spanien, Portugal, Süd-Italien und Ostdeutschland, aber auch Teile von Großbritannien, sowie Irland und das Burgenland in Österreich zählen dazu. Diese Regionen werden im Rahmen des Ziel 1 gefördert.[5] Eine Übersicht über die aktuellen Ziel-1-Förderregionen liefert Abbildung 7 im Anhang.

Die Verbesserung der Infrastruktur (Transportwege, Kommunikationsnetzwerke, Energieversorgung) ist für die EU-Kommission das Hauptwerkzeug, um die Konvergenz der Regionen innerhalb der Länder aber auch auf EU-Ebene zu beschleunigen. Der Anteil der Ausgaben für Infrastrukturverbesserungen stieg in den letzten Jahren stark an. Laut EU-KOMMISSION [1999] wurden in den Jahren 1989 bis 1993 etwa 35% der Gesamtausgaben der Strukturfonds in Ziel-1-Regionen für Investitionen in grundlegende Infrastruktur verwendet. Im Programmzeitraum 1994 bis 1999 stiegen die Investitionen der Strukturfonds in grundlegende Infrastruktur in den Ziel-1-Regionen einschließlich des neuen Kohäsionsfonds auf 41%. Dabei wurde sowohl die Infrastruktur in den armen Regionen als auch die interregionale Infrastruktur gefördert.

Darüber hinaus wurden weitere 26% für die Förderung des Humankapitals aufgewendet, z.B. durch Subventionierung von Forschung und Entwicklung oder durch den Ausbau von Universitäten.

Der größte Teil des verbleibenden Rests floss als direkte Transfers in die armen Regionen. Dies waren hauptsächlich Subventionen für Industriefirmen, um ihnen einen Anreiz zu schaffen, ihren Sitz in die peripheren Regionen zu verlagern.

2.2 Konvergenz oder Divergenz – ein empirischer Befund für die EU

Die Mitgliedsländer der EU weisen mehr oder weniger große Unterschiede im Entwicklungsniveau ihrer Regionen und teilweise ein beachtliches regionales Wohlstandsgefälle auf. 22% der EU-Bürger leben in Ziel-1-Regionen, d.h. Regionen, deren BIP pro Kopf unter 75% des EU-Durchschnitts liegt, und sind somit berechtigt, Hilfen aus dem Strukturfonds der EU zu beziehen. Wenn die USA diesen Maßstab anlegen würden, dann wären nach PUGA [1999] lediglich zwei Staaten (Mississippi und West Virginia) berechtigt, Fördergelder zu empfangen; dies sind 2% der US-Bevölkerung.

BRAUNERHJELM ET AL. [2000] kommen anhand von empirischen Studien zu dem Schluss, dass in den letzten zwanzig Jahren die Einkommensunterschiede zwischen den Ländern der EU zwar abgenommen, sie aber innerhalb der Regionen zugenommen haben. Auch BRÖCKER [1998] spricht von Konvergenz auf Länderebene, aber Divergenz auf regionaler Ebene.

Abbildung 1 zeigt, dass auf Länderebene die Disparität beim BIP pro Kopf - zu Kaufkraftstandards (KKS) gemessen in Standardabweichungen - in den Jahren 1986-1996 leicht abgenommen hat, für die Regionen gilt dies jedoch nicht. Außerdem ist zu erkennen, dass die Disparität bei BIP pro Kopf auf regionaler Ebene deutlich größer ist, als auf Ebene der EU-Staaten.

Abbildung 1: Disparität beim BIP pro Kopf in der EU von 1986-1996

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: EU-KOMMISSION [1999, S. 20]

Der Aufholprozess der Kohäsionsländer und der Beitrittskandidaten geht ebenfalls einher mit einer sehr deutlichen Zunahme der regionalen Disparitäten. Aufgeholt haben zwar insbesondere die Hauptstadtregionen, zurückgeblieben sind jedoch überwiegend die Grenzregionen, wie LAMMERS [2002] zeigt. Eine Übersicht über das BIP pro Kopf in den reichsten und ärmsten Regionen der Europäischen Union in den Jahren 1986 und 1996 findet sich in Tabelle 2 im Anhang, eine grafische Darstellung des BIP der NUTS- II-Regionen der Jahre 1987 und 1995 liefert Abbildung 7 im Anhang.

Ebenso ausgeprägt sind die Unterscheide in den regionalen Arbeitslosenquoten. Selbst innerhalb der EU-Länder gibt es beträchtliche Arbeitslosigkeitsunterschiede und nach PUGA [2002] war im Jahr 1996 die Arbeitslosenquote der zehn Regionen mit der höchsten Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt. Dabei wird die Zahl der Regionen mit Arbeitslosenquoten in der Nähe des EU-Durchschnitts im Zeitverlauf weniger, während die Zahl der Regionen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, also solcher Regionen, die OVERMAN UND PUGA [1999] als Unemployment Clusters bezeichnen, stetig größer wird. Eine grafische Übersicht der Arbeitslosenzahlen in den NUTS-II-Regionen der Jahre 1986 und 1996 liefert Abbildung 8 im Anhang. Es zeigt sich dabei der Trend, dass die Arbeitslosigkeit generell zugenommen hat, mit Ausnahme von Großbritannien und Irland; in der Peripherie jedoch deutlich stärker als im Zentrum der EU. Diese Entwicklung ist erst seit den späten 1980er Jahren zu beobachten. Bis dahin waren nach LAYARD ET AL. [1991] die Unterschiede in den Arbeitslosenquoten in Europa auf konstantem Niveau. Mit anderen Worten: Es gibt heute mehr Regionen mit entweder hoher oder niedriger Arbeitslosigkeit und weniger, die sich nahe am EU-Durchschnitt befinden – bei der Arbeitslosigkeit zeigt sich eine Divergenz der europäischen Regionen. Die Arbeitslosenquoten in den am stärksten und am wenigsten betroffenen Regionen in der EU in den Jahren 1987 und 1997 finden sich in Tabelle 3 im Anhang.

Versteht man diese beiden Indikatoren als ein Maß für die Wohlfahrt innerhalb der EU, so muss man feststellen, dass die Wohlfahrt sich zwar auf Länderebene angenähert hat, zwischen den Regionen jedoch ein Divergenzprozess stattgefunden hat. Dieser Prozess konnte auch dadurch nicht gestoppt werden, dass die Finanzmittel für die EU-Regionalpolitik der am schnellsten wachsende Posten im EU-Haushalt sind.

2.3 Die Aussagen der Neuen Ökonomischen Geographie

Die traditionellen raumwirtschaftlichen Theorien erklären diese ungleichmäßige Entwicklung der ökonomischen Aktivität hauptsächlich durch unterschiedliche Bedingungen wie Geographie oder Ressourcen. Sie sind nicht in der Lage, Divergenz modellendogen zu erklären. Der Hauptgrund dafür ist die zentrale Annahme der konstanten Skalenerträge. Diese bewirken, dass jeder Produktionsprozess auf unendlich viele Produktionsstätten verteilt werden kann, ohne dadurch den gesamten Output zu verringern. Entspräche dies der Wahrheit, würde es keinen Grund für die räumliche Konzentration ökonomischer Aktivität geben. Ein Blick auf die Landkarte hingegen macht deutlich, dass die traditionellen Theorien die Realität jedoch nicht hinreichend abbilden.

Den Vertretern der NEG gelang es, diese ökonomischen Kern-Peripherie-Strukturen endogen zu erklären, indem sie Elemente der neuen Außenhandelstheorie mit Ideen der traditionellen Standortlehre kombinierten.[6]

Die Hauptmerkmale aller Modelle der NEG sind die explizite Behandlung von Transportkosten[7] und die Annahme steigender Skalenerträge in der Produktion. Für SCOTCHMER UND THISSE [1992, S. 272] hat die Existenz von steigenden Skalenerträgen in der Produktion eine so entscheidende Bedeutung, dass sie vom „… folk theorem of spatial economics… “ sprechen. Das Zusammenspiel dieser beiden Merkmale bedingt eine Situation der unvollständigen Konkurrenz. Die NEG verwendet üblicherweise das Modell der monopolistischen Konkurrenz von DIXIT UND STIGLITZ [1977][8] und kann durch diese Modellannahmen die Realität deutlich besser abbilden als die traditionellen Modelle. Dabei modelliert die NEG generelle Gleichgewichte als Marktergebnisse und nicht Lösungen von Planungsprozessen, wie dies insbesondere in der Theorie der Zentralen Orte von CHRISTALLER [1933] oder LÖSCH [1940] noch der Fall war. Das Zentrum-Peripherie-Modell, so wie es von KRUGMAN [1991a,b] vorgestellt wurde, kann als das Grundmodell der NEG bezeichnet werden.[9] In diesem Zwei-Regionen-Modell wird gezeigt, wie sich durch das Zusammenspiel von zentripetalen und zentrifugalen Kräften[10] in einem Land endogen ein industrielles Zentrum und eine agrarische Peripherie herausbilden, wenn Arbeiter vollkommen mobil sind und die Transportkosten exogen sinken.[11] Die beiden wichtigsten zentripetalen Kräfte im Grundmodell der NEG sind das, was HIRSCHMANN [1958] als Forwardund Backward-Linkages bezeichnet hat. Forward-Linkages sind Wirkungszusammenhänge zwischen einem produzierenden Sektor und dessen Faktormarkt,[12] Backward-Linkages bezeichnen Wirkungen vom Absatzmarkt auf den produzierenden Sektor selbst. Die treibende Kraft in diesem Modellrahmen sind die mobilen Arbeitskräfte, die in die Region immigrieren, in der die höhere Arbeitsnachfrage herrscht und ihnen somit der höhere Lohn gezahlt wird. Für KRIEGER-BODEN [2000, S. 8] steht daher fest, dass: „ The mobile factor is assumed to be the engine of any agglomeration process… “.

Das Modell scheint somit eine aktive EU-Regionalpolitik aus distributiver Sicht durchaus zu rechtfertigen.[13] Im Folgenden möchte ich das Grundmodell der NEG auf die EU übertragen und untersuchen, ob eine zunehmende Integration, die von der EU-Regionalpolitik insbesondere durch eine Verbesserung der Transportinfrastruktur vorangetrieben wird, dazu beitragen kann, eine größere räumliche Gleichverteilung der wirtschaftlichen Aktivität und der Einkommen zu erreichen und darlegen, welche Konsequenzen sich aus diesem Ergebnis für die EU-Regionalpolitik ableiten lassen.

3. Das Zentrum-Peripherie-Modell

Die zentrale Annahme, die zu den Ergebnissen von KRUGMANN [1991a,b] führt, ist die Mobilität der Arbeiter zwischen den Regionen. Diese Annahme ist für die USA nicht von der Hand zu weisen. BLANCHARD UND KATZ [1992] zeigen, dass ein Anpassungsprozess durch die Mobilität der Arbeitskräfte dort durchaus zu beobachten ist. In der EU ist der Faktor Arbeit hingegen deutlich weniger mobil und ein migrationsinduzierter Ausgleich der Reallöhne zwischen den Regionen erfolgt nach DECRESSION UND FATÀS [1995] nicht. PUGA [1999] stellt heraus, dass auch nach der Einführung des freien Personenverkehrs in den EU-Mitgliedsländern nur etwa ein Prozent der EU-Arbeitskräfte in einem Land arbeiten, in dem sie nicht geboren wurden. Selbst die Arbeitsmigration zwischen den Regionen ist in der EU gering. Diese empirischen Beobachtungen lassen ein Modell, wie dies von KRUGMAN [1991a,b], für die EU wenig gebräuchlich erscheinen, um Konsequenzen für die EU-Regionalpolitik abzuleiten.

VENABLES [1996] sowie KRUGMAN UND VENABLES [1995] begegnen diesem Mangel, indem sie Linkages nicht zwischen Haushalten und Unternehmen modellieren, sondern allein zwischen den Unternehmen. Diese Modelle werden in der Literatur gelegentlich als Vertical-Linkage-Modelle bezeichnet.[14] Es werden Agrarund Industriegüter produziert und in der Industriegüterproduktion werden differenzierte Zwischengüter eingesetzt, bei deren Handel zwischen den Regionen Transportkosten anfallen. Daher ist die Produktion in einer Region umso teurer, je mehr Zwischengüter aus der anderen Region importiert werden müssen ( cost-linkages ). Das Modellergebnis zeigt, dass sich bei Unterschreitung eines kritischen Niveaus der Transportkosten eine Region vollkommen auf die Produktion von Industriegütern spezialisiert, während die andere Region ausschließlich Agrargüter herstellt und es somit zu einem industriellen Zentrum und einer agrarischen Peripherie kommt. KRUGMAN UND VENABLES [1995, S. 859] bezeichnen ihr Ergebnis gar als „ History of the World: Part I “ und meinen, damit die raumwirtschaftliche Evolution des letzten Jahrhunderts entschlüsselt zu haben.

PUGA [1999] konstruiert eine Synthese aus immobilen Arbeitskräften und Input-Output- Kopplungen in einem Modellrahmen der NEG, die für die Übertragung auf die EU meines Erachtens am besten geeignet ist.

3.1 Das Zentrum-Peripherie-Modell mit immobilen Arbeitskräften

In dem hier beschriebenen Modell von PUGA [1999] handelt es sich um ein Modell mit zwei ex ante identisch ausgestatteten Regionen (Norden und Süden), zwei Sektoren (Landwirtschaft und Industrie) und zwei Faktoren (Arbeit und Ackerland). Arbeit wird in beiden Sektoren eingesetzt und ist immobil zwischen den Regionen, aber mobil zwischen den Sektoren innerhalb einer Region. Jede Region hat eine fixe Anfangsausstattung an Arbeit, die für beide Regionen identisch ist. Ackerland wird nur von der Landwirtschaft genutzt und ist immobil zwischen den Regionen.

Der Agrarsektor ist auf beide Regionen gleichmäßig verteilt, und es wird ein homogenes Agrargut unter konstanten Skalenerträgen und perfektem Wettbewerb hergestellt. Die Produktionsfunktion ist homogen vom Grade eins in den beiden Argumenten Ackerland und Arbeit, und sie ist in beiden Regionen identisch. Der Transport des Agrargutes ist kostenlos, so dass der Preis in beiden Regionen gleich ist. Das Agrargut ist das Numèraire und daher ist dessen Preis gleich eins.

Im Industriesektor werden unter steigenden Skalenerträgen im monopolistischen Wettbewerb unzählig viele, horizontal differenzierte Varianten eines Industriegutes nach DIXIT UND STIGLITZ [1977] produziert. Dies impliziert, dass jede Variante nur an einem Ort produziert wird. Wie bei VENABLES [1996] ist die Produktionsfunktion zusammengesetzt aus industrieller Arbeit und der Gesamtheit der Zwischenprodukte. Jedes im Industriesektor produzierte Gut geht mit einer konstanten Substitutionselastizität zwischen den Varianten in die Zwischenprodukte ein. Jedes Industriegut ist sowohl Konsumgut, als auch Zwischenprodukt für andere Firmen. Der Transport der Industriegüter ist mit Eisberg-Transportkosten verbunden.[15]

Die repräsentativen Haushalte haben Cobb-Douglas-Präferenzen für das Agrargut und CES-Präferenzen für die Gesamtheit der Industriegütervarianten. Zur Vereinfachung wird angenommen, dass alle Industrievarianten mit derselben konstanten Substitutionselastizität in die Nutzenfunktion der Konsumenten eingehen, wie in die Produktionsfunktion der Firmen. Aufbauend auf diesen Modellannahamen berechnet PUGA [1999] die generellen Gleichgewichtswerte für die Nachfrage, für die gesamten Ausgaben für die Industriegüter in einer Region, für den gewinnmaximalen Produzentenpreis, sowie für die Reallöhne.[16] Anschließend präsentiert er eine numerische Gleichgewichtssimulation für unterschiedliche Werte der Transportkosten und stellt diese grafisch dar. Anhand dieser Ergebnisse möchte ich im Folgenden aufzeigen, was eine Verringerung der Transportkosten durch eine Verbesserung der Infrastruktur[17] für Auswirkungen auf die Raumstruktur und die Einkommensverteilung hat und daran untersuchen, welche Konsequenzen sich für die EU-Regionalpolitik aus dem Ergebnis ableiten lassen.

3.2 Verbesserung der Infrastruktur

In Abbildung 2 ist auf der Ordinate der Anteil der Industrie in der jeweiligen Region (s1,2) dargestellt. Die Werte 0 und 1 besagen, dass die komplette Industrie sich entweder im Norden oder im Süden befindet, bei einem Wert von 0,5 ist die Industrie gleichmä- ßig auf beide Regionen verteilt.

Abbildung 2: Die U-Kurve

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: PUGA [1999, S. 324]

Auf der Abszisse ist die Höhe der Transportkosten abgetragen.[18] Wenn die Arbeitskräfte nur intersektoral, nicht jedoch interregional mobil sind, ist der Zusammenhang zwischen den Transportkosten (t) und dem Industriearbeiteranteil in den Regionen (s1,2) wie in Abbildung 2 dargestellt.

[...]


[1] Die EU-Kommission ist das ausführende Organ der EU. Sie ist unter anderem zuständig für die Erstellung des Haushaltsentwurfs, den Vollzug des Haushaltsplans sowie die Verwaltung und Organisation der EU-Regionalpolitik.

[2] Eine Länderbilanz der regionalpolitischen Fördergelder der EU-15 der Jahre 1989 bis 1999 findet sich in Tabelle 1 im Anhang.

[3] Die NUTS ( N omenclature des U nités T erritoriales S tatistiques)-II-Regionen sind die zweitkleinsten

[4] Die EU-Kommission verwendet darüber hinaus die Arbeitslosenquoten als Maßstab für Disparität. Da jedoch noch nicht in allen Ländern harmonisierte Werte für die Regionen vorliegen, sind regionale Vergleiche schwieriger als beim BIP pro Kopf.

[5] Laut EU-KOMMISSION [2003b] sind die Strukturfonds auf genau definierte vorrangige Ziele ausgerichtet. Es fließen 70% der Mittel in Regionen mit Entwicklungsrückstand, in denen 22% der Bevölkerung der Union leben (Ziel 1). Weitere 11,5% der Mittel werden eingesetzt für die wirtschaftliche und soziale Umstellung von Gebieten mit Strukturproblemen, in denen 18% der europäischen Bevölkerung leben (Ziel 2). Das letzte Ziel ist das Ziel 3, in das 12,3% der Mittel für die Modernisierung der Bildungsund Ausbildungssysteme und zur Beschäftigungsförderung außerhalb der Ziel-1-Regionen fließen.

[6] Die neue Außenhandelstheorie stellte heraus, dass große Märkte dazu tendieren, einen unverhältnismäßig großen Anteil von Produktionsaktivitäten zu erzeugen, der auf steigende Skalenerträge in der Produktion zurückzuführen ist. Dies wird nach HELPMAN UND KRUGMAN [1985] in der Literatur häufig als home market effect bezeichnet.

[7] In allen NEG-Modellen fallen diese Kosten an, wenn Güter und Produktionsfaktoren zwischen Wirtschaftssubjekten an verschiedenen Orten ausgetauscht werden. Dabei unterscheiden sich die Modelle in der Definition dieser Kosten. Einige meinen Transportkosten im engen Sinne, um die Distanz zwischen zwei Orten zu überwinden, andere meinen institutionelle Handelsbarrieren, wie Zölle, Standards oder kulturelle Barrieren. Ich werde im Folgenden stets von Transportkosten im engen Sinne ausgehen.

[8] Die Nutzenfunktion der Haushalte enthält eine CES-Funktion, d.h. die Substitutionselastizität zwischen zwei Gütern ist konstant und für alle Güterpaare identisch und modelliert eine Präferenz für Vielfalt.

[9] Für einen Überblick über dieses Grundmodell verweise ich auf die Zusammenfassungen von KRUGMAN [1998] und OTTAVIANO [2002].

[10] Zentripetale Kräfte wirken verstärkend auf eine Agglomeration, während zentrifugale Kräfte dispers auf die wirtschaftliche Aktivität im Raum wirken.

[11] Die Grundannahme des Modells ist, dass durch die fortschreitende globale Integration der Märkte, die Transaktionskosten für Unternehmen und Konsumenten geringer werden.

[12] Der Faktormarkt kann auch als vorgelagerter Sektor verstanden werden, der Zwischenprodukte herstellt.

[13] Die explizite Annahme von monopolistischer Konkurrenz, steigenden Skalenerträgen und das Auftreten von externen Effekten in den Modellen der NEG verleitet dazu, die regionalpolitischen Maßnahmen auch aus allokativer Sicht zu rechtfertigen. Wenn durch die Existenz von steigenden Skalenerträgen bei der Produktion in der Agglomeration Ineffizienzen entstünden, dann wäre ein regionalpolitischer Eingriff auch aus Effizienzgesichtpunkten begründbar. Die Grundmodelle der NEG vermögen jedoch nicht zu sagen, dass die Agglomerationen ineffizient sind, wie auch BRÖCKER [1997] oder LAMMERS UND STILLER [2000] herausstellen.

[14] Für einen Überblick über die Grundstruktur dieser Modelle verweise ich auf BALDWIN ET AL. [2003], Kapitel acht.

[15] Die Modellierung von Eisberg-Transportkosten geht auf SAMUELSON [1952] zurück. Eisbergkosten bedeutet, dass nur ein Bruchteil einer Einheit eines Gutes seinen Bestimmungsort erreicht, während der Rest auf dem Transportweg mit einer konstanten Rate „schmilzt“. Durch diesen Trick kann von einem Transportsektor abgesehen werden, da die Kosten des Transports in das transportierte Gut integriert sind.

[16] Da es mir um die Konsequenzen geht, die sich aus den Ergebnissen ableiten lassen, verzichte ich auf die analytische Herleitung und verweise dafür auf PUGA [1999].

[17] Ich verstehe hierbei die Verbesserung der Infrastruktur so, dass dadurch die Kosten des Transports physischer Faktoren verringert werden.

[18] Da bei der Simulation lediglich bei Transportkosten zwischen 1 und 1,5 die Möglichkeit eines nicht stabilen, asymmetrischen Gleichgewicht einstellt, ist auch nur dieser Fall dargestellt.

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Regionalpolitische Implikationen der Neuen Ökonomischen Geographie
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Regionalforschung)
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
64
Katalognummer
V14629
ISBN (eBook)
9783638199773
ISBN (Buch)
9783638699037
Dateigröße
898 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Regionalpolitische, Implikationen, Neuen, Geographie
Arbeit zitieren
Thorsten Wilke (Autor:in), 2003, Regionalpolitische Implikationen der Neuen Ökonomischen Geographie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14629

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