Die Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung


Seminararbeit, 2007

47 Seiten, Note: 16 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung

A) Problematik der Unterkapitalisierung

B) Definition und Vorraussetzungen der Unterkapitalisierung
I) Vorraussetzungen einer Unterkapitalisierung
1) Verhältnis Eigenkapital zu Gesellschaftszweck
2) Verhältnis Eigenkapital zu Geschäftsumfang
3) Verhältnis Eigenkapital zu Unternehmensrisiko
4) Verhältnis Eigenkapital zu Fremdkapital
5) Kreditunwürdigkeit als Kriterium
II) Arten der Unterkapitalisierung
1) Materielle und nominelle Unterkapitalisierung
2) Anfängliche und nachträgliche Unterkapitalisierung
3) Einfache und qualifizierte Unterkapitalisierung
III) Abgrenzung zu anderen Fallgruppen
1) Existenzvernichtender Eingriff
(a) Unterkapitalisierung als Untergruppe des Existenzvernichtenden
Eingriffs
(b) Unterkapitalisierung als selbständige Gefährdungslage
(c) Ergebnis
2) Unterbilanz
3) Nominelle Unterkapitalisierung

C) Notwendigkeit einer Haftung - die Schutzfunktion des Stammkapitals
I) Trennungsprinzip als Grundregel des GmbH-Rechts
II) Funktion des Stammkapitals als Risikoträger
III) Unterkapitalisierung als unangemessene Gläubigerbenachteiligung

D) Begründungsansätze einer Haftung aus Unterkapitalisierung
I) Subjektive Missbauchslehre
II) Lehre von der Organisationsfehlerhaftung
1) Unterkapitalisierung als Missachtung eines Organisationsprinzips
2) Keine gesetzliche Pflicht zu bestimmter Kapitalausstattung
III)Lehre von der Erklärungshaftung
IV)Organhaftungslehre
V)Normzwecklehre
1) Begründung einer Durchgriffshaftung
2) Vorraussetzungen einer Haftung
(a) Qualifizierte Unterkapitalisierung
(b) Insolvenz
(c) Kausalität und Zurechenbarkeit
(d) Rechtsfolgen
(i) Umfang der Haftung
(ii) Innen- oder Außenhaftung
VI)Standpunkt der Rechtsprechung
VII)Stellungnahme
1) Keine Kapitalausstattungspflicht
2) Praktische Durchführbarkeit
3) Wertung des Trennungsprinzips
4) Ergebnis

E) Allgemeine Haftungstatbestände des BGB
I) § 826 BGB
1) Sittenwidriges Verhalten
2) Vorsatz
3) Schaden
4) Kausalität
5) Haftung im Innenbereich nach § 826 BGB
6) Ergebnis
II) Culpa in contrahendo
1) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens
2) Besonderes Interesse am Vertragsschluss
3) Ergebnis
III) Insolvenzverschleppung
IV) Sonstige Haftungstatbestände

F) Zusammenfassende Betrachtung

Literaturverzeichnis

Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung A) Problematik der Unterkapitalisierung

Eine der problemträchtigsten Situationen im Leben einer GmbH stellt ihr unfreiwilliges Ende dar. In dem Moment, in welchem feststeht, dass der Betrieb eingestellt werden muss, in dem sich zeigt, dass Schulden nicht mehr beglichen werden können, stellen sich vor allem praxisrelevante Fragen der Haftung.

Da die Situation im Allgemeinen dergestalt aussehen wird, dass das Gesellschaftsvermögen nicht zur Befriedigung sämtlicher gegen die GmbH gerichteter Ansprüche ausreicht, stellt sich die Frage, ob und wann ein Gläubiger der GmbH für die Befriedigung seiner Ansprüche auf das private Vermögen des oder der Gesellschafter zugreifen darf. Besonders brennend scheint diese Frage in einer Situation, in der zumindest nahe liegt, dass die Gesellschaft zu wenig Kapital zum Wirtschaften erhalten hatte, also einer so genannten Unterkapitalisierung der GmbH.

Dies bedingt sich insbesondere aus zwei Gesichtspunkten: So ist zum Einen zu bemerken, dass das Risiko zu scheitern, durch eine zu geringe Kapitalausstattung erhöht wird. Zum Anderen wird auch der Schaden, der bei einem solchen Scheitern zu tragen ist, durch eine zu knappe Bemessung der Haftungsmasse auf die Gläubiger abgewälzt.

Es drängen sich hier mehrere Fragen auf, die in Rechtsprechung und Literatur zum Teil äußerst umstritten sind. So wird diskutiert, ob die allgemeinen Haftungstatbestände des BGB zur Lösung der Problematik der Unterkapitalisierung ausreichend sind, oder ob neben diesen auch eine Haftung der Gesellschafter direkt aus dem Tatbestand der Unterkapitalisierung begründet werden kann. Bei einer Annahme einer solchen stellen sich Folgefragen über den Umfang einer solchen Haftung, sowie über die konkrete Ausgestaltung. Von entscheidender Bedeutung ist beispielsweise die Überlegung ob eine Haftung wegen Unterkapitalisierung als eine so genannte Durchgriffshaftung des Gesellschafters gegenüber dem Gläubiger der Gesellschaft oder als eine Innenhaftung, die den Gesellschafter gegenüber seiner Gesellschaft zum Ausgleich verpflichtet, ausgestaltet sein soll.

So soll im Rahmen dieser Arbeit zunächst der Tatbestand der Unterkapitalisierung näher beleuchtet werden. Im Folgenden werden die Ansichten von Literatur und Rechtsprechung zur Herleitung einer Haftung aus diesem Tatbestand diskutiert, bevor auf eine Anwendbarkeit allgemeiner Haftungstatbestände des BGB eingegangen wird.

B) Definition und Vorraussetzungen der Unterkapitalisierung

Zunächst ist die Begrifflichkeit näher zu untersuchen. Wann also kann man bei einer GmbH von einer Unterkapitalisierung sprechen? Es besteht über die Begrifflichkeit nur insoweit Einigkeit, als die Kapitalausstattung von irgendeiner als normal zu bezeichnenden Bezugsgröße abweichen muss.1 Eine Gesellschaft ist dann unterkapitalisiert, wenn sie unzureichend mit Eigenkapital ausgestattet wurde.2

I) Vorraussetzungen einer Unterkapitalisierung

Es zeigt sich hier jedoch, dass kaum konkret festgelegt werden kann, wann das Eigenkapital unzureichend ist, hängt die Höhe des benötigten Kapitals für ein Unternehmen schließlich von vielen kaum abzuschätzenden Faktoren ab. So wird der Gegenstand der Geschäftstätigkeit, die persönlichen Fähigkeiten der Unternehmensführung, sowie weitere kaum klar kalkulierbare Faktoren Einfluss auf die Höhe des benötigten Kapitals nehmen.

1)Verhältnis Eigenkapital zu Gesellschaftszweck

Ein Ansatz zur Bestimmung einer Unterkapitalisierung legt das Verhältnis zwischen der Kapitalausstattung einer Gesellschaft und ihrem satzungsmäßigen Zweck zugrunde.3 Eine Gesellschaft sei unterkapitalisiert, wenn ihr Kapital für den satzungsmäßigen Zweck unzureichend ist.4

Diese, bisher ausschließlich in der Rechtsprechung angewandte Definition scheint kaum eine Möglichkeit der klaren Abgrenzung bieten zu können, sagt der Zweck eines Unternehmens schließlich in den allermeisten Fällen wenig über seine

Größe, und somit auch nichts über seinen Bedarf an Kapital aus.5 Diese Ungenauigkeit in der Diagnose wird teilweise ausgeglichen, indem bei der Beurteilung der Kapitalausstattung auch andere Kriterien, wie beispielsweise eine Gefährdung der Gläubiger, Geldbedarf oder —mangel berücksichtigt werden.6 Diese Ansicht bietet dennoch kaum mehr als einen Hinweis auf Möglichkeiten der Abgrenzung, wie beispielsweise den Kapitalbedarf, kann eine klare Definition jedoch nicht stellen.

2) Verhältnis Eigenkapital zu Geschäftsumfang

Ein anderer Lösungsansatz setzt das vorhandene Kapital einer GmbH in ein Verhältnis zum Geschäftsumfang.7 Das Eigenkapital müsse also in einem angemessenen Verhältnis zu Geschäftsart und —umfang stehen.8 So lässt sich jedoch kaum klar festlegen, wann das Verhältnis zwischen Kapital und Umfang der Geschäftstätigkeit angemessen ist. Wenn also eine „groBe" Gesellschaft „wenig" Kapital hat, so sei sie unterkapitalisiert. Aufgrund der ungenauen Kriterien ist diese „Definition" wohl eher als eine Umschreibung der Problematik anzusehen,9 als Definition abzulehnen.

3) Verhältnis Eigenkapital zu Unternehmensrisiko

Als eine weitere Möglichkeit, eine Unterkapitalisierung diagnostizieren zu können wird die Beurteilung des Verhältnisses zwischen dem Eigenkapital und dem Unternehmensrisiko einer Gesellschaft herangezogen. So sei ein Unternehmer verpflichtet, mehr als nur einen „symbolischen Notgroschen" als Haftungsfonds bereit zu halten.10 Vielmehr müsse das Eigenkapital der Gesellschaft so bemessen sein, dass es das individuelle Risiko des Unternehmens abzufedern geeignet sei. Auch dieser Lösungsansatz ist abzulehnen, da die begriffliche Unsicherheit nur von einem Ausdruck auf einen anderen verlagert wird. Es scheint fast unmöglich, das Risiko eines Unternehmens konkret zu bemessen,11 sind hier schließlich Umstände wie die wirtschaftliche Lage, der Unternehmensgegenstand, die Fähigkeiten der Unternehmer und viele weitere unsicher zu bestimmende Faktoren einzubeziehen.

4) Verhältnis Eigenkapital zu Fremdkapital

Eine weitere Bemessungsgrundlage böte beispielsweise die Beurteilung des Mengeverhältnisses zwischen Eigen- und Fremdkapital.12 So wäre dann eine Gesellschaft als unterkapitalisiert anzunehmen, die über zu wenig Eigenkapital verfügen würde, und daher umfangreiche Kredite zu ihrer Geschäftstätigkeit benötigen würde. Dies ergebe sich aus der betriebswirtschaftlichen Regel, die besage, dass ein gesundes Unternehmen sein Anlagevermögen, also sein Kapital, das zu seinem Betrieb benötigt wird, selbst finanziere und nicht durch Kredite decke.13

Jedoch erlaubt wohl auch eine Begutachtung der Menge und Höhe der benötigten Kredite keine Abgrenzung zwischen einer ausreichenden und einer unzureichenden Kapitalausstattung,14 so kann schließlich auch mit Fremdkapital derart gewirtschaftet werden, dass das Risiko einer Insolvenz das normale Geschäftsrisiko nicht übersteigt.

Es zeigt sich also, dass viele dieser Versuche, Unterkapitalisierung zu definieren und so klar erkennbare Kriterien zu entwickeln, kaum mehr als Umschreibungen der Begrifflichkeiten darstellen.

5) Kreditunwürdigkeit als Kriterium

In dieser Unsicherheit bietet es sich an, die Beurteilung der Frage, ob die bereitgestellten Mittel fir die konkrete Gesellschaft unzureichend sind, „dem Markt der wohlinformierten professionellen Kreditgeber"15 zu überlassen. Sofern für ein Unternehmen die Möglichkeit besteht, zu marktüblichen Konditionen einen Kredit zu erlangen, sei es ausreichend kapitalisiert.16

Als zusätzliche Kriterien müssen jedoch auch der Umfang des betriebenen Geschäftes, sowie die näheren Eigenarten des Geschäftsbetriebes berücksichtigt werden. Diese Maßstäbe geben, zusammen mit der Information, welche Finanzierungsmethoden die Gesellschaft anzuwenden plant, wieder, welchen Finanzbedarf ein Unternehmen hat.17

Dieser Finanzbedarf erlangt im Zusammenspiel mit oben angeführtem Merkmal, der Kreditfähigkeit, Aussagekraft, da nun festgestellt werden kann, ob der individuelle Bedarf eines Unternehmens an Kapital gedeckt ist, in Zukunft gedeckt werden kann, oder nicht.

Eine GmbH ist demnach unterkapitalisiert, „wenn das Eigenkapital nicht ausreicht, um den nach Art und Umfang der angestrebten oder tatsächlichen Geschäftstätigkeit unter Berücksichtigung der Finanzierungsmethoden bestehenden, nicht durch Kredite Dritter zu deckenden mittel- oder langfristigen Finanzbedarf zu befriedigen".18 Diese Definition vermag zu überzeugen, da sie sowohl den individuellen Kapitalaufwand eines Unternehmens zu berücksichtigen weiß, als auch von einem sicheren Bestimmungskriterium ausgeht, um eine Nichterfüllung dieses Kapitalbedarfs zu diagnostizieren, nämlich der Kreditwürdigkeit.

II)Arten der Unterkapitalisierung

Es wird in der Literatur zwischen verschiedenen Arten bzw. Stadien der Unterkapitalisierung unterschieden.

1)Materielle und nominelle Unterkapitalisierung

Unter einer materiellen19 Unterkapitalisierung versteht man die Situation, dass eine hinreichende20 Ausstattung der Gesellschaft mit Eigenkapital überhaupt nicht erfolgt ist.21 Hier ergeben sich Haftungsfragen für die Gesellschafter, im Gegensatz zur nominellen Unterkapitalisierung.

Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die Gesellschafter ihrer Gesellschaft zwar ungenügendes Eigenkapital zugeführt haben, derselben aber dennoch Mittel in Form von Gesellschafterdarlehen, also Fremdkapital zur Verfügung stehen.22 Die Frage nach einer Haftung der Gesellschafter stellt sich in einem solchen Fall nicht, da hier die Eigenkapitalersatzregeln zur Anwendung kommen.23 Da in der Krise der Gesellschaft diese Geldmittel aufgrund analoger Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG nicht mehr entzogen werden können, handelt es sich hierbei funktional nicht um Eigen- sondern um Fremdkapital.24

2) Anfängliche und nachträgliche Unterkapitalisierung

Es kann eine Unterscheidung gemacht werden, wann die Unterkapitalisierung der GmbH auftritt. Findet bereits bei Gründung der Gesellschaft eine in Bezug auf die geplante Tätigkeit unzulängliche Ausstattung mit Kapital statt, so spricht man von einer anfänglichen Unterkapitalisierung.

Im Gegensatz dazu besteht die Möglichkeit, dass auch nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit der Bedarf an Kapital größer wird. So können beispielsweise eine Ausweitung des Betätigungsfeldes oder auftretende Verluste dazu führen, dass die Zuführung weiteren Kapitals in die Gesellschaft nötig ist.25 Erfolgt dies nicht, so spricht man von einer nachträglichen Unterkapitalisierung.26

3) Einfache und qualifizierte Unterkapitalisierung

Schließlich wird auch eine Unterscheidung zwischen einer einfachen und einer qualifizierten Unterkapitalisierung gemacht, also in Bezug auf die Evidenz der Unterkapitalisierung.27 So wird für eine Haftung verlangt, die Unterkapitalisierung müsse „eindeutig", „schwerwiegend" oder „offensichtlich und erheblich" sein.28 Hier ist also eine klare Festlegung erforderlich, wann eine Unterkapitalisierung ein Stadium erreicht, dass als so kritisch erscheint, dass es eine Haftung begründen kann. Als Kriterien für eine solche Abgrenzung lässt sich insbesondere die Offenkundigkeit der unzureichenden Kapitalausstattung heranziehen. Um auch die Schwere der Unterkapitalisierung bemessen zu können kann auch die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs des Unternehmens mit einbezogen werden.

Im Gegensatz zur einfachen liegt eine qualifizierte Unterkapitalisierung demnach vor, wenn die unzureichende Ausstattung mit Kapital für Insider eindeutig und klar erkennbar ist, und sich ein Misserfolg zu Lasten der Gläubiger bei normalem Geschäftsverlauf mit hoher, das gewöhnliche Geschäftsrisiko deutlich übersteigender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.29

III)Abgrenzung zu anderen Fallgruppen

Beim Betrieb einer GmbH können verschiedenste Situationen auftreten, die zu einer Gefährdung der Gesellschaft und auch ihrer Gläubiger führen können. Diese sind, um die Haftung bei Unterkapitalisierung betrachten zu können, von ihr abzugrenzen.

1) Existenzvernichtender Eingriff

Es wird beispielsweise die Situation des so genannten Existenzvernichtenden Eingriffs in das Vermögen einer GmbH teilweise als Haftungsbegründung anerkannt. Es handelt sich hierbei im Gegensatz zur Unterkapitalisierung, die, wie bereits beschrieben, eine Verwehrung ausreichender Ressourcen darstellt, um einen Ressourcenabzug aus dem Vermögen der GmbH.30

(a) Unterkapitalisierung als Untergruppe des Existenzvernichtenden Eingriffs

Eine neuere Entscheidung des OLG Düsseldorf beurteilt die Lage anders und betrachtet die Unterkapitalisierung als Unterfall des Existenzvernichtenden Eingriffs.31 Es ginge hier zwar nicht, wie in den sonst vom BGH als Fälle des Existenzvernichtenden Eingriffs bezeichneten Fällen, um den Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen, dennoch sei hier eine vergleichbare Situation anzunehmen.32 Das Gericht nimmt in einem Fall der Unterkapitalisierung an, das Betreiben einer unterkapitalisierten GmbH stelle einen Existenzvernichtenden Eingriff durch Unterlassen dar. Mit der Begründung, die Lage sei bei einer Unterkapitalisierung wie auch bei einem Existenzvernichtenden Eingriff die, dass die Geschäftschancen genutzt werden, die Risiken aber allein den Gläubigern der Gesellschaft auferlegt werden,33 wird hier die gefestigte Rechtsprechung zum Existenzvernichtenden Eingriff auch auf den Fall der Unterkapitalisierung angewendet.

(b) Unterkapitalisierung als selbständige Gefährdungslage

Eine andere Ansicht verortet die Unterkapitalisierung als eigenständig zu behandelnde Situation.34 Es bedeute sehr wohl einen Unterschied in der Beurteilung der Lage, ob von vorneherein ein zu geringes Kapital zur Verfügung gestellt wird, oder ob in das, vielleicht sogar von dieser selbst erwirtschaftete, Kapital der Gesellschaft eingegriffen wird.35 Die Situation sei völlig anders zu beurteilen, wenn im Falle des Existenzvernichtenden Eingriffs sanktioniert werden muss, dass der Gesellschaft zuerst Haftungsmasse zugeführt wird, und diese ihr später wieder entzogen wird, als wenn bei einer Unterkapitalisierung der Vorwurf gemacht wird, dass die Gesellschafter trotz der Notwendigkeit einer größeren Haftungsmasse die Zuführung neuen Kapitals verweigern.36 Auch die rechtlichen Folgen müssten unterschiedlich sein, beispielsweise deswegen, weil man einen Existenzvernichtenden Eingriff früher als eine Unterkapitalisierung erkennen könne und zu ahnden habe.37

(c)Ergebnis

Dieser Ansicht ist zu folgen, ihre Argumentation vermag zu überzeugen, da die Haftung eines Gesellschafters an völlig unterschiedlichen Handlungen festgemacht werden muss. So ist beim Existenzvernichtenden Eingriff eine Haftungsbegründung in eben diesem Eingriff in das Vermögen der Gesellschaft zu sehen.38 Bei einer Unterkapitalisierung kann eine Haftung, wie später noch genauer auszuführen ist, nicht an der mangelnden Kapitalausstattung angeknüpft werden, da eine Pflicht zu angemessener Kapitalausstattung nicht begründet werden kann. Vielmehr ist das haftungsauslösende Moment hier in dem Betrieb der unterkapitalisierten GmbH zu sehen.39

Auch vermag die Argumentation des Gerichts, das begründet, da sowohl Unterkapitalisierung als auch Existenzvernichtender Eingriff die Geschäftsrisiken auf den Gläubiger verlagern, seien sie als ein Fall zu betrachten, nicht zu überzeugen: Der Aussage an sich ist zwar durchaus zuzustimmen, jedoch stellen sich dennoch zwei unterschiedliche Fallgruppen dar, die, auch wenn sie zum selben missbilligenswerten Ergebnis, nämlich der Benachteiligung der Gesellschaftsgläubiger kommen, unterschiedlich zu regeln sein können.

Die Anwendung der für die Fallgruppe des Existenzvernichtenden Eingriffs entwickelten Haftungsgrundsätze sind mithin ungeeignet, Fälle der Unterkapitalisierung angemessen zu lösen.40

2) Unterbilanz

Als Unterbilanz bezeichnet man die Lage, dass die Aktiva einer GmbH nicht mehr die Höhe des Stammkapitals erreichen.41 Die Verluste durch die Geschäftstätigkeit beginnen in dieser Situation, das Stammkapital anzugreifen. Als Folge dieser Lage greift § 30 I GmbHG, der ein Auszahlungsverbot, statuiert, ein. Dies folgt daraus, dass jede Auszahlung von Gesellschaftsvermögen in Privatvermögen der Gesellschafter eine Verringerung des Stammkapitals bedeuten würde. Die Unterbilanz zieht darüber hinaus keine Folgen nach sich.

Die Unterbilanz ist somit als Sachlage klar von der Unterkapitalisierung zu trennen, da sie nicht die Situation bezeichnet, dass das Eigenkapital eine zu geringe Höhe aufweist, sondern lediglich eine Lage darstellt, in der eine Erhaltung des Stammkapitals geboten ist.

3) Nominelle Unterkapitalisierung

Die nominelle Unterkapitalisierung stellt zwar dem Wortlaut nach eine Unterfallgruppe der unzureichenden Kapitalausstattung dar, die Problematik ist hier jedoch gänzlich unterschiedlich als in der Materiellen. Wie bereits oben ausgeführt stellt die nominelle Unterkapitalisierung die Situation dar, dass die Gesellschaft zwar bei Betrachtung des Eigenkapitals unterkapitalisiert erscheinen mag, tatsächlich aber mit Gesellschafterdarlehen ausgestattet ist.42 Diese ermöglichen ein Wirtschaften, als ob die Gesellschaft ausreichend kapitalisiert wäre. Eine Gläubigergefährdung könnte diese Situation zwar begründen, und somit wäre auch eine Haftung der Gesellschafter denkbar, jedoch reagiert das Gesetz für den Fall der nominellen Unterkapitalisierung in bestimmter Weise: In einer Krise der GmbH verhindern die Kapitalersatzregeln des GmbHG einen Abzug dieser Gesellschafterdarlehen. Die Gelder, die eigentlich Privatvermögen der Gesellschafter darstellen, werden also in der Krise behandelt, als gehörten sie zum Gesellschaftsvermögen.43

Eine Haftung der Gesellschafter ist hier mithin nicht vorgesehen und auch praktisch nicht notwendig, da das Risiko aus der zu geringen Kapitalausstattung nicht auf die Gläubiger abgewälzt wird, sondern bei dem Gesellschafter verbleibt, dessen Rückzahlungsansprüche mit denen anderer Gesellschaftsgläubiger gleichgestellt werden.44 Die nominelle Unterkapitalisierung stellt daher nicht den Gegenstand vorliegender Arbeit dar.

C) Notwendigkeit einer Haftung - die Schutzfunktion des Stammkapitals

Es stellt sich nun die Frage, welche Folgen es für die Gesellschafter einer GmbH haben kann, dass eine Unterkapitalisierung festgestellt wird.

I)Trennungsprinzip als Grundregel des GmbH-Rechts

Zunächst lässt sich auf der einen Seite feststellen, dass es ja jedem Geschäftspartner einer GmbH bekannt ist, dass deren Haftung auf ihr Stammkapital begrenzt ist. Auch die Höhe desselben ist für jedermann feststellbar, steht diese doch im Handelsregister verzeichnet. Das Prinzip des „caveat creditor", also die Grundregel, jeder miisse im Rechtsverkehr selbst sorgsam auswählen, wen er sich zum Schuldner macht,45 sowie die Tatsache, dass dennoch Geschäftsbeziehungen mit der GmbH eingegangen werden, spräche eigentlich gegen die These, es müsse auch eine persönliche Haftung des für die Unterkapitalisierung verantwortlichen Gesellschafters geben.46

Ganz besonders gegen die Annahme einer persönlichen Haftung von GmbH-Gesellschaftern scheint der Wortlaut des Gesetzes zu sprechen, der mit dem Trennungsprinzip des § 13 II GmbHG die strikte Trennung zwischen dem Vermögen der GmbH und dem Vermögen ihrer Gesellschafter vorschreibt.47 Eine GmbH ist juristische Person und verfügt als solche über eine eigene Rechtspersönlichkeit.48 Das so genannte Trennungsprinzip besagt, dass grundsätzlich zwischen dem eigenen Vermögen der juristischen Person, und dem Vermögen der Gesellschafter, die Mitglieder dieser juristischen Person sind, zu trennen ist.49 Die einer GmbH in § 13 GmbHG zugesprochene Eigenheit, auf die sich auch die wirtschaftliche Attraktivität dieser Gesellschaftsform für Unternehmer begründet, ist die, dass für Gesellschaftsschulden eben nur die juristische Person mit ihrem Kapital einzustehen hat, nicht ihre Gesellschafter und deren Privatvermögen.

[...]


1 Benne, S. 61.

2 Vonnemann, GmbHR 1992, 77 (77).

3 Baumbach/Hueck-Hueck/ Fastrich, § 5 Rn 5; Kraft/Kreutz, S. 61; Winkler, BB 1969, 1202 (1202).

4 BGHZ 31, 258 (268); BGHZ 68, 312 (318).

5 Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 13.

6 BGHZ 31, 258 (269); BGHZ 68, 312 (319).

7 Raiser, § 29 Rn 31; Schaefer/Fackler, NZG 2007, 377 (377).

8 Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, § 5 Rn 5.

9 Weitbrecht, S. 22f.

10 Wiedemann, § 10 IV 3.

11 Vonnemann, GmbHR 1992, 77 (80).

12 Wüst, DStR 1991, 1388 (1389f).

13 Wüst, DStR 1991, 1388 (1389).

14 Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 13.

15 Zit. Roth, ZGR 1993, 170 (182).

16 Roth, ZGR 1993, 170 (182); Schmidt, S. 240.

17 Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 15.

18 Def. nach Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 16.

19 Teilweise finden sich auch die Begrifflichkeiten „tatsachlich" oder „aktuell" in gleicher Bedeutung verwendet.

20 Vgl. zur Bestimmung dieses Merkmals oben...

21 Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 22; Schmidt, S. 241.

22 Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 22; Schmidt, S. 241.

23 Schmidt, S. 241.

24 Hölzle, ZIP 2004, 1729 (1730).

25 Wüst, DStR 1991, 1388 (1390); Roth, ZGR 1993, 170 (190).

26 Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 22.

27 Scholz-Emmerich, § 13 Rn 83.

28 Weitbrecht, S. 29.

29 Hachenburg-Ulmer, Anh. § 30 Rn 23; Grunewald, 2.F Rn 147; Philipp/Weber, DB 2006, 142 (144).

30 Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 (2037).

31 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.10.2006, NZG 2007, S. 388 bis 391; ebenso Roth/Altmeppen-Altmeppen; § 13 Rn 123.

32 OLG Düsseldorf, NZG 2007, 388 (389).

33 OLG Düsseldorf, NZG 2007, 388 (389).

34 Weller, DStR 2007, 1166 (1166).

35 Schaefer/Fackler, NZG 2007, 377 (378).

36 Philipp/Weber, DB 2006, 142 (144); Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 (2038).

37 Roth, NZG 2003, 1081 (1084f.).

38 Roth, NZG 2003, 1081 (1082).

39 Schaefer/Fackler, NZG 2007, 377 (378).

40 BGHZ, NZI 2005, 237 (240); Schmidt, NJW 2001, 3577 (3580); Schaefer/Fackler, NZG 2007, 377 (379).

41 Schmidt, S. 1134f.

42 Weitbrecht, S. 3f.

43 Hüffer, S. 312; Wüst, DStR 1991, 1388 (1390).

44 Drucksachen des Bundestages, VIII/1347, S. 39.

45 Hachenburg-Ulmer, Anh § 30 Rn 54.

46 Schaefer/Fackler, NZG 2007, 377 (378f).

47 Philipp/Weber, DB 2006, 142 (144).

48 Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, § 13 Rn 2.

49 Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, § 13 Rn 8.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Die Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
16 Punkte
Autor
Jahr
2007
Seiten
47
Katalognummer
V146314
ISBN (eBook)
9783640556007
ISBN (Buch)
9783640588824
Dateigröße
737 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesellschafter, Haftung, Unterkapitalisierung, existenzvernichtender Eingriff, GmbH-Gesellschafter, 826 BGB, Durchgriffshaftung, GmbH, mangelnde Kapitalausstattung, Geschäftsführer
Arbeit zitieren
Erik Stegner (Autor:in), 2007, Die Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146314

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden