Die Arbeit widmet sich den frühen russisch-byzantinischen Kontakten, den im 10. Jahrhundert zwischen Byzanz und dem Herrschaftsgebilde der Kiewer Rus abgeschlossenen Verträgen. Der Begriff „Herrschaftsgebilde“ meint die wenig ausgeprägte Einherrschaft in der Rus, denn es handelte sich um eine nach und nach expandierende Konföderation ostslawischer Stämme. Einige Zentren übten Tributherrschaft über benachbarte Stämme aus. Die Rus war damals keine kompakte Monarchie, kein einheitlicher Staat. Das sollte man sich bei der Lektüre der Arbeit stets vor Augen halten.
Im frühen 9. Jahrhundert kann von „Russen“ noch keine Rede sein. Es sind mit ostlawischen „Clanchefs“ verbündete warägische Wikinger, also Krieger aus dem heutigen Schweden, die allmählich die verschiedenen ostslawischen Stämme längs der Flüsse Dwina, Wolchow und Dnepr unterwarfen. Deshalb wird der Begriff „Russen“ in dieser Arbeit nur in Anführungszeichen verwendet oder durch die Bezeichnung „Rus′en“ ersetzt, wenn nicht der von den Griechen gebrauchte Terminus „Rhos“ Verwendung findet.
Die umstrittenen Vereinbarungen aus dem 9. Jahrhundert fanden der Vollständigkeit halber ebenfalls Eingang. Trotz der Fülle chronikalischer Quellen ist ihre tatsächliche Existenz bis heute nicht bewiesen, zumal jene (wegen ihrer späten Entstehung) höchst zweifelhaft sind bzw. aus ebenso unsicheren Urquellen schöpfen. Trotzdem spielen sie in der wissenschaftlichen Diskussion noch immer eine große Rolle und können nicht unbeachtet bleiben.
Auch an der Historizität der zuerst genannten Vertragswerke gab es Zweifel. Heutige Historiker sind sich einig, dass die Verträge echt sind und die überlieferten Texte aus der Nestorchronik Übersetzungen griechischer Originale darstellen. Sie versuchten über den Vergleich dieser Verträge mit Verträgen zwischen Byzanz und italienischen Stadtrepubliken aus dem 12. Jahrhundert Rückübersetzungen der vorwiegend kirchenslawischen Texte ins Mittelgriechische. Dabei stellte sich heraus, dass die auf uns überkommenen Urkundenabschriften aus der Nestorchronik (die originalen Urkunden waren in Kopialbüchern in Byzanz registriert) nach den Regeln der byzantinischen Diplomatik aufgebaut sind. Offenbar gab es im damaligen Kiew noch kein entwickeltes Kanzleiwesen.
Die Klarstellung, dass die Verträge heute anerkanntermaßen echt sind, sollte am Beginn der Arbeit stehen, um diese überhaupt erst zu motivieren.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 1. Einleitung: Der Eintritt der Ostslawen in die Welt des europäischen Mittelalters
- 2. Der erste rus'isch-byzantinische Friedensvertrag von 860
- 3. Der Vertrag des rus'ischen Fürsten Oleg mit den Byzantinischen Reich von 907/911
- 3.1. Die erste Vereinbarung Olegs mit Byzanz von 907
- 3.1.1. Zur Vorgeschichte der Vereinbarung
- 3.1.2. Die Vereinbarung
- 3.2. Die zweite Vereinbarung Olegs mit Byzanz von 911 - der eigentliche Vertrag
- 3.1. Die erste Vereinbarung Olegs mit Byzanz von 907
- 4. Fürst Igors Vereinbarung mit Byzanz aus dem Jahre 944
- 4.1. Der Weg zum neuen Vertrag
- 4.2. Der Vertrag von 944
- 5. Das außenpolitische Abenteurertum des Fürsten Svjatoslav gegen Byzanz
- 5.1. Die russische Balkanexpansion und der erste Vertrag mit Konstantinopel
- 5.2. Der Vertrag Svjatoslavs mit Byzanz von 971
- 6. Der von Vladimir erneuerte Vertrag im Jahre 988
- 7. Schlussbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die frühen russisch-byzantinischen Verträge des 9. und 10. Jahrhunderts. Ziel ist es, diese Verträge im Kontext der sich entwickelnden politischen und sozialen Strukturen der Kiewer Rus zu analysieren und ihre Bedeutung für die Beziehungen zwischen den Ostslawen und dem Byzantinischen Reich zu beleuchten. Die Arbeit berücksichtigt dabei die komplexe politische Landschaft der Rus, die sich aus verschiedenen ostslawischen Stämmen zusammensetzte und keine einheitliche Monarchie darstellte.
- Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Kiewer Rus und dem Byzantinischen Reich.
- Die Analyse der Inhalte und der politischen Hintergründe der einzelnen Verträge.
- Die Rolle der Waräger und der ostslawischen Stämme in der Bildung der Kiewer Rus.
- Die Authentizität und die historische Bedeutung der schriftlichen Quellen.
- Der Vergleich der Verträge mit anderen byzantinischen Abkommen.
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Der Eintritt der Ostslawen in die Welt des europäischen Mittelalters: Dieses Kapitel führt in die Thematik der frühen russisch-byzantinischen Beziehungen ein und legt den Fokus auf den Eintritt der Ostslawen in das europäische Mittelalter. Es wird die komplexe politische Struktur der Kiewer Rus als eine Konföderation ostslawischer Stämme, nicht als einheitlicher Staat, betont. Die Rolle der Waräger und die allmähliche Unterwerfung der ostslawischen Stämme entlang der Handelsstraßen werden diskutiert, sowie die Problematik der Verwendung des Begriffs "Russen" in diesem Kontext.
2. Der erste rus'isch-byzantinische Friedensvertrag von 860: Dieses Kapitel befasst sich mit dem ersten, angeblich geschlossenen Vertrag zwischen den Rus' und Byzanz im Jahre 860. Trotz der späten und umstrittenen Quellenlage wird die Bedeutung dieses vermeintlichen Vertrags für die historische Diskussion und den Verlauf der weiteren Beziehungen zwischen den beiden Mächten untersucht und kritisch beleuchtet. Die Ungewissheit über die tatsächliche Existenz des Vertrags wird betont.
3. Der Vertrag des rus'ischen Fürsten Oleg mit den Byzantinischen Reich von 907/911: Dieses Kapitel beschreibt die Verträge zwischen Fürst Oleg und Byzanz in den Jahren 907 und 911. Es werden die Vorgeschichte der Abkommen, deren Inhalte und ihre Bedeutung für die Stärkung des Einflusses der Rus' im Schwarzmeergebiet detailliert erörtert. Die Analyse fokussiert auf die politischen und wirtschaftlichen Implikationen dieser Verträge für beide Seiten und beleuchtet den allmählichen Aufstieg der Kiewer Rus' auf der politischen Bühne.
4. Fürst Igors Vereinbarung mit Byzanz aus dem Jahre 944: Dieses Kapitel widmet sich dem Vertrag zwischen Fürst Igor und dem Byzantinischen Reich von 944. Es wird die politische Situation vor dem Abschluss des Vertrags beleuchtet und der Weg zu diesem neuen Abkommen detailliert nachgezeichnet. Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse des Vertragsinhalts und dessen Bedeutung im Kontext der sich verändernden Machtverhältnisse in der Region. Die Rolle des byzantinischen Reiches als wichtigem Handelspartner und die Auswirkungen auf die innere Entwicklung der Kiewer Rus werden erörtert.
5. Das außenpolitische Abenteurertum des Fürsten Svjatoslav gegen Byzanz: Dieses Kapitel beschreibt die Außenpolitik Fürst Svjatoslavs und seine Konflikte mit Byzanz. Die russische Balkanexpansion und der erste Vertrag mit Konstantinopel werden analysiert, wobei der Fokus auf den strategischen Zielen Svjatoslavs und den Konsequenzen seiner Politik liegt. Das Kapitel untersucht die militärischen und politischen Aspekte des Konflikts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Byzanz und der Kiewer Rus.
6. Der von Vladimir erneuerte Vertrag im Jahre 988: Dieses Kapitel behandelt den im Jahre 988 von Fürst Vladimir erneuerten Vertrag. Die Details dieses Vertrags, seine Bedeutung im Kontext der Taufe der Rus und die Folgen für die Beziehungen zwischen der Kiewer Rus und Byzanz werden im Detail erläutert. Der Schwerpunkt liegt auf der Bedeutung des Vertrags für die Stärkung der politischen und religiösen Verbindungen zwischen beiden Reichen.
Schlüsselwörter
Byzanz, Kiewer Rus', Verträge, Ostslawen, Waräger, Fürst Oleg, Fürst Igor, Fürst Svjatoslav, Fürst Vladimir, Nestorchronik, byzantinische Diplomatik, Außenpolitik, Handel, Religion, politische Beziehungen, mittelgriechische Quellen, kirchenslawische Texte.
Häufig gestellte Fragen zu: Frühe Russisch-Byzantinische Verträge des 9. und 10. Jahrhunderts
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die frühen russisch-byzantinischen Verträge des 9. und 10. Jahrhunderts. Sie untersucht diese Verträge im Kontext der politischen und sozialen Strukturen der Kiewer Rus und beleuchtet deren Bedeutung für die Beziehungen zwischen den Ostslawen und dem Byzantinischen Reich. Die komplexe politische Landschaft der Rus, bestehend aus verschiedenen ostslawischen Stämmen, wird dabei berücksichtigt.
Welche Verträge werden im Einzelnen untersucht?
Die Arbeit behandelt folgende Verträge: den (umstrittenen) Friedensvertrag von 860, die Verträge Fürst Olegs mit Byzanz (907/911), den Vertrag Fürst Igors mit Byzanz (944), den Vertrag Fürst Svjatoslavs mit Byzanz (971) und den von Fürst Vladimir im Jahre 988 erneuerten Vertrag. Jeder Vertrag wird im Detail analysiert, inklusive der Vorgeschichte, des Inhalts und der politischen und wirtschaftlichen Implikationen.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit fokussiert auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Kiewer Rus und dem Byzantinischen Reich, die Analyse der Vertragsinhalte und deren politische Hintergründe, die Rolle der Waräger und ostslawischen Stämme, die Authentizität und historische Bedeutung der Quellen sowie einen Vergleich mit anderen byzantinischen Abkommen. Die komplexe politische Struktur der Kiewer Rus als Konföderation ostslawischer Stämme und nicht als einheitlicher Staat wird ebenfalls betont.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in jedem Kapitel?
Die Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert: Eine Einleitung, die den Eintritt der Ostslawen in das europäische Mittelalter und die komplexe politische Situation der Kiewer Rus beschreibt. Die Kapitel 2 bis 6 analysieren jeweils einen der oben genannten Verträge detailliert, inklusive der jeweiligen historischen und politischen Kontexte. Das siebte Kapitel bietet Schlussbemerkungen.
Welche Quellen werden verwendet?
Die Arbeit stützt sich auf mittelgriechische und kirchenslawische Quellen, wobei die Authentizität und die historische Bedeutung der Quellen kritisch hinterfragt werden. Die Nestorchronik wird vermutlich als wichtige Quelle herangezogen.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Byzanz, Kiewer Rus', Verträge, Ostslawen, Waräger, Fürst Oleg, Fürst Igor, Fürst Svjatoslav, Fürst Vladimir, Nestorchronik, byzantinische Diplomatik, Außenpolitik, Handel, Religion, politische Beziehungen, mittelgriechische Quellen, kirchenslawische Texte.
Welche Bedeutung haben diese Verträge für die Geschichte?
Die Verträge zeigen die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Kiewer Rus und dem Byzantinischen Reich. Sie beleuchten den Aufstieg der Kiewer Rus als politische Macht, den Einfluss des Handels und die Bedeutung des Byzantinischen Reiches als wichtiger Partner. Sie spiegeln auch die interne politische Entwicklung der Kiewer Rus und die Rolle verschiedener Fürsten wider.
Für wen ist diese Arbeit relevant?
Diese Arbeit ist relevant für Wissenschaftler, Studenten und alle, die sich für die Geschichte der Kiewer Rus, die byzantinische Geschichte, die frühmittelalterlichen Beziehungen zwischen Ost und West sowie die Geschichte der ostslawischen Völker interessieren.
- Citation du texte
- Harms Mentzel (Auteur), 1997, Die byzantinisch-russischen Verträge aus dem 9. und 10. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14632