Südtirol und die verwehrte Selbstbestimmung?


Seminararbeit, 2009

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Deckblatt

II Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Selbstbestimmungsrecht und Autonomie im Völkerrecht
3 Geschichtliche Betrachtung des Gebietes Südtirol
4 Die Beruhigung der Situation nach dem zweiten Autonomiestatut und aktuelle Entwicklungstendenzen
5 Schlussbetrachtungen

III Anmerkungen

IV Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„ Selten ist ein Recht so papieren geblieben wie das Selbstbestimmungsrecht, weil seine Ausübung in kritischer Lage schwieriger ist, als sich zu ihm zu bekennen. “ 1

Dieses Zitat soll in die folgende Problematik dieser Arbeit einführen, welche sich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, Fragen der Autonomie und vor allem auch mit der Missachtung dieser beiden völkerrechtlichen Prinzipien befassen wird - hier mit dem Fokus auf Europa (unter Nichtbeachtung der restlichen Welt) anhand der Betrachtung des lange umstrittenen und heute scheinbar beruhigten Gebietes Südtirol Dieses Selbstbestimmungsrecht, welches noch während des ersten Weltkrieges ausgearbeitet, nach Diesem Einzug in die alltägliche internationale Politik gehalten hat und in seinem Fahrwasser die verstärkten Gedanken und Bestrebungen zur Autonomie mit sich brachte, ist seither und vor allem in den letzten Jahrzehnten aus eben dieser Politik nicht mehr wegzudenken und ist als bahnbrechend selbst für die kleinsten Minderheiten oder Volksgruppen zu bewerten. Vor allem im Bereich der Entkolonisierung und des Zerfalls großer Reiche ist es das wirkmächtigste internationale Handlungsprinzip im vergangenen Jahrhundert gewesen und wirkt in vielen Bereichen der Erde heute noch sehr stark nach, wohingegen es in anderen Gebieten, wenn auch nicht verschwunden, scheinbar aber doch seines Aufgabengebietes beraubt zu sein scheint. Das Wort „scheinbar“ gebrauche ich hier deshalb, da zwei solcher ehemals großen kontinentalen Reiche sich in unserer unmittelbaren Nähe in Mittel- und Osteuropa befanden, nämlich das Russische Zarenreich und die vor allem ethnisch heterogene Österreich-Ungarische Doppelmonarchie. Im Zuge deren Auflösung kam es unter Berufung auf eben dieses Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Prinzipien der Autonomie zur Herausbildung zahlreicher Staaten, was, aufgrund der teils geringen Größe Dieser, mit einer Zersplitterung der ursprünglichen Reiche zu bezeichnen ist. Diese Sezessionsprozesse halten zum Teil bis heute an der Peripherie dieser ehemaligen Großreiche an und werden auch vermehrt wieder gewalttätig und blutig ausgetragen (s. Kosovo, Ossetien,...). Doch ist es keineswegs so, dass solche Kämpfe und Bestrebungen sich nur in den Randgebieten von Staaten in Südost- und Osteuropa, einmal abgesehen vom Rest der Welt, zutragen, sondern sich auch in den oftmals als „zivilisierter“ oder besser verfassten und institutionalisierten (demokratischeren) Staaten Westeuropas zutragen. Dort verläuft dies natürlich auf andere Art und Weise und im hier beschriebenen Fall auch unblutiger und „gesitteter“, doch ist das Potential hier natürlich im Kern dasselbe und man hat sich auch hier seit ca. 90 Jahren verstärkt mit dieser Problematik zu beschäftigen

Eines dieser eben beschriebenen zerfallenen Großreiche auf dem europäischen Kontinent war auch das eben erwähnte Österreich-Ungarn, in geografisch nahezu unmittelbarer Nähe, aus dem sich nach häufigen Unruhen an der Peripherie in Ostmittel- und Südeuropa eine Vielzahl von Staaten bereits nach dem ersten Weltkrieg bildeten. Doch ein Gebiet ist seit je her umstritten, lange Zeit auch gewalttätig umkämpft und selbst bis heute nicht vollständig zur Ruhe gebracht - nämlich Südtirol. Dieses Gebiet, während des ersten Weltkrieges Italien für den Eintritt in den Krieg auf alliierter Seite versprochen, wurde alsbald dessen Herrschaft unterstellt und nie wieder aus dieser entlassen, trotz aller Akzeptanz des Selbstbestimmungsrechtes und Stattgebung teils nur formeller Autonomiesatzungen. Dort wurde und wird der mehrheitlich deutschen Bevölkerung, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker als „absolute[s] Recht der Völker und Volksteile, im Zweifelsfalle mittels geordneter und geschützter demokratischer Abstimmung selbst zu entscheiden, welchem Staatsverband sie mit ihrem angestammten Siedlungsgebiet angehören wollen“2 interpretieren, gerade dieses Recht verweigert. Dies scheint auf den ersten Blick sehr verwunderlich, da es viel weniger entwickelten Staaten weltweit und bis heute auch in Europa zugesprochen wird und so gilt es zu untersuchen, weshalb es sich hier im Zentrum der Entwicklung, Manifestierung und Verwirklichung dieser Ideen eben nicht verwirklichte bzw. abgewiesen wurde und ein nicht annähernd oder vollständig befriedigtes Verlangen bis heute besteht. Deshalb soll hier, über 60 Jahre später, noch einmal Winston Churchills bereits 1946 gestellte Frage: „ Warum wird den Bewohnern dieses gebirgigen und sch ö nen Landes Andreas Hofers, nicht erlaubt, ein Wort ü ber ihre eigene Zukunft f ü r sich selbst zu sprechen? Warum kann es dort nicht ein faires und freies Plebiszit unter Aufsicht der gro ß en M ä chte geben? “ (Zitat nach „ Times “ , London, 06.06.1946) 3, welches man insofern fortsetzen könnte: „wie es anderswo zuhauf geschah“; aufgegriffen und versucht beantwortet oder zumindest bearbeitet zu werden

Dazu soll sich zunächst eine kurze, generell theoretische, Beschreibung der Schlagworte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ und „Autonomie“ anschließen. Hierauf soll eine geschichtliche Betrachtung der Region Südtirol folgen auf der die Autonomiebestrebungen, vor allen Dingen hinsichtlich des Theorems „Kulturnation“ basieren, was schlussendlich in einer Analyse der Entwicklungsrichtung hin zur aktuellen Situation münden soll, durch welche sich dann vielleicht erklären lässt, warum es heute doch so scheinbar ruhig geworden ist um dieses Gebiet. Am Ende soll Winston Churchills Frage damit möglicherweise beantwortet werden, oder ihr der aktuellen Bezug abgesprochen werden, um vielleicht zu dem Schluss zu kommen, dass in einer entgrenzten Europäischen Gemeinschaft ein solches Recht seinen nur noch papiernen Charakter, aufgrund einer sich herausgebildeten europäischen Nation, zu Recht innehat

2. Selbstbestimmungsrecht und Autonomie im Völkerrecht

Das folgende Kapitel soll sich zunächst grundlegend mit den beiden zentralen Begriffen innerhalb dieser Arbeit befassen, deren ideelle Grundlagen aufzeigen und die aktuelle Be- oder Missachtung im Bezug auf Südtirol darstellen

Der Ursprungsakt des Selbstbestimmungsrechtes der Völker war die französische Revolution im ausgehenden 18. Jahrhundert, in dem es als sogenannte „Volkssouveränität“ formuliert wurde und vor allem ab dann mehr und mehr den Sieg über das bis dahin gültige und anerkannte dynastische Prinzip errang. Eine weitere Voraussetzung für die Idee der politischen Selbstbestimmung war die Herausbildung des politischen Volksbegriffes, aufgrund dessen es vor allem im 19. Jahrhundert verstärkt zu Nationalstaatenbildungen kam. Das Nationalitätenprinzip (jede Volksgruppe hat das Recht auf einen eigenen Staat) setzte sich vor allem nach der Revolution von 1848 durch. Bereits hier wurde erstmals auch Südtirol angetastet, als es nämlich um die Festlegung der Südgrenze zwischen Südtirol und dem Trentino ging, doch taten hier die italienischen Oberhäupter noch das, was nach dem ersten Weltkrieg keiner dieser mehr ernsthaft in Angriff nehmen wollte, nämlich eine deutlich Trennung beider Gebiete allein schon der Sprache und Kultur wegen vorzunehmen.4 Wie eben erwähnt stellt der erste Weltkrieg dann die nächste und auch entscheidende Etappe für das Selbstbestimmungsrecht der Völker dar. In dessen Zuge wurde nämlich vom US-Präsidenten Woodrow Wilson im Rahmen seiner Friedensbemühungen (14-Punkte-Programm5 ) die Selbstbestimmung als völkerrechtlicher Rechtssatz maßgeblich ins Gespräch gebracht. Nach diesem hat jedes Volk das Recht, frei, also unabhängig von ausländischen Einflüssen, über seinen politischen Status, seine Staats- und Regierungsform und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden - „to be the sole master of its fate“ (A. Cristescu).6 Dies war der entscheidende Beitrag zur Manifestierung dieses Prinzips, welches von da an seinen Siegesszug über die ganze Welt antrat. Nach dem zweiten Weltkrieg ist das Selbstbestimmungsrecht in verschiedenen UN-Dokumenten festgeschrieben, in die Charta der Vereinten Nationen eingegangen und dessen Wahrung heute eine bindende Verpflichtung für alle Vertragsstaaten. Die im Prinzip klar gefassten Artikel7, in denen die Selbstbestimmung Ausdruck findet bergen einige Probleme, nämlich hinsichtlich der Tatsache, dass eine Definition, des so maßgeblichen Begriffes „Volk“ nicht vorhanden ist oder es häufig überlappende Gebietsansprüche mehrerer Ethnien gibt. Aufgrund dieser Annahmen wird oft darauf verwiesen, dass ohne genauere Definition des Rechtes, es für seine Träger die Gefahr der „Atomisierung“ der Staaten beinhalte, und somit oftmals bedeutende Verstöße gerechtfertigt werden können, wie es auch im Falle Südtirols geschehen ist, worauf bereits die ersten Südtiroler Vertreter in der römischen Kammer bei ihrem Eintritt 1921 hinwiesen.8

Zur Autonomie9 ist nur so viel zu sagen, dass sie auf dem Gebiet der Politik das Recht nationaler Minderheiten ist, einen Teil ihrer Angelegenheiten selbst zu bestimmen; außenpolitisch zwar von einem anderen Staate vertreten werden, nach innen aber selbstständig sind. Oder wie Max Weber es formulierte: „Autonomie bedeutet, daß [sic!] nicht, wie bei Heteronomie, die Ordnung des Verbandes durch Außenstehende gesetzt wird, sondern durch Verbandsgenossen kraft dieser ihrer Qualität (gleichviel wie sie im übrigen erfolgt)“.10 Wie dies für die so bezeichnete autonome Region Südtirols zu beurteilen ist, wird im Folgenden noch ersichtlich

Auf Südtirol übertragen bedeutet dies, dass alle wichtigen Angelegenheiten von der Region über die Verabschiedung von Gesetzen und Vorschriften selbst geregelt werden. Es gelten also eigene regionale Gesetze und nicht italienische oder österreichische. Diese Gesetze sollten mehrheitlich auf demokratischem Wege von den Bewohnern der Region erlassen werden. Normalerweise ist es auch so, dass sich Selbstbestimmung mit Autonomie deckt. Beide Begriffe bedeuten, dass die eigenen Angelegenheit selbst und ohne Eingriffe Anderer geregelt werden können. Im Fall Südtirol ist es etwas komplizierter, da sich zumindest 2 große Gruppen, die Italiener und die deutschsprachige Gruppe gegenüberstehen, die für sich in Anspruch nehmen, selbständig in ihren eigenen Traditionen zu leben. Selbstbestimmung bezieht sich somit eher auf die kulturellen Eigenarten einer Volksgruppe, also auf die traditionellen Bräuche und die Sprache. Nach dem Völkerrecht kann Selbstbestimmung in Südtirol so ausgelegt werden, dass keine Gruppe der anderen Gruppe ihre Lebensweise streitig macht, kulturelle Feste untersagt oder gar Andere verfolgt

Man sieht bereits an dieser Vorstellung deutlich das Gewicht, welches die Kultur mit all ihren Aspekten im vorliegenden Fall besitzt und wie das Konstrukt der „Kulturnation“ beidseitig zur Verfolgung der nationalen Interessen herangezogen wird. Im folgenden Kapitel soll daher dieses Konstrukt näher erläutert werden und mittels eines geschichtlichen Abrisses festgestellt werden, wie wirkungsvoll der kulturelle Aspekt in diesem Falle denn wirklich ist und nach welcher Seite (deutsch oder italienisch) er mehr ausschlägt

3. Geschichtliche Betrachtung des Gebietes Südtirol

Die Geschichte Südtirols getrennt vom restlichen Land Tirol oder Österreich zu betrachten ist erst ab November 1918 sinnvoll, doch soll hier noch kurz die vorhergehende Entwicklung grob aufgezeigt werden. Das Gebiet an den Flüssen Etsch, Eisack und Rienz ist seit der mittleren Steinzeit besiedelt. In der Jungsteinzeit dann wurden die fruchtbaren Mittelgebirgsterrassen entlang der Haupttäler bevölkert und, hauptsächlich wegen des Kupferbergbaus begann der wirtschaftliche Aufschwung der Region in der Bronzezeit. Zwischen dem sechsten und neunten Jahrhundert wurde es nach langer Zugehörigkeit zum römischen Imperium von Bajuwaren besiedelt, welche dort auf die Langobarden und die romanisierten Ureinwohner stießen. Später, als Teil das Frankenreiches und dann des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, erlangte das Gebiet strategische Bedeutung, da seine Straßen nach Italien führten. Im weiteren Verlauf brachten dann die Grafen von Tirol das Gebiet unter ihre Herrschaft und so wurde es mit den nördlich des Brenners gelegenen Gebieten Teil des Kronlandes Tirol, welches nach 1363 an die Habsburger Monarchie überging und von dieser durchgehend bis 1918 regiert wurde

Auslöser des Endes dieser sehr langen Periode deutscher oder zumindest deutschstämmiger Herrschaft über die mehrheitlich deutsche Bevölkerung war der erste Weltkrieg. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts brachte nämlich mit sich, dass Italien - ursprünglich auf Seiten der Mittelmächte angesiedelt - aufgrund der bereits 1915 aussichtslosen Kriegslage, die Seiten wechselte, zu den alliierten Mächten überlief, dies allerdings nicht ganz freiwillig und unbelohnt tun wollte, sondern bereits während des Krieges von den Alliierten das Gebiet Südtirols als Prämie versprochen bekam. So beginnt kurz vor Ende des ersten Weltkrieges, nämlich im November 1918, die vom übrigen Tirol getrennte Geschichte Südtirols mit der Besetzung durch italienische Truppen aufgrund des von Österreich-Ungarn am dritten November mit Italien geschlossenen Waffenstillstandsabkommens. Des weiteren wurde Italien, wie bereits während des Krieges mit den Ententemächten geheim vereinbart, im Vertrag von Saint- Germain11, der zwischen den Siegermächten und Österreich geschlossen wurde, Südtirol definitiv zugesprochen und damit zu seiner nördlichsten Provinz

Die Zwischenkriegszeit 1918 - 1939 ist stark geprägt von der faschistischen Herrschaft Mussolinis über Italien und damit auch über die erst ganz frisch zugehörige Provinz Südtirol, den unnachsichtigen Assimilations- und Italianisierungsmaßnahmen und der offensichtlichen Unzufriedenheit der eigentlichen Siegermacht. Die italienische Annexion des Gebietes 1920 widersprach dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung, welches erst kurz zuvor von Woodrow Wilson als alliiertes Kriegsziel gepriesen wurde und bereits schnell Einzug in die internationale Praxis erhielt, in nahezu allen relevanten Punkten, von denen der offensichtlichste Wohl die Bevölkerungsverteilung sein dürfte, welche sich zu dieser Zeit noch auf ca. 92% deutschstämmiger Bevölkerung belief, in Südtirol aber missachtet wurde. So kam es, dass die neue Republik Deutschösterreich12 ganz Deutschtirol für sich beanspruchte, die Angliederung Südtirols an Italien jedoch gegen den Willen der dortigen Bevölkerung vollzogen wurde und damit auch ganz offensichtlich gegen Wilsons Punkt 9 verstoßen wurde, welcher besagt, dass „eine Neuregelung der Grenzen Italiens entlang klar erkennbarer nationaler Grenzen durchgeführt werden soll.“13 Aufgrund von Solidaritätsbekundungen in Österreich und Deutschland versicherte der italienische König Viktor Emanuel der neuen Provinz eine „sorgfältige Wahrung der lokalen Institutionen und der Selbstverwaltung“, was dazu führte, dass am 15. Mai 1921 die Südtiroler erstmals an den Wahlen zum römischen Parlament teilnehmen durften

Diese Maßnahmen sind zunächst als positiv zu bewerten und wurden deshalb zu Beginn auch noch ohne größeren Widerstand angenommen, doch änderte sich alsbald die Situation drastisch, nämlich nach der Machtergreifung Benito Mussolinis. Ab dann, bereits 1922, begann für die Südtiroler mit der Italianisierung14 eine Phase der Unterdrückung, in deren Folge ab sofort die in der römischen Kammer abgegebene Erklärung „Italien ist ein Nationalstaat, Minderheiten existieren juristisch nicht“15 zur Richtschnur des amtlichen Handelns wurde. Die folgenden Jahre trugen dann die Handschrift der Italianisierung, zu deren wichtigsten Maßnahmen u.a. Das Verbot der Bezeichnung Südtirol und dessen Umbenennung in „Alto-Adige“ (Oberetsch), das Verbot der deutschen Sprache im amtlichen Verkehr, die Italianisierung von Vor- und Nachnamen und vieles mehr, also praktisch ein regelrechtes Kulturverbot, gehörten. Dies alles legte den Grundstein für den Hass und auch die Widerstandskämpfe der folgenden Jahre und Jahrzehnte und nachdem ab dem Jahre 1928 die so genannte zweite Phase der Italianisierung begann gipfelten die gegen die deutsche Bevölkerung und Kultur gerichteten Maßnahmen zunächst in der verstärkten Zuwanderung von Italienern in das Gebiet, der politischen Unterwanderung durch die Verschiebung der Mehrheitenverhältnisse, dem Wohnungs- und Industriegebietebaus nur für italienischstämmige Bürger und schließlich in der Zusammenarbeit Mussolinis mit Hitler und der Übereinkunft der beiden über dieses Gebiet und vor allem über die dortige Bevölkerung

Dies begann alles damit, dass Adolf Hitler im Jahre 1938 seine österreichische Heimat an das Deutsche Reich anschloss und die Südtiroler neue Hoffnung auf die Loslösung vom italienischen Staate schöpften. Auf dem Brennerpass, welcher nach dem ersten Weltkrieg als unnatürliche, nie da gewesene, künstliche Grenze zwischen Nord- und Südtirol festgelegt wurde, wehte die Hakenkreuzfahne und in Südtirol machte man sich Hoffnung ebenso wie Österreich ins Deutsche Reich eingegliedert zu werden. Doch bereits im Jahre 1939 wurde diese Hoffnung mit dem Hitler-Mussolini-Abkommen16 jäh zerstört. Der tragende und für die Bevölkerung wichtigste Punkt dieses Abkommens war die sogenannte Option17. Danach sollten die Einwohner Südtirols optieren zwischen dem Verlassen der Heimat und Reichsbürgerschaft oder italienischer Bürgerschaft. Die für Deutschland optierenden sollten bis zum 31.12.1939 die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und bis spätestens 1942 ins Reich umgesiedelt werden. Die sowieso in einer seit Jahren schweren Situation befindliche südtiroler Bevölkerung wurde nun nach aller physischer und politischer Unterdrückung trotz aller Hoffnung auch noch der schweren psychischen Gewissensfrage unterzogen entweder die Heimat zu verlieren und durch den von Deutschland vom Zaun gebrochenen zweiten Weltkrieg in eine ungewissen Zukunft zu gehen, oder das eigene Volkstum zu verlieren und sich weiterhin von Italien unterdrücken zu lassen

Die daraufhin durchgeführte Option kam zu dem Ergebnis, dass ca. 86% der Südtiroler Bevölkerung sich für die Umsiedlung ins Reich entschieden. Dieses erdrutschartige Ergebnis wurde aus Rücksicht auf die Italiener nicht Veröffentlicht und auch im Reich hatte man nicht mit solchen Massen gerechnet, sodass letztendlich bis zum Sturz Mussolinis 1943 lediglich 80000 Südtiroler umgesiedelt wurden, von denen nach dem Krieg ca. 50000 wieder zurückkehrten. Als im Jahre 1943 schließlich die deutsche Wehrmacht in Südtirol einmarschierte wurde diese zunächst mit Begeisterung empfangen, da man nun glaubte nicht wegziehen zu müssen um weiterhin Deutsche zu bleiben. Viele Südtiroler kämpften in der deutschen Wehrmacht und auch aufgrund der nach dem Sturz Mussolinis revidierten Option und vor allem Italianisierung (Wiedereinführung der deutschen Amtssprache, Errichtung deutscher Schulen, Umbenennung der Straßen, Plätze und Namen, u.v.m.18 ) gab es, mit Ausnahme weniger Gruppen, selten Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Jedoch währte auch diese, für Südtirol trotz Kriegshandlungen, bessere Phase nicht sehr lange, da in Italien der Krieg am 25. April 1945 endete, die Deutschen vertrieben waren und die italienische Widerstandsbewegung CLN (Komitee zur nationalen Befreiung) auf dem Brenner wieder die italienische Fahne hisste Nach Ende des zweiten Weltkrieges bestand für Südtirol erneut kurzzeitig die Hoffnung wieder mit Tirol vereinigt zu werden, denn dieser Wunsch bestand auch in der wiedererstandenen Republik Österreich und wurde obendrein durch eine Unterschriftensammlung der neu gegründeten Südtiroler Volkspartei (SVP)19 unterstützt.

[...]


1 Ermacora, Felix, Südtirol – Die verhinderte Selbstbestimmung, Wien 1991, S.78

2 Burger, Norbert, Südtirol wohin?, Freising 1966, S. 190

3 Ebd., S. 99

4 Vgl., Ebd., S. 24

5 Die „Vierzehn Punkte“ 1. Öffentliche Friedensverträge und Abschaffung der Geheimdiplomatie 2. Vollkommene Freiheit der Seeschifffahrt 3. Aufhebung sämtlicher Wirtschaftsschranken 4. Rüstungsabbau (soweit verantwortlich) 5. Schlichtung aller kolonialen Ansprü

6. Souveränität Russlands sowie seine Anerkennung als vollwertiger S

7. Belgien muss geräumt und wiederhergestellt werden 8. Alle französischen Gebiete sollen geräumt und wiederhergestellt werden, Rückgabe von Elsass-Lothringen 9. Italienische Grenzziehung nach dem Nationalitätenprinzip 10. Autonomie der Völker der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, keine Unterdrückung mehr 11. Wiederherstellung Rumäniens, Montenegros und Serbiens, das einen Zugang zum Meer erhalten solle (politische/wirtschaftliche Unabhängigkeit) 12. Autonomie der osmanischen Völker (jedoch ohne Unterdrückung der Minderheiten), Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus 13. Errichtung eines polnischen Staates, unabhängig von Deutschland oder Russland mit Zugang zum Meer 14.Gründung einer „allgemeinen Gesellschaft der Nationen“ zur friedlichen Regelung von Streitigkeiten 6 Heintze, Hans-Joachim, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Bonn 1997, S. 17 7 „(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ „(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigem Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.“ „(3) Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.“

8 Vgl., Burger, Norbert, Südtirol wohin?, Freising 1966, S. 60/61

9 von altgriechisch 'autonomia' – sich selbst Gesetze gebend, Eigengesetzlichkeit, selbststä

10 Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Paderborn 2006, S. 59

11 Der Vertrag von St. Germain regelte nach dem Ersten Weltkrieg die Auflösung der österreichischen Reichshälfte (Die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder) Österreich-Ungarns und die Bedingungen für die neue Republik Deutschösterreich. Der am 2. September 1919 den österreichischen Delegierten übergebene Vertrag wurde am 10. September 1919 im Schloss Saint-Germain-en-Laye unterzeichnet. Er ist einer der Pariser Vorortverträge, die den Ersten Weltkrieg formal beendeten, und wurde zwischen Österreich und 27 alliierten und assoziierten Mitgliedern abgeschlossen. Einer der wichtigsten Punkte der 381 Artikel ist der, in dem vermerkt ist, dass Südtirol, Welschtirol und das Kanaltal an Italien gehen. Der Vertrag von St. Germain trat am 16. Juli 1920 förmlich in Kraft und bestätigte die Auflösung Österreich-Ungarns auch völkerrechtlich

12 Deutschösterreich (auch Deutsch-Österreich) war in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie eine inoffizielle Bezeichnung der mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete Cisleithaniens

13 Italienische Grenzziehung nach dem Nationalitä

14 Die Italianisierung bezeichnet den Versuch der ab 1922 regierenden faschistischen Regierung Italiens die im Rahmen des Irredentismus einverleibten Gebiete mit nicht-italienischer Bevölkerungsmehrheit sprachlich und kulturell italienisch zu dominieren und ihrer gewachsenen Identität zu berauben. Bei der Italianisierung wurden folgende Strategien verfolgt: 1. Assimilation der deutschsprachigen Südtiroler 2. Förderung der Zuwanderung von Italienern nach Südtirol (Majorisierung, also Schaffung einer italienischsprachigen Mehrheit) 3. Ausbürgerung der deutschsprachigen Südtiroler (Option)

15 Burger, Norbert, Südtirol wohin?, Freising 1966, S. 63

16 Am 21. Oktober 1939 schlossen Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der deutschen und der ladinischen Minderheit in Südtirol sowie der Zimbern in den Provinzen Trient, Vicenza, Belluno, Verona und Udine. Den etwa 250.000 deutschsprachigen Südtirolern und Ladinern (80% der Wohnbevölkerung) sowie den Zimbern wurde die Option für Deutschland nahe gelegt. Wer in Italien verbleiben wollte, musste die Italianisierung mit Aufgabe von Kultur und Muttersprache in Kauf nehmen, die schon Anfang der 1920er begonnen hatte

17 Die Option bezeichnet in Südtirol die Zeit zwischen 1939 und 1943, in welcher die deutschstämmigen Südtiroler die Option für Deutschland ausübten (Optanten) oder in Südtirol blieben (Dableiber) und ihre Sprache und Kultur aufgeben mussten. Durch die Option wurden viele Familien zerstört, die Spaltung der Südtiroler Gesellschaft wirkte noch viele Jahre danach

18 Vgl., Burger, Norbert, Südtirol wohin?, Freising 1966, S. 78

19 Die Südtiroler Volkspartei (SVP) ist eine Regionalpartei in Südtirol, die am 8. Mai 1945 gegründet wurde, um die deutschsprachige und ladinische Bevölkerung als Sammelpartei in Südtirol und in Italien zu vertreten. Sie ging nach dem Zweiten Weltkrieges zum Teil aus der Südtiroler Widerstandsgruppe Andreas-Hofer-Bund hervor. Die Südtiroler Volkspartei ist im italienischen Parlament durch sechs Abgeordnete (jeweils drei in der Abgeordnetenkammer und dem Senat) sowie im Europäischen Parlament durch einen Parlamentarier vertreten. Die SVP versteht sich als Sammelpartei aller deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler - unabhängig von ihrem Stand oder ihrer Weltanschauung und ist seit Ende des Zweiten Weltkriegs die führende politische Kraft in Südtirol. Sämtliche Landeshauptmänner in Südtirol wurden von der SVP gestellt

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Südtirol und die verwehrte Selbstbestimmung?
Hochschule
Universität Leipzig
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V146659
ISBN (eBook)
9783640575633
ISBN (Buch)
9783640575787
Dateigröße
544 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Südtirol, Selbstbestimmung
Arbeit zitieren
Stefan Wagner (Autor:in), 2009, Südtirol und die verwehrte Selbstbestimmung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146659

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