Ein neuer Patriotismus oder doch nur "Partyorismus"?

Die Patriotismusdebatte in Deutschland während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im diskursanalytischen Vergleich von vier Tageszeitungen


Hausarbeit, 2006

46 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Leitbegriffe der Patriotismusdebatte
2.1 Heimatgefühl
2.2 Patriotismus
2.3 Nationalismus
2.4 Nationalsymbole

3 Methodisches Vorgehen der Untersuchung
3.1 Auswahlkriterien des Materials
3.2 Wahl des Untersuchungszeitraums

4 Empirische Untersuchung der vier Tageszeitungen im Zeitraum vom 01.06.06 – 31.07.06
4.1 Der Zeitraum vom 01.06.06 – 14.06.06
4.2 Der Zeitraum vom 15.06.06 – 30.06.06
4.3 Der Zeitraum vom 01.07.06 – 14.07.06
4.4 Der Zeitraum vom 15.07.06 – 31.07.06

5 Fazit

6 Anhang

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Sommer 2006 geschah in Deutschland etwas, mit dem wohl nur wenige Menschen zuvor gerechnet hatten. Im Juni und Juli 2006 herrschte überall in Deutschland ausgelassene Stimmung. Deutschlandfahnen wurden geschwenkt und das Deutschlandlied lautstark mitgesungen. Die Straßen glichen einem Fahnenmeer aus Schwarz-Rot-Gold, und speziell junge Leute bekannten sich zu Deutschland und seinen Nationalsymbolen. Das war das erste Mal in der Nachkriegszeit, dass patriotische Accessoires keine Ladenhüter waren.[1]

Die Massenmedien hatten die Fußballweltmeisterschaft als ein Mega-Event vorbereitet, aber von der gebotenen Gastfreundschaft, Offenheit und Vaterlandsliebe in einem solchen Ausmaß wurden auch sie überrascht. Jeder wollte dabei sein, und so überboten sie sich gegenseitig im Zeigen der Nationalfarben.[2]

Das Motto der Weltmeisterschaft lautete: „Die Welt zu Gast bei Freunden“, und so präsentierte sich die deutsche Nation auch in aller Welt. Plötzlich war weltweit ein „Neues Deutschland“ zu sehen. Das Land befand sich in einem Rausch, eine Nation voller guter Laune. Deutschland erhielt dafür Anerkennung von überall her, und das nicht nur für die gute Organisation und den perfekten Ablauf. Die deutschen Nationalfarben als Symbol für ein gelungenes Fest, ohne Triumphgeschrei und Schlachtenlärm. Eine vergleichbare Begeisterung rief zuletzt am 9.November 1989 der Mauerfall hervor. Im Unterschied zu damals, als man nur sich bejubelte, feierte man diesmal mit sich und der ganzen Welt. Die gute und positive Stimmung strahlte von der Nationalmannschaft ins Land hinein.

Jürgen Klinsmann, der Trainer der deutschen Nationalmannschaft, hatte es geschafft, aus einem Haufen stark kritisierter Fußballprofis eine Einheit, eine funktionierende Nationalmannschaft zu formen. Er hatte sein Ziel erreicht, alle waren hochmotiviert etwas zu bewegen, auf dem Platz und auf den Rängen. Für kurze Zeit verschwanden die Grenzen von sozialer und ethnischer Herkunft sowie die Unterschiede zwischen Ost und West.

Nach dem verlorenen Halbfinale gab es Niedergeschlagenheit aber keine Aggressionen. Die Medien hielten sich mit den sonst üblichen Schelten nach einem Ausscheiden vor dem Finale zurück. Das Land freute sich auch über den dritten Platz. Deutschland muss nicht immer der Sieger sein, Deutschland wurde als „Weltmeister der Herzen“ bezeichnet.[3]

Diese scheinbar ungetrübte Zuneigung zur deutschen Nation, war für Deutsche lange Zeit in der Masse undenkbar. Infolge der Studentenbewegung, den sogenannten ´68, wurden Konsequenzen aus der Geschichte gefordert. Die Folge war eine kritische Distanz zur nationalen Frage. Solche und ähnliche Äußerungen haben das Verhältnis der Deutschen zur eigenen Nation bis zum Sommer 2006 stark geprägt.[4]

Seit ein paar Jahren ist „Patriotismus“ wieder ein Thema in Deutschland. Den Höhepunkt dieser Patriotismusdebatte hatten wir während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Die neue Debatte fordert, dass durch die Gesellschaft ein Ruck gehen müsse, und sich alle am wirtschaftlichen Wiederaufstieg des Landes einbeziehen müssen. An die Stelle des überforderten Sozialstaates müsse ein neu entstandenes Gemeinschaftsgefühl treten, ein Bewusstseins- und Verhaltenswandel.[5]

Die öffentliche Ausgelassenheit des Sommers 2006 war als Phänomen schwer zuzuordnen. War das bloß Partyorismus oder war das schon der Vorläufer eines „neuen Patriotismus“? Auffallend jedoch war, dass die entstandene Begeisterung nicht initiiert wurde, sondern sich selbst trug. Verschiedene Kampagnen wie zum Beispiel „Du bist Deutschland“ hingegen verpufften fast wirkungslos. Wer versuchte, in dieser euphorischen Stimmung nationalistische Gesinnung auszumachen, der wurde ausgegrenzt.[6]

Deutschland präsentierte sich der Welt mit einer für diese Nation unbekannten Offenheit und Toleranz. Haben wir bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland nun einen „neuen Patriotismus“ erlebt oder befand sich eine ganze Nation lediglich in einem Ausnahmezustand.

Anhand eines intermedialen Vergleichs von vier Tageszeitungen wird nun im Weiteren die These überprüft, ob das im Sommer 2006 aufgetauchte Phänomen ein „neuer Patriotismus“ war.

Vorab wird auf verschiedene Leitbegriffe der Patriotismusdebatte eingegangen. Es werden aktuelle Forschungsstände zu verschiedenen Begriffen wie Patriotismus, Nationalismus und Heimatliebe und Nationalsymbolen dargestellt.

In dieser Untersuchung wird auf die Diskursanalyse zurückgegriffen, bei der vier überregionale Tageszeitungen analysiert werden. Der Vorteil liegt darin, dass man über einen Zeitraum von acht Wochen jeden Tag die Medien nach Stichwörtern zum Thema untersucht und somit jede Veränderung in der Berichterstattung wahrnehmen kann. Danach wird auf das methodologische Vorgehen dieser Untersuchung näher eingegangen, bevor dann zum Hauptteil der empirischen Untersuchung übergegangen wird. Hier werden die vier Tageszeitungen „Die Süddeutsche“, „Bild“, „Frankfurter allgemeine Zeitung“ und „Die Welt“ in Bezug auf den Patriotismus ausgewertet.

2 Leitbegriffe der Patriotismusdebatte

In diesem Abschnitt werden verschiedene Begrifflichkeiten aus der Patriotismusdebatte durchleuchtet und erklärt. So stehen Begriffe wie Patriotismus, Vaterlandsliebe, Heimatgefühl und Nationalismus eng zusammen, zeigen Wechselwirkungen auf oder sind gar grundverschieden. Um diese Begrifflichkeiten zuordnen und auseinanderhalten zu können, wird hier zunächst eine Begriffsbestimmung vorgenommen.

Bei der Patriotismusdebatte geht es um die Liebe zum Vaterland, um das Vaterland Deutschland. Von großer Bedeutung ist hierbei die Tatsache, dass wir von Deutschland erst ab dem Jahre 1989/90 sprechen können. Vor diesem Datum existierte für die Westdeutschen lediglich das Vaterland Bundesrepublik Deutschland.[7]

In der Debatte vom Sommer 2006 ging es um den vermeintlichen Patriotismus der in Deutschland, vornehmlich auf den Straßen und im Fußballstadion, stattgefunden hat. Er wurde vorgezeigt durch Menschenmassen die friedlich, in schwarz-rot-goldene Accessoires gehüllt, fahnenschwenkend durch die Straßen zogen und lautstark die deutsche Nationalhymne sangen. Es ist aber so, dass solch organisierte Massen an Menschen auch einen Führer benötigen. Ohne einen Führer gibt es keine organisierten Massen.[8]

Die Massen benötigen einen charismatischen Führer der die gruppen- und milieutheoretischen Determination sozialen Handelns außer Kraft setzen kann. Wenn es jemanden gelingt, ein Führer der Massen zu sein, dann ist er nicht mehr Exponent, sondern er ist wie es Timm Genett bezeichnet ein Bildhauer der Massen. Er hat die Möglichkeit die Massen nach seinen Wünschen zu formen.[9]

Während der Weltmeisterschaft 2006 waren Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff die Führer der Massen. Die beiden Verantwortlichen für das Nationalteam haben es geschafft, einen Rückhalt für die Mannschaft in der Bevölkerung und in den Medien zu schaffen. Des Weiteren ist es ihnen gelungen verschiedene Appelle durch die Medien an das Volk zu richten und somit einen positiven Patriotismus herbei zu reden. Deutschland stand hinter dem Duo Klinsmann/Bierhoff und der Nationalmannschaft. Diesem Duo ist es gelungen ein deutsches Wir-Gefühl, zumindest für die WM 2006, zu schaffen.

Ein gemeinschaftliches Handeln, wie das der deutschen Fußballfans während der Weltmeisterschaft 2006, erfordert jedoch eine kollektive Identität oder zumindest ein gemeinschaftliches Bewusstsein. Sozialpsychologische Untersuchungen machen aber deutlich, wie wenig Aufwand nötig ist, um kollektive Identität zu aktivieren. Es benötigt nur eines minimalen Eingriffs bei der Verteilung von Personen zu bestimmten Gruppen, um Entwicklungen wie Eigengruppe und Fremdgruppe zu erzeugen. Oft genügt bereits eine einfache Weisung in Richtung eines Wir-Schemas, um ein kollektives Selbst zu aktivieren.[10]

Die Masse kann einem Rückhalt und Schutz geben, jedoch muss man mit ihr sorg- und achtsam umgehen, da die Masse auch Gefahren in sich bergen kann. Ein negativer Aspekt ist, dass die Masse bei einzelnen Personen das Verantwortungsgefühl verschwinden lässt, und diese für eine im Kollektiv begangene Tat nachträglich nicht verantwortlich gemacht werden könne.[11] Die Vernunft und Affektkontrolle des Einzelnen kann durch die Triebmacht der Masse aufgehoben werden und diesen in einen vorzivilisierten Zustand schicken.[12]

Die Begriffe Patriotismus und Nationalismus sind zwar nicht identisch, aber ein ausgeprägter Patriotismus kann in Nationalismus umschlagen. Da Fußball als Massensport schon immer ein Überträger nationalistischer Stimmung war, kann ein stark vorgeführter Patriotismus bei der WM 2006 durchaus gefährlich sein.[13]

Die Krise der liberalen Gesellschaft, die den Aufstieg des Nationalsozialismus ermöglicht hat, findet ihren Ausdruck in der Masse. Helmut König zitiert Gerhard Ritter aus seinem Werk „Staatskunst und Kriegshandwerk“ von 1954:

„ ...Die Masse verlangt nicht nach Diskussion, sondern nach eindrucksvollen Taten; sie folgt nicht vernünftigen Erwägungen, sondern ihren Gefühlen; sie hört nicht auf den Rat kluger Sachmänner, sondern auf den leidenschaftlichen Appell der Demagogen; sie will Führung, nicht kluges Abwägen von Fragen und Möglichkeiten, nicht Freiheit des Selbstentscheidens...“.[14]

Man kann den bei der WM 2006 gezeigten „Patriotismus“ auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. In Europa strebt man seit Jahrzehnten eine Vereinigung an. Man möchte eine Europäische Union haben, in der alle verschiedenen europäischen Nationen vereint sind. Europa wäre dann unser Vaterland, nicht mehr irgendein einzelner Nationalstaat Europas mit seiner entsprechenden Identität. Es gäbe ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Wir-Gefühl unter Europäern. Es müsste dann einen Europatriotismus geben.[15]

War das vielleicht schon dieser Europapatriotismus, den wir im Fußballsommer 2006 erlebt haben?

2.1 Heimatgefühl

Das Heimatgefühl beinhaltet das Wort Heimat, welches eine Gegend oder Landschaft sein kann. Es kann sich aber auch auf ein Dorf, eine Stadt, ein Land oder gar auf eine Nation beziehen. Somit wird mit Heimat kein konkreter Ort bezeichnet, sonder viel mehr Identifikation geschaffen.

Das Heimatgefühl drückt sich vor allem durch eine emotionale Bindung an den Geburtsort, an die Familie und die Menschen und Freunde aus der näheren Umgebung aus. Des Weiteren beinhaltet es positive Erinnerungen an die Jugend und die Entwicklung. Es beinhaltet die Geschehnisse, die für die eigene Entfaltung wichtig waren und diese mitbestimmt haben. Durch eine Übersteigerung und pathetische Elemente kann das Heimatgefühl allerdings auch negative Momente enthalten. Dies ist dann zu beobachten, wenn sich der Bewusstseinshorizont nur auf die eigene Umgebung beschränkt und sich vor anderen, nicht bekannten Einflüssen verschließt.[16]

Da die Heimatliebe zum einen etwas Emotionales und zum anderen etwas Subjektives ist, bleibt sie im privaten Bereich.[17]

2.2 Patriotismus

Unter dem Begriff des Patriotismus, auch Vaterlandsliebe genannt, wird in der Regel emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation verstanden.

Der Patriotismus gründet sich auf der Liebe zum Vaterland, welche sich im Extremfall bis hin zur Opferbereitschaft an die staatliche Gemeinschaft steigern kann. Als Grundlage dient die nationale Eigenart, die als eigene Identität erhalten werden soll. Er bleibt gegenüber anderen Kulturen und Völkern neutral. Er stellt sich anderen nicht über, sondern ist auch bei fremden Nationen um Offenheit bemüht und sieht diese als gleichwertig an.

Im Gegensatz zur Heimatliebe ist der Patriotismus handlungsorientiert und strebt nach politischer Äußerung. Er enthält sowohl reflektierende als auch emotionale Momente und ist damit auch weniger subjektiv als die Heimatliebe. Der Patriotismus bietet, zurückhaltender als das Heimatgefühl, sozusagen den kulturellen und sozialen Halt und ist damit identitätsstiftend.[18]

Der Begriff des „Patriotismus“ wurde aber in der Kulturrevolution von 1968 stigmatisiert und mit dem geschichtlich belasteten Nationalismus gleichgesetzt, als rechtsextrem oder zumindest konservativ abgewertet. Der Begriff des Patriotismus ist also eng mit dem des Nationalismus verbunden. Gefahr besteht, wenn der Patriotismus zu stark ausgeprägt ist, dann kann er nämlich in Nationalismus umschlagen.[19]

Das ist ein Grund dafür, warum von Kritikern eine patriotische Einstellung oft mit Nationalismus gleichgesetzt oder als Tarnung von nationalistischen Ansichten betrachtet wird. Dies hängt auch damit zusammen, dass Nationalisten für sich den Anspruch erheben Patrioten zu sein.

Der Jenaer Psychologe Christopher Cohrs geht sogar noch weiter und schreibt in der Süddeutschen Zeitung Nr.160 Juli 2007: „Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand.“[20]

Die in der Gegenwart allgemein verbreitete Wortdeutung des Patriotismus unterscheidet sich vom Nationalismus dadurch, dass der Begriff die Identifikation mit dem eigenen Land zum Ausdruck bringen soll, ohne dadurch andere Völker und Nationen implizieren zu wollen.

Im 20. Jahrhundert, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, verlor der Begriff des Patriotismus immer mehr die ursprünglich, ihm angedachte Bedeutung. In Deutschland scheint Patriotismus im Sinne von Vaterlandsliebe mittlerweile, zumindest bei einigen Menschen der Bevölkerung, nicht mehr selbstverständlich zu sein. Dies gilt jedoch nicht für die Heimatliebe, die aufgrund ihrer subjektiven Eigenschaft im Privaten bleibt.

Eine Deutung oder Form des Patriotismus ist die Variante des Verfassungspatriotismus. Bei ihm steht das positive Bekenntnis zu den politisch-moralischen Werten eines Staates, wobei er sich aufgrund der Universalität dieser Werte durch seine fehlende Bindung an eine Nation oder Heimat vom übrigen Patriotismus unterscheidet. In so einem Fall wird von einem gewissen Verfassungspatriotismus gesprochen, einem „Jasagen“ zur Verfassung, zum Grundgesetz.[21]

Der Begriff des Patriotismus zeigt sich also mit verschiedenen Perspektiven. Wenn man unter ihm so etwas wie Heimatliebe versteht, dann kommen die subjektiven und emotionalen Aspekte dieses Begriffs hervor. Die objektive oder kollektive Seite des Patriotismus, die auch handlungsorientiert ist, kommt zum Tragen, wenn man ihn als Liebe zum Vaterland interpretiert. Ihr Augenmerk ist auf die aktive Teilnahme in der Gesellschaft gerichtet und greift zurück auf ein Verantwortungsgefühl als Eigenverantwortung.

Es gibt also den Patriotismus des innigen Gefühls der Heimatliebe und den Patriotismus der Vaterlandsliebe.[22]

2.3 Nationalismus

In der Umgangssprache wird unter Nationalismus oft eine Überhöhung der eigenen Nation verstanden. Die eigene Identität wird hierbei gegenüber anderen Nationen bis zur Irrationalität über gestellt. Er ist gekennzeichnet durch ein pervertiertes, übersteigertes und unkritisches Nationalbewusstsein. Es lässt sich hierbei eine aggressive und feindliche Tendenz ausmachen, die jegliche Diskussion ausschließt.

Das Eigene wird im Nationalismus bewahrt und hochgeschätzt, während alles Nichtidentische folglich mit Geringschätzung und Bekämpfung einhergeht. Das Verteidigen der eigenen Interessen ist hierbei auch unter Missachtung der Daseinsberechtigungen und Ansichten anderer vorrangig.

Letztendlich führt Nationalismus zu einem Massenbewusstsein, welches durch aufwiegelnde Einflüsse eine Alleinherrschaft begünstigt.[23]

In Deutschland hing das Aufkommen des Nationalsozialismus wesentlich mit den Millionen Arbeitslosen zusammen, die hoffnungslos auf der Straße standen. Angesichts der Millionen Arbeitslosen in Deutschland 2006 ist natürlich Achtsamkeit geboten, wenn ein patriotisches Massenspektakel wie diese Weltmeisterschaft mit einer Masse von Arbeitslosen aufeinandertrifft.[24]

Im Gegensatz zum Patrioten, der sich der Geschichte, der kompletten Vergangenheit seiner Nation stellt, behandelt der Nationalist die Geschichte seines Landes wie einen Steinbruch. Hierbei werden die guten Exemplare herausgebrochen und hochgelobt, während die Schlechten übersehen oder verschwiegen werden. Wie eng die Begriffe des Patriotismus und Nationalismus zusammenstehen, zeigt das Beispiel eines NPD-Führers in Sachsen. Dieser bezeichnet sich als deutschen Nationalisten und will hierbei keinen Unterschied zum Patrioten gelten lassen.[25]

Geschichtlich betrachtet hat der Nationalismus in der Vergangenheit zu Ausbrüchen irrationaler Gewalt geführt, die zu Massenmorden und Massenzerstörung im erheblichen Ausmaß ausarteten. Diese Ausbrüche exzessiver Gewalt sind entweder von oben gesteuert gewesen oder von unten implodiert. Im Zusammenspiel mit dem Rassismus hat der Nationalismus eine systematische „Ausschließpraktik“ ermöglicht.[26]

Letzten Endes muss man sich also nicht die Frage stellen, ob es in Deutschland einen Patriotismus in Reinform geben darf, sondern vielmehr ob dieser gegenüber dem Nationalsozialismus vorrangig ist, bzw. ob er zu diesem Zwecke instrumentalisiert wird. Anders ausgedrückt steht das staatsbürgerliche Vaterland über dem natürlichen Vaterland und wird die Nation zuallererst von freien Staatsbürgern als eine offene Gemeinschaft oder als eine in sich geschlossene kulturelle Gemeinschaft verstanden. Die Vergangenheit hat uns in Deutschland schmerzlich aufgezeigt, was für Folgen es nach sich ziehen kann, wenn eine verkehrte Prioritätensetzung erfolgt.[27]

2.4 Nationalsymbole

Eine Nation vermittelt sich über Symbole. Ein nationales Symbol ist ein bestimmendes Element nationaler Identifikation, Sprache und Handlung. Oft sind die Symbole mit einer rühmlichen Vergangenheit oder der Kultur eines Landes verbunden. Zu den nationalen Symbolen eines Landes werden unter anderm die Nationalhymne, die Flagge und die Nationalfarben gezählt.

In Deutschland fehlt den Machern immer noch das Gespür für demokratische und nationale Symbole und deren einheitsstiftende Wirkung. In Deutschland hat es nicht einmal zu einer neuen Nationalhymne gereicht, und somit singen die Rechtsradikalen mit nationalistischem Feuer und Reichskriegsflagge ausgestattet die erste Strophe des Deutschlandliedes und die Demokraten aller Art die Dritte.

Mit der deutschen Fahne ist es nicht viel anders. Während die vornehmlich ältere Generation Berührungsängste hat, tragen und zeigen sie andere, insbesondere die junge Generation, mit Freude. In dieser eben beschriebenen jungen Generation hat das öffentliche und symbolische Bekenntnis zum eigenen Land zugenommen.[28]

Bei einem Vergleich der Generationen ist es interessant, sich einmal die Generationen der deutschen Nationalmannschaft anzusehen. Hier zeigt es sich, dass sich in der Nationalelf die Eigenarten eines Landes ausdrücken. Werner Schulz nennt es „Fußball als Spiegelbild der Nation“. In der Nachkriegszeit ist Deutschland dreimal Weltmeister geworden und jede dieser Meisterschaften hatte etwas Einzigartiges.

Bei der Weltmeisterschaft 1954, kurz nach Kriegsende, spielte die deutsche Nationalmannschaft, stellvertretend für die gesamte Nation gegen das in der Welt vorherrschende Bild des hässlichen Deutschen an. Man wollte wieder Anerkennung unter den zivilisierten Nationen gewinnen.

Im Jahre 1974 haben die Westdeutschen mit einer Mannschaft aus einzigartigen Individualisten, aus Rebellen um den Pokal gekämpft. Es waren die ´68 die in diesem Jahr die Weltmeisterschaft gewonnen haben.

1990 gewannen die Deutschen, beflügelt durch den Mauerfall und die bevorstehende Wiedervereinigung, als Flaneure der Leichtigkeit das Turnier. Sie wurden von allen bewundert, geachtet und anerkannt.[29]

Wenn man sich in diesem Zeitrahmen den Umgang mit der Nationalhymne, also mit einem Nationalsymbol anschaut, dann sind dort Parallelen zu erkennen. Als 1954 deutsche Fans die erste Strophe des Deutschlandliedes sangen, wurde die Übertragung durch die Schweizer Rundfunksender unterbrochen. Es war ihnen nicht bewusst, dass Bundespräsident Theodor Heuss 1952 den Text der dritten Strophe zur Nationalhymne erklärt hatte.

1974 waren es die ´68 die vor dem Endspiel die Nationalhymne nicht mitgesungen haben. Den Nationalspieler Paul Breitner störte sie nach eigenen Angaben in der Konzentration.

Bei der Weltmeisterschaft 1990, kurz vor der Wiedervereinigung, war das bereits größtenteils anders. Die Hymne wurde teilweise von Spielern und Zuschauern mitgesungen und es gab Autokorsos. Deutschland feierte sich, gleichwohl in gemäßigter Form. Dieser Sieg einer gesamtdeutschen Mannschaft symbolisierte zusammen mit der deutschen Einheit eine Art Neuanfang.

Das absolute Bekenntnis zur deutschen Nationalhymne und anderen Nationalsymbolen, wie Fahnen und Accessoires mit Nationalfarben kam dann in jenem besagten Sommer 2006. An dieser Fußballweltmeisterschaft nahmen die Deutschen nicht nur regen Anteil, sondern demonstrierten ihre Zugehörigkeit zu Deutschland durch Selbstbewusstes Zeigen der Flagge ihres Landes. Diesmal sangen fast alle Spieler und Zuschauer diese vorher „unsägliche Nationalhymne“ lautstark mit. Hinzu kam der Effekt, dass durch das in diesem Jahr großflächig eingeführte Public-Viewing erstmals außerhalb des Stadions, die Nationalhymne mitgesungen wurde.[30]

Begonnen hat dieser Prozess sicherlich schon im Jahr der Weltmeisterschaft von 1990 in Italien. Damals entflammte bereits in der „Tageszeitung“ eine Kontroverse über das Verhalten der Deutschen. Erstmalig wurde nach Erfolgen des deutschen „Einheitsteams“ öffentlich gefeiert wurde. In den deutschen Städten brach eine abgeschaute südländische Begeisterung aus, und im Stile jubelnder Tifosi erlebte man Autokorsos und Fahnenmeere.

Die Alt-Spontis freuten sich über das bunte Treiben auf den Straßen und die Fahnenschwenker, während aus dem altlinken Lager bittere Kritik kam, da man hinter der grenzenlosen Heiterkeit und vereinzelter vandalistischer Krawalle einen nationalen Vorgeschmack auf die nahende Wiedervereinigung vermutete.[31]

Im Sommer 2006 sahen die deutschen Nationalfarben ein bisschen anders aus. Sie wirkten freundlich und sonnig. Die Flagge, eigentlich ein Nationalsymbol, wurde Teil einer Marken-Kampagne. Die Nationalfarben waren so gewöhnlich geworden, als seien sie das Firmenzeichen auf einer Plastiktüte vom Supermarkt. Es war ein schlagartiger Wechsel vom überfrachteten Nationalsymbol, etwas was den Kummer und das Leid von Deutschland symbolisiert hat, hin zu einem Markensymbol.[32]

3 Methodisches Vorgehen der Untersuchung

Die hier untersuchte Patriotismusdebatte wird anhand einer Diskursanalyse durchgeführt. Im Folgenden möchte ich kurz beschreiben, wie das Verfahren der hier angewandten Diskursanalyse aussieht. Diese Arbeit bezieht sich bei der Durchführung der Analyse grob auf die Vorgehensweise von Siegfried Jäger., die er unter dem Titel „Einen Königsweg gibt es nicht. Bemerkungen zur Durchführung von Diskursanalysen“ beschreibt.

Der Zweck von Diskursanalysen ist es, einen oder mehrere Diskursstränge historisch oder gegenwartsbezogen zu analysieren. Ein Diskursstrang ist ein thematisch einheitlicher Diskursverlauf, der aus einer Vielzahl von Elementen, auch Diskursfragmenten genant, zusammengesetzt wird.[33]

[...]


[1] Vgl. Jesse Eckhard: Berner Republik? Bonner Republik? Berliner Republik? Deutschland?, S.115.

[2] Vgl. Fuhr, Eckhard: Was ist des Deutschen Vaterland?, S.3.

[3] Vgl. Schulz, Werner: Deutsch, aber glücklich., S.84.

[4] Vgl. Möller, Johann Michael: Patriotismus im Zeitalter der Globalisierung, S.189.

[5] Vgl. ebd., S.190.

[6] Vgl. Jesse Eckhard: Berner Republik? Bonner Republik? Berliner Republik? Deutschland?, S.120.

[7] Vgl. Gauger, Jörg-Dieter: Wie wollen wir mit uns selbst umgehen?, S.24.

[8] Vgl. Genett, Timm: Vom Zivilisierungsagenten zur Gefolgschaft, S.117.

[9] Vgl. ebd., S.118.

[10] Vgl. Klandermans, Bert: Identität und Protest, S.262.

[11] Vgl. Genett, Timm: Vom Zivilisierungsagenten zur Gefolgschaft, S.120.

[12] Vgl. ebd., S.121.

[13] Vgl. Fuhr, Eckhard: Was ist des Deutschen Vaterland?, S.9.

[14] Vgl. König, Helmut: Zivilisation und Leidenschaften, S.254

[15] Vgl. Albert, Karl/Jain, Elenor: Leitkultur, Demokratie und Patriotismus, S.65.

[16] Vgl. ebd., S.94.

[17] Vgl. ebd., S.99.

[18] Vgl. Albert, Karl/Jain, Elenor: Leitkultur, Demokratie und Patriotismus, S.95.

[19] Vgl. Gauger, Jörg-Dieter: Wie wollen wir mit uns selbst umgehen?, S.22

[20] Vgl. Westerhoff , Nikolaus: Die Mär vom guten Patrioten. Online – Publikation.

[21] Vgl. Albert, Karl/Jain, Elenor: Leitkultur, Demokratie und Patriotismus, S.99.

[22] Vgl. ebd., S.102.

[23] Vgl. ebd., S.95.

[24] Vgl. Gauger, Jörg-Dieter: Wie wollen wir mit uns selbst umgehen?, S.19.

[25] Vgl. Rößler, Matthias: Patriotismus, Nation und gesellschaftliches Zusammenhalt, S.46.

[26] Vgl. Bizeul, Yves: Nationalismus, Patriotismus und Loyalität zur offenen Republik, S.31.

[27] Vgl. ebd., S.35.

[28] Vgl. Schulz, Werner: Deutsch, aber glücklich, S.92.

[29] Vgl. Ebd., S.82-83.

[30] Vgl. Jesse Eckhard: Berner Republik? Bonner Republik? Berliner Republik? Deutschland?, S.119.

[31] Vgl. Fuhr, Eckhard: Was ist des Deutschen Vaterland?, S.10-11.

[32] Vgl. Boyes, Roger: Die Neuen Patrioten, S. 19

[33] Vgl. Jäger, Siegfried: Einen Königsweg gibt es nicht, S.136-137.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Ein neuer Patriotismus oder doch nur "Partyorismus"?
Untertitel
Die Patriotismusdebatte in Deutschland während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im diskursanalytischen Vergleich von vier Tageszeitungen
Hochschule
Universität Hamburg  (Fachbereich Sozialökonomie)
Veranstaltung
Empirisches Praktikum
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
46
Katalognummer
V146675
ISBN (eBook)
9783640576166
ISBN (Buch)
9783640575824
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Lars, Lorbeer, LarsLorbeer, Patriotismus, Partyorismus, Fußball, Deutschland, National, Nationalität, Weltmeisterschaft, Klinsmann, Fans, Nationalismus, Heimat, Symbole, Fahnen, Medien, Vaterland, Freude, Spaß, Party, Fanmeile, Nation, Nationalfarben, Team, Nationalmannschaft, Land, deutsch, Trainer, Weltmeister, Sieg, Debatte, Patriotismusdebatte, Zeitung, Tageszeitung, Massen, Menschen
Arbeit zitieren
Lars Lorbeer (Autor:in), 2006, Ein neuer Patriotismus oder doch nur "Partyorismus"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146675

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