Lucas Cranach d.Ä. und humanistische Strömungen seiner Zeit


Trabajo de Seminario, 2009

40 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Begriffsklärung

2. Problemstellung

3. Cranachs antik-mythologische Motive der Wittenberger Zeit
3.1 Das Parisurteil
3.2 Venus-Darstellungen und ihre Bedeutung
3.2.1 Venus und Amor
3.2.2 Venus und Amor als Honigdieb
3.2.3 Venus im Kontext höfisch-humanistischer Geschichtsschreibung
3.3 Die Ruhende Quellnymphe
3.4 Die Zeitalter
3.4.1 Das Goldene Zeitalter
3.4.2 Das sogenannte "Silberne Zeitalter"
3.5 Die Faunenfamilie

4. Die christliche Tugend der Caritas

5. Humanistische Tendenzen Cranachs in seiner Frühzeit? - Die Wiener Kreuzigung

6. Schlußbetrachtung

Anhang:
I. Abbildungsnachweis
II. Abbildungen
III. Literaturverzeichnis

1. Begriffsklärung

Humanismus bezeichnet eine geistige Strömung, die im 14. Jahrhundert in Italien einsetzte und sich von dort ausgehend langsam in Europa verbreitete. Wie Franz Matsche prägnant zusammenfasst, ist dessen grundsätzliche Absicht das "Streben nach der sittlichen Vervollkommnung des Menschen".[1]

So entstand in Ablösung des mittelalterlichen Modells der Scholastik ein neues Bildungskonzept, das sich die Antike zur Norm machte und sich gemäß des Grundsatzes "ad fontes" zunehmend wissenschaftlich mit den antiken Quellen auseinandersetzte und diese neu entdeckte.[2]

Allerdings zeigte der Humanismus je nach Gebiet verschiedene Ausprägungen. Insbesondere im deutschen Raum zeichnet er sich - wie noch deutlich werden soll - durch nationale Tendenzen, also nicht nur durch einen bloßen Antikenbezug, sondern durch eine Verbindung mit der eigenen Tradition aus.

Unabdingbar für das Verständnis der folgenden Betrachtungen sind deshalb auch die in dem relevanten Zeitraum vorherrschenden Modelle zum Geschichtsverständnis. So existieren die alte, scholastische Auslegung, die sich durch allegorische Deutungen in christlich-moralischem Sinn auszeichnet, und ein neuer, wissenschaftlicherer christlich­humanistischer Ansatz nebeneinander, der unter anderem durch die sogenannte euhemeristische Sichtweise geprägt ist, die die Entstehung altertümlicher Götter durch Heldenverehrung erklärt, diese also "vermenschlicht". Allerdings treten diese Denkansätze je nach zeitlicher Entwicklung in unterschiedlicher Gewichtung auf.[3] Diese Auffassungen sollten für die folgenden Ausführungen grundsätzlich im Hinterkopf behalten werden. Selbstverständlich ist auch der deutsche Humanismus nicht von christlichen Werten trennbar. In diesem Kontext findet sich deshalb bisweilen - auch wenn es sich prinzipiell um zwei verschiedene Bewegungen handelt - eine gewisse Schnittmenge von Humanismus und Reformation, die ebenfalls beleuchtet werden soll.

2. Problemstellung

Im folgenden gilt es zu klären, wie sich die geistigen Tendenzen seiner Zeit auf Lucas Cranach den Älteren auswirkten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere seine Wittenberger Schaffensphase (1503-1553) zu untersuchen, zu der er unter anderem als kurfürstlicher Hofmaler tätig war und während der eine regelrechte Flut an Motiven antiker Götter und Mythen entstand, von denen hier aufgrund ihrer Vielzahl nur ausgewählte Beispiele aufgeführt werden sollen.

Daß der Künstler bereits zu seiner Zeit in Wien (ca. 1500-1504), zu der er erstmals fassbar wird, in Kontakt zu Humanisten im Umfeld Kaiser Maximilians I. stand, ist unumstritten.[4] Ob sich letzteres Umfeld, insbesondere im Kontext der höfisch-humanistischen Geschichtsschreibung ebenfalls in Cranachs Wiener Oeuvre niedergeschlagen hat, wie jüngst vorgeschlagen wurde,[5] soll im Anschluss diskutiert werden.

3. Cranachs antik-mythologische Motive der Wittenberger Zeit

3.1 Das Parisurteil

Der antike Mythos handelt von Paris, Sohn des trojanischen Königs Priamos, der verbannt wurde und als Hirte aufwuchs, um der Erfüllung einer düsteren Prophezeiung zu entgehen. Eines Tages erscheinen ihm jedoch im Zuge eines durch die Göttin der Zwietracht Eris gesäten Streits die drei Göttinnen Athene (in ihrer römischen Entsprechung Minerva), Hera (Juno) und Liebesgöttin Aphrodite (Venus), um Paris entscheiden zu lassen, welche von ihnen die schönste sei.[6]

Um zu ihren Gunsten zu entscheiden, bot Hera ihm Macht, Athene versuchte ihn mit Weisheit zu locken. Stattdessen wählte er aber Aphrodite, die ihm Helena, die Frau des spartanischen Königs Menelaos versprach. Diese Entscheidung führte letztendlich zum Trojanischen Krieg, wodurch sich die Weissagung, die es zu umgehen galt, ironischerweise doch erfüllte.[7]

Die Legende des Paris-Urteils an sich war während des gesamten Mittelalters bekannt, insbesondere durch die lateinischen Schriften der "Äneas" von Vergil und der "Metamorphosen" von Ovid, wird aber auch in der Literatur um 1500 zum beliebten Sujet.[8] Betrachtet man vorerst die Spätmittelalterliche Bildtradition des Parisurteils (Abb. 1), ist festzustellen, daß Paris als Ritter anstatt als Hirte gezeigt wird (Abb. 2). Im Allgemeinen wird hierfür die auf den spätantiken Autor Dares Phrygius Schriftquelle des "Bellum Troianum" (5. Jhd. n. Chr.) verantwortlich gemacht, die sowohl im Spätmittelalter, aber auch im humanistischen Wittenberger Umfeld zu Beginn des 16. Jhd. als historisch aufgefasst wurde, da die Beschreibung des Trojanischen Kriegs vom Autor als fiktiver Augenzeugenbericht gestaltet war. Auf selbige Quelle geht auch die Darstellung als Traumvision zurück, im Bild verdeutlicht durch Merkur, der Paris erst wecken muß.[9]

Interessanterweise ebenfalls in einer mittelalterlichen Quelle verankert ist die Aufforderung Paris' an die Göttinnen, sich nackt zu zeigen. Dies wird aufgeführt in Guido de Colonnas "Historia destructionis Troiae" (1287).[10]

Früheste bekannte Version Lucas Cranachs zu diesem Thema ist ein Holzschnitt von 1508 (Abb. 2). Auch sie greift die Bildtradition mit Paris als Ritter und träumend dargestellt auf. Wenig später überführt Cranach das Motiv schließlich in die Tafelmalerei. Hier gilt als früheste Version um 1513 das Exemplar im Kimbell Art Museum, Fort Worth (Abb. 3).[11] Offenbar erfreute sich das Motiv großer Beliebtheit, da zahlreiche Versionen folgten, insbesondere gegen Ende der 1520er Jahre (Abb. 4).

Fragt man nach der Bedeutung der Darstellung, ergeben sich vielschichtige Interpretationsmöglichkeiten: Zum einen könnte Paris Entscheidung der "voluptas", der Wollust, als Negativbeispiel und durchaus auch im Kontext christlicher Moral verstanden werden.[12] Allerdings würde sich hier eine Gegenüberstellung zur "virtus", der Stärke anbieten. So wird häufig Herkules am Scheideweg als mögliches Gegenstück vorgeschlagen.[13] Jedoch kann ein solcher Kontext nicht nachgewiesen werden.

Durch Fulgentius, einen späntantiken Mythographen des 6. Jhd., dessen Interpretation[14] im gesamten Mittelalter geläufig, sowie auch unter Humanisten verbreitet war, ließe sich das Parisurteil des Weiteren als Gleichnis der "vita triplex" deuten, also als eher allgemeine Entscheidungswahl zwischen drei verschiedenen Lebenswegen. Minerva stünde in diesem Fall für ein besonnenes Leben (vita contemplativa), Juno für ein ruhmvolles (vita activa) und Venus für ein sinnlich bezogenes (vita voluptaria).[15]

In diesem Kontext ist zum Verständnis humanistischer Moralphilosophie des Weiteren ein von Burkmair für den als als "Erzhumanisten" bekannten Konrad Celtis (f 1508) gefertigter Holzschnitt von ca. 1506 mit einer Idealisierung Maximilians I. (Abb. 5) hilfreich: Unter den Schwingen eines den Holzschnitt dominierenden Kaiseradlers versammeln sich Symbole einer guten Herrschaft, darunter ein Musenbrunnen, an dessen Basis sich wiederum ein Paris-Urteil mit der Beischrift "Errando discitur Philosophia" - durch Irrtümer lernt man Weisheit - befindet. Diese Möglichkeit des Irrtums, aus dem letztendlich gelernt werden soll, könnte in Cranachs Paris-Urteilen durch die Ähnlichkeit der Göttinnen ohnejegliche Attribute verstärkt sein.[16]

Eine weitere Erklärung liefert Edgar Bierende, der seine Interpretation auf ein sich veränderndes, humanistisches Geschichtsverständnis weg von der scholastischen, allegorischen Deutung hin zu einer historischeren stützt.[17]

Hierzu betrachtet er die Weimarer Chronik (1513) des in Wittenberg tätigen Humanisten Georg Spalatin, der erstmals versucht eine germanisch-deutsche Herrscher- und Landesgeschichte zur erstellen. Dieser führt die drei unterschiedlichen Stämme der Sachsen, Thüringer und Meißener auf einen gemeinsamen Ursprung - vorzugsweise Troja - zurück. Dieser Ansatz könnte nun unmittelbar auf die weniger weit zurückliegende sächsische Geschichte bezogen werden:

Das Land, das Kurfürst Friedrich III., der Weise und sein Bruder Johann der Beständige regierten, war sehr heterogen und durch interne Machtkonkurrenz geprägt, da sich 1485 durch die Leipziger Teilung, ausgelöst durch den sogenannten sächsischen Bruderkrieg zwischen Herzog Wilhelm dem Tapferen und Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen, die Dynastie der Wettiner einerseits in Albertiner, die sächsische Linie der Wettiner, andererseits in Ernestiner, die thüringische und meißener Linie der Wettiner spaltete, der auch Friedrich und Johann angehörten. In diesem Fall wäre also die Geschichtsschreibung Spalatins als Versuch der Konfliktschlichtung zu sehen.[18] So könnte das Parisurteil in diesem Fall auch als Ermahnung zur Einhaltung des Friedens im sächsischen Herrschaftsgebiet gelten.[19]

Jedoch sollte beachtet werden, daß auch andere Herrscher sich auf eine trojanische Abstammung zurückführten, wie beispielsweise Maximilian I.[20] Erinnert sei auch an dieser Stelle an das Bildbeispiel des Kaiseradlers mit Paris-Urteil (Abb. 5). Möglicherweise sollte dieses Motiv in Bezug auf einen höfischen Abstammungskontext besser allgemein im Sinne einer Verwendung von Geschichte - sofern man das Paris-Urteil gewissermaßen als historische Begebenheit sieht - als didaktisches Mittel betrachtet werden.

Da ohnehin nicht davon ausgegangen werden kann, daß sämtliche Versionen des Paris- Urteils für einen kurfürstlich-sächsischen Kontext bestimmt waren,[21] kann die hierauf bezogene Deutung also nur bedingt gelten. Zwar sind im Holzschnitt das kurfürstliche Wappen - die gekreuzten Schwerter - und das der Wettiner - der Rautenkranz - verankert, jedoch sind diese in der Tafelmalerei nicht mehr zu finden. In letzterer wiederum ist hingegen häufig eine Berg- und Architekturlandschaft zu sehen, die durchaus an mitteldeutsche Landstriche denken lässt. Dennoch taucht diese auch in unverwandten Motiven, sozusagen als typisches Cranach-Element auf. So wären präzisere Untersuchungen, gerade zur Lokalisierung der Burgen und Schlösser in Cranachs Landschaften wünschenswert.

Schlussendlich bleibt zu beobachten, daß die Interpretationsweisen des Paris-Urteil sich äußerst ambivalent gestalten, jedoch je nach Betrachterstandpunkt sämtliche Ansprüche von christlich-humanistischer Moralphilosophie bis hin zu humanistischem Herrscherideal und Genealogie abdecken.

3.2 Venus-Darstellungen und ihreBedeutunz

3.2.1 VenusundAmor

Früheste Darstellungen der antiken Göttin der Liebe schuf Cranach 1509, einerseits als Holzschnitt (Abb. 6), der Venus durch die Darstellung von Wolken noch ansatzweise in ihrer spätmittelalterlichen, astrologischen Bildtradition als Planetengöttin zeigt (Abb. 7), jedoch ohne entsprechende Attribute, den Stern, die Waage, einen Spiegel und Blumen. Andererseits entstand im selben Jahr ein Tafelbild der Venus (Abb. 8), das diese Züge nicht mehr aufweist.[22]

Bei dem Tafelbild (Abb. 8) handelt es sich offenbar um die erste bekannte lebensgroße Aktdarstellung einer Venus in der Malerei nördlich der Alpen.[23]

Was dem zeitgenössischen Betrachter, der weibliche Aktdarstellungen dieser Größenordnung wohl nur aus spezifischem christlichem Kontext - wie z.B. Eva - kannte, zuerst ins Auge gefallen sein dürfte, ist die offensichtliche Nacktheit der - wohlgemerkt profanen - Figur, deren Wirkung durch die Darstellung in Lebensgröße sehr verstärkt wird. Allerdings wird dieser erotische Aspekt zugleich kontrastiert, zum einen durch den mäßigenden Gestus der Venus, durch den sie Amor zurückhält, andererseits durch die lateinische Inschrift, die den Betrachter dazu anhält, "sich mit aller Anstrengung gegen die Ausschweifungen des Cupido zu wehren, damit Venus nicht sein umnebeltes Herz beherrschen möge".[24]

Der Betrachter - allerdings nur der humanistisch gebildete, der auch die lateinische Inschrift versteht - wird hier also vor die Wahl gestellt, ob er sich der sinnlichen Anziehungskraft der Darstellung hingibt, oder ob er diese moralisch reflektiert, also seine Bildung und Vernunft gegen seine Triebhaftigkeit einsetzt.

Diese Widersprüchlichkeit von Erotik und Moral, die im Verlauf der Forschungsgeschichte im übrigen oftmals dadurch erklärt wurde, daß Auftraggeber ihr Interesse an Erotik unter dem Deckmantel humanistischer Bildung und Moral verstecken mußten,[25] wird inzwischen allerdings häufiger mit Parallelen der sogenannten "jokoseriösen" Literatur verglichen, die sich insbesondere in Werken von Konrad Celtis manifestiert und auf die gleiche Weise mit Sinnlichkeit, antiker Mythenrezeption und christlicher Tugend spielt.[26]

Ob in der lebensgroßen Konzeption dieser Venus-Darstellung tatsächlich Parallelen zu der Erzählung zu sehen sind, daß Apelles, der wohl bedeutendste Maler des klassischen Altertums, eine ebenfalls lebensgroße Venus malte, wodurch an dieser Stelle der antike Topos und auch in humanistischem Sinn geforderte Wettstreitgedanke verwurzelt wäre, wie es häufig vorgeschlagen wird,[27] ist insofern zu hinterfragen, da es sich bei Apelles Werk um die Venus Anadyomene, die aus dem Schaum des Meeres geborene Venus handelt. Daß Cranach diese Überlieferung zumindest etwas später bekannt war, zeigt die allerdings nur halblebensgroße Venus mit Amor um 1520 (Abb. 9), deren Inschrift ebenjene Geburt der Venus aufgreift.

Weitere Venus-Darstellungen tauchen den erhaltenen Werken nach zu urteilen gegen Ende der 1520er Jahre wieder bei Lucas Cranach auf, nun in verschiedenen Darstellungsformen, mit und auch ohne Amor.[28] An dieser Stelle soll jedoch besonders eine Variante der Venus hervorgehoben werden:

3.2.2 Venus und Amor als Honigdieb

Das Motiv des Honigdiebs (Abb. 10) geht auf ein Gedicht aus den Theokrit zugeschriebenen Idyllen zurück.[29] Fragt man nach Cranachs Kenntnis dieses griechischen Textes, der bis zum Aufblühen des Humanismus lange unübersetzt geblieben sein dürfte, wird im Allgemeinen Melanchthon als Vermittler vermutet, der unter anderem an der Universität Wittenberg eine Vorlesung über den griechischen Dichter hielt.[30]

Auch diese Darstellung muß sich großer Beliebtheit erfreut haben, zumal mindestens 15 Exemplare davon geschaffen wurden.[31]

Die Inschrift der verschiedenen Versionen von Venus und Amor als Honigdieb ist grundsätzlich dieselbe. Über die Erzählung Theokrits hinaus wird diese von Cranach durch eine moralische Erläuterung ergänzt: "So wie das flüchtige Verlangen nach süßem Honig das Risiko des Bienenstichs mit sich bringt, können uns die kurzen Freuden der Liebe langanhaltend Schmerzen bereiten."[32]

Auch hier wird der Betrachter also wieder vor die Wahl zwischen der Versuchung flüchtiger Liebe - symbolisiert durch den Honig - und Mäßigung, bzw. moralische Reflexion deren Konsequenzen gestellt, wie es schon bei der ersten gemalten Version der Venus in St. Petersburg (Abb. 8) der Fall war.

Ein interessantes Detail zeigt darüberhinaus das Exemplar von Venus und Amor als Honigdieb im Metropolitan Museum von 1529 (Abb. 11). An ihrer Kopfbedeckung ist die Inschrift "ES IST ALS" zu lesen (Abb. 12), die in der Tat als verkürzte Formel für den biblischen Vers aus Prediger 1.2 "Es ist alles ganz eitel" stehen dürfte. Durch diesen kleinen Zusatz wird die Vergänglichkeit sinnlicher Reize noch einmal verstärkt.[33]

3.2.3 Venus imKontexthöfisch-humanistischer Geschichtsschreibung

Auch die Venusdarstellungen wurden von Edgar Bierende in einen höfisch-humanistischen Kontext der Geschichtsschreibung gesetzt.

Grund hierfür sollen ebenfalls Streitigkeiten der Wettiner, in diesem Fall um territoriale Ansprüche an das Magdeburger Gebiet sein. So soll Friedrich der Weise, dem das Gebiet unterstand, mit Hilfe historischer Forschungen der Humanisten seines Umkreises zu diesem Gebiet seinen Besitzanspruch legitimiert haben.[34]

Bereits in mittelalterlichen Chroniken wird Cäsar als Stadtgründer Magdeburgs genannt, hier allerdings in Zusammenhang mit der Gründung eines Diana-Heiligtums. Auch humanistische Quellen am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert greifen diese Vorstellung auf, allerdings mit einer Abänderung. Das Heiligtum wird nun nicht mehr Diana zugeordnet, sondern Venus. Grund für diese Abwandlung könnte durchaus eine bessere Kenntnis antiker Quellen sein, in denen Venus bekanntlich als Ahnherrin Cäsars, bzw. desjulischen Adelsgeschlechts auftritt.[35]

Ob auch Johann Baumgarts "Chronika der Sachsen und Niedersachsen" (Wittenberg 1589), der ebenfalls auf die Abstammungslegende von Venus zurückgreift, sich gleichzeitig aber auf Tacitus' "Germania" bezieht, indem er den Venus-Kult als römische Rezeption des germanischen Isis-Kults darstellt und so nicht nur eine klassisch-antike, sondern auch eine germanisch-deutsche Tradition für die Magdeburger Stadtgründung schafft, bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verbreitet war, wie Bierende vorschlägt,[36] bleibt aufgrund der späten Zeitstellung dieser Chronikjedoch fraglich.

Letztendlich bleibt festzustellen,daß es sich bei den Venusdarstellungen nicht zwangsläufig nur um eine Legitimation Friedrichs III. anhand der Abstammung von Cäsar und der Magdeburger Gründung im Zuge des entsprechenden Venus-Heiligtums handeln muß. Zwar ist auch hier der Holzschnitt mit Wappen gekennzeichnet, die Venus-Varianten in der Tafelmalerei jedoch nicht, die sicherlich auch für andere Auftraggeberkreise, als den sächsischen Hof bestimmt waren.

Auch die etwas überzeugendere These, daß Apelles Venus von großer historischer Bedeutung war, zumal Augustus sie kaufte und für seinen Vater Cäsar dem Venus-Tempel in Rom stiftete, und anhand derer Cranachs Venus als Erhöhung Friedrichs III. gelten könnte,[37] muß mit dem bereits genannten Einwand gesehen werden, daß es sich bei ersterer um die Venus Anadyomene handelt.

Auch bleibt in dem historisch begründeten Interpretationsansatz die Zusammenstellung der Venus mit Amor etwas fraglich. In diesem Fall müßte er als reines Attribut der Venus betrachtet werden. So sind Lucas Cranachs Venus-Darstellungen wohl tendenziell doch eher in Bezug auf eine moralische Deutung zu betrachten, auch wenn der historische Kontext durchaus nicht völlig vernachlässigt werden sollte.

3.3 Die Ruhende Ouellnvmphe

Die Darstellung der Quellnymphe taucht bei Cranach etwa gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts auf (Abb. 13). Auch diese Reihe von Werken in zahlreichen, untereinander recht ähnlichen Varianten kann insofern als innovativ gelten, da es sich um erstmals in der Malerei nördlich der Alpen dargestellte, liegende weibliche Akte in der Natur handelt.[38]

Ebenso wird bezüglich der Bildtradition nicht auf mittelalterliche Vorgänger zurückgegriffen, sondern auf ein pseudo-antikes Vorbild, wie Franz Matsche ausführlich anhand von Körperhaltung und epigraphischer Beobachtungen zeigen konnte.

Vergleicht man Cranachs Quellnymphen mit einem Holzschnitt aus der Hypnerotomachia Poliphili (Abb. 14) von Francesco Colonna (Venedig 1499), einer Renaissance-Schrift, deren Protagonist Poliphilo - kurz zusammengefasst - im Zuge eines Traums antiken Fabelwesen und Göttern begegnet, fällt besonders auf, daß sowohl der Holzschnitt dieser Schrift, als auch Cranachs Quellnymphen sich von möglichen antiken Vorbildern (Abb. 15) durch den anders gehaltenen Gestus abgrenzen.[39]

Das Epigramm mit dem Wortlaut "fontis nimpha sacri somnum ne rumpe quiesco" - Ich, die Nymphe der heiligen Quelle, ruhe, störe nicht meinen Schlaf - taucht in sämtlichen Varianten der Quellnymphen Cranachs auf.

Das Vorbild hierfür findet sich in Thomas Jordanus' "Historia inclyti Matthiae Hunnyadis regis Hungariae" von 1585, der den Abschluss dauerhafter Friedensverträge des ungarischen Königs Matthias Corvinus (Regierungszeit 1458-1490) mit dem Osmanischen Reich beschreibt, nach deren Abschluss der Regent einen marmornen Brunnen mit einer schlafenden Nymphe in der Burg von Buda aufstellen ließ, "um von Mars Abschied zu nehmen", also im Sinne eines Friedensdenkmals.[40]

Zwar unterscheidet sich das ungarische Epigramm insofern von dem Cranach'schen, daß das Wort Nymphe durch Muse ersetzt ist. Allerdings dürfte das nicht weiter störend sein, bedenkt man, daß sich auch bei Hesiod eine Gleichsetztung von Musen und Nymphen findet.[41]

Geht man von dem Budaer Exemplar als Vorläufer aus, erinnern tatsächlich manche Versionen Cranachs durch die Darstellung eines künstlichen Brunnens noch an den ursprünglichen Kontext (Abb. 13). Spätere Versionen zeichnen sich aber vornehmlich durch Felsquellen aus (Abb. 16& 17).[42]

[...]


[1] Matsche 1996, S. 29.

[2] Steinmetz 1973, S. 35.

[3] Bierende 2002, S. 194.

[4] Auch belegt durch sein Porträt des Humanisten Johannes Cuspinian.

[5] Bierende 2002.

[6] Brinkmann 2007, S. 326.

[7] Ebd.

[8] Bierende 2002, S. 197.

[9] Brinkmann 2007, S. 326.

[10] Hinz 2007, S. 229.

[11] Brinkmann2007,S.326.

[12] Robert 2003, S. 104.

[13] Ebd.

[14] - die sich ihrerseits wiederum bis zu Plutarch und Platon zurückverfolgen lässt -

[15] Matsche 1996, S. 62.

[16] Matsche 1996, S. 65 f.

[17] Bierende 2002.

[18] Ebd., S. 204.

[19] Ebd., S. 14.

[20] Ebd., S. 89.

[21] Foister 2003, S. 116.

[22] Robert 2003, S. 109.

[23] Werner 2007, S. 103.

[24] Werner 2007, S.101.

[25] Neben weiteren Koepplin/Falk 1974/76, S. 649.

[26] Werner 2007, S. 104.

[27] Ebd., S. 103.

[28] Ebd., S. 99.

[29] Zwar ist dieser inzwischen aus philologischer Sicht als Autor umstritten, jedoch soll diese Frage hier nichtweiterrelevant sein. Brinkmann 2007, S. 350.

[30] Matsche 1996, S. 58.

[31] Brinkmann2007, S. 350.

[32] Matsche 1996, S. 58.

[33] Brinkmann2007, S. 352.

[34] Bierende 2002, S. 213.

[35] Bierende 2002, S. 214.

[36] Ebd., S. 214 f.

[37] Ebd., S. 226.

[38] Matsche 2007, S. 159.

[39] Ebd., S. 162.

[40] Ebd., S. 176 f.

[41] Ebd., S. 180.

[42] Ebd., S. 190.

Final del extracto de 40 páginas

Detalles

Título
Lucas Cranach d.Ä. und humanistische Strömungen seiner Zeit
Universidad
University of Heidelberg
Calificación
1,3
Autor
Año
2009
Páginas
40
No. de catálogo
V147109
ISBN (Ebook)
9783640571314
ISBN (Libro)
9783640571017
Tamaño de fichero
2904 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Lucas, Cranach, Strömungen, Zeit
Citar trabajo
Anna Gosslar (Autor), 2009, Lucas Cranach d.Ä. und humanistische Strömungen seiner Zeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147109

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