Krawalle in Pariser Banlieues - Ursachen und Hintergründe exzessiver Jugendgewalt mit besonderem Blick auf Immigranten aus dem Maghreb


Term Paper (Advanced seminar), 2008

26 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Politische Kultur

3. Das Assimilationsmodell

4. Exklusion

5. Städtebau

6. Ethnizität

7. Institutioneller Rassismus

8. Soziale Probleme und Diskriminierung

9. Politik

10. Religion

11. La Galere

12. Zusammenfassung und Fazit

13. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Als im Oktober 2005 die Polizei im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois zwei verdächtige Jugendliche verfolgte und diese schließlich beim dem Versuch, sich in einer Hochspannungsanlage zu verstecken, starben, kam es anschließend zu mehrwöchigen Krawallen im Großraum Paris.[1] Im November 2007 ereignete sich in Villiers-le-Bel ein Unfall zwischen einem Polizeiwagen und einem nicht zugelassenen Motorrad, das von zwei Jugendlichen ohne Helm gesteuert wurde. Die Jugendlichen kamen dabei ums Leben. Als Folge dieses Verkehrdramas wurden innerhalb von nur zwei Tagen weit mehr als 100 Polizisten verletzt, ein Grossteil von ihnen durch Schusswaffen. Damit haben sich die Ausschreitungen in Paris zu einem regelrechten Strassenkrieg[2] entwickelt, einer urbanen Kriegsführung, zumindest seitens der Unruhestifter.

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie es in Frankreich und speziell in Paris zu derartigen Krawallen kommen konnte. Was sind die Ursachen für den Hass und die Gewaltbereitschaft der meist jugendlichen Chaoten? Dabei soll der Gruppe der Maghrebiner, also der Marokkaner, Algerier und Tunesier, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn „in Meinungsumfragen über den Grad der Antipathien gegen Fremde stehen die Maghrebiner immer an erster Stelle“[3]. Im Pariser Becken stellen Ausländer 37% der Bevölkerung und Maghrebiner in ganz Frankreich mit fast 1,7 Millionen Menschen über 30% aller Immigranten. Mehr noch:

„Wenn man in Frankreich [...] die Kinder der Einwanderer nicht einfach in der französischen Bevölkerung aufgehen lässt, dann stellen [...] die Nordafrikaner in Frankreich [mit ca. 2,5 Millionen] die größte Bevölkerungsgruppe islamischer Herkunft in Europa dar.“[4]

Sie sind es, die automatisch in das Licht der Öffentlichkeit rücken, wenn es gilt, einen Anstifter und Sündenbock für die Unruhen zu finden.

Zur Beantwortung der Leitfrage sollen verschiedene Aspekte und mögliche Ursachen der Problemlage aufgegriffen werden. So ist in diesem Zusammenhang zu untersuchen, inwiefern das französische Assimilationsmodell zu der beunruhigenden Entwicklung in Pariser Banlieues beiträgt und beigetragen hat. Bereits 2005 sagte der damalige Innenminister Sarkozy nach den Unruhen:

„Das republikanische Integrationsmodell funktioniert nicht mehr. Wir müssen eingestehen, dass es nicht ausreicht, eine formale Gleichheit zu proklamieren, um eine wirkliche Gleichheit zu garantieren.“[5]

Auch der von französischen Soziologen geprägte Begriff der Exklusion findet Einzug in diese Arbeit, da es gerade die spezielle Situation in Frankreich war, die erst dazu geführt hat, dass das Thema soziale Ausgrenzung wieder internationale Beachtung auf der politischen Bühne fand.[6]

Da sich die Krawalle immer in Vororten abspielten, wird auch auf städtebauliche Fragen eingegangen, denn schließlich erlitt die Stadt Paris in den letzten fünfzig Jahren „einen Bevölkerungsrückgang von etwa 750.000 Menschen, während ihre Vororte, die Banlieue, erhebliche Steigerungsraten zu verzeichnen hatten“[7].

Außerdem soll untersucht werden, ob die Krawalle einen ethnischen Hintergrund haben. Todd stellt hierzu einen Vergleich zwischen amerikanischen Ghettos und französischen Banlieues her und kommt zu dem Schluss, dass Frankreich noch weit von amerika­nischen Zuständen entfernt sei, merkt aber auch an:

„Die Konzentration von 47% der Asiaten, 59% der DOM-TOM-Einwanderer und 64% der Afrikaner in der Ile-de-France macht allerdings aus bestimmten Vierteln von Paris [...] demographische Mikrokosmen.“[8]

Weitere Aspekte dieser Arbeit beziehen sich auf institutionellen Rassismus, Politik und Religion. Vor allem der Islam ist gerade heutzutage ein einfacher und willkommener Sündenbock für etwaige Unruhen.

„Einer Studie [...] zufolge verstärkte sich seither [seit dem 11. September, Intifada und Irak-Krieg] der Einfluss radikaler islamischer Kräfte, wobei zugleich auch festgestellt wurde, dass diese die Unruhen vom Oktober/November 2005 nicht geschürt hatten. Insgesamt ist jedoch das Anwachsen von gegenüber dem Westen und den Institutionen des (neuen) Heimatlandes konträren Parallelgesellschaften in einigen Stadtvierteln evident.“[9]

Der soziale Faktor soll ebenfalls nicht vernachlässigt werden. Soziale Probleme und Diskriminierung werden oft und gerne als Hauptursache für asoziales Verhalten angeführt, gerade in den Banlieues:

„Das hervorstechendste gemeinsame Strukturmerkmal aber ist die - im zeitlichen Verlauf - kontinuierliche Akkumulation sozialer Problemlagen bei der Wohn­ bevölkerung. Nahezu alle sozialen Probleme einer Gesellschaft, die sonst in räumlicher, zeitlicher und soziologischer Hinsicht dekonzentriert sind, ballen sich in signifikanter Weise in diesen Grand Ensembles.“[10]

Abschließend wird auf die Erfahrung oder den Zustand eingegangen, der als galere bezeichnet wird und „eine Art und Weise [ist], seine Jugend zu verbringen, aber keine Lebensform mit festgelegten Normen oder Regeln, die sich an vorhandene Verhaltens­muster oder kulturell geprägte Haltungen anlehnen würde“[11]. Dabei wird im Gegensatz zu den vorherigen Aspekten weniger Wert auf die Beurteilung der äußeren Rahmen­bedingungen gelegt, die zur galere führen, sondern mehr auf die psychischen Prozesse, die die galere-Situation mit sich bringt und ihre Folgen.

2. Politische Kultur

Zu Beginn der Arbeit soll kurz auf die politische Kultur Frankreichs eingegangen werden. Obwohl noch zu klären sein wird, ob die Vorstadtkrawalle überhaupt eine politische Note besitzen, erfolgt dieser thematische Abstecher aufgrund der Sonderrolle Frankreichs auf diesem Gebiet. Es soll gezeigt werden, dass politisch motivierte, gewalttätige Proteste in Frankreich nicht ungewöhnlich sind und eventuell auch die Unruhen in den Banlieues von dieser Neigung der Franzosen beeinflusst wurden. Kempf definiert politische Kultur folgendermaßen:

„Die "politische Kultur' einer Nation wird durch die in der Gesellschaft dominanten Einstellungen und die auf politische Sachverhalte bezogenen Werte, insbesondere durch politische und religiöse Überzeugungen, wirtschaftliche Interessen sowie Traditionen geprägt.“[12]

Die vier Hauptmerkmale der politischen Kultur Frankreichs sind:

- „Die Koexistenz einer misstrauischen Haltung zahlreicher Bürger gegenüber dem Staat und seinen Eingriffen in Wirtschaft und Gesellschaft einerseits mit dem Glauben an die umfassende Zuständigkeit des (Zentral-)Staates für die Lösung sozialer und politischer Probleme andererseits
- Eine große Meinungsvielfalt verbunden mit einer fragmentierten Konfliktstruktur und hoher Konfliktintensität
- Eine ausgeprägte Schwäche der Bindeglieder zwischen Bürgern und Staat und eine Kluft zwischen Bürgern und ihren politischen Eliten
- Eine gesellschaftsintegrierende Rolle der Nation als Identitäts- und Einheitsstifter“[13]

Der französische Verfassungsrechtler und Politologe Maurice Duverger beschreibt das Politik- und Demokratieverständnis seiner Landsleute folgendermaßen: „Demokratie, das ist der Staatsbürger gegen die Staatsgewalt, und nicht der Staatsbürger als Teilhaber an der Staatsgewalt.“[14] Der Grund hierfür liegt hauptsächlich in der einheitsstaatlichen Struktur Frankreichs, die fast die gesamte Macht auf die Regierung und die Bürokratie konzentriert und zivilen Akteuren kaum Spielraum für die Durchsetzung ihrer Interessen gewährt.

„Die Atomisierung der politischen Kultur und die relativ geringe Bedeutung sozialer Akteure wie Verbände, Gewerkschaften und Interessengruppen hat schwerwiegende Konsequenzen. Viele Probleme, die im Prinzip zwischen gesellschaftlichen Akteuren ausgehandelt und bewältigt werden könnten, werden in den politischen Raum transportiert.“[15]

So kommt es mitunter zu Strassenblockaden von Fernfahrern, gewalttätigen Bauern­oder Fischerprotesten, Studentenbewegungen, Demonstrationen und ganz allgemein zu Gewalt gegen Sachen. Allerdings sind diese „Unruhen“ im Gegensatz zu den Vorstadt­krawallen immer gegen bestimmte politische Entscheidung gerichtet.

„Politische Beteiligung beispielsweise nimmt nach wie vor häufig die Form eines gegen bestimmte staatliche Entscheidungen und Maßnahmen gerichteten, kurzfristigen Protestes an.“[16]

Dabei beziehen sich die Franzosen immer wieder auf die Errungenschaften der Französischen Revolution und drücken ihr Unbehagen gegenüber der Allmacht des Staates aus, ohne jedoch die französische Nation an sich zu kritisieren.

„Auch neuere Untersuchungen belegen, welch hohe Bedeutung Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität beigemessen wird. Wie kaum in einem anderen europäischen Land bestimmen geschichtliche Überlieferungen und das Bewusstsein von der Wichtigkeit kultureller Normen das politisch-soziale Denken und Handeln der Buerger. [...] . Dieser Nationalstolz geht einher mit zweierlei Empfin­dungen: dem Vertrauen in die politischen Institutionen einerseits, einer tiefen Skepsis gegenüber dem als anonym und allzu mächtig empfundenen Staat andererseits.“[17]

Gerade diese Mischung aus Vertrauen in und Skepsis gegenüber dem Staat ist ein zentraler Bestandteil der französischen politischen Kultur. Kempf sieht jedoch hier einen Bruch bei marginalisierten Jugendlichen, die die Nation eben nicht als Identitäts­und Einheitsstifter betrachten.

„Im Allgemeinen sind die jungen Franzosen keine großen Aufständler. [...] . Auf der anderen Seite existiert jedoch bei schlecht ausgebildeten Jugendlichen ein Radikali­ sierungspotential, das nicht übersehen oder verharmlost werden darf. Sie stehen nicht nur den Institutionen, sondern auch den demokratischen Werten kritisch gegenüber.“[18]

Im Allgemeinen kann die Neigung der Franzosen zu gewalttätigem Protest folgender­maßen zusammengefasst werden: „Unsere Tradition ist jene des spontanen Kampfes, der Revolte [...], Nach wie vor ist in Frankreich "die Bereitschaft zum Dialog zwischen Regierung, Sozialpartnern und ökonomischen Interessen, wie überhaupt in der Gesellschaft, unterentwickelt'.“[19]

So gesehen lassen sich auch die Unruhen in den Banlieues als spontane Revolte aufgrund schlechter oder überhaupt nicht existenter Interessenvermittlungen interpre­tieren. Allerdings fehlt den Unruhen nach wie vor ein politischer Forderungskatalog und so sind sie wohl vielmehr der abstrakte „Ausdruck einer Forderung nach Integration und Egalite. Der Zorn und die Gewalt sind in Frankreich die Sprache jener, die nicht gehört werden ... Frankreich ist das Land der Revolution. Seit 1789“[20] [21] [22].

3. Das Assimilationsmodell

Im Gegensatz zum Modell der multikulturellen Gesellschaft, wie es beispielsweise in Großbritannien praktiziert wird, verfolgt Frankreich das Assimilationsmodell konsequent wie kein anderes europäisches Land. Dabei versteht man unter Assimilation „die Herauslösung von Individuen aus ethnischen Gruppen einerseits und die Ablösung von ethnischen Kulturmustern andererseits“ sowie „die vollständige Angleichung an und Identifikation mit der Mehrheitsgesellschaft“[23] [24] [25]. Dagegen soll Integration hier als eine Form der Eingliederung von Zuwanderern durch die Mehrheits- gesellschaft betrachtet werden.

„Ziel dieses Modells ist es, die Immigranten als Individuen, nicht als Gruppe in die französische Gesellschaft, deren Identität bewahrt bleiben muss, zu assimilieren. Der Begriff der Ethnie wird im Sinne des Paradigmas der Gleichstellung aller Bürger - „25 negiert.“

[...]


[1] Vgl. Zeit 2005, http://www.zeit.de/online/2005/45/paris?page=all

[2] Vgl. Zeit 2007, http://www.zeit.de/online/2007/48/frankreich-krawalle-2

[3] Dubet 1994, S. 138

[4] Todd 1998, S. 341

[5] Kempf 2007, S. 370

[6] Vgl. Wetzel 2004, S. 403

[7] Kempf 2007, S. 366

[8] Todd 1998, S. 400

[9] Kempf 2007, S. 372

[10] Neumann 1993, S. 103

[11] Dubet 1994, S. 103

[12] Kempf 2007, S. 24

[13] Lasserre, Schild, Uterwedde 1997, S. 20

[14] Lasserre, Schild, Uterwedde 1997, S. 21

[15] Ebd.

[16] Ebd.

[17] Kempf 2007, S. 24 f.

[18] Kempf 2007, S. 27

[19] Ebd.

[20] Ebd.

[21] Vgl. Schwab 1997, S. 112

[22] Sackmann 2004, S. 26

[23] Ebd., S. 23

[24] Vgl. Sackmann 2004, S. 23

[25] Schwab 1997, S. 114

Excerpt out of 26 pages

Details

Title
Krawalle in Pariser Banlieues - Ursachen und Hintergründe exzessiver Jugendgewalt mit besonderem Blick auf Immigranten aus dem Maghreb
College
University of Passau  (Philosophische Fakultät)
Course
Sozialstrukturen europäischer Gesellschaften
Grade
1,7
Author
Year
2008
Pages
26
Catalog Number
V147237
ISBN (eBook)
9783640579846
ISBN (Book)
9783640580446
File size
593 KB
Language
German
Keywords
Krawalle, Pariser, Banlieues, Ursachen, Hintergründe, Jugendgewalt, Blick, Immigranten, Maghreb
Quote paper
Thomas Kresin (Author), 2008, Krawalle in Pariser Banlieues - Ursachen und Hintergründe exzessiver Jugendgewalt mit besonderem Blick auf Immigranten aus dem Maghreb, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147237

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