Das Motiv der unschuldigen, tugendhaften Tochter, die am Ende ihr Leben zur Einhaltung der bürgerlichen Konventionen lassen muss, wird von Lessing jedoch nicht nur auf Sara Sampson beschränkt: Mit Emilia Galotti entsteht ein weiteres bürgerliches Trauerspiel, welches durch den Tod eines Mädchens zwecks Rettung ihrer Tugend bei den Zuschauenden Mitleid auslösen und eine sittliche Besserung erzielen soll. Und Lessing ist nicht der einzige, der zu diesem Mittel greift: Große Ähnlichkeiten zu Sara und Emilia weist Schillers Luise in Kabale und Liebe auf. Zwar geht es hier – im Gegensatz zu den beiden Stücken von Lessing – um eine standesübergreifende Liebesbeziehung, welche jedoch auch aufgrund der Tugendhaftigkeit Luises scheitert und in den Tod der Liebenden mündet.
Doch treten diese drei weiblichen Figuren immerzu tugendhaft auf? Und darf ein Mädchen, dass den damals vorherrschenden Normen einer bürgerlichen, von allen Lastern freien Frau entspricht, überhaupt auf einer Bühne des 18. Jahrhunderts erscheinen? Um diesen Fragen nachzugehen erscheint es sinnvoll, neben einer genaueren Beleuchtung der drei Protagonistinnen einen genaueren Blick auf die theatrale Operation des Auftritts zu werfen und einen Bezug zwischen ebendiesem und dem Auftreten in der damaligen Gesellschaft herzustellen.
Auch kommt in den drei zu betrachtenden Dramen nicht nur das Bild der tugendhaften Frau, sondern scheinbar auch das genaue Gegenteil auf: Die Figuren Marwood, Orsina und Lady Milford verkörpern die jeweils eifersüchtigen, ehemals geliebten Nebenbuhlerinnen von Sara, Emilia und Luise. Erzielt das Auftreten dieser Negativ-Beispiele somit eine abschreckende Wirkung, die das Mitgefühl der Zuschauenden für die tugendhaften Mädchen verstärkt?
„Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen vielleicht unterliegen würde, hebt er plötzlich aus den gefährlichen Schranken.“ - Dies sind einige der letzten Worte, die Sara Sampson vor ihrem Tod spricht und mit denen sie auf eine wichtige, vor allem von den Frauen im 18. Jahrhundert geforderte Eigenschaft hinweist: die Tugend. Diese steht für Lessing in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „Mitleiden“ - der für ihn wichtigsten Funktion des bürgerlichen Trauerspiels, welches er mit Miss Sara Sampson in Deutschland einführte.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Miss Sara Sampson (1755)
- Sara: eine tugendhafte Tochter mit Fehltritt
- Die „Entartung der Muttergestalt“: Marwood
- Die Konfrontation von Tugend und Laster: Saras Begegnung mit Marwood
- Zusammenfassung
- Emilia Galotti (1772)
- Die unmündige Tochter: Emilia
- Die revolutionäre Frau: Orsina
- Claudia – eine stereotypische Mutter
- Zusammenfassung
- Kabale und Liebe (1784)
- Luise – die zu Fehltritten neigende Tochter
- Lady Milford - das lasterhafte Gegenteil Luises?
- Die Repräsentantinnen der Stände: Luises Begegnung mit Lady Milford
- Das,,Klischee der Typenkomödie“: Frau Miller
- Zusammenfassung
- Schlussfolgerungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht die Darstellung weiblicher Figuren im deutschen bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts. Sie analysiert die Charaktere Sara Sampson, Emilia Galotti und Luise aus Lessings „Miss Sara Sampson“, „Emilia Galotti“ und Schillers „Kabale und Liebe“ und beleuchtet deren Auftreten im Kontext der damaligen Gesellschaft.
- Die Rolle der Tugendhaftigkeit und ihre Konflikte mit gesellschaftlichen Normen
- Die Darstellung von Mutterfiguren und ihre Einfluss auf die Töchter
- Die Konfrontation von tugendhaften Frauen mit ihren „Gegenstücken“
- Der Einfluss des Theaters auf die Vorstellung von Weiblichkeit im 18. Jahrhundert
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel widmet sich der Figur der Sara Sampson in Lessings gleichnamigen Stück. Sara Sampson, die vor ihrem Vater geflohen ist, um mit ihrem Geliebten Mellefont zusammenzuleben, wird zunächst als nicht besonders tugendhaft dargestellt. Die Analyse beleuchtet jedoch, wie Saras Auftreten trotz ihres Fehltritts beim Publikum Mitleid erzeugt.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Darstellung von Emilia Galotti in Lessings „Emilia Galotti“. Emilia wird als unmündige Tochter präsentiert, die durch ihre Tugendhaftigkeit zu einem Opfer der gesellschaftlichen Konventionen wird. In diesem Kapitel werden die Konfrontation zwischen Tugend und Laster durch die Figur der Orsina, sowie die Rolle der Mutter Claudia untersucht.
Das dritte Kapitel widmet sich der Figur der Luise aus Schillers „Kabale und Liebe“. Die Analyse beleuchtet Luises Rebellion gegen die gesellschaftlichen Normen durch ihre standesübergreifende Liebe zu Ferdinand. Auch hier wird die Frage nach dem Einfluss der Mutterfigur auf Luises Entscheidungen untersucht.
Schlüsselwörter
Das deutsche bürgerliche Trauerspiel, Tugendhaftigkeit, Mitleid, weibliche Figuren, Mutterfigur, Konventionen, Gesellschaftskritik, Standesunterschiede, Liebe, Tod
- Citation du texte
- Scarlett Rostalski (Auteur), 2020, Weibliche Auftritte im deutschen bürgerlichen Trauerspiel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1475489