Streit um den Nichtraucherschutz

Ein Dialog aus konstruktivistischer Sichtweise


Seminararbeit, 2010

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


München Hauptbahnhof. Siegfried wartet auf den Zug zurück nach Münster. 20 Minuten Verspätung - wie immer, denkt er. Da fällt ihm ein Plakat auf: „Volksbegehren Nichtraucherschutz". Er denkt an die heiß diskutierten Forderungen der Nichtraucher und ruft sich die Schlagzeilen und Ereignisse rund um die Streitfrage der letzten Jahre nochmal vors innerliche Auge:

In den letzten Jahren haben sich Nichtraucher immer stärker gegen den gesundheitsschädigenden Qualm aufgelehnt, ihrem Recht auf eine saubere Umwelt Nachdruck verliehen. Verständlich, wenn man die vielen Schlagzeilen zu den Erkrankungen liest, welche aufgrund des Nikotinkonsums auftreten können. Ganz im Gegensatz zu früher, in einer Zeit, als in jeder Gaststätte, in jedem Café, sogar in jedem Büro das Rauchen absolut akzeptabel war. Eher für ein Statussymbol stand die Zigarette damals. Heute hat sich die Sichtweise gedreht, die Zigarette wird makaber verpönt als „ S argnagel ". Nun hat sich die G esellschaft gespalten , so scheint es, in Raucher und Nichtraucher. Verbote in Lokalitäten lassen die Raucher „ im R egen stehen " und die G astronomie verzweifeln . Gegner gehen so weit, ein Rauchverbot Deutschlandweit zu fordern. Dies war nicht durchsetzbar. Auf Länderebene soll nun über den Dunst in öffentlichen Einrichtungen entschieden werden. Einheitliche Regeln soll es für Bars, Restaurants und Diskotheken geben. Doch daran halten sich die Wirte kaum; sie gründeten Raucherclubs, um das Gesetz und entsprechende Regelungen zu umgehen. Das mag den Nichtrauchern wie ein Schlag ins Gesicht vorgekommen sein, doch der Streit ist noch nicht ausgetragen. Ende 2009 lief das Volksbegehren in Bayern, welches von mehr als einer Million Menschen unterschrieben wurde. Nun muss ein konsequenter Nichtraucherschutz erneut vom Landtag in einem Gesetzentwurf diskutiert werden. Eine nicht unkomplizierte Sache, vor allem, wenn beide Seiten weiterhin unnachgiebig und streitsüchtig bleiben. Jedoch ist so ein Konflikt nicht nur von der schlechten Seite her zu sehen. Es kann auch durchaus produktiv sein, da ein Verhältnis wechselseitiger Irritationen dazu führen kann, sein eigenes Verhalten aus einer anderen Perspektive erläutert zu bekommen, welches man anschließend auch selbst hinterfragen sollte. Mal sehen, wo diese Diskussion noch enden wird.

Die Zugankunft wird durchgegeben und der Zug fährt in den Bahnhof. Siegfried läuft zum Gleis, vorbei am Raucherbereich, an welchem sich die Rauchenden zitternd die letzte Zigarette vor der Abfahrt anzünden. Er steigt ein und setzt sich zu einem einzelnen Herrn. Beide sehen gedankenverloren aus dem Fenster, der Blick wie durch Zufall auf den Raucherbereich gerichtet.

Francisco: Wie sie so dort stehen und frieren in ihrem eingezeichneten Bereich, richtig isoliert wirkt das. Bei den ganzen Diskussionen und den eingeführten Bestimmungen im Zuge des Nichtraucherschutzes habe ich oft das Gefühl, die Welt unterscheidet sich nur noch anhand dieser Gruppen, der Raucher und der Nichtraucher.

Siegfried: Ja, den Eindruck könnte man anhand der Schlagzeilen bekommen. Stets wird in diesen zwei Unterteilungen der Bürger gesprochen. Ich würde dabei nicht von einer Unterscheidung sprechen, denn beide Gruppen sind ja erst einmal gleichwertig.

Francisco: Gleichwertig schon, aber es sind doch zwei zu unterscheidende Gruppen, oder was meinen Sie?

Siegfried: Auf einer allgemeinen Ebene müsste man in einem neutralen System von Distinktionen ausgehen, das ich als Wirklichkeitsmodell bezeichne. Neutrale Distinktionen, wie die Raucher und die Nichtraucher, werden in konkreten Situationen, immer dann, wenn geredet und gehandelt wird, erst zu Unterscheidungen und zwar durch individuelle Bewertungen. Man favorisiert eine Seite, zum Beispiel aufgrund der Handlungen der Raucher oder der Aussagen der Nichtraucher, und wenn das entschieden ist, dann kann ich Raucher oder Nichtraucher mit anderen semantischen Unterscheidungen, wie abhängig oder unabhängig, moralisch oder unmoralisch beobachten.1

Francisco: Hm, eine Seite bevorzugen werde ich dabei nicht. Diese ewige Diskussion um den Nichtraucherschutz scheint jedoch ein größeres Anliegen zu sein, als bisher angenommen. Beide Seiten haben Rechte, die sie einfordern, was in der Interaktion jedoch ein Problem darstellt. Für die Raucher gehört gerade der Konsum in einer Bar, einer Diskothek oder einem Restaurant zu einer geselligen und entspannten Atmosphäre. Die Nichtraucher sehen dies genau andersherum. Für sie ist der entstehende Rauch eine Belästigung, die ihnen den Aufenthalt in einer solchen Umgebung sehr unangenehm werden lässt. Für mich besteht Wirklichkeit darin, dass das Subjekt und das Objekt sich gegenseitig bestimmen und bedingen, der Erkennende und das Erkannte in wechselseitiger Abhängigkeit entstehen.2 Ein Raucher und seine Umgebung bedingen sich zum Beispiel insofern gegenseitig, da ein Raucher nur ein Raucher sein kann, wo es ihm erlaubt ist zu rauchen. Die Umgebung wird durch die Existenz der Raucher mittlerweile in Raucherbereiche und Nichtraucherbereiche eingeteilt. Die Nichtraucher in Interaktion mit den Rauchern bringen dazu den Streitpunkt des gesundheitsschädigenden Rauchs hervor, durch welchen sich erst die Diskussion in der Gesellschaft über das Rauchen etabliert hat. Erst ihre Reaktion, welche sich im Laufe der Jahre immer stärker gezeigt hat, brachte den Stein ins Rollen. So kann man sagen, dass alles, was man selbst, sozusagen subjektiv in der Welt wahrnimmt, in der man lebt, hängt eng mit dem, was man tut, zusammen.3

Siegfried: Wahrnehmung und Erkennen bilden demgemäß nicht eine objektive Wirklichkeit ab, sondern sie errechnen bzw. konstruieren etwas, das wir erkennend als Wirklichkeit akzeptieren und dem entsprechend wir uns verhalten und handeln.4 So wie Sie eben in ihrem Wirklichkeitsbegriff beschrieben haben, müssen sich beide Seiten in diesem Streifall gegenseitig aufeinander einlassen, um eine nachhaltige Lösung zu finden und ihren Disput nicht immer weiter zu vertiefen. Mit dem Volksbegehren „Nichtraucherschutz" ging die Diskussion bereits in die nächste Runde. Ich hoffe nur, dass Raucher und Nichtraucher doch noch bald einen gemeinsamen Nenner in ihren Ansichten finden. Ihre beschriebene Theorie kann ich daher gut nachvollziehen, wobei ich Subjekt und Objekt eher als unabhängige Ausgangseinheiten sehe, welche dann interagieren.

Francisco: So, Sie beschäftigen sich also mit dem Konstruktivismus, interessant.

Siegfried: Nun ja, ich habe mich einige Zeit mit konstruktivistischen Themen beschäftigt und dazu auch einiges veröffentlicht. Daher gehe ich in meiner Denkweise viele Dinge aus dieser Sichtweise an. Ich kann ihnen daher auch Recht geben, dass man ein Individuum nicht isoliert betrachten kann. Es ist ein Teil der Gesellschaft und darin eingebettet, auch wenn sie unterschiedliche Einstellungen haben. So verhält es sich auch mit den Rauchern und Nichtrauchern in der Gesellschaft. Die Raucher sehen in den Verboten ihr individuelles Recht zu Rauchen eingeschränkt, die Nichtraucher dagegen sehen ihr Recht in einer rauchfreien Umgebung, um keine Schadstoffe einzuatmen.

Francisco: Womit sich zeigt, wie Wahrheiten des Einzelnen auch nebeneinander in einer Gesellschaft existieren können.

Siegfried: Oh ja. Und das macht sich besonders bemerkbar, wenn man die unterschiedlichen Kulturen betrachtet. Durch die Kultur wird das Wirklichkeitsmodell einer Gesellschaft erst semantisch interpretiert.5 Bis vor einigen Jahren sah unsere Raucherkultur auch noch anders aus. Damals galt das Rauchen als ein intellektuelles Ritual, Autoren und Philosophen wurden oft mit einer Zigarette oder Pfeife als nachdenklich und schöpferisch charakterisiert. Somit hat diese Interpretation des Rauchens die Gesellschaft semantisch geprägt. Die Medien, die dies präsentierten, spielten dadurch der Gesellschaft eine Wirklichkeit vor, kreierten sogar die Wirklichkeit, in der es zum Prestige gehörte, zu rauchen. So wie es heute noch immer in anderen Bereichen geschieht. Erst durch die Forschung, welche uns vor Augen führt, wie gesundheitsschädigend der Konsum ist, zudem auch für andere Menschen durch das Passivrauchen, sind die Nichtraucher langsam wach geworden und auch so einige Raucher haben sich darauf bewusst dagegen entschieden. Dadurch hat sich die Kultur entwickelt.

Francisco: An diese Zeit, die Sie eben beschrieben haben, kann ich mich auch noch gut erinnern. Damals war das Rauchen absolut salonfähig, es wurde gar nicht besonders wahrgenommen, welche gesundheitsschädigenden Ausmaße das Rauchen hat. Dass dies eine von den Medien oder der Tabaklobby kreierte Wirklichkeit war, ist nicht zu bestreiten. Zu ihrem Punkt der Entscheidungsfindung muss ich sagen, dass ich das anders sehe. Meines Erachtens entscheidet man sich nicht rational, sondern eines Tages findet man eine Veränderung der eigenen Annahmen vor. Irgendwann betrachtet man sein eigenes Leben und stellt fest, dass man sich vielleicht noch grundsätzlicher verändern muss.6 Ich denke, dass es auch so bei den ehemaligen Rauchern eine solche Veränderung der Annahmen gegeben hat.

[...]


1 Pörksen B., S. 170-171

2 Pörksen B., S.118

3 Pörksen B., S.114

4 Schmidt S. J., S. 151

5 Pörksen B., S. 171

6 Pörksen B., S. 134

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Streit um den Nichtraucherschutz
Untertitel
Ein Dialog aus konstruktivistischer Sichtweise
Hochschule
Universität Augsburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
13
Katalognummer
V147659
ISBN (eBook)
9783640592388
ISBN (Buch)
9783640592302
Dateigröße
605 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nichtraucherschutz, Raucher, Nichtraucher, Debatte, Konstruktivismus, Siegfried J. Schmidt, Francisco Varela, Wahrheit
Arbeit zitieren
Daniela Manske (Autor:in), 2010, Streit um den Nichtraucherschutz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147659

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