Sprach- und Kulturtransfer zwischen Frankreich und Guadeloupe


Dossier / Travail de Séminaire, 2009

42 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geographische Angaben zu den Antillen

3. Historischer Kontext
3.1. Beginn der Kolonisierung in der Siedlergesellschaft
3.2. Die Entstehung der Pflanzer-Sklaven- Gesellschaft
3.2.1. Die Frage der Engagés
3.2.2. Der Import von Sklaven aus Afrika
3.3. Von der Abschaffung der Sklaverei bis zur Integration in den französischen Staat

4. Soziolinguistische Entwicklungen auf Guadeloupe
4.1. Soziolinguistische Entwicklungen in der Kolonialphase
4.2. Soziolinguistische Entwicklungen zur Zeit der Departementalisierung

5. Die aktuelle Sprachsituation auf Guadeloupe
5.1. Standartfranzösisch
5.2. Lokales Französisch
5.3. Kreolisch
5.4. Elemente des Französischen im Kreolischen von Guadeloupe
5.4.1. Ausgewählte phonetische und phonologische Merkmale
5.4.2. Einige morphosyntaktische Merkmale
5.4.3. Lexik des Kreolischen
5.5 Die kreolische Sprache in der Departementalisierungszeit
5.5.1. Einfluss der Migration
5.5.2. Einfluss des französischen Bildungssystems
5.5.3. Einfluss der französischen Sprach- und Kulturpolitik
5.5.4. Einfluss des Tourismus
5.6. Aufwertungsversuche des Kreolischen
5.6.1. Verwaltung und Kirche
5.6.2. Werbung und audiovisuelle Medien
5.6.3. Literatur und Printmedien
5.6.4. Zu der Diskussion über das Kreolische in der Schule
5.6.5. Eine neue Sprachpolitik
5.7. Französisch und Kreolisch im Alltag
5.7.1. Spracherwerb und Sprachverwendung auf Guadeloupe
5.7.2. Französisch und Kreolisch in der Gesprächssituation
5.8. Resümee

6. Zusammenfassung

7. Bibliographie

1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern von einem Sprach- und Kulturtransfer zwischen Frankreich und der ehemaligen Kolonie Guadeloupe in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart gesprochen werden kann. Um diese Frage zu beantworten, wird nach einer kurzen geographischen Einführung ein erster Blick auf die Geschichte und die soziolinguistischen Entwicklungen der Region geworfen, die das Verständnis der aktuellen Sprachsituation erleichtern können. Im folgenden Kapitel wird es auf die Sprachen, die heute auf Guadeloupe verwendet werden, und ihren heutigen Status eingegangen. Danach wird das Kreolische in Hinsicht auf eine mögliche Abstammung vom Französischen untersucht. Die folgenden Kapitel zeigen auf, wie sich die Sprachsituation seit der Departementalisierung zugunsten des Französischen geändert hat und welche Aufwertungsversuche des Kreolischen in verschiedenen Bereichen unternommen wurden. Abschließend wird es in Anlehnung an eine Studie der Augsburger Romanistin Ursula Reutner näher auf den Spracherwerb und die Sprachverwendung der kreolischen und französischen Sprache auf Guadeloupe eingegangen und es wird versucht die in der Überschrift angekündigte Frage zu beantworten.

2. Geografische Angaben zu den Antillen

Guadeloupe gehört zu den Antillen (portugiesisch „vorgelagerte Inseln“), die als Gipfel einer submarinen Bergkette zwischen dem Karibischen Meer und dem Atlantik hervorragen und einen in weitem Bogen geschwungenen Archipel bilden. Sie erstrecken sich von Cube im Nordwesten bis zur Insel Trinidad, die vor der Westküste Südamerikas liegt. Erst vor 25 Millionen Jahren haben sich die Karibischen Inseln aus dem Ozean erhoben, also sind sie relativ jungen Ursprungs. Die Inselkette wird in zwei Hauptgruppen unterteilt: Cuba, Jamaica, Hispaniola und Puerto Rico bilden die Großen Antillen, an die sich die erdgeschichtlich jüngeren Virgin Islands bis Aruba reichenden Kleine Antillen anschließen. Im englischen Sprachraum werden die Antillen unter dem Begriff Westindien zusammengefasst, der auf Kolumbus` Irrtum beruhte, der sich, als er 1492 die Neue Welt entdeckte, bekanntlich in Indien glaubte. Weitere verwirrende Namengebungen der Antillen sind auf die Passatwinde zurück zu führen: Franzosen, Spanier und Niederländer nennen die luvseitig zum Nordostpassat liegenden Inseln von den Virgin Islands bis Trinidad „Inseln über dem Winde“ (Leeward Inseln) und die sich dem Windeinfluss entziehenden, der venezuelanischen Küste vorgelagerten Inseln von Margerita bis Aruba „Inseln unter dem Winde“ (Windward Inseln). Martinique und Guadeloupe werden auch französische Antillen genannt, weil sie sowie die kleinen Inseln in der Umgebung von den Franzosen kolonisiert wurden und auch heute als selbstständige Überseedepartements politisch noch zu Frankreich gehören.

Der Guadeloupe-Archipel liegt mitten im Azurblau der Karibik und ist 7000 Kilometer von Europa entfernt. Der Archipel besteht aus acht bewohnten sowie weiteren kleinen unbewohnten Inseln: die Hauptinsel Guadeloupe mit den zwei landschaftlich sehr unterschiedlichen Inselhälften Basse-Terre und Grande-Terre, die nur durch einen schmalen Meeresarm voneinander getrennt sind und deren Form an die eines Schmetterlings erinnert, wird oft auch der „Schmetterling der Karibik“ genannt. In unmittelbarer Nähe zu diesen liegen die ebenfalls bewohnten Inseln Marie-Galante und La Désirade, die zwei kleinen unbewohnten Iles de la Petite Terre sowie die kleine Inselgruppe der Iles des Saintes, die zwei bewohnte und sieben unbewohnte Inseln umfasst. Bis 2007 gehörten auch die Insel Saint-Barthélemy und der Französische Teil der Insel Saint-Martin politisch zu Guadeloupe. Diese liegen ca. 200 km nördlich der Hauptinseln. Im Februar 2007 wurden die beiden Inseln von Guadeloupe abgetrennt und zu zwei eigenen überseeischen Gebietskörperschaften (collectivité d`outre-mer) aufgewertet. Internetquelle 1 gibt für 2005 eine Gesamteinwohnerzahl von 448713 (Juli 2005) auf 1780 km2 Fläche an. Die ethnische Struktur wird auf Guadeloupe zu rund 90% von Schwarzen oder Mulatten geprägt. Ungefähr 5% der Bevölkerung sind Weiße. Inder, Libanesen und Chinesen machen zusammen weniger als 5% aus.

3. Historischer Kontext

3.1. Beginn der Kolonisierung in der Siedlergesellschaft

Die neuzeitliche Geschichte der Antillen beginnt mit Christoph Kolumbus (1452-1506), der auf seiner zweiten Atlantiküberquerung am 4. November 1493 Karukera, „die Insel der schönen Wasser“ entdeckte. Er taufte sie später auf den Namen Santa Maria de Guadalupe de Extremadura, kurz Guadalupe, im Namen der spanischen Krone und in Gedenken an ein spanisches Kloster. Vor der Ankunft der Europäer lebten auf den Antilleninseln bereits Indianer aus Zentralamerika, die wiederum die Arawak, die eigentlichen friedlichen Ureinwohner, vertrieben hatten. Die Kontakte zwischen Indianern und Weißen waren von Anfang an durch Kampf gekennzeichnet, weshalb die Bevölkerung der Insel schon sehr dezimiert war, als die Franzosen Guadeloupe schließlich in Besitz nahmen.

1635 gründete Richelieu die erste große Handelsgesellschaft, die Companie des Isles d`Amérique, die den Grundstein der späteren Kolonialmacht Frankreich legen sollte. Damit wollte die französische Krone ihre Machtposition im Karibischen Raum vor Angriffen der Spanier, Holländer und Engländer sichern.

Im Juni 1635 landeten die beiden Abenteurer Charles Liénard de l`Olive und Jean Duplessis d`Ossonville auf Guadeloupe, um mit ihrer Gefolgschaft von 550 Pionieren die Besiedlung in Angriff zu nehmen. Danach kam Pierre Belain d`Esnambuc mit 135 Männern aus Saint Christophe. Die Dominikanerpater Breton1 und Du Tertre2 begleiteten de l`Olive und Duplessis und sollten die Inselbevölkerung evangelisieren. In ihren Berichten, auf deren sich alle historischen Studien über die Anfänge der Besiedlung der französischen Antillen stützen, geben sie ausführlich Auskunft über die zahlreichen und unerwarteten Probleme bei der Besiedlung. Die Anwesenheit von Karaiben, einem sehr kriegerischen Indianervolk, das heftigen Widerstand gegen die Eroberungsversuche der Europäer leistete, war dabei eine der Hauptschwierigkeiten. Die Karaiben unterlagen dann letztlich den Ausrottungsaktionen, wurden deportiert oder fielen den eingeschleppten Seuchen zum Opfer. Damit stand der Besiedlung nichts mehr im Wege.

3.2. Die Entstehung der Pflanzer-Sklaven-Gesellschaft

3.2.1. Die Frage der Engages

Im Dezember 1674 wurde die Annexion der Guadeloupe durch das Königreich Frankreich aufgrund des Edit Royal vollzogen. Das Hauptziel war dabei die Insel best möglichst auszubeuten. Und um den Anbau seltener und somit interessanter Rohstoffe wie Tabak, Baumwolle und Indigo voranzutreiben, bedurfte es einer weiteren Intensivierung der Besiedlung. Deshalb heuerte die Compagnie des Isles d`Amérique französischen Kleinbauern an, so genannte Engagés, die beim Aufbau der Kolonien mitwirken sollten (vgl. dazu Kunz 1994, S.23). Es handelte sich dabei um „ [...] ouvriers agricoles, [...] des artisans, des tonneliers, les charpentiers de moulin, des forgerons, des commandeurs“ (Debien 1952, S.185 In: Fleischmann 1986, S.65) aus den Hinterlandprovinzen der großen Handelshäfen Le Havre, Dieppe oder La Rochelle. Diese landlose Bauern und Handwerker erhielten gegen die Verpflichtung, drei Jahre für die Kompanie, Kaufleute oder einen einzelnen Grundherrn zu arbeiten, eine Handgeld, freie Überfahrt in die Kolonien und nach Ablauf des Kontraktes ein Stück Land oder eine finanzielle Entschädigung, die es ihnen erlauben sollte, auf den Inseln eine Existenz zu gründen (vgl. Fleischmann 1986, S.64).

Die Institution der Kontraktarbeiter war aber trotz massiver Unterstützung seitens der französischen Krone bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts zum Scheitern verurteilt, weil die aus Frankreich stammenden Engag e s den harten Arbeitsbedingungen im tropischen Klima nicht gewachsen waren und darüber hinaus von ihren Herren schlecht ernährt und behandelt wurden. Obwohl das Interesse der Kompanie auf eine Besiedlung der Territorien durch Weiße gerichtet war, setzte sich die „société d`habitation“3 zwar überwiegend aus Europäern zusammen, zählte aber auch schon zahlreiche Schwarze, die bereits seit 1650 auf die Insel gebracht wurden, weil die weißen Siedler den Zuckerrohranbau nicht mehr alleine bewältigen konnten.

3.2.2. Der Import von Sklaven aus Afrika

Das Erlöschen der französischen Emigration, aber vor allem die Einführung des Zuckerrohranbaus durch aus Brasilien vertriebene Holländer, die die Franzosen in das Geheimnis der Zuckerraffination einweihten, bewirkten einen grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen und auch sprachlichen Wandel auf den französischen Antillen. Die älteren Kulturpflanzungen Guadeloupes (Tabak, Indigo, Kaffee, Kakao, Vanille, Zitrusfrüchte und Baumwolle), die die Engag e s auf kleinen Grundstücken angebaut hatten, wurden nun rigoros vernichtet, um Platz für Zuckerrohr zu schaffen, das als Monokultur auf Plantagen weite Flächen der Insel beanspruchte.

Der Anbau des „Weißen Goldes“ (Kunz 1994, S.24) erwies sich als großer Erfolg, die Nachfrage in Europa wurde immer stärker. Doch bald schon konnte der Markt nicht mehr gesättigt werden, da es auf der Insel an Arbeitskräften mangelte. Man brauchte vor allem Arbeiter, die klimatisch belastungsfähiger und aus Gründen der Profitmaximierung billiger sein mussten.

In einer ähnlichen Situation hatten die Spanier bereits 1506 afrikanische Sklaven auf den Plantagen von Haiti eingesetzt. Mitte des 17. Jahrhunderts folgten nun auch die Franzosen diesem Beispiel. Durch die Zustimmung des Königs Ludwig XIV und des Finanzministers Colbert in einem Edikt, datiert vom 26. August 1670, etablierte sich reger Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und der Karibik: Schiffe mit französischen Waren (Waffen, Textilien, Schnaps, Spiegel) für den Austausch beladen, wurden von Dunkerque bis Bayonne nach Westafrika geführt. Handelspartner an der Guineaküste waren „schwarze Oberhäupter, die Kriegsgefangene aus anderen Völkern oder Verbrecher aus den eigenen Reihen [zum Verkauf] anboten“ (Kunz 1994, S.25), die dann auf die Karibikinseln gebracht wurden.

Mit der Ankunft von Schwarzen aus Afrika entstand notwendigerweise eine neue Klassengesellschaft auf den französischen Antillen, die Chaudenson (1995, S.64ff) „société de plantation“ (1685-1848) nennt, in der sich der Prozentsatz der Weißen noch stärker zugunsten der Farbigen änderte. Neben der Klasse der herrschenden weißen Herren, die sich in eher ärmliche Bauern (petits blancs) einerseits und reiche Plantagenbesitzer (grands blancs oder békés) andererseits spalteten, gab es die Klasse der rechtlosen Sklaven, die überwiegend als Plantagenarbeiter tätig waren. Trotz der Trennung und der hierarchischen Gliederung der zwei Rassen bildete sich bald eine kleine Schicht, die Schicht der Mulatten4, die zunächst ohne Status war, aber bei der Verwaltung der Kolonie mithalf und Aufsichtsfunktionen übernahm. Da diese Zwischenschicht die strenge Hierarchie der Pflanzer-Sklaven-Gesellschaft gefährdete, wurde eine Regelung des Zusammenlebens zwischen Weißen und Schwarzen immer notwendiger. Von Colbert, der sich auf die Berichte der Intendanten der Antillen stützte, wurden 1685 die Sklavengesetze, in 60 Titel unterteilt, verkündet, die unter dem Namen Code Noir bekannt wurden. Hier ist ein Ausschnitt aus dem Code Noir:

« Déclarons les esclaves être meubles... Voulons que les hommes libres qui auront eu des enfants avec des esclaves soient condamnés et les dits esclaves confisqués au profit de l’ hôpital... Leur défendons de tenir le marché des esclaves le dimanche... Défendons aux curés de marier des esclaves sans le consentement de leurs maîtres... Les enfants qui naîtront seront esclaves... les esclaves non baptisés seront enterrés de nuit dans un champs voisin... Les esclaves abandonnés seront adjugés à l’hôpital... Déclarons les esclaves ne pouvoir avoir rien qui ne soit à leur maître... Ne pourront les esclaves être partie civile, tant en demandant qu’en défendant...Voulons que l’esclave qui aura frappé son maître au visage soit puni même de mort...L’esclave pourra être abandonné à celui à qui il aura fait du tort... L’esclave fugitif aura les oreilles coupées, s’il récidive, il aura le jarret tranché et la troisième fois il sera puni de mort... Enjoignons de gouverner les esclaves comme bons pères de famille...

Car tel est notre bon plaisir. Signé : Louis. »5

Diese Gesetze waren von grundlegender Bedeutung, da sie der Sklaverei einen rechtlichen Status verliehen und sie somit anerkannten. Mit der Französischen Revolution hätte eine Änderung anstehen können: am 4. Februar 1794 wurde per Dekret die Abschaffung der Sklaverei in allen französischen Kolonien beschlossen. Das Dekret wurde jedoch nie umgesetzt und angewendet. Unter Napoleon wurden 1802 die Abschaffungsdekrete wieder aufgehoben und 1805 die weitere Anwendung des Code Noir ausdrücklich bestätigt, so dass er bis zur Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien im Jahre 1848 gültig war.

Nachdem Colbert im Jahre 1664 die Compagnie des Indes Occidentales gegründet hatte, versuchte die westindische Handelsgesellschaft ein Handelsmonopol zu errichten. Doch erst 10 Jahre später erlangte Frankreich dank der Einführung des Pacte colonial das Zuckermonopol in Europa. Je größer die Gier der Europäer nach Zucker wurde, desto mehr versuchten die europäischen Großmächte, sich ihre Besitzungen in der Karibik streitig zu machen. Während des Siebenjährigen Krieges fiel Guadeloupe (1759) an England. Laut Beschluss des Pariser Vertrages mussten die Engländer die Insel 1763 an Frankreich wieder zurückgeben.

3.3. Von der Abschaffung der Sklaverei bis zur Integration in den französischen Staat

Die Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit entwickelten sich im Frankreich der Aufklärung. Diese Ideen standen aber im extremen Widerspruch zu dem, was in den Kolonien praktiziert wurde. Nach der Einberufung der Generalstände 1789 breitete sich auch in den Kolonien eine revolutionäre Stimmung aus. Und Guadeloupe hat ihre eigene Geschichte der Revolution, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden kann. Es ist aber zu bemerken, dass die herrschenden Klassen durch die hohen Verluste unter den Sklaven während der Französischen Revolution und der Bürgerkriege sehr geschwächt wurden. Obwohl der Nationalkonvent auf Initiative des Abtes Henri Grégoire bereits im Februar 1794 die Befreiung der Sklaven beschlossen hatte, wurde das offizielle Dekret über die Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien erst am 27. April 1848 in Paris von dem elsässischen Humanist Victor Schoelcher ausgesprochen. In Guadeloupe wurden damit Sklaven, die 80% der Bevölkerung bildeten6, zu freien Bürgern. Nach einer ersten Massenflucht (marronnage) der ehemaligen Sklaven von den Plantagen waren viele von ihnen durch äußere Umstände (Mangel an Landbesitz, Ausbildung, Kapital) dazu gezwungen, als freiwillige Arbeiter zurückzukehren. Da neue Sklaventransporte ausblieben, mangelte es überall an Arbeitskräften. Deswegen wurden die Vertragsarbeiter aus Indien und China nach Guadeloupe geholt. Zwischen 1854 und 1889

kamen mehr als 67000 Coolies7 auf die französischen Antillen, um als Tagelöhner, zwar mit einem Vertrag in der Hand, aber unter ähnlichen ausbeuterischen Bedingungen wie zuvor die Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen zu schuften (vgl. Kunz 1994, S.30). Die kolonialen Organisationsformen wurden also in der Zeit von 1848 und 1946 beibehalten, denn die Franzosen aus der Metropole, Métros, das ökonomische Geschehen dominierten. Ende des 19. Jahrhundert setzte die Zuckerkrise ein, Löhne konnten nicht mehr gezahlt werden, es kam zu Streiks und Arbeiteraufständen. Der Ruf nach rechtlicher Gleichstellung mit den Festlandsfranzosen wurde immer lauter. Nach und nach erhielten die Bewohner der Guadeloupe französische Schulbildung, Wahlrecht und auch die Wehrpflicht. Im ersten Weltkrieg mussten über 52000 Antillaner für Frankreich an die Front rücken (Kunz 1994, S.32). Und auch während des Zweiten Weltkrieges bekamen die Vichy-treuen französischen Antillen ihre Abhängigkeit vom Mutterland deutlich zu spüren. Aufgrund eines Embargos riss die Versorgung durch Frankreich, das gewöhnlich Nahrungsmittel nach Übersee exportierte, ab und die Antillaner saßen auf ihren überschüssigen Zuckerbergen.

Der Prozess der Departementalisierung gekennzeichnet die anschließende Nachkriegszeit. Die Departementalisierung entspricht dem Wunsch und der Hoffnung der Bevölkerung der Guadeloupe, sich von den Zwängen des Kolonialstatus zu befreien und die gesellschaftspolitischen Unterschiede zum Mutterland Frankreich zu nivellieren. Die Departementalisierung wird als das Ende des Kolonialsystems und als entscheidendes auslösendes Element für die Gleichstellung mit den französischen Staatsbürgern angesehen. Mit der loi № 46-451 vom 19. März 1946 verwandelte sich Guadeloupe in Département d`outre mer (DOM) und ihre Bewohner wurden zumindest juristisch Français à part entière. Auf die gesellschaftlichen und kulturellen Unterschiede zum europäischen Frankreich wurde dabei kaum Rücksicht genommen, sondern die vollständige Assimilation angestrebt.

Als Antwort auf diese Politik entstanden in den 1980er Jahren nationale Bewegungen, die eine Lösung von Frankreich anstreben. Diese betonten die Eigenständigkeit der antillanischen Kultur und setzten sich für die kreolische Sprache ein. Die Independentisten waren aber vor allem bestrebt, die Eigenverantwortlichkeit der Bevölkerung für ihr Land zu entwickeln. Jedoch hält der Größte Teil der Bevölkerung eine Unabhängigkeit von Frankreich gegenwärtig nicht für realistisch. Mit der Einführung der Regionen als Gebietskörperschaften in Frankreich durch die Dezentralisierungsgesetze 1982 erhielt Guadeloupe ebenso wie die anderen Überseedepartements auch den Status einer Region.

4. Soziolinguistische Entwicklungen auf Guadeloupe

4.1. Soziolinguistischen Entwicklungen in der Kolonialphase

„Internationalität“ und ein „Nebeneinander relativ unabhängiger Produktionsgemeinschaften mit gering entwickelter sozialer Hierarchie“ (Fleischmann 1986, S.60) prägt die Periode zwischen 1636-1685 aus soziolinguistischer Sicht. Fleischmann vermutet, dass diese Umstände die Beibehaltung von Herkunftssprachen und die Entwicklung von Verkehrsjargons förderten. Er geht davon aus, dass die sprachlichen Verhältnisse in den französischen Kolonien im 17. Jahrhundert wenig gefestigt und sehr vielfältig waren, denn einerseits kamen Menschen aus sehr verschiedenen Herkunftsgebieten hier zusammen, auf der anderen Seite waren die sozialen Strukturen noch nicht so erstarrt, dass sie die Kommunikation in bestimmte, durch sprachliche Gewohnheiten gekennzeichnete Kanäle leiten hätten können. Die geringe Bevölkerungszahl und die wirtschaftliche Diversität und Mobilität einer nach der geeigneten Wirtschaftsbasis suchenden Kolonie lassen nicht wahrscheinlich erscheinen, dass sie als geschlossene Kommunikationseinheit zu verstehen war. Vermutlich war das sprachliche Bild dieser Epoche durch eine Vielzahl nebeneinander bestehender, sich ständig wandelnder Jargons bestimmt, die verschwanden oder ins Kreolische einmündeten, als diese Sprache ein Merkmal der Sklaverei wurde.

Innerhalb der Vielfalt all dieser Sprachformen mussten aber einige größere Chancen gehabt haben, sich zu stabilisieren. Hierzu gehören vor allem die Sprachformen der Arbeitskräfte, die mit der Ausdehnung der Exportkulturen immer mehr benötigt wurden. Zunächst waren es die Kontraktarbeiter (Engag e s) vor allem nordfranzösischer Herkunft, und später waren es in wachsendem Maße afrikanische Sklaven. Es ist aber anzunehmen, dass die Sprachen der europäischen Einwanderer auf den französischen Antillen als relativ homogen im Vergleich zur Sprachenvielfalt der Sklaven betrachtet werden können, die aus den unterschiedlichsten Ethnien und Stämmen Schwarzafrikas auf den Plantagen zusammengewürfelt wurden.8

Da auf den ersten Plantagen Franzosen und Afrikaner anfangs zusammenlebten, hatte zweifellos der von ihnen verwendete Jargon die besten Überlebens- und Stabilisierungschancen. Reutner (2005, S.6f) weist auf die engen Kontakte zwischen beiden Bevölkerungsgruppen hin und vertritt die Meinung, dass Sklaven zumindest anfangs guten Zugang zur kolonialen Koiné der weißen Siedler hatten. Hinzu kommt, dass Sklaven von Sklavenhändler schon in Afrika systematisch ihrer Persönlichkeit beraubt und ihrer Identität entfremdet wurden beziehungsweise viele Sklaven schon als Kinder oder Jugendliche in die neue Welt kamen. Deshalb kommt Reutner (2005, S.7) zu dem Schluss, dass die sozioökonomische Bedeutung des Französischen die Sklaven motiviert haben muss, diese Sprache schnell zumindest annähernd zu lernen und in Form eines français approximatif selbst zu verwenden, auf Grund der Sprachenvielfalt der Sklaven auch für interne Kommunikation.

Da die Engagés abwanderten und fast nur Weiße höherer sozialer Abkunft zurückblieben, dürfte sich allmählich das Französische als Verkehrssprache der Herren durchgesetzt haben, insbesondere da die eine weitere Möglichkeit war, ihren Status gegenüber der Sklavenbevölkerung zu betonen.

Es ist aber schwierig zu sagen, ob die vorherrschende Sprache auf Guadeloupe um die Wende zum 18. Jahrhundert gemäß der allgemein akzeptierten Entscheidung schon ein Kreolisch, das heißt die Muttersprache der Sklaven gewesen ist, oder ein Pidgin, eine als Hilfsmittel dienende Zweitsprache. Chaudenson (1995, S.64) geht davon aus, dass auf den Antillen kein Pidgin der Entstehung der Kreolsprache vorangeht.

In der zweiten Besiedlungsphase, der Zeit der „société de plantation“ (Chaudenson 1995, S.64ff) von 1685-1848, hat ein Teil der privilegierten, in der Kolonie geborenen Kreolsklaven weiterhin Zugang zum Französisch der Békés9, während die neu angekommenen Bossalsklaven, die in Afrika geboren wurden, vor allem mit den approximativen Französisch der Kreolsklaven konfrontiert wurden, so dass der Kreolisierungsprozess einsetzte und sich bald kontinuierlich beschleunigte. Zur Zeit der französischen Revolution sind Kreolsprachen als Produkte der Kolonisation und damit der Domination der Weißen gegenüber den Schwarzen, auf Guadeloupe etabliert.

4.2. Soziolinguistische Entwicklungen zur Zeit der Departementalisierung

Als Guadeloupe 1946 zum französischen Departement ernannt wurde, war das kollektive sprachliche Kompetenzverhalten noch durch Einflüsse der Kolonialzeit geprägt. Darüber schreibt Kremnitz (2002, S.339ff) in der Festschrift Romanische Sprachen in Amerika:

„[...] praktisch die gesamte Bevölkerung beherrschte das Kreolische (unter Ausschuss einiger weniger eingewanderter Europäer, von denen die meisten als Kolonialbeamte nur begrenzte Zeit auf der Insel blieben), die Französischkenntnisse nahmen hingegen in dem Maße ab, in dem man sich auf der sozialen Leiter der Gesellschaft abwärts bewegte. Am Ende der Skala befand sich eine Gruppe von Menschen, welche weder alphabetisiert waren, noch eine aktive Beherrschung der dominanten Sprache aufweisen konnten (ein gewisses passives Verständnis darf aufgrund der genetischen Verwandtschaft der beiden Sprachen vermutet werden).“

Demnach nahm die kreolische Sprache in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch einen wichtigen Platz in der Antillengesellschaft ein und vor allem im ländlichen Raum war sie für viele Personen nach wie vor die Erstsprache.

Kremnitz (2002, S.340) berichtet auch, dass er zu Beginn der 1970er Jahre zu Landarbeitern und auch Städtern aus Fort-de-France Kontakt hatte, die nicht in der Lage gewesen wären, einen französischen Satz zu sagen, sondern mit denen die Konversation auf Kreolisch erfolgen musste. Und sogar Sprecher mit einer gewissen formalen Bildung „bewegten sich häufig, wenn sie Französisch sprechen wollten, in einem kreolisch-französischen Kontinuum, das für mit dem Kreolischen nicht Vertraute bis an die Grenzen der Verständlichkeit gehen konnte“, konstatiert Kremnitz (2002, S.340). Obwohl die geschilderte Situation sich auf Martinique abspielt, kann man vermuten, dass genau das Gleiche auch auf Guadeloupe stattfinden könne, weil die beiden Inseln viele Gemeinsamkeiten in ihrer Entwicklung aus soziolinguistischer Sicht haben.

Es scheint auch verständlich, dass mit der Departementalisierung und der damit verbundenen Durchsetzung der Schulpflicht und dem Ausbau des Schulsystems, der Unterricht weiterhin auf Kreolisch erfolgte und das Französische nicht von heute auf morgen als Erstsprache verwendet wurde. Indem das Kreolische aber unter starkem sozialen Druck stand und die Frage der Erstsprache von der Schichtzugehörigkeit abhing, konnte ein Substitutionsprozess eigentlich gar nicht mehr aufgehalten werden. Deswegen äußert sich Edouard Glissant10 sehr kritisch zu den Auswirkungen der Departementalisierung, in der er ein Niederwalzen der Charakteristika der Kultur der französischen Antillen und eine Französisierung des Lebens sieht, die mit einer Entkreolisierung einhergeht und eine Erlahmung der Persönlichkeit des Antillaners bewirkt:

[...]


1 Breton (Père R.): Relations de l`île de la Guadeloupe, Basse-Terre 1978.

2 Tertre (Père du): Histoire générale des Antilles habitées par les Français, Paris 1667-1671.

3 So bezeichnet Chaudenson (1995, S.58ff) die Bevölkerung in der ersten Besiedlungsphase von 1636-1685

4 Der Mulatte war der Sohn oder die Tochter eines weißen Herren und einer Sklavin zu Beginn der Entstehung der Pflanzer-Sklaven-Gesellschaft

5 http ://www.karaibes.com/histoire6.htm, Stand: 4.01.2009

6 http://www.cr-guadeloupe.fr/archipel/ARB, Stand:7.01.2009

7 Indische Arbeiter und deren Nachkommen

8 Die Sklaven gemeinsamer Herkunft wurden häufig bewusst getrennt, um so die Verständigungsmöglichkeit und den Zusammenhalt zwischen ihnen zu schwächen und damit eventuellen Aufständen vorzubeugen.

9 Dieser Ausdruck bezeichnet die reichen weißen Siedler und wird auch heute noch für ihre Nachfahren verwendet.

10 Glissant, Edouard: Le discours antillais. Paris 1981.

Fin de l'extrait de 42 pages

Résumé des informations

Titre
Sprach- und Kulturtransfer zwischen Frankreich und Guadeloupe
Université
Dresden Technical University
Note
1,0
Auteur
Année
2009
Pages
42
N° de catalogue
V147706
ISBN (ebook)
9783640585380
ISBN (Livre)
9783640585519
Taille d'un fichier
596 KB
Langue
allemand
Mots clés
Sprach-, Kulturtransfer, Frankreich, Guadeloupe
Citation du texte
Ada Gorskih (Auteur), 2009, Sprach- und Kulturtransfer zwischen Frankreich und Guadeloupe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147706

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