Aus heutiger Sicht der Bewegungswissenschaft erscheinen Informationsverarbeitungs- bzw. kognitive Ansätze zur Kontrolle und Steuerung von Bewegung in vielen Aspekten unzureichend. So stoßen diese an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Phänomene wie Flexibilität, d. h. die schnelle und adäquate Anpassung der Bewegung an sich verändernde Situationen, oder Variabilität in der Bewegungsausführung zu erklären, die beim motorischen Lernen auch nach zahlreichen Bewegungswiederholungen auftritt.
Mit Hilfe des systemdynamischen Ansatzes können derartige Phänomene erklärt werden. Gleichzeitig gibt dieser Ansatz Antworten auf die Frage, wie die Koordination bzw. Kontrolle der menschlichen Bewegung gelingen kann, die „unbestritten als ein komplexer Sachverhalt“ (Roth & Willimczik, 1999, S. 92) gilt.
Welche Konsequenzen für das Lehren und Lernen von Bewegung folgen aus diesen Über-legungen? Ich möchte mich im Folgenden auf das differenzielle Lehren und Lernen konzentrieren, das auf den Trainings- und Bewegungswissenschaftler Wolfgang Schöllhorn zurückgeht. Es impliziert die bereits angedeutete Kritik an traditionellen Ansätzen zum motorischen Lernen, die ich zunächst erläutern werde.
Daran anschließend werde ich die Kennzeichen des systemdynamischen Ansatzes darstellen und einen Überblick geben über den Forschungsstand zur Übertragung dieser ursprüng-lich aus der Physik stammenden Wissenschaft auf den Bereich menschlicher Bewegungen.
Denn von diesen Erkenntnissen ausgehend leitet Schöllhorn seine differenzielle Lehr- und Lernmethode ab. Dabei stehen neben den Mechanismen der Bewegungsorganisation praktisch-methodische Lehr- und Lernprinzipien im Vordergrund der Ausführungen. Zudem werde ich zwei Experimente vorstellen, die die Bedeutung und Überlegenheit des differenziellen Lehrens und Lernens gegenüber traditionellen Ansätzen verdeutlichen. Abschließend werde ich einen kritischen Blick auf den systemdynamischen Ansatz werfen, insbesondere auch zu der kontrovers diskutierten Frage einer Vorherrschaft des kognitiven oder eben des systemdynamischen Ansatzes in der Bewegungswissenschaft Stellung nehmen, und zu einer Bewertung des differenziellen Lernansatzes kommen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kritik an traditionellen Ansätzen zum motorischen Lernen
- Der systemdynamische Ansatz
- Merkmale des systemdynamischen Ansatzes
- Systemdynamische Erforschung von Bewegung
- Der differenzielle Lernansatz
- Das differenzielle Lehren und Lernen nach Schöllhorn
- Mechanismen der Bewegungsorganisation
- Praktisch-methodische Lehr- und Lernprinzipien
- Das Kugelstoẞexperiment
- Variationsmöglichkeiten
- Abgrenzung zu klassischen Konzepten variablen Üben
- Studien und Experimente
- Untersuchung im Volleyball
- Schluss
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Kritik an traditionellen Ansätzen zum motorischen Lernen und stellt den systemdynamischen Ansatz als alternative Perspektive vor. Der Fokus liegt auf dem differenziellen Lehren und Lernen nach Schöllhorn, das auf den Erkenntnissen des systemdynamischen Ansatzes basiert. Die Arbeit untersucht die Mechanismen der Bewegungsorganisation und die praktischen Implikationen des differenziellen Lernansatzes für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen.
- Kritik an traditionellen Ansätzen zum motorischen Lernen
- Der systemdynamische Ansatz und seine Anwendung auf menschliche Bewegung
- Das differenzielle Lehren und Lernen nach Schöllhorn
- Mechanismen der Bewegungsorganisation im Kontext des differenziellen Lernens
- Praktisch-methodische Prinzipien des differenziellen Lernens
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und erläutert die Kritik an traditionellen Ansätzen zum motorischen Lernen, die auf der Annahme einer stabilen und wiederholbaren Bewegungsausführung beruhen. Der systemdynamische Ansatz wird als alternative Perspektive vorgestellt, die die Bedeutung von Fluktuationen und Variabilität in der Bewegungsausführung betont.
Kapitel 2 beleuchtet die Schwächen traditioneller Ansätze zum motorischen Lernen, die auf dem Einschleifen von Bewegungen und der Vermeidung von Fehlern basieren. Die Kapitel diskutiert die Bedeutung von Fluktuationen, Nichtwiederholbarkeit und Individualität von Bewegungsmustern und stellt die Grenzen des traditionellen Ansatzes in Frage.
Kapitel 3 stellt den systemdynamischen Ansatz vor und erläutert seine Grundprinzipien, die auf der Selbstorganisation von Systemen und der Interaktion von Systemkomponenten beruhen. Die Kapitel beleuchtet die Bedeutung von Emergenz und die Entstehung von Ordnungszuständen in komplexen Systemen.
Kapitel 4 fokussiert auf den differenziellen Lernansatz nach Schöllhorn, der auf den Erkenntnissen des systemdynamischen Ansatzes basiert. Die Kapitel beschreibt die Mechanismen der Bewegungsorganisation und die praktischen Implikationen des differenziellen Lernens für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den systemdynamischen Ansatz, das differenzielle Lehren und Lernen, motorisches Lernen, Bewegungsorganisation, Fluktuationen, Variabilität, Selbstorganisation, Emergenz, Schöllhorn, traditionelle Ansätze, Techniktraining, Bewegungswissenschaft.
- Quote paper
- Katrin Bekermann (Author), 2008, Systemdynamik und differenzieller Lernansatz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147994