„Der ganze Liebreiz unserer Rasse soll ihn umschmeicheln; wir wollen ihn einspinnen in ein weiches, mildes Netz von Freundlichkeit und Güte, ihm allmählich das deutsche Gift aus den Adern saugen […].“ Was der polnische Priester Kasimir Lokjetek in Liepes Roman plant, wäre wohl auch ganz im Sinne Congo Hoangos, der sich als einer der Anführer des haitiani-schen Aufstandes in Kleists Erzählung gegen die französischen Soldaten erhebt.
In beiden Texten geht es um den Versuch der indigenen Bevölkerung, sich von den Kolonial-herren zu befreien, beide Texte werden jedoch auf unterschiedliche Weise durch diese ‚Ras-senverhältnisse’ strukturiert.
Zunächst überrascht die Tatsache, dass Kleist eine koloniale Erzählung zu einem Zeitpunkt verfasst, lange bevor Deutschland selbst Kolonien besitzt.
Susanne Zantop hat jedoch gezeigt, dass das Nachdenken und Phantasieren über koloniale Begegnungen nicht an die reale Existenz von Kolonialbesitz gebunden sein müssen.
Auch in Kleists „Verlobung in St. Domingo“ und Liepes „Die Spinne“ begegnet uns das Stereotyp von Anziehung und Ablehnung, basierend auf europäischen Rassevorstellungen.
Diese Rassevorstellungen gründen nach James Blaut auf der Überzeugung, „that European civilization […] has had some unique historical advantage, some special quality of race or culture or environment or mind or spirit, which gives this human community a permanent superiority over all other communities […]” – ein Phänomen, das daher passenderweise den Begriff ‚Eurozentrismus’ erhält. Die Welt wird in den Augen der Anhänger dieser Modellvorstellung aufgeteilt in ein innovatives Zentrum sowie periphere, rückständige Randgebiete der Welt. Beide Gebiete er-halten unterschiedliche Zuschreibungen – ‚Zivilisation’ einerseits sowie ‚Barbarismus’ und ‚Wildheit’ andererseits.
Sowohl Zantops als auch Blauts Theorien basieren auf den Kolonialdiskursen des 18. bis be-ginnenden 20. Jahrhunderts, so dass sich die Frage stellt, inwiefern diese diskursiven Elemen-te in den Erzählungen Kleists und Liepes ausgestaltet werden.
Als die Schwarzen die Weiften ermordeten oder Die Kampfe des Polentums wider das
Deutschtum in der deutschen Ostmark
- ,Indigener Widerstand’ in Kleists „Verlobung in St. Domingo“ und Liepes „Spinne“ - „Der ganze Liebreiz unserer Rasse soil ihn umschmeicheln; wir wollen ihn einspinnen in ein weiches, mildes Netz von Freundlichkeit und Gute, ihm allmahlich das deutsche Gift aus den Adern saugen [...].‘[1] a Was der polnische Priester Kasimir Lokjetek in Liepes Roman plant, ware wohl auch ganz im Sinne Congo Hoangos, der sich als einer der Anfuhrer des haitiani- schen Aufstandes in Kleists Erzahlung gegen die franzosischen Soldaten erhebt.
In beiden Texten geht es um den Versuch der indigenen Bevolkerung, sich von den Kolonial- herren zu befreien, beide Texte werden jedoch auf unterschiedliche Weise durch diese ,Ras- senverhaltnisse’ strukturiert.
Ich werde daher in diesem Paper argumentieren, dass uns zwar in beiden Texten eurozentri- sches Denken und indigener Widerstand gezeigt werden, sich aber beide Texte stark in Bezug auf „die Bilder und Diskurse, die imaginare und symbolische Ordnung der Dinge“[2] unter- scheiden und somit differente Einblicke in den Kolonialdiskurs der jeweiligen Zeit geben. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Erzahlung und des eher ungewohnlichen Diskurses werde ich mich dabei hauptsachlich auf Kleists Novelle beziehen und Liepes Roman starker redu- ziert zum Vergleich heranziehen.
Zunachst uberrascht die Tatsache, dass Kleist eine koloniale Erzahlung zu einem Zeitpunkt verfasst, lange bevor Deutschland selbst Kolonien besitzt.
Susanne Zantop hat jedoch gezeigt, dass das Nachdenken und Phantasieren uber koloniale Begegnungen nicht an die reale Existenz von Kolonialbesitz gebunden sein mussen. Kolonialismus ist vielmehr ein globales Phanomen, das viele Lander, Sprachen und Kulturen beruhrt. Auch Heinrich von Kleist scheint daher die Existenz von als exotisch wahrgenommenen Ge- bieten im europaischen Besitz zum Anlass genommen zu haben, um Phantasien von Machter- greifung oder Bedrohung bzw. von beidem zugleich darzustellen, da es bei kolonialen Begeg- nungen immer auch um Macht- und Abhangigkeitsverhaltnisse geht. Der Wunsch, den ande- ren zu beherrschen wird in vielen Fallen an der Figur der (indigenen) Frau ausgetragen. Damit geht nach Zantop oft eine zentrale Stellung der Sexualitat in der kolonialen Literatur einher,[3] wobei sich Rasse- und Sexual-Stereotypen in der kolonialistischen Imagination uberschneiden und ihre Kombination eine typische Spannung zwischen Anziehung und Ablehnung bedingt. Auch in Kleists „Verlobung in St. Domingo44 und Liepes „Die Spinne“ begegnet uns dieses Stereotyp von Anziehung und Ablehnung, basierend auf europaischen Rassevorstellungen. Diese Rassevorstellungen grunden nach James Blaut auf der Uberzeugung, „that European civilization [...] has had some unique historical advantage, some special quality of race or culture or environment or mind or spirit, which gives this human community a permanent superiority over all other communities [,..]”[4] - ein Phanomen, das daher passenderweise den Begriff ,Eurozentrismus’ erhalt. Von entscheidender Bedeutung dabei ist, dass europaischen Landern die Fahigkeit zur ,independent invention44 zuerkannt wird, wahrend nicht- europaische Lander neue Entwicklungen, Fortschritte etc. nur per ,Diffusion’ aus Europa er- halten. Die Welt wird in den Augen der Anhanger dieser Modellvorstellung aufgeteilt in ein innovatives Zentrum sowie periphere, ruckstandige Randgebiete der Welt. Beide Gebiete er- halten unterschiedliche Zuschreibungen - ,Zivilisation’ einerseits sowie ,Barbarismus’ und ,Wildheit’ andererseits.
Sowohl Zantops als auch Blauts Theorien basieren auf den Kolonialdiskursen des 18. bis be- ginnenden 20. Jahrhunderts, so dass sich die Frage stellt, inwiefern diese diskursiven Elemen- te in den Erzahlungen Kleists und Liepes ausgestaltet werden.
1.) Zunachst werde ich Ihnen darlegen, dass die eurozentrische Rassenhierarchie in Kleists Text unterlaufen wird. In Liepes Roman hat sie hingegen Bestand hat, obwohl sie uns auf europaischem Gebiet begegnet.
Wie sehen werden, sind die Hautfarbe in der Kleistschen Erzahlung und das damit verknupfte inharente Bild der Rassenhierarchie von entscheidender Bedeutung fur den Handlungsgang. Die Schnittstelle zwischen den Kulturen wird bereits in der Exposition der kleistschen Erzah- lung zu einer Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei ausgebaut. Die Protagonisten finden sich in einem interkulturellen Konflikt in Ubersee „[...] als die Schwarzen die WeiBen ermor- deten“ und dabei unter anderem von Congo Hoango angefuhrt werden, „ein[em] furchterli- che[n] alte[n] Neger“, der trotz der Wohltaten seines weiBen Herren nicht vor Grausamkeiten gegen die franzosische Besatzung zuruckschreckt (S. 160 f.).[5] Der erste Satz der Erzahlung ist dabei weniger als eine verzerrte Wiedergabe von Tatsachen zu werten, sondern sollte eher als zeitgenossisches Zitat aus dem „kollektiven Gedachtnis der Europaer“ verstanden werden, das den Schock der Niederlage westlicher Zivilisationen verarbeiten musste.[6] Prasentiert wird immerhin der erste erfolgreiche Versuch der indigenen Bevolkerung, sich von den weiBen Kolonialherren zu befreien. Der Erzahler nennt als Motiv fur diesen antikolonialen Krieg die „unmenschliche Rachsucht“ der Schwarzen (S.161), was wohl ebenfalls mit dem zeitgenossi- schen Diskurs ubereinstimmen durfte. Demzufolge erscheint die haitianische Einwohner- schaft zunachst nicht nur als rachsuchtig, gewalttatig und wild und ungezahmt, sondern auch als besonders hinterlistig, da einer der Anfuhrer - Congo Hoango - sich eine besondere Tau- schung zueigen macht: Er lasst weiBe und kreolische Fluchtlinge „mit Unterstutzungen und Gefalligkeiten bis zu seiner Wiederkehr [hinhalten]“ (S. 161), um moglichst alle WeiBen um- zubringen. Diese auBerst negativ besetzte Schilderung der indigen Bevolkerung wird vom Erzahler des Textes eher zustimmend aufgegriffen, von der Text- und Handlungsebene eher relativierend, wie wir im Folgenden sehen werden.
So erscheint der weiBe Protagonist Gustav von Ried in dieser Erzahlung schwach und mani- pulierbar, was allerdings nicht durch eine Charakterschwache begrundet wird, sondern mit der Orientierungsnot des Fremden. So versucht er, sich an der Hautfarbe zu orientieren und ist dabei sehr auf die Farbskala des Rassengegensatzes fixiert. Bereits bei seinem Eintreffen an Congo Hoangos Haus streckt er die Hand nach Babekan aus und fragt sie, ob sie eine Negerin sei (S.162). Diesen Umstand kann Gustav naturlich nicht mit seinen Handen greifen, da er nicht einfach ertasten kann, wo sich der Korper Babekans auf der Farbskala von schwarz bis weiB befindet. So entsteht fur Gustav, eine „epistemologische UngewiBheit, die sich nicht stoppen lasst und schlieBlich zur Katastrophe fuhrt.“[7] Dass die Orientierung an schwarz oder weiB fur Gustav sehr wichtig ist und er insgesamt in einer eurozentrischen Sichtweise verhaf- tet ist, lasst sich an einigen Textbelegen ausfuhren. Dementsprechend raumt Gustav zwar ein, dass das allgemeine Herrschaftsverhaltnis der WeiBen uber die Schwarzen der Grund fur den Hass der Schwarzen sei (S.170), doch erscheinen seine Aussagen durch den Kontext fragwur- dig: Gustav fuhrt im Folgenden aus, dass die Misshandlungen der WeiBen zwar „tadelnswur- dig“ seien, aber nur von „einigen“ ausgingen. Andererseits sieht er aber in jedem Schwarzen von vornherein eine Bedrohung und gibt somit zu erkennen, dass er eine Vorherrschaft der WeiBen begruBt. Dies wird durch seine AuBerung untermauert, dass „keine Tyrannei, die die WeiBen je verubt, einen Verrat, so niedertrachtig und abscheulich, rechtfertigen konnte.“ (S. 170 f.).[8] Eine besondere Problematik ergibt sich aufgrund dieser inharenten Rassenhierarchie fur Toni, da ihre Hautfarbe „ins Gelbliche“ geht (S.161). Toni wird dem Leser damit nicht nur auf ver- baler Ebene ausdrucklich als Mestizin (S.161), also einem ,Mischling’, angekundigt, sondern erhalt auch Attribute, die ihre Position zwischen zwei Kulturen von Beginn an unterstreichen. Zwar kleidet sie sich „nach Landesart“ (S.162), verhalt sich impulsiv (S.163) und hat schwar- ze, also ganz und gar nicht europaische Augen (S.172), kann durch ihren Liebreiz aber die europaischen Manner fur sich gewinnen. So urteilt daher auch Gustav, „er hatte, bis auf die Farbe, die ihm anstoBig war, schworen mogen, daB er nie etwas Schoneres gesehen“ (S.172). Er fuhlt sich daher im Verlauf der gesamten Erzahlung hin- und hergerissen zwischen „Be- gierde und Angst“ (S.173), da er Toni aufgrund ihrer Hautfarbe gleichzeitig vertraut und misstraut.
SchlieBlich wird Gustav zum Schluss die Unfahigkeit, im Menschen anderer Hautfarbe den Menschen wahrzunehmen zum] Verhangnis. Die Erzahlung lasst keinen Zweifel daran, dass es Tonis „anstoBige Hautfarbe“ (S.172) und Gustavs ausschlieBliche Orientierung an der Hautfarbe ist, die Gustavs todlichen Irrtum auslost: Tonis Hautfarbe ist fur ihn Anzeichen ihrer Zugehorigkeit zur Welt der Schwarzen, so dass er am Ende die Todesstrafe vollstreckt, die Babekan und Congo Hoango fur die „letzte Liebkosung“ (S.161) ausgesprochen haben. In- dem Gustav seinem Schwarz-WeiB-Denken ausgeliefert ist, schlagt jeder Versuch fehl, sich in dem komplizierten Gemisch der Rassen und Positionen zu orientieren. Er vertraut daher, wo er misstrauisch sein musste und misstraut, wo er hatte Vertrauen haben mussen. In Gustavs Figur fuhrt Kleist so ein Bild europaischen Rasse-Denkens vor, das sich selbst widerlegt.
In Liepes Roman „Die Spinne“ scheint das eurozentrische Denkmodell auf den ersten Blick nicht anwendbar zu sein, da es um eine Begegnung zwischen Deutschen (PreuBen) und Polen geht. Das blautsche Modell wird hier aber auf genau dieses Grenzgebiet ubertragen: Die Po- len werden als minderwertige Rasse beschrieben, die gefahrlich, „laut und rauh“ (S.4)[9] er- scheinen, nicht aus eigener Kraft Innovationen erzeugen konnen und sich insgesamt durch Irrationalitat und Spontaneitat auszeichnen. Dies betrifft sowohl die ungebildeten und ,faulen’ Bauern als auch die einigermaBen gebildeten Katholiken, die umso fanatischer agieren. Den katholischen Polen werden also charakteristische Attribute zugeschrieben, die eigentlich fur nicht-europaische Volker gelten. Dies geschieht zum einen, um Polen als peripheres Gebiet zu llustrieren und so eine Legitimationsbasis für die preußischen Kolonialherren zu schaffen, nach der sie auf friedliche Art Neuerungen in das Land bringen würden. Zum anderen ist diese Zuschreibung nötig, da anders als in Übersee in Polen nicht die Hautfarbe zur Orientierung und Abgrenzung dienen kann.
[...]
[1] Liepe, Albert: Die Spinne, Roman aus den gegenwartigen Kampfen des Polentums wider das Deutschtum in der deutschen Ostmark, 2. Aufl., Berlin 1902, S.16.
[2] Weigel, Sigrid: Der Korper am Kreuzpunkt von Liebesgeschichte und Rassendiskurs in Heinrich von Kleists Erzahlung Die Verlobung in St. Domingo, in: Kleist-Jahrbuch 1991, S.202-217, hier S.205.
[3] Zantop, Susanne: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland 1770-1870, Berlin 1999.
[4] Blaut, James M.: The Colonizer’s Model of the World. Geographical Diffusionism and Eurocentric History, New York/London 1993, S.1.
[5] Die Textpassagen aus Kleists Werk werden unter Seitenangabe nach folgender Ausgabe zitiert: Kleist, Heinrich von: Samtliche Werke und Briefe. Herausgegeben von Helmut Sembdner, Band 2, Munchen 2001.
[6] Weigel, Sigrid: Bilder des kulturellen Gedachtnisses. Beitrage zur Gegenwartsliteratur, Dulmen-Hiddingsel 1994, S.204.
[7] Dunker, Axel: Kontrapunktische Lekturen. Koloniale Strukturen in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts, Munchen 2008, S.37.
[8] Zum ,weiBen’ Blick Gustavs und des Erzahlers siehe auch: Gonczy, Gabriella: Der Weg der Schwarzen in die weiBe Welt. Zum Kolonialdiskurs in Kleists Die Verlobung in St. Domingo, in: Lange, Tanja u.a. (Hg.): Litera- tur und Kultur in Grenzraumen, Frankfurt a. M. 2002, S.35-48, insbesondere S. 41 ff.
[9] Die Seitenangaben beziehen sich auf Liepe 1902, vgl. Anmerkung 1.
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