Räumlich explizite Modellierung der Flächenversiegelung in der Region Bonn/Rhein-Sieg auf Basis von multispektralen Satellitendaten


Thesis (M.A.), 2009

167 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Hintergrund und Problemlage
1.2 Ziele und Gliederung der Arbeit

2 Facetten des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels
2.1 Das Untersuchungsobjekt – Land als System
2.2 Landbedeckung, Landnutzung oder Landfunktion?
2.3 Kategorisierung des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels
2.4 Ursachen und Steuerungskräfte
2.5 Auf dem Weg zu einer Landsystemforschung − Theorien und Denkmuster
2.6 Modellierung als Erkenntnismöglichkeit
2.7 Die Rolle der Fernerkundung

3 Flächenversiegelung und Flächenverbrauch – Muster, Prozesse und Folgen
3.1 Flächenverbrauch und Flächenversiegelung
3.2 Die Verstädterung als ubiquitärer Prozess
3.3 Ursachen und Antriebskräfte von Flächenversiegelung und Flächenverbrauch
3.4 Geoökologische und sozioökonomische Folgen
3.5 Die Fernerkundung und der urbane Raum

4 Die Untersuchungsregion − die Bundesstadt Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis
4.1 Geoökologische Grundlagen und naturräumliches Muster
4.2 Funktionale Verflechtungen
4.3 Historische Entwicklung der Siedlungsstruktur
4.4 Der Hauptstadtverlust − Veränderte Rahmenbedingungen?
4.5 Demographischer Wandel in einer Wachstumsregion?

5 Komponenten der Modellierung − Modell, Modellierungsplattform und Rasterdaten
5.1 Das räumlich explizite Modell – CLUE-S
5.1.1 Allgemeine Modellstruktur
5.1.2 Das räumliche Modul – Logistische Regression
5.1.3 Dummies, Multikollinearität und Räumliche Autokorrelation
5.1.4 Das räumliche Modul – Nachbarschaftsbeziehungen
5.1.5 Modellparameter von CLUE-S
5.1.6 Der Allokationsprozess von CLUE-S
5.2 Die Modellierungsplattform - XULU
5.3 Die Landbedeckungs- und Landnutzungsdaten
5.3.1 CORINE Land Cover - Landnutzung mit Aspekten von Landbedeckung
5.3.2 Das NRW-Flächennutzungsprojekt − Landbedeckung mit Aspekten der Landnutzung
5.3.3 Standardisierung der CORINE-Landoberflächendaten
5.3.4 Standardisierung von NRW-Pro − Klassifikation einer Landsat-Szene
5.3.4.1 Radiometrische Normalisierung
5.3.4.2 Wissensbasierte ISODATA-Klassifikationen
5.3.4.3 Differenzierung der Versiegelungsgrade mit dem NDVI
5.3.4.4 Abschluss der Klassifikation und Accuracy Assessment
5.4 Die „Pixelisierung“ der Antriebskräfte

6 Räumlich explizite Modellierung der Flächenversiegelung
6.1 Output des räumlichen Moduls
6.1.1 Auswahl und Aufbereitung der Antriebsfaktoren für die logistische Regressionsanalyse
6.1.2 Validierung der logistischen Regressionsmodelle
6.1.3 Effektstärken der Antriebsfaktoren
6.1.4 Das Produkt des räumlichen Moduls − Wahrscheinlichkeitskarten
6.2 Parametrisierung von CLUE-S
6.2.1 Output des nicht-räumlichen Moduls − der Bedarf
6.2.2 Parametereinstellungen von CLUE-S
6.3 Erste Ergebnisse und Validierung des Modells
6.4 Modellprognosen für das zukünftige Flächenversiegelungsmuster der Region Bonn/ Rhein-Sieg
6.4.1 Das zukünftige Flächenversiegelungsmuster − Nachhaltigkeit vs. Prosperität?
6.4.2 Eine Zukunft, drei Szenarien
6.4.3 Ballungsraum vs. ländlicher Raum
6.4.4 Regionalplan vs. Modellierung
6.4.5 Landsat-Klassifikation vs. CORINE Land Cover

7 Schlussbemerkung
7.1 Rückblick
7.2 Ausblick

8 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Ablauf der Modellierung und verwendete Software

Abbildung 2 Beziehung zwischen Bedeckung, Nutzung und Funktion einer Landparzelle

Abbildung 3 Stellung der Landnutzungssysteme innerhalb des Landsystems

Abbildung 4 Modelle zur Siedlungsstruktur und Interaktionsmuster von historischen Verstädterungsphasen

Abbildung 5 Modelle zum Veränderungsmuster urbanisierter Dörfer

Abbildung 6 Ein Beispiel für die Zerschneidung der Landschaft allein durch Straßen (Flandern)

Abbildung 7 Subset der Stadt Paderborn aufgenommen aus Fernerkundungssystemen mit verschiedenen geometrischen Auflösungen

Abbildung 8 Veränderung in der V-I-S Zusammensetzung bei der Verstädterung einer Region

Abbildung 9 Administrative Gliederung der Untersuchungsregion

Abbildung 10 Kulturlandschaften im Süden Nordrhein-Westfalens

Abbildung 11 Landbedeckung und Landnutzung der Region Bonn/Rhein-Sieg 2005

Abbildung 12 Zunahme der versiegelten Flächen zwischen 1975 und 2005 in der Region Bonn/Rhein-Sieg

Abbildung 13 Repräsentation von Landbedeckungs- und Landnutzungsdaten in CLUE und CLUE-S

Abbildung 14 Modellstruktur von CLUE-S

Abbildung 15 Graph der linearen und der logistischen Regressionsfunktion

Abbildung 16 ROC-Kurve für das logistische Regressionsmodell der Klasse „mittlerer Versiegelungsgrad“

Abbildung 17 Visualisierung von positiver, keiner und negativer räumlicher Autokorrelation anhand eines 13x13 Rasters

Abbildung 18 Darstellung des iterativen Allokationsprozesses von CLUE-S

Abbildung 19 Struktur der XULU-Modellierungsplattform

Abbildung 20 Graphische Darstellung des Modellierungsablauf und der Rolle des XULU-Datenpools

Abbildung 21 Beispiel für die Erfassung der Entität „Discontinuous urban fabric“

Abbildung 22 Beispiel für die potentielle räumliche Generalisierung von Grünflächen und urbanen Flächen, bei Unterschreitung der vorgegebenen Mindestgröße

Abbildung 23 Die Untersuchungsregion 1990 im CORINE LC-Datensatz vor und nach der Standardisierung

Abbildung 24 Klassifikationsablauf der Landsat-Szene vom 25.5. 1989

Abbildung 25 Dateninput: Zielbild (Landsat 1989) und Referenzbild (Landsat 1984). Datenoutput: Landsat 1989 radiometrisch normalisiert

Abbildung 26 Streudiagramm zweier Spektralkanäle zur graphischen Darstellung der iterativen Cluster -Zuweisung

Abbildung 27 Zusammensetzung und Endprodukt der Klassifikation eines Landsat-Bildes der Region Bonn/ Rhein-Sieg

Abbildung 28 Für die Untersuchung erzeugte Rasterdatensätze von im Modell eingeflossenen Antriebsfaktoren.

Abbildung 29 Inter-Quartil-Range-Plots des logistischen Regressionsmodells zur Landbedeckung „hoher Versiegelungsgrad“

Abbildung 30 Inter-Quartil-Range-Plots des logistischen Regressionsmodells zur Landbedeckung „mittlerer Versiegelungsgrad“

Abbildung 31 Inter-Quartil-Range-Plots des logistischen Regressionsmodells zur Landbedeckung „geringer Versiegelungsgrad“

Abbildung 32 Inter-Quartil-Range-Plots des logistischen Regressionsmodells zur Landbedeckung „urban fabric

Abbildung 33 Inter-Quartil-Range-Plots des logistischen Regressionsmodells zur Landnutzung „industrial and traffic areas

Abbildung 34 Antriebskräfte- und Nachbarschaftswahrscheinlichkeitskarten der Klasse „mittlerer Versiegelungsgrad“ und „urban fabric

Abbildung 35 Gesamtwahrscheinlichkeitskarten der Landbedeckungs- und Landnutzungsklassen „hoher“, „mittlerer“ und „geringer“ Versiegelungsgrad sowie „urban fabric“ und „industrial and traffic areas

Abbildung 36 Quantitative Änderung der urbanen Landbedeckungs- und Landnutzungsklassen und der Freiflächen in der Region Bonn/ Rhein-Sieg

Abbildung 37 Naturschutzgebiete der Region Bonn/ Rhein-Sieg als Restriktionsdatensatz für CLUE-S

Abbildung 38 Modellergebnisse für die eigene Landsat-Klassifikation und CORINE LC im Vergleich zu den Validierungsdatensätzen für das Jahr 2001 bzw. 2000

Abbildung 39 Fuzzy-Kappa -Werte für das NRW-Pro-Modell und das CORINE-Modell

Abbildung 40 Fuzzy-Kappa -Werte für die binären Datensätze von NRW-Pro und CORINE

Abbildung 41 Multiple resolution validation des auf der Landsat-Klassifikation beruhenden Modells (rot = geringe, grün = hohe Übereinstimmung)

Abbildung 42 Ergebnisse der multiple resolution validation der Modelle für NRW-Pro und CORINE

Abbildung 43 Zuwachs der urbanen Gesamtfläche in der Regionen Bonn/ Rhein-Sieg anhand der Szenarien 1 und 2 für das NRW-Pro-Modell und CORINE

Abbildung 44 Ergebnisse der Modellierungsprognose des Landoberflächenmusters der Region Bonn/ Rhein-Sieg für das Jahr 2025 des NRW-Pro-Modells und des CORINE-Modelles

Abbildung 45 Ausgangsdatensätze und Simulationsergebnisse für das Ballungsgebiet und den ländlichen Raum des NRW-Pro-Modells und des CORINE-Modells

Abbildung 46 Raten des Flächenverbrauchs für beide Gebietstypen und beide Modelle der Szenarien 1 und 2

Abbildung 47 Versiegelte Flächen der NRW-Pro- und CORINE-Simulation für das Jahr 2025 und der Regionalplan der Region Bonn/ Rhein-Sieg (unten)

Abbildung 48 Die Klassen „geringer Versiegelungsgrad“ und „complex cultivation pattern“ im jeweils anderen Modell als binärer Datensatz („versiegelt“ und „unversiegelt“)

Abbildung 49 Differenzkarten der beiden Modelle auf Basis der versiegelten Flächen von Szenario 1 und Szenario 2

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Beispiel für die CORINE-Nomenklatur anhand der Klasse „Künstliche Oberflächen“

Tabelle 2 Technische und thematische Eigenschaften der beiden Landoberflächendatensätze und angestrebter Standard

Tabelle 3 Eigenschaften der klassifizierten Landsat-Szene

Tabelle 4 Kreuztabelle mit den Ergebnissen des accuracy assessments

Tabelle 5 Ausschnitt aus der Korrelationsmatrix der Antriebsfaktoren für die Landbedeckungsklasse „mittlerer Versiegelungsgrad“

Tabelle 6 Eigenschaften der Rasterdatensätze der in den logistischen Regressionsmodellen verwendeten Antriebsfaktoren

Tabelle 7 Signifikanzniveau und AUC-Werte der Antriebsfaktoren der fünf urbanen Regressionsmodelle

Tabelle 8 Konversionsmatrizen für das Modell der Landsat-Klassifikation

Tabelle 9 Konversionsmatrizen für das CORINE-Modell

Tabelle 10 Konversionselastizitäten für das Modell der Landsat-Klassifikation

Tabelle 11 Konversionselastizitäten für das Modell und das CORINE-Modell

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

1.1 Hintergrund und Problemlage

In seinem Buch „Was ist schön? Ästhetik und Erkenntnis“ führt der deutsche Geograph und Journalist Gabór Paál die Geographie als Beispiel dafür an, wie ästhetische Werte die Überzeugungskraft wissenschaftlicher Aussagen und die Art der Themenschwerpunkte einer wissenschaftlichen Disziplin beeinflussen. Als Hauptmotive der Geographie nennt er ihre praktische Anwendbarkeit in Fragen von Raumplanung und Landnutzung, die Erforschung der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt sowie die Analyse des geoökologischen Systems aus humangeographischer und physisch-geographischer Perspektive. Für Paál gibt es jedoch ein ästhetisch-epistemologisches Motiv, das die genannten umschließt und ihnen übergeordnet ist: Das Erkunden und Verstehen räumlicher Muster (Páal, G. 2003: S. 168-172). Die Fernerkundung als geomethodischer Wissenszweig ermöglicht es, die Erforschung eben jener räumlichen Muster aus der Größenordnung des für das menschliche Auge Erkennbaren und Überschaubaren herauszuheben und auf das Globale und Unsichtbare auszuweiten. Sie hat in den letzten Jahren mit der Einführung hyperspektraler und sehr-hochauflösender Sensoren sowie der Entwicklung neuer Bildverarbeitungstechniken rasante Fortschritte gemacht, die unter den anderen geographischen Hilfsmitteln ihres Gleichen suchen (Löffler, E. et al. 20053: S. 13). Diese Weiterentwicklungen machten es möglich, dass die systematische Auswertung von Luft- und Satellitenbildern auch für die Analyse des bislang nur schwer aus der Ferne zu erkundenden urbanen Raums und dessen Wachstum eingesetzt werden konnte.

Es ist nämlich gerade die beschleunigte Zunahme von Siedlungs- und Verkehrsflächen durch eine anhaltende Flächeninanspruchnahme, die die aktuelle Entwicklung des räumlichen Musters in Deutschland am meisten prägt. Es besteht kein Zweifel darüber, dass der zunehmende Flächenverbrauch und die mit ihm einhergehende Flächenversiegelung weder ökonomisch noch ökologisch dauerhaft verträglich sind (Umweltbundesamt (Hrsg.) 2001: S. 9). In den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen mit dem Thema Flächenversiegelung auseinandergesetzt (Umweltbundesamt (Hrsg.) 2001 und Umweltbundesamt Österreich (Hrsg.) 2001). Daneben wurde das Problem der Flächenversiegelung als Teil weiterer Forschungsschwerpunkte behandelt, wie bspw. im Kontext mit Suburbanisierung (Brake, K. et al. 2001, EEA (Hrsg.) 2006 und Kistenmacher, H. 2001) und dem Demographischen Wandel (Mielke, B. und A. Münter 2007). Nordrhein-Westfalen wurde mit der Industrieregion Rhein-Ruhr und den Rheinmetropolen Düsseldorf und Köln dabei wiederholt als diejenige Region Deutschlands erkannt, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten den größten Zuwachs urbaner Flächen verzeichnete und in Zukunft, in abgeschwächter Form, auch noch verzeichnen wird. Im Zuge des gesellschaftlichen Sensibilisierungsprozesses für Themen der geoökologischen und sozioökonomischen Nachhaltigkeit seit dem Erdgipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992 hat auch die Politik die mit dem zunehmenden Flächenverbrauch gleichsam wachsenden Probleme erkannt. So wurde von der Landesregierung NRW ein Projekt initiiert, das den Aufbau eines partizipativen, kommunalen Flächenmanagements unter dem Leitbild Nachhaltiger Entwicklung in vier Modellkommunen vorsah (LAG 21 NRW (Hrsg.) 2008: S. 4-7). Ein weiteres Ziel dieses Projekts bestand in der digitalen Bereitstellung klassifizierter Satellitenbilder von fünf Zeitpunkten der letzten dreißig Jahre für alle Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalens im Internet. Dies sollte die Bevölkerung auf den Flächenverbrauch in ihrer Region aufmerksam machen (Schöttker, B. et al. 2003b: S. 1-7).

In Deutschland haben sich die Siedlungs- und Verkehrsflächen in den letzten Jahren mehr als verdoppelt (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 59), wobei aktuell jeden Tag etwa 114ha Fläche neu in Anspruch genommen werden. Die Zielsetzung des Expertenrats für nachhaltige Entwicklung (RNE), die Flächeninanspruchnahme in ganz Deutschland bis 2020 auf 30ha zu reduzieren, scheint bei einem täglichen Flächenverbrauch von 15ha allein in Nordrhein-Westfalen nicht erreichbar (LAG 21 NRW (Hrsg.) 2008: S. 5). Dass eine Reduktion unbedingt notwendig ist, erkennt man mit einem Blick auf die Auswirkungen von Flächenverbrauch und Flächenversiegelung, zu denen u.a. die Zerstörung von Kulturböden, eine gestörte Grundwasserneubildung und eine Steigerung der Infrastrukturkosten gehören (Dosch, F. und G. Beckmann 2001: S. 23).

Die Stadt Bonn zählt, trotz der Degradierung ihres Status von der Haupt- zur Bundesstadt, hinsichtlich der Entwicklung von Einwohner- und Beschäftigtenzahlen zu den Wachstumspolen Nordrhein-Westfalens. Dies liegt, neben der günstigen Lage und der ausgebauten Wirtschafts-, Forschungs- und Entwicklungsstruktur, nicht zuletzt an den umfangreichen Fördermitteln des Bundes (Wiegandt, C-C. 2006: S. 52-61). Wie der Bonn umschließende Rhein-Sieg-Kreis vorher von der Hauptstadt in seiner Mitte profitierte, so ist auch er nun wieder Teil des neuen endogen entstandenen und exogen geförderten Entwicklungsschubs. Eines seiner raumwirksamen Resultate sind neue Wohn- und Gewerbegebiete mit entsprechenden infrastrukturellen Anschlüssen. Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung der Städtelandschaft scheint also in der Region durch das sozioökonomische Wachstum torpediert zu werden. Die Beantwortung der Frage nach dem zukünftigen Flächenversiegelungsmuster und seinen Antriebskräften besitzt somit eine hohe tagespolitische Relevanz, denn: „Fläche ist nicht alles, aber ohne Fläche ist alles nichts“ (den Hartog-Niemann, E. 1997: S. 98, Z. 15-16).

Die vorliegende Arbeit versucht, mit Hilfe einer räumlich expliziten Landbedeckungs- und Landnutzungsmodellierung das zukünftige Flächenversiegelungsmuster der Region Bonn/ Rhein-Sieg zu simulieren. Räumlich explizit bedeutet in diesem Kontext, dass die benötigten Landbedeckungs- und Landnutzungsdaten als Rasterdaten vorliegen. Ihre Rasterzellen repräsentieren eine eigene räumliche Entität von einer gewissen Größe und einem bestimmten Wert. Anders als nicht-räumliche Landbedeckungs- und Landnutzungsmodelle, die mit aggregierten Daten, bspw. administrative Einheiten, arbeiten, kann eine räumlich explizite Modellierung das räumliche Muster von Landbedeckung und Landnutzung wie auch seine Veränderungen analysieren. Ein praktikabler und spannender Nebeneffekt dieser Modellierung ist es, dass zugleich die wichtigsten Antriebskräfte detektiert werden können, die für eine Veränderung im Landbedeckungs- und Landnutzungsmuster verantwortlich sind. Sowohl die Landbedeckungs- und Landnutzungsdaten als auch die potentiellen Antriebskräfte müssen für eine räumlich explizite Modellierung als Rasterdaten vorliegen. Die Rasterdaten der Antriebskräfte können mit den entsprechenden statistischen Informationen in einem Geoinformationssystem selbstständig generiert werden. Die Landbedeckungs- und Landnutzungsdaten können wiederum durch die Klassifikation eines Satellitenbildes gewonnen werden. Das Ziel solch einer Klassifikation ist es, eine unübersichtliche räumliche Textur in ein übersichtliches räumliches Muster zu konvertieren. Hierfür gibt es die verschiedensten Vorgehensweisen. Für die räumlich explizite Modellierung der Flächenversiegelung in der Region Bonn/ Rhein-Sieg werden ein pixelorientierter und ein objektorientierter Ansatz hinsichtlich ihrer Verarbeitung im Modell und ihrer kalkulierten Resultate miteinander verglichen.

Mit der Modellierung des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels überschreitet man die Grenzen der Geographie und beschreitet das wissenschaftliche Terrain der ähnlich supradisziplinären, aber noch jungen Landsystemforschung. Die Erforschung des Landwandels erzwang aufgrund der Komplexität von Landsystemen, ihren häufig nicht-linearen Interaktionen, Rückkopplungseffekten, Schwellenwerten und schwer zu durchschauenden Interrelationen zwischen Prozessen und Mustern von Landbedeckung und Landnutzung, die Integration der verschiedensten Wissenschaftstraditionen in eine holistische Landsystemforschung (Nagendra, H. et al. 2004: S. 114). Integration, Komplexität und Holismus sind dabei die drei Schlagwörter, die das Wesen dieser Disziplin am besten umreißen. So baut sie auf zahlreichen Theorien und Paradigmen anderer Wissenschaften auf, zu denen auch die Geographie gehört. Die Raummuster-Theorien von von Thünen, Alonso und der Chicagoer Schule der Sozialökologie zählen hierbei zu den bekanntesten. Eine alles umgreifende Theorie des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels ist noch nicht vorhanden. Eine Strategie der Landsystemforschung liegt deshalb in der Kombination von Induktion und Deduktion. Dies geschieht, indem spezielle Studien zu den unterschiedlichsten Facetten des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels mit spezifischen Denkmustern gekoppelt und global vernetzt werden. Die vorliegende Fallstudie soll ebenfalls das Spezielle einer Modellierung mit dem Allgemeinen von Theorien zum Landbedeckungs- und Landnutzungswandel respektive zu Flächenversiegelung und Flächenverbrauch miteinander verknüpfen.

Die räumlich explizite Modellierung erfolgt mit dem bereits in zahlreichen Untersuchungen eingesetzten Landbedeckungs- und Landnutzungsmodell CLUE-S (Conversion of Land Use and its Effects at Small regional extent). Die Wahl des räumlich expliziten Modells CLUE-S hatte vornehmlich zwei Gründe: Erstens ist das Modell durch die Einbindung von klassifizierten Satellitendaten bestens für die Simulation von räumlichen Mustern geeignet und kann variabel mit den verschiedensten Kombinationen von Antriebskräften parametrisiert werden. Zweitens macht CLUE-S nicht nur Gebrauch von statistischen Zusammenhängen, sondern enthält spezifische Parameter wie Transformationsregeln und Konversionselastizitäten, wodurch es den zahlreichen Anforderungen des komplexen Landbedeckungs- und Landnutzungssystems, wie Skalendiversität, raumzeitlich diffuse Antriebskräfte, Resilienz und Vulnerabilität sowie Rückkopplungseffekte und Pfadabhängigkeit, größtenteils gerecht wird (Verburg, P. H. et al. 2002: S. 402-403).

1.2 Ziele und Gliederung der Arbeit

Die Arbeit verfolgt bei der räumlich expliziten Modellierung der Flächenversiegelung in der Region Bonn/ Rhein-Sieg im Wesentlichen vier Ziele:

1. Die Konstruktion von zwei validierten, regionalen Modellen auf Basis von antagonistisch klassifizierten, multispektralen Satellitendaten mit unterschiedlichen Schwerpunkten bezüglich Landbedeckung und Landnutzung.
2. Die Detektion der wesentlichen Antriebs- und Steuerungskräfte von Transformationen im räumlichen Muster urbaner und versiegelter Flächen.
3. Die Simulation des Flächenversiegelungsmusters der Region Bonn/ Rhein-Sieg mit drei unterschiedlichen Zukunftsszenarien für das Jahr 2025.
4. Die Evaluation der Differenzen und Gemeinsamkeiten beider Klassifikationen hinsichtlich ihrer Verhaltensweisen im Modell und ihrer Simulationsfähigkeit.

Es werden also eine thematische Ebene, die Flächenversiegelung in der Region Bonn/ Rhein-Sieg, und eine methodentheoretische Ebene, die beiden klassifizierten Satellitendatensätze im Modell, miteinander verknüpft. Um die Kreation eines reinen Methodenartefakts zu verhindern, wird eine bewusste Kombination von Theorie und Empirie angestrebt. Dies bedeutet, dass die einzelnen Prozessschritte der Modellierung mittels eines zuvor gebildeten theoretischen Fundaments durchgeführt werden.

Der Anfang dafür wird mit der Vermittlung des für die Modellierung von Landbedeckungs- und Landnutzungsänderungen nötigen Hintergrundwissens bereitet. Dabei soll zugleich ein erster Einblick in die Komplexität des Landwandels und seiner Erforschung gewährt werden (Kapitel 2).

Daran anschließend steht die Erörterung des für diese Arbeit und für den aktuellen Wandel im räumlichen Muster Deutschlands entscheidenden Transformationsprozesses der Flächenversiegelung. Die enge Verzahnung der Flächenversiegelung als Landbedeckungskonversion mit dem Flächenverbrauch als Landnutzungskonversion macht eine Erläuterung des Urbanisierungsprozesses in Deutschland unumgänglich. Entscheidend für die räumlich explizite Modellierung ist die Auswahl möglicher Antriebskräfte und Ursachen von Änderungen im Muster und der Quantität versiegelter Flächen, sodass der Erläuterung jener ein eigenes Unterkapitel eingeräumt werden soll. Zusammen mit einem Überblick über die geoökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen von Flächenversiegelung und Flächenverbrauch sowie über die Möglichkeiten der Fernerkundung zur Beobachtung und Analyse von Veränderungen im urbanen Raum, soll es den Leser zusätzlich auf die Notwendigkeit und die Potentiale einer Modellierung urbaner Räume aufmerksam machen (Kapitel 3).

Ebenso obligatorisch für eine wissenschaftliche Arbeit wie die Einführung in den Untersuchungsgegenstand ist die Vorstellung des Untersuchungsgebiets. Mit Blick auf die Stoßrichtung dieser Untersuchung sollen in Kapitel 4 die Antriebskräfte und Rahmenbedingungen des Flächenverbrauchs und der Flächenversiegelung in der Region Bonn/ Rhein-Sieg im Mittelpunkt stehen. Dazu zählen die geoökologischen Grundlagen, das aktuelle Landbedeckungs- und Landnutzungsmuster, die funktionalen Verflechtungen der Region sowie die historische Entwicklung ihrer Siedlungsstruktur. Um die zukünftige Entwicklung der Flächeninanspruchnahme in Bonn/ Rhein-Sieg besser abschätzen zu können, werden die Rolle des Hauptstadtverlustes Bonns und die potentiellen Probleme und Herausforderungen des Demographischen Wandels für die Region analysiert.

Die Erörterung von CLUE-S und seiner Modellierungsumgebung, der JAVA-Plattform XULU (eXtendable Unified Land Use and land cover modelling platform), eröffnet den eigentlichen empirischen Teil dieser Arbeit. Abbildung 1 zeigt den gesamten Ablauf der Modellierung samt Preprocessing und Evaluation.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Ablauf der Modellierung und verwendete Software (eigene Bearb.)

Zunächst mussten die für die Modellierung notwendigen Datensätze erstellt und aufbereitet werden. Dazu gehörte die Standardisierung der Klassifikationen von CORINE (CoORdinated INformation on the european Environment) und die des eingangs erläuterten NRW-Flächennutzungsprojekts (NRW-Pro). Um die Datensätze zeitlich anzugleichen, musste eine Landsat-Szene klassifiziert werden. Dies geschah mittels einer wissensbasierten unüberwachten Klassifikation. Der Ablauf des gesamten Klassifikationsprozesses wird in Kapitel 5.3.4 detailliert beschrieben. Neben der Angleichung der Landbedeckungs- und Landnutzungsdaten wurde ebenfalls eine Angleichung der Rasterdatensätze der möglichen Antriebskräfte durchgeführt. Zusätzlich wurden mit Hilfe seines Kreations-Schemas eigene Datensätze für weitere Antriebskräfte produziert (Kapitel 5).

CLUE-S ist so aufgebaut, dass es die für den Allokationsprozess von Landbedeckung und Landnutzung notwendige Quantität (Bedarf) und Verortungswahrscheinlichkeiten getrennt berechnet. Die Verortungswahrscheinlichkeiten setzen sich aus den Antriebskräften und den Nachbarschaftsbeziehungen zusammen. Beide wurden per logistischer Regressionsanalyse im Statistik-Paket R berechnet. Mit diesem Programm konnten ebenfalls die wichtigsten Antriebskräfte und Ursachen des Wandels im Flächenversiegelungsmuster detektiert und ihre Effektstärken für die Auftrittswahrscheinlichkeit der urbanen Landbedeckungs- und Landnutzungsklassen analysiert werden. Die Ergebnisse der logistischen Regression flossen direkt in CLUE-S ein. Zusammen mit einer einfachen Interpolation zur Berechnung des Bedarfs und der Einstellung der Modellparameter konnten erste Kalibrierungs-Modelläufe gestartet werden. Die beiden Modelle mit den scheinbar besten Resultaten wurden im Anschluss validiert. Mit den evaluierten Modellen konnte die Simulation des Flächenversiegelungsmusters für das Jahr 2025 erfolgen. Hierfür wurden drei verschiedene Zukunftsszenarien in die Modelle implementiert. Sie spiegeln unterschiedliche Veränderungen in den sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen der lokalen und der übergeordneten Organisationsebenen wider. Da es für das Jahr 2025 noch keinen Validierungsdatensatz geben kann, werden die Ergebnisse für die einzelnen urbanen Landbedeckungs- und Landnutzungsklassen in Zusammenhang mit den siedlungsstrukturellen Gebietstypen, der Regionalplanung und den Klassifikationsmethoden differenzierter analysiert und evaluiert. Sowohl das Ausgangs- als auch das Endprodukt der Modellierung sind Bilder bzw. Karten, weshalb die Erörterung des Modellierungsvorgangs anhand von zahlreichen Abbildungen verdeutlicht werden soll (Kapitel 6).

Abschließend werden im Schlusskapitel dieser Arbeit die gesamten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und es wird zu überprüfen sein, inwieweit die aufgestellten Ziele dieser Arbeit erreicht werden konnten.

2 Facetten des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels

Das folgende Kapitel soll als Einleitung in die wissenschaftliche Analyse des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels dienen. Neben den Theorien, die sich in diesem Kontext entwickelt haben, soll auch auf Sinn und Zweck der Landbedeckungs- und Landnutzungswandel-Modellierung eingegangen werden. Hierbei werden wichtige Modelltypen vorgestellt und die Probleme im Umgang mit ihnen umrissen. Zusätzlich wird die besondere Rolle der Fernerkundung und ihre Bedeutung für die Landbedeckungs- und Landnutzungs-Analyse erörtert.

2.1 Das Untersuchungsobjekt – Land als System

Ein Überblick über die bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels zeigt, dass es unumgänglich ist, die zentralen Begriffe dieses Forschungsfeldes genauer zu definieren. Denn gerade die synonyme Verwendung von Landbedeckung und Landnutzung kann Transfer-Komplikationen entstehen lassen, die eine vergleichende Untersuchung auf anderem Skalenniveau oder in einem anderen Untersuchungsgebiet zusätzlich zu den noch anzusprechenden Problemen erschweren. Im Folgenden werden deshalb die Begriffe Land, Landschaft und Landsystem sowie Landbedeckung, Landnutzung und Landfunktion näher erläutert.

Die Ressource Land ist neben Wasser und Luft eindeutig die wichtigste Bedingung des menschlichen Lebens auf der Erde. Laut Definition der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) meint der Begriff Land ein Areal der Erdoberfläche, das direkt oberhalb und unterhalb dieser die lithogenen, biotischen und hydroklimatischen Komponenten der natürlichen Sphäre beinhaltet sowie die menschlichen Siedlungsmuster und physikalischen Resultate anthropogener Aktivität der Vergangenheit und Gegenwart umfasst (Briassoulis, H. 2000: Kap. 1.3.1). In anderen Worten stellt Land also die Konfrontationsfläche von Mensch und Natur dar.

Die Wechselwirkungen und Interaktionen innerhalb und zwischen natürlicher und menschlicher Sphäre formen die Ressource Land zu dem, was man im Jargon der Alltagssprache schlicht als Landschaft bezeichnet und damit die visuelle Apperzeption der Landphysiognomie meint. In den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Landschaft als Untersuchungsobjekt beschäftigen, wie z.B. Geographie und Landschaftsökologie, umfasst besagter Terminus noch ein wenig mehr als nur die wahrnehmbare physiologische Form einer territorialen Einheit. Dort wird die Landschaft als räumlicher Repräsentant des gekoppelten Mensch-Umwelt-Systems aufgefasst. Sie befindet sich als offenes System im Fließgleichgewicht[1] und kann, abhängig von der jeweiligen Betrachtungsebene, als funktionale Einheit räumlich abgegrenzt werden (Milanova et al. 2005: S. 234). In der Forschungsliteratur hat sich deshalb auch an Stelle des Begriffs Landschaft der vom Global Land Project verwendete Terminus Landsystem eingebürgert (ebenda: S. 234).

Wie oben erwähnt bestehen Landsysteme dieser Erde aus zwei Subsystemen, dem sozioökonomischen einerseits und dem sogenannten Geoökosystem andererseits. Der Terminus Geoökosystem wird von Erdwissenschaftlern dem Begriff Ökosystem als Repräsentant der natürlichen Sphäre vorgezogen, da man in der Analyse von Geoökosystemen abiotische und biotische Faktoren und ihre Wechselwirkungen gleichwertig behandelt, wohingegen in der Erforschung von Ökosystemen der Einfluss von und auf biotische Faktoren im Mittelpunkt steht (ebenda: S. 234).

Die räumliche Struktur eines Landsystems kann gemeinhin zweidimensional gegliedert werden, sodass sowohl dessen statischen Zustandscharakter als auch seinem dynamischen Prozesscharakter Rechnung getragen wird: Neben der vertikalen Struktur, zu der die einzelnen Umweltkompartimente bzw. layer − wie z.B. der Boden, das Gestein und die Vegetation − zählen, steht dabei die horizontale Struktur, die im Austausch von Masse und Energie mit nachbarschaftlichen Raumeinheiten eines Landsystems begründet liegt. Als klassisches Beispiel hierfür kann der Hang angesehen werden (ebenda: S. 234). Die Raumeinheiten eines Landsystems sind demnach sowohl durch endogene (on-site) als auch durch exogene (off-site) Prozess-Dynamiken gekennzeichnet (Schoorl, J. M. und A. Veldkamp 2001: S. 282).

Der Schlüssel zum Verständnis von Landsystemen liegt in ihrer Ontologie als gekoppelte Mensch-Umwelt-Systeme, in dem sich natürliche und anthropogene Prozesse gegenseitig bedingen, überlagern und das räumliche Landbedeckungsmuster erzeugen.

2.2 Landbedeckung, Landnutzung oder Landfunktion?

Mit dem Begriff Landbedeckung wird direkt der physische Zustand der Landoberfläche samt der zugehörigen, kategorialen Attribute, zu denen u.a. Boden, Vegetation und anthropogene Landschaftsprägungen − wie z.B. Ackerflächen und Siedlungen – zählen, angesprochen (Lambin, E. F. et al. 2006: S. 4 und Judex, M. 2007: S. 10). Die aktuelle Landbedeckung kann also sowohl natürlichen Ursprungs als auch durch den Menschen geschaffen oder geformt worden sein. Beispiele für Landbedeckungsklassen sind „Wald“, „Wiese“ und „bebautes Gebiet“.

Abgegrenzt zur Landbedeckung steht der Begriff Landnutzung. Mit ihm ist die „anthropogene Inwertsetzung“ (Judex, M. 2007: S. 10, Z. 28) einer Landparzelle gemeint. Dabei geht es also zum einen um die Art und Weise, mit der die biophysikalischen Eigenschaften des Lands umgewandelt werden, und zum anderen um die zu Grunde liegende Nutzungsintention, i.e. der Zweck, für den das Land vom Landmanager[2] gebraucht wird. Zu den typischen Landnutzungskategorien zählen u.a. „Forst-“ und „Ackerfläche“, „Weiden“, „Verkehr“, „Wohnen“ und „Freizeit“ (Lambin, E. F. et al. 2006: S. 5).

Ein Hauptproblem der Landsystemforschung ist, dass die Begriffe Landbedeckung und Landnutzung häufig unreflektiert synonym verwendet werden (Comber, A. J. 2008: S. 199). Dies liegt vor allen Dingen an ihrer engen funktionalen Verflechtung, was bedeutet, dass eine bestimmte Landbedeckung meistens Ursache, Bedingung und/oder Folge einer Landnutzung ist (Verburg, P. H. et al. 2009: S. 1330). Zudem erfolgt die Erforschung von Landnutzungen häufig über die Landbedeckung. Letztere kann relativ gut aus der Ferne – z.B. mit Satellitensensoren – erkundet werden,[3] wohingegen zur Analyse der Landnutzung in den meisten Fällen eine in situ Betrachtung unabdingbar ist (Rindfuss, R. R. et al. 2008: S. 10). Um sich einen kost- und zeitaufwendigeren Mehraufwand zu sparen, postuliert man häufig eine eins-zu-eins Beziehung von Landbedeckung und Landnutzung und transferiert die Kategorien der ersteren in die der letzteren. Solche Vorgehensweisen bergen aber vor allen Dingen für quantitative Landnutzungsschätzungen Gefahren, da man die Fragmentierung einer Landschaft, resultierend aus natürlichen und anthropogenen Flächenabgrenzungen unterhalb der Beobachtungsskala − wie Zäune, Gräben etc. −, berücksichtigen muss. Ansonsten wird das Ausmaß eines Landnutzungstyps wesentlich größer eingeschätzt als es in Wirklichkeit ist (Bakker, M. M. und A. Veldkamp 2008: S. 205). Die eingegrenzte Rückschlussmöglichkeit von der Bedeckung zur möglichen Nutzung eines Areals, wird auch im Kapitel zur Fernerkundung des urbanen Raums ein Thema sein.[4]

Ein weiteres Problem ist, dass ein Areal zu einem Zeitpunkt nur eine Landbedeckung, gleichzeitig aber mehrere Landnutzungen aufweisen kann. So kann eine Waldfläche, die hauptsächlich zur Forstwirtschaft dient, auch zur Naherholung und zur Jagd genutzt werden. Daher unterscheidet man in der Landsystemforschung genauer zwischen primärer Hauptnutzung und sekundären Nebennutzungen. Als Primärnutzung gilt dabei diejenige, die vom Landmanager absichtlich gewollt wird, wohingegen Sekundärnutzungen als unintendiert angesehen werden (ebenda: S. 208-209).

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Abb. 2: Beziehung zwischen Bedeckung, Nutzung und Funktion einer Landparzelle (VERBURG, P. H. et al. 2009)

Da Sekundärnutzungen auf Potentiale einer Landschaft zurückzuführen sind, die für den Menschen von Interesse sein könnten, wurde in jüngerer Zeit ein drittes Konzept zur Charakterisierung der Landoberfläche und ihrer Attribute eingeführt: Die Landfunktion eines Areals soll das Potential eines Landnutzungssystems beschreiben diverse Güter und Leistungen bereitzustellen (Abb. 2). Besagte Güter und Leistungen müssen dabei nicht zwingend direkt mit der primären Landnutzung in Verbindung stehen, i.e. sie müssen nicht vom Landmanager intendiert sein. Typische Landfunktionen sind die Ästhetik oder der Erholungswert einer Landschaft und die Möglichkeit der Arterhaltung. Die Analyse von Landfunktionen ist, da diese anders als die Bedeckung und die Nutzung einer Landoberfläche nicht so offensichtlich sind, sehr aufwendig, wodurch es in der Landsystemforschung noch relativ wenig Fallstudien in diesem Bereich gibt (Verburg, P. H. et al. 2009: S. 1328-1331).

2.3 Kategorisierung des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels

Wenn sich die Landbedeckung bzw. Landnutzung eines Areals in irgendeiner Art und Weise verändert, so hat man es mit einem Landbedeckungs- bzw. Landnutzungswandel zu tun. Dieser kann auf vielerlei Arten geschehen: Wenn eine kategoriale Änderung vollzogen wird (Woodcock, C. E. und M. Ozdogan 2004: S. 371), also eine vollständige Transformation von einer Landbedeckungs- bzw. Landnutzungsklasse in eine andere stattfindet, dann spricht man von einer Konversion der Landbedeckung bzw. Landnutzung (Lambin, E. F. et al. 2006: S. 4). Die Quantität des räumlichen Ausmaßes einer Landnutzungs- oder Landbedeckungsklasse verändert sich also. Die Rodung eines Waldstücks oder die Versiegelung einer Wiese wären Beispiele für eine Landbedeckungskonversion. Eine Landnutzungskonversion liegt z.B. vor, wenn eine Umwandlung von Weideland zu Ackerfläche oder einer Freizeitfläche in ein Wohngebiet vorgenommen wird.

Eine feinere Art der Transformation stellt der kontinuierliche Wandel einer Landbedeckung oder Landnutzung dar (Woodcock, C. E. und M. Ozdogan 2004: S. 371). Die Landbedeckungs- oder Landnutzungsklasse bleibt also gleich, es verändert sich jedoch der qualitative Charakter der zugehörigen Klassenattribute. In solchen Fällen wird von einer Landbedeckungs- oder Landnutzungsmodifikation gesprochen (Lambin, E. F. et al. 2006: S. 5). Eine typische Landbedeckungsmodifikation stellt die Veränderung der Phänologie oder der Biomasse von Vegetation dar. Als repräsentativ für eine Landnutzungsmodifikation kann die intensivierte Bearbeitung von Ackerflächen, z.B. mit Hilfe von Bewässerungsanlagen oder Düngemitteln, gelten.

Um Landbedeckungs- und Landnutzungsänderungen genauer kategorisieren zu können, spielt ein Faktor eine Rolle, auf dem im Verlauf der Ausführungen wiederholt eingegangen werden muss: Die Betrachtungsebene des Untersuchungsobjekts. So vollziehen sich auf niedrigen raumzeitlichen Skalen zumeist qualitative Modifikationen in der Landnutzung oder der Landbedeckung, welche sich auf höheren räumlichen oder zeitlichen Skalenniveaus jedoch zu Konversionen ausweiten können (Briassoulis, H. 2000: Kap. 1.4). Ein Beispiel dafür wäre eine unkontrollierte Intensivierung von landwirtschaftlichen Flächen, die auf lange Sicht gesehen eine massive Degradation der Bodenqualität zur Folge haben kann, sodass Kulturland in Brachfläche transformiert wird. Zugleich zeigt dieses Beispiel noch einmal wie eng Landbedeckung und Landnutzung miteinander verbunden sind: Eine kontinuierliche Modifikation der Landnutzung kann eine nachhaltige Degradation und kategoriale Konversion der Landbedeckung zur Folge haben.

In einer Zeit, in der Forscher vom Mythos des Natürlichen (Ramankutty, N. 2006: S. 10 und Milanova et al. 2005: S. 234) sprechen, da selbst die Anökumenen[5] der Erde über Veränderung der Atmosphärenchemie anthropogen verändert werden können, wird einem klar, dass Landbedeckungsänderungen natürlichen Ursprungs heutzutage eher eine untergeordnete Rolle spielen. Das Einsetzen respektive die qualitative oder quantitative Veränderung einer Landnutzung dagegen hat nachhaltig die künstliche Veränderung der biophysikalischen Attribute der Landbedeckung zur Folge. Dabei kann sie einer Modifikation, einer Konversion oder aber – durch nachhaltige Schutzmaßnahmen – einer künstlichen Aufrechterhaltung erliegen (Briassoulis, H. 2000: Kap. 1.3.3).

Das Bild vom Land als Konfrontationsbühne von Mensch und Natur kommt einem wieder in den Sinn, insbesondere wenn man bedenkt, dass sich der Landnutzungswandel über den Landbedeckungswandel nachhaltig auf den zurzeit im Fokus der Öffentlichkeit stehenden globalen Umweltwandel auswirkt. Wenn im Folgenden Landbedeckungs- und Landnutzungswandel als ein zusammengefasstes Phänomen angesprochen werden, soll sie der Begriff Landwandel aufgrund seiner Kürze ersetzen. Gleiches gilt für den Terminus Landoberfläche, der die Begriffe Landbedeckung und Landnutzung in sich vereinen soll.

2.4 Ursachen und Steuerungskräfte

Die Kategorisierung der Ursachen des Landwandels ist ebenso komplex wie dieser selbst, da es sich beim Landsystem um ein Wirkungsgefüge handelt, „dessen Definition nicht definierte, unendliche und nur teilweise bekannte Variablen einschließt“ (Judex, M. 2007: S. 13, Z. 2). Im Allgemeinen kann man zwei grobe Unterscheidungskriterien von Ursachen ausmachen: Dabei handelt es sich um die Kategorisierung nach nominalen oder modalen Gesichtspunkten.[6]

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Abb. 3: Stellung der Landnutzungssysteme innerhalb der Landsysteme (JUDEX, M. 2007)

Die nominale Unterscheidung liegt in der Stellung der Landbedeckung und Landnutzung im Spannungsfeld von sozialen und geoökologischen Systemen begründet (Abb. 3). Es richtet sich demnach nach der Entstehungsquelle der Ursachen, sodass sie in natürliche und gesellschaftliche Ursachen unterteilt werden können. Zu ersteren gehört z.B. die Variabilität von Wetter und Klima, die Morphologie der Erdoberfläche und ihre Dynamik, pedologische und hydrologische Prozesse sowie plötzlich auftretende Naturereignisse respektive Naturkatastrophen (Orekan, V. O. A. 2007: S. 13). Natürliche Ursachen wirken meist über die Landbedeckung auf die Landnutzung ein (Briassoulis, H. 2000: Kap. 1.3.3). Typische, gesellschaftliche Ursachen für den Landnutzungswandel wären Veränderungen in der Bevölkerung, der Ökonomie, der Politik, des kulturellen Wertesystems oder das Auftreten neuer technologischen Möglichkeiten.

Die Art und Weise, wie sich nun Änderungen der natürlichen oder gesellschaftlichen Faktoren auf die Landnutzung auswirken, wird anhand der modalen Ursachen erklärt. Diese können durch die raumzeitlichen Antipodenpaare lokal-global und unmittelbar-verzögert voneinander abgegrenzt werden. Es werden dabei drei Arten von modalen Ursachen unterschieden: die direkten proximate causes, die vermittelnden mediating forces und die indirekt wirkenden underlying causes (Geist, H. und W. McConnell 2006: S. 43).

Die proximate causes wirken unmittelbar und lokal direkt durch physikalische Aktionen auf die Landbedeckung ein. Zu ihnen gehören eine begrenzbare und wiederkehrende Anzahl von menschlichen Aktivitäten, wie Ausdehnung von Ackerflächen, Entwaldung und Flächenversiegelung (ebenda: S. 43.). In vermittelnder Position zwischen proximate und underlying causes steht die Gruppe der sogenannten mediating forces. Wenn man so möchte, kann man sie auch als Prädisposition der Akteure des Landnutzungswandels umschreiben. Hierzu gehören Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Nationalität, lokaler Hintergrund, sozialer Status oder Zugangsrechte eines Individuums bzw. Kollektivs (Judex, M. 2007: S. 13). Sie beeinflussen, inwieweit die Entscheidungsträger resistent gegen oder vulnerabel für Veränderungen der natürlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind. Die underlying causes von Landveränderungen agieren raumzeitlich gesehen diffus, was bedeutet, dass sie häufig aus der Distanz und zeitlich verzögert auf die eigentlichen direkten proximate causes einwirken. Sie sind die eigentlichen Steuerungs- und Antriebskräfte des Landwandels.

Über eine Meta-Analyse zahlreicher Fallstudien zum Landwandel wurden hauptsächlich sechs Gruppen von Steuerungskräften herausgefunden, zu denen die biophysikalischen, ökonomischen, technologischen, demographischen, institutionellen und kulturellen Faktorengruppen gehören (Geist, H. und W. McConnell 2006: S. 45-62). Zu den biophysikalischen Faktoren wurde bereits gesagt, dass sie meist über eine Veränderung der Landbedeckung, einen Wandel der Landnutzung hervorrufen. Dies kann über sukzessive Prozesse, Impulsereignisse, aber auch über ihre Funktion als „Vorfilter“ − was bedeutet, dass sie von vornherein nur an bestimmten Orten Landnutzung zulassen – geschehen (ebenda: S. 45). So steuern biophysikalische Faktoren speziell über die Bodenqualität, den Grundwasserkörper, die Niederschlagsvariabilität und die Vegetationsbeschaffenheit wichtige Veränderungen in den hot spots[7] des Landbedeckungswandels dieser Erde (ebenda: S. 45-47). Die andere Gruppe der underlying causes wird von anthropogenen Faktoren gestellt. Zu ihnen gehören demographische (bspw. Fertilität und Migration), institutionelle (Kontrolle über Ressourcen, Zugang zu Arbeit, Markt, Kapital etc.), ökonomische (Wirtschaftssystem, Steuern, Subventionen, Konsummuster etc.), technologische (bspw. Verfügbarkeit und Entwicklung moderner Innovationen) und kulturelle (Werte, Glauben, Mentalität etc.) Faktoren.

Steuerungsfaktoren und Ursachen des Landwandels, seien sie nun biophysikalischer oder anthropogener Art, treten in der Realität nie isoliert voneinander auf, sondern bilden ein komplexes Wirkungsgefüge auf verschiedenen raumzeitlichen Ebenen und können als Kausalitätskette, co-evolutionär – d.h. zeitgleich und unabhängig voneinander − oder in synergetischen Kombinationen existieren (ebenda: S. 64).

2.5 Auf dem Weg zu einer Landsystemforschung − Theorien und Denkmuster

Die vorangehenden Zeilen haben deutlich werden lassen, dass man zum Verständnis, zur Erklärung und zur überlegten Beeinflussung des Landwandels drei grundlegende Schlagwörter beachten sollte: Komplexität, Integration und Holismus.[8] Die Erforschung des Landwandels erzwingt aufgrund der Komplexität der Landsysteme, mit ihren häufig nicht-linearen Interaktionen, Rückkopplungseffekten, Schwellenwerten und schwer zu durchschauenden Relationen zwischen Landnutzungsprozessen und Landbedeckungsmustern (Nagendra, H. et al. 2004: S. 114) die Integration der verschiedensten Wissenschaftstraditionen in eine holistische Landsystemforschung (Judex, M. 2007: S. 10).

Dass der Landwandel als eigenständiges Untersuchungsobjekt in den wissenschaftlichen Fokus rücken konnte, liegt vornehmlich an dem zunehmenden öffentlichen Interesse am globalen Umweltwandel mit seinen negativen klimatischen und ökologischen Auswirkungen seit den siebziger Jahren und dem in den achtziger Jahren wurzelnden Nachhaltigkeitsdiskurs (Judex, M. 2007: S. 10). In den neunziger Jahren begann man schließlich die ersten transdisziplinären Projekte zum Landwandel zu konstituieren. Neben dem Global Change and Terrestrial Ecosystem -Projekt und dem Land-Cover and Land-Use Change (LCLUC)-Programm der NASA, gilt dabei das inzwischen vom Global Land Project (GLP) abgelöste Land-Use and Land-Cover Change (LUCC)-Projekt[9] als richtungsweisend auf dem Weg zu einer Landsystemforschung (Himiyama, Y. 2005: S. 5).

Ähnlich wie die Geographie ist auch die Landsystemforschung eine Wissenschaft, der eine dem Untersuchungsobjekt geschuldete, interdisziplinäre Arbeitsweise inhärent ist. Die Theorien und Paradigmen, auf die die Forscher beider Wissenschaften zurückgreifen können, stammen deshalb auch meist aus sehr vielfältigen akademischen Ressorts. So können Forscher des Landwandels zwar auf eine relativ alte Theorisierungs-Tradition zurückblicken, müssen aber damit zurechtkommen, dass ihr Untersuchungsgegenstand häufig fachspezifisch eingefärbt ist, da es bisher vor allem die ökonomisch, soziologisch und naturwissenschaftlich ausgerichteten Theorien gewesen sind, die das Was, Warum und auch Wo des Landwandels näher angehen (Briassoulis, H. 2000: Kap. 3.1).[10]

Als älteste Theorie kann wohl die thünensche Theorie über den „Isolirten Staat“ von 1826 angesehen werden. Unter der für ökonomische Theorien obligatorischen Annahme eines homo oeconomicus steuert in ihr die Bodenrente, die sich aus Transportkosten und angebautem Produkt ergibt, die Entfernung der Anbauarten zum einzigen Markt der Region. Das Ergebnis ist ein Raummuster von konzentrisch angeordneten Landnutzungszonen, den berühmten „thünenschen“ Ringen (Heineberg, H. 20042: S. 132-133). Die Grundidee der thünenschen Theorie hat viele weitere mikroökonomische Ansätze beeinflusst. So auch die urban land market theory von Alonso, die ebenfalls die verschiedenen urbanen Landnutzungen wie Wohnen, Einzelhandel oder kommerzielle Büronutzungen und ihre Lage in der Stadt vom Zentrum zum Rand mit der erzielten Bodenrente in Zusammenhang bringt (Briassoulis, H. 2000: Kap. 3.3.1A). Weitere bedeutende mikroökonomische Theorien sind Christallers Zentrale-Orte, Löschs Marktnetze und Webers Theorie der Industrie-Standorte. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie mehr oder weniger räumlich explizit sind, da sie versuchen die Landnutzung eines (hypothetischen) Raums zu simulieren (Briassoulis, H. 2000: Kap. 3.3.3). Durch die Fokussierung dieser Theorien auf die räumlichen Landbedeckungs- und Landnutzungsmuster, wird auf sie bei der Auswahl der ökonomischen Antriebskräfte für die Modellierung der Flächenversiegelung der Region Bonn/ Rhein-Sieg zurückgegriffen.[11]

Neben der Ökonomie kann man als eine ganz andere Gruppe von Landbedeckungs- und Landnutzungstheorien die der naturwissenschaftlichen Tradition ausmachen. Viele von ihnen sind system-theoretischer Natur, wie z.B. die complexity theory (Rindfuss, R. R. et al. 2008: S. 3). Sie wurzelt in der general systems theory, die die Ordnung, Stabilität und Rationalität eines Systems fokussiert, wohingegen sich die complexity science für das Gegenteil interessiert, also für Chaos, Instabilität und unvorhergesehene Wandlungen in einem System. In ihr wird das Landsystem als komplexes, adaptives System aufgefasst, was bedeutet, dass Muster und Erscheinungen der Makro-Ebene auf Prozesse und Regeln anderer Ebenen zurückzuführen sind und irrationales Verhalten der Entscheidungsträger sowie systemimmanente Rückkopplungseffekte angenommen werden (ebenda: S. 3). Das Ziel dieser Betrachtungsweise ist, zu verstehen, wie die Kombination ursprünglich simpler und linearer Prozessbeziehungen zu komplexem und nicht-linearem Verhalten führen kann (Lambin, E. F. et al. 2006: S. 7).

Eine alles umgreifende Landwandel-Theorie ist noch nicht vorhanden. Doch gibt es bereits zahlreiche Denkmuster, die die Forschung des Landwandels als epistemologische Ansätze bereichert haben. Zu ihnen gehören auch die Denkmuster der Transitionen und Trajektorien. Beide weisen ähnliche Ideengrundlagen auf, da sie versuchen typische Pfade (pathways) verschiedener Landnutzungsänderungen zu beschreiben und vorauszusehen.

Die Trajektorien von Landbedeckungs- und Landnutzungsänderungen gehen auf die vom Landmanager ungewollten Zustandsänderungen des Landsystems ein, wodurch sie vor allen in sogenannten kritischen Umweltmilieus eine wichtige Rolle spielen. Eine Beispielregion hierfür wäre der Aralsee, in dessen Umland man die Ausdehnung der Getreidewirtschaft vorangetrieben hatte. Das ungewollte Resultat war u.a. die Degradation des Bodens und eine wüstenartige Sandbedeckung sowie die partielle Austrocknung und Versalzung des Sees. (Geist, H. und W. McConnell 2006: S. 67-68).

Das Konzept der Transitionen wiederum beschreibt die potentiellen Konversionsmöglichkeiten verschiedener Landbedeckungs- und Landnutzungsklassen einer Region, wobei sie entweder vom Landmanager bewusst gewollt sind oder bei einem Aussetzen der Landnutzung entstehen. Ein Beispiel hierfür wäre die Vierecksbeziehung zwischen den Landnutzungsklassen Acker- und Weideland auf der einen, sowie den Landbedeckungsklassen Grasland und Wald auf der anderen Seite (ebenda: S. 68-69). Die Denkmuster der Transitionen und Trajektorien der Landoberfläche werden bei der Einstellung der spezifischen Parameter des in dieser Untersuchung verwendeten Modells erneut aufgegriffen.[12]

Nachdem ein Überblick über die theoretischen Grundlagen und Arbeitsweisen der Landsystemforschung verschafft werden konnte, wird die Aufmerksamkeit auf eine Thematik gelenkt, die in jüngerer Zeit zunehmend in den Blickpunkt der Landsystemforschung gerückt ist: Die Modellierung des Landbedeckungs- und Landnutzungswandels.

2.6 Modellierung als Erkenntnismöglichkeit

Im Zuge der Vorstellung von Landsystemtheorien ist deutlich geworden, dass man nicht immer klar zwischen einer Theorie und einem Modell unterscheiden kann. Im weiteren Verlauf dieser Ausführungen soll deshalb eine Theorie als ein logisches Denksystem verstanden werden, das versucht, eine Erklärung für Prozesse, Verhaltensweisen und anderen Phänomenen der Realität bereitzustellen (Briassoulis, H. 2000: Kap. 4.1). Ein Modell dagegen wird als eine idealisierte und über mathematische Beziehungen verknüpfte Repräsentation der Realität aufgefasst (ebenda: Kap. 4.1). Die Hauptunterschiede zwischen beiden liegen also im Abstraktionsgrad der Realität, der Vernachlässigung nicht-relevanter Faktoren und der eher anwendungsorientierten Ausrichtung eines Modells.

Bei der Modellierung des Landwandels lassen sich grundsätzlich zwei wichtige Analysefragen ausmachen: Wo findet der Landwandel statt (Verortung/ Allokation) und wann ist mit welchen Raten zu rechnen (Quantität/ Bedarf) (Bakker, M. M. und A. Veldkamp 2008: S. 204)? Die Lösung dieser Fragen kommt nicht an der Beantwortung einer dritten Frage vorbei, nämlich welche Ursachen und Steuerungsfaktoren den Landwandel beeinflussen und warum (Judex, M. 2007: S. 16-17)? Underlying causes des Landwandels werden dabei häufig über lokal verortete Proxy-Variablen – nicht zu verwechseln mit proximate causes – in den mathematischen Modellalgorithmus transformiert (Veldkamp, A. und E. F. Lambin 2001: S. 2).[13]

In den letzten Jahren ist es schwer geworden einen Überblick über die gewachsene Heterogenität von Modellen zu behalten. Sie verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen mit Hilfe von unterschiedlichen Techniken und haben die verschiedensten disziplinären Hintergründe. So ist es nicht verwunderlich, dass es in der Literatur eine Vielzahl von Modell-Klassifikationen gibt,[14] die dieselben Modelle zudem noch unterschiedlich kategorisieren. Eine Möglichkeit der Kategorisierung von Modellen des Landsystems besteht z.B. in der Differenzierung der potentiellen Nutzung eines Modells. Dabei werden in der Regel deskriptive, erklärende, prognostische, impact analysierende, normative und evaluierende[15] Zwecke unterschieden. Natürlich kann ein Modell auch mehrere dieser Zielkategorien erfüllen (Briassoulis, H. 2000: Kap. 1.2).

Im Folgenden sollen zwei wichtige Gruppen von Modellen des Landwandels vorgestellt werden: Musterorientierte und prozessorientierte Modelle. Musterorientierte Modelle versuchen häufig Zusammenhänge zwischen den lokalräumlichen Rahmenbedingungen und dem Landbedeckungs- bzw. Landnutzungsmuster herzustellen, um so die potentielle Allokation von Landänderungen zu ermitteln (Bakker, M. M. und A. Veldkamp 2008: S. 204). Sie modellieren also „from pattern to process“ (Lambin, E. F. et al. 2006: S. 3). Ein Modelltyp dieser Gruppe sind empirisch-statistische Modelle. Sie filtern die Beziehung zwischen dem Landschaftsmuster und den möglichen Ursachen bzw. Steuerungskräften eines Wandels empirisch-mathematisch heraus, wobei sie häufig auf multivariate Methoden wie lineare, logistische oder multinomiale Regressionsmodelle zurückgreifen. In fast allen Fällen werden Landbedeckung und Landnutzung in diesen Modellen als abhängige Variable behandelt. Empirisch-statistische Modelle können sowohl statisch, wenn das Ergebnis der Zusammenhangs-Analyse gleichzeitig das Endergebnis ist, als auch dynamisch sein, indem das Ergebnis durch Wahrscheinlichkeitskarten Teil eines dynamischen Allokations-Prozesses wird (Alcamo, J. et al. 2006: S. 138).

Eine sehr heterogene Gruppe von musterorientierten Modellen bilden die integrativen Modelle. Integrative Modelle konzentrieren sich nicht auf einzelne Komponenten der Landsysteme, sondern versuchen die Komplexität des Gesamtsystems zu erfassen (ebenda: S. 22). Zu den integrativen Modellen gehört auch das in dieser Modellierung eingesetzte CLUE-S (Conversion of Land Use and its Effects at Small regional extent). Wie viele integrativen Modelle arbeitet es räumlich explizit und mehrskalig, sodass es eine sehr gute Möglichkeit darstellt die Allokation zukünftiger Landbedeckungs- und Landnutzungsänderungen zu prognostizieren (Veldkamp, A. und E. F. Lambin 2001: S. 1). CLUE-S kombiniert die Vorgehensweise der logistischen Regressionsanalyse mit spezifischen Modellparametern und einem vorgegebenen Bedarf. Eine ausführliche Vorstellung von CLUE-S findet sich in Kapitel 5.1.

Prozessorientierten Landbedeckungs- und Landnutzungsmodellen haben sich darauf spezialisiert die Rate und die Quantität von möglichen Landänderungen zu erfassen (Bakker, M. M. und A. Veldkamp 2008: S. 204). Anders als musterorientierte Modelle, simulieren sie also „from process to pattern“ (Lambin, E. F. et al. 2006: S. 3). Ökomonomische Modelle sind ein Beispiel für prozessorientierte Landänderungsmodelle. Sie versuchen meist die bestmöglichsten Lösungen für bestimmte Zwecke in einer gegeben Umwelt zu finden. Sie werden deshalb auch Optimierungsmodelle genannt. Man kann sie grob in mikro- und makroökonomische Modelle unterteilen, wobei erstere meist Individualentscheidungen der lokalen Ebene und letztere die regionale Verteilung von Produzenten und Konsumenten thematisieren (Briassoulis, H. 2000: Kap. 4.5).

Auf Prozesse von Landänderungen sind auch multiagenten-basierte Modelle ausgerichtet. Sie simulieren die Interaktionen von Personen, Gruppen und anderen aktiven Einheiten im Landnutzungsentscheidungsprozess verschiedener Organisationslevel (Judex, M. 2007: S. 20). Sowohl proximate als auch underlying causes und deren Einflussgrad auf Landnutzungsänderungen können durch Multiagenten-Modelle sehr präzise bestimmt werden (ebenda: S. 23). Um neben dem Prozessvorgang des Landwandels auch Einblicke in ihr räumliches Muster zu erhalten, greifen Multiagenten-basierte Modelle häufig auf andere Modelle, wie z.B. zelluläre Automaten, zurück (ebenda: S. 21). zelluläre Automaten sind Rasterzellen mit einer Initialverteilung von Landnutzungszuständen, die im Verlauf der Modellierung ihre Wertigkeiten ändern können. Dies geschieht über festgelegte Übergangsregeln, die sogenannten transition rules. zelluläre Automaten finden weltweit vermehrt Einsatz zur räumlichen Simulation des urban sprawl von Großstädten. Ihr Nachteil besteht darin, dass sie den Anwender über ihre zugrundeliegenden theoretischen Hintergründe vollkommen im Dunkeln lassen (Verburg, P. H. et al. 2006c: S. 127), woran exemplarisch das Grundproblem zwischen technischem Design und wissenschaftlicher Analyse von Modellen deutlich wird (Couclelis, H. 2002: S. 4). In den letzten Jahren wurde deshalb vermehrt gefordert, eine sogenannte „qwertz“-Lösung[16] für die Modellierung des Landwandels zu finden, die ein Umschwenken von Eleganz zu Effektivität propagiert (Hill, M. J. und R. J. Aspinall 2008: S. 172).

Eine Gemeinsamkeit aller Modelle des Landwandels liegt darin, dass sie eine gewisse empirische Datengrundlage benötigen. Häufig stammt diese Datengrundlage von erdbeobachtenden Satellitensensoren oder Luftbildern der Fernerkundung.

2.7 Die Rolle der Fernerkundung

Die Beobachtungstechniken und Bearbeitungsmethoden der Fernerkundung, i.e. Informationsbeschaffung mittels elektromagnetischer Strahlung über Objekte der Erdoberfläche ohne diese direkt zu berühren (Albertz 20073), stellen seit jeher einen wichtigen Bestandteil im Monitoring und der Analyse des globalen Landbedeckungswandels dar (Ramankutty, N. 2006: S. 34). Speziell die digitalen Sensoren[17] von erdbeobachtenden Satelliten, wie z.B. die Landsat- und SPOT-Serie, IKONOS oder AVIRIS, decken ein breites Spektrum an Bilddaten mit verschiedenen, sich ergänzenden Spezifikationen ab. So können sie eine räumliche Auflösung von unter 1m aufweisen, Spektralinformationen in bis zu 400 Kanälen enthalten, das elektromagnetische Spektrum vom sichtbaren Licht bis zum thermalen Infrarot abdecken,[18] über eine Repetitionsrate von einem Tag verfügen oder Bilddaten der letzten 30 Jahre liefern (Breuer, T. und C. Jürgens 2001: S. 61-65 und Woodcock, C. E. und M. Ozdogan 2004: S. 367-377). Zudem decken digitale Bilddaten von Satellitensensoren die Erde nahezu global ab (Rindfuss, R. R. und P. C. Stern 1998: S. 9), wodurch unter Hinzunahme von speziellen Methoden, wie Klassifikation und Veränderungsdetektion, eine umfassende raumzeitliche Beobachtung und detaillierte Analyse von Eigenschaften der Landbedeckung möglich ist.

Darin liegt aber zugleich auch die Begrenzung für den Einsatz von Fernerkundungsmethoden in der Landsystemforschung, denn ohne die Hinzunahme von empirischen Felddaten sind Aussagen über die Nutzung der beobachteten Landeinheit nur schwer bis gar nicht zu treffen (Bakker, M. M. und A. Veldkamp 2008: S. 204). Mehr als in anderen Bereichen der Landnutzungsforschung gilt es hier die Herausforderungen zu meistern, die entstehen, wenn Disziplinen mit natur- und sozialwissenschaftlichem Hintergrund aufeinandertreffen (Rindfuss, et al. 2002: S. 1-3). Das Paradigma lautet also die Untersuchungseinheiten von Fernerkundung und Sozialwissenschaften zu verknüpfen, d. h. Informationen über Pixel und Individuen zusammenzubringen. Die Ansätze dazu wurden unter den bekannten Schlagwörtern „socializing the pixel“ und. „pixelizing the social“ zusammengefasst (Geoghegan, J. et al. 1998: S. 53-54).

Socializing the pixel“ meint dabei die Nutzung von Fernerkundungsdaten für sozialwissenschaftliche Zwecke − „[ they ] must be pushed beyond their biophysical dimensions“ (Verburg, P. H. und A. Veldkamp 2005: S. 100, Z. 2). Im Zusammenhang mit der Landnutzungsforschung hat es sich als sinnvoll erwiesen, entweder Indikatoren und Informationen aus den Bilddaten zu extrahieren, die in Zusammenhang mit sozialen Belangen − wie ökonomischer Wohl- oder Missstand – stehen („mining the pixel“), oder ad hoc auf Basis der vorliegenden Fernerkundungsdaten den Landnutzungswandel zu modellieren („modeling from the pixel“). Ein Beispiel für die erste Vorgehensweise wäre es, bestimmte Muster und Fragmentierungen der Landschaft sozioökonomischen Prozessen wie Urbanisierung oder Subsistenzwirtschaft zuzuordnen (Geoghegan, J. et al. 1998: S. 53-54). Für die „modeling-from-the-pixel“-Variante kann man sich die Hysterese[19] des Landsystems zunutze machen, wobei man davon ausgeht, dass vergangene, anthropogene Eingriffe im Speicher der Landschaft beständig bleiben (Romanova, E. P. und M. A. Arshinova 2001: S. 63). Stochastische Modellansätze, wie die Markov-Kette,[20] sind für dieses empirisch-induktive Vorgehen am geeignetsten (Geoghegan, J. et al. 1998: S. 53-54).

Mit „pixelizing the social“ wird ein umgekehrtes Vorgehen propagiert: Hier versucht man die menschlichen Handlungen und Strukturen vor Ort mit den vorliegenden Fernerkundungsdaten zu verknüpfen und dadurch räumlich explizite Aussagen treffen zu können („modeling to the pixel“). Die Verknüpfung der sozialen Daten mit den Fernerkundungsbilddaten erfolgt dabei meist über Geoinformationssysteme (GIS). Für die Muster-Prognose probiert man häufig die Wahrscheinlichkeit für einen Wandel der Landbedeckung oder Landnutzung eines Pixels empirisch zu bestimmen (Geoghegan, J. et al. 1998: S. 57). Die „Pixelisierung des Sozialen“ ist also das Paradigma, das auch dieser Untersuchung zugrunde gelegt worden ist.[21]

Zusammenfassung

- Wechselwirkungen und Interaktionen innerhalb und zwischen natürlicher und menschlicher Sphäre formen die Ressource Land zu dem, was man in der Alltagssprache als Landschaft bezeichnet. Wissenschaftliche Disziplinen sehen die Landschaft als räumlichen Repräsentanten des gekoppelten Mensch-Umwelt-Systems.
- Landsysteme sind geprägt durch Skalendiversität, raumzeitlich diffuse Antriebskräfte, Resilienz und Vulnerabilität sowie Rückkopplungseffekte und Pfadabhängigkeit.
- Landbedeckung bezeichnet den physischen Zustand der Landoberfläche, Landnutzung die anthropogene Inwertsetzung einer Landparzelle und Landfunktion die Potentiale einer Landschaft.
- Veränderungen in der Landbedeckung oder Landnutzung werden als Landbedeckungs- oder Landnutzungswandel bezeichnet, wobei zwischen kategorialen Konversionen und kontinuierlichen Modifikationen unterschieden wird.
- Ursachen des Landwandels werden nominal in natürliche und anthropogene sowie modal in proximate causes, mediating forces und underlying causes unterteilt.
- Underlying causes sind die eigentlichen Steuerungs- und Antriebskräfte des Landwandels. Sie bilden ein komplexes Wirkungsgefüge auf verschiedenen raumzeitlichen Ebenen und können als Kausalitätskette, co-evolutionär oder in synergetischen Kombinationen existieren.
- Die Landsystemforschung greift auf Theorien und Paradigmen vielfältiger akademischer Ressorts zurück. Eine der bekannteste ist die thünensche Theorie über den „Isolirten Staat“, in der ökonomische Faktoren das landwirtschaftliche Raummuster steuern.
- Eine alles umfassende Theorie des Landwandels ist noch nicht vorhanden, doch wurden bereits zahlreiche epistemologische Denkmuster, wie die der Trajektorien und Transitionen entwickelt.
- Ein essentieller Bereich der Landsystemforschung ist die Modellierung des Landwandels mit einer Vielzahl von Modellen, die zumeist „from pattern to process“ oder „from process to pattern“ modellieren.
- Die Fernerkundung und ihre Methoden nehmen eine zentrale Rolle in der Modellierung des Landwandels ein, da sie eine umfassende raumzeitliche Beobachtung und detaillierte Analyse der Landoberfläche und ihrer Eigenschaften ermöglichen. Für eine tiefergehende Analyse des Landwandels und seiner Ursachen müssen Fernerkundungsdaten mit sozialwissenschaftlichen Daten verknüpft werden. Hierbei unterscheidet man zwei grobe Verfahrensweisen: „socializing the pixel“ und „pixelizing the social“. Letztgenannte liegt dieser Untersuchung zu Grunde.

3 Flächenversiegelung und Flächenverbrauch – Muster, Prozesse und Folgen

Während einige Gefahren und Herausforderungen des Landwandels in der Öffentlichkeit angekommen sind, sind die natürlichen Funktionen des Bodens noch immer ein zu gering geschätztes Gut. Neben anderen anthropogen hervorgerufenen Zerstörungen der Grenzzone von Lithosphäre und Biosphäre, wie Bodenerosion oder -degradation, gilt gerade in den Industrieländern die Flächeninanspruchnahme und die mit ihr einhergehende Flächenversiegelung als Hauptursache für die Verringerung der zentralen, natürlichen Lebensgrundlage von Pflanzen und Tieren.

3.1 Flächenverbrauch und Flächenversiegelung

Flächeninanspruchnahme wird gemeinhin als die Konversion von bisher land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen zu Siedlungs- und Verkehrsflächen definiert (LAG 21 NRW (Hrsg.) 2008: S. 12). Geläufiger als der Terminus Flächeninanspruchnahme ist allerdings der Begriff Flächenverbrauch, da er die negativen Implikationen dieses Prozesses direkt mit einschließt. Obwohl der Begriff Flächenverbrauch sprachlich ein wenig unscharf ist, da Fläche schließlich nicht verschwindet, sondern umgewandelt wird, sollen die Begriffe Flächenverbauch und Flächeninanspruchnahme im Folgenden synonym verwendet werden.

In Deutschland hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in den letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelt (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 59), wobei jeden Tag etwa 114ha Fläche neu in Anspruch genommen werden − davon 15 ha täglich allein in Nordrhein-Westfalen. Zurzeit liegt der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der gesamten Katasterfläche des Bundes bei 12,8%. Nordrhein-Westfalen hat dabei unter den Flächenländern mit 21,6% (LAG 21 NRW (Hrsg.) 2008: S. 12) den höchsten Siedlungs- und Verkehrsflächenanteil. Zum Vergleich: Der Anteil von Siedlungs- und Verkehrsfläche in Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesland mit dem geringsten Anteil dieser Landbedeckungsklasse, beträgt gerade einmal 7% (ebenda: S. 12). Die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Nordrhein-Westfalen zwischen 1996 und 2004 war moderater, da sie nur bei 6,7% und damit unter dem Bundesdurchschnitt von 8,5% lag (ebenda: S. 12). Die höchsten Zunahmen an Siedlungs- und Verkehrsflächen verbuchten in Deutschland mit den ostdeutschen Ländern und Bayern diejenigen Bundesländer, deren Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche vergleichsweise gering ist, was man – zumindest im Falle der ostdeutschen Bundesländer – als Nachholeffekt der verpassten Suburbanisierung zu DDR-Zeiten deuten könnte (Siedentop, S. und S. Kausch 2004: S. 41). Mit einer Verringerung des Flächenverbrauchs ist aber vorerst nicht wirklich zu rechnen (Priebs, A. 2002: S. 34), und das, obwohl der erforderliche Gebäudebestand für die nächsten Dekaden bereits zu Anfang des 21. Jahrhunderts zu 80% existierte (Umweltbundesamt (Hrsg.) 2001: S. 67).

Betrachtet man das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsfläche auf niedrigeren räumlichen Ebenen, so stellt man fest, dass ein Drittel des nationalen Flächenverbrauchs auf die deutschen Kernstädte und ihr Umland entfallen (ebenda: S. 43). Dort wo Freiraum also bereits knapp ist, besitzt der Flächenverbrauch den höchsten Umfang. Dies bedeutet jedoch keineswegs eine konzentrierte Begrenzung des Flächenverbrauchs auf eben jene Räume. Zwar nehmen absolut gesehen die Verdichtungsräume der Bundesrepublik die meisten Flächen in Anspruch, relativ betrachtet ergibt sich allerdings ein umgekehrtes Bild: Denn sowohl gemessen an der Katasterfläche einer Gemeinde als auch an deren Einwohnerzahl, verbuchen die Gemeinden des ländlichen Raums die höchsten Zuwachsraten der Siedlungs- und Verkehrsfläche (ebenda: S. 41-42 und S. 45-46). Der Anteil der Verkehrsfläche überwiegt dabei in der Regel deutlich den der Siedlungsfläche (Siedentop, S. und S. Kausch 2004: S. 47).

Insgesamt ist das räumliche Muster der Flächeninanspruchnahme in der Bundesrepublik also dispers. So verzeichneten zwischen 1999 und 2001 81% aller Gemeinden einen Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche (ebenda: S. 43). Relevant für das räumliche Muster des Flächenverbrauchs sind auch interregionale Wanderungen in Räumen mit bipolarem Wachstumsverhalten. So erleben Wachstumsregionen einen starken Bevölkerungsanstieg und somit auch eine erhöhte Flächeninanspruchnahme, wohingegen in Abwanderungsgebieten die Bevölkerungszahl zwar abnimmt, die Siedlungs- und Verkehrsfläche jedoch im Allgemeinen bestehen bleibt (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 59). Eine mögliche Verringerung der Siedlungs- und Verkehrsfläche, wie sie im oben genannten Zeitraum lediglich 4% aller Gemeinden erfahren haben, muss nicht bedeuten, dass ein kostenaufwendiges und zeitintensives Recycling verbrauchter Flächen stattgefunden hätte (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 59), sondern kann auch auf Korrekturen im Liegenschaftskataster zurückzuführen sein (Siedentop, S. und S. Kausch 2004: S. 43).

Der Prozess des Flächenverbrauchs ist – wie jeder Landnutzungswandel – mit einem Wandel in der Landbedeckung gekoppelt. Hierbei handelt es sich u.a. um eine Umwidmung von Freiflächen zu versiegelten Flächen. Als versiegelte Fläche kann man jegliche anthropogene Landbedeckung verstehen, die eine Bodeninfiltration durch Wasser verhindert (Arnold, C. L. und C. J. Gibbons 1996: S. 244). Zu den Materialien, die eine Versiegelung von Flächen verursachen, gehören vornehmlich Beton, Asphalt, Gehwegplatten und Pflastersteine, aber auch künstliche Grünflächen (Schneider, T. 2007: S. 213). Zwar findet Flächenversiegelung fast allein im Zuge der Ausbreitung von Siedlungs- und Verkehrsflächen statt, doch ist eine Gleichsetzung von versiegelten Flächen mit Siedlungs- und Verkehrsflächen nur bedingt möglich. Siedlungs- und Verkehrsflächen bestehen nämlich zu einem Großteil aus Freiflächen, wie z.B. privaten und halböffentlichen Grünanlagen, „Pantoffelgrün“,[22] Friedhöfen sowie Stadtparks und Stadtwäldern (Umweltbundesamt (Hrsg.) 2001: S. 51 sowie Dosch, F. und G. Beckmann 2001: S. 19). Auch Schienenstrecken sind, wie bspw. eine Untersuchung zum Einsatz von multispektralen Fernerkundungsdaten zur Schätzung von Flächenversiegelung in urbanen Räumen anhand des Fallbeispiels Berlin gezeigt hat, nur etwa zu 40% versiegelt (Hostert, P. 2007: S. 47). Im Allgemeinen geht man deshalb davon aus, dass die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland einen Versiegelungsanteil von ungefähr 50% aufweist (Priebs, A. 2002: S. 34).

Versiegelte Flächen können in die Gruppen bebaute Flächen (built-up areas), ergo Gebäude, und unbebaute Flächen (non-built-up areas), wie Straßen, Bürgersteige und Parkplätze, unterteilt werden (Schneider, T. 2007: S. 213). Die Gruppe der unbebauten Flächen stellt den deutlich größeren Anteil an der gesamten Flächenversiegelung innerhalb der Siedlungs- und Verkehrsfläche (Arnold, C. L. und C. J. Gibbons 1996: S. 249). Untersucht man weitere urbane Nutzungen hinsichtlich ihres Versiegelungsgrads, so kommt man zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Wohngebiete bspw. besitzen ein sehr breites Spektrum der baulichen Dichte, das von ungefähr 20% bis 65% an versiegelter Fläche reicht (ebenda: S. 248). Kommerzielle Nutzungen dagegen können nicht selten Spitzenwerte von bis zu 95% Versiegelungsanteil erzielen (ebenda: S. 248).

Obwohl dem Baugesetzbuch gegen Ende der neunziger Jahre eine Bodenschutzklausel beigefügt worden ist, die die Kommunen in die Pflicht genommen hat mit der Ressource Boden sparsam und schonend umzugehen und insbesondere die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß zu begrenzen (LAG NRW 21 (Hrsg.) 2008: S. 10), kommen in Deutschland zu den bereits 6% an versiegelter Fläche jede Sekunde etwa 7m2 hinzu (Dosch, F. und G. Beckmann 2001: S. 19). Auch die Zielsetzung des Expertenrats für nachhaltige Entwicklung (RNE), die Flächeninanspruchnahme bis 2020 auf 30ha täglich zu reduzieren, scheint bei einem täglichen Flächenverbrauch von 15ha allein in Nordrhein-Westfalen utopisch (LAG 21 NRW (Hrsg.) 2008: S. 5). Wie lässt sich der konstant hohe Flächenverbrauch nun aber begründen? Um der Antwort dieser Frage nachzuspüren, gilt es, sich den Landnutzungswandelprozess durch Flächeninanspruchnahme und den Landbedeckungswandel durch Flächenversiegelung in einem übergeordneten räumlich-gesellschaftlichen Kontext zu betrachten: Dem Vorgang der Verstädterung.

3.2 Die Verstädterung als ubiquitärer Prozess

Die Verstädterung ist ein komplexer Prozess der zunächst einmal das demographische und morphologische Wachstum der Siedlungsformen sowie die Erhöhung der Städtezahl eines Raumes bezeichnet (Heineberg, H. 20012: S. 28). Zudem meint Verstädterung aber auch den sozialen und funktionalen Wandel von ländlichen hin zu urbanen Lebens- und Wirtschaftsstrukturen (Antrop, M. 2004a: S. 10). Der letztgenannte, eher qualitative Vorgang wird in der deutschen geographischen Tradition häufig mit dem Terminus Urbanisierung von ersterem, eher quantitativem Vorgang sprachlich getrennt (Heineberg, H. 20012: S. 28). Im Folgenden sollen jedoch beide Begriffe, wie in der englischen Wissenschaftslandschaft (Antrop, M. 2004a: S. 10), synonym verwendet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Modelle zur Siedlungsstruktur und Interaktionsmuster von historischen Verstädterungsphasen (Bearb. nach UMWELTBUNDESAMT (Hrsg.) 2001: S.77 und BBR (Hrsg.) 2003: S.66-68)

Wie in den meisten west- und mitteleuropäischen Ländern liegt auch in Deutschland der Verstädterungsgrad, i.e. der Anteil der in der Stadt lebenden Einwohner an der Gesamtbevölkerung, über dem weltweiten Durchschnitt bei ca. 80-90% (Brake, K. et al. 2001: S. 9). Der historische Weg zu jener aktuellen Struktur ist bekannt: Im Mittelalter wurden zahlreiche Keimzellen, wie Klöster, Domburgen und Wiks[23], zu Städten ausgebaut, sodass jene Zeit als Phase mit den meisten Stadtgründungen in Europa angesehen werden kann (Heineberg, H. 20012: S. 38). Während der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts erfolgte im Zuge der Industrialisierung und des enormen Bevölkerungswachstums ein explosionsartiges Wachstum der Städte (Abb. 4), vornehmlich konzentriert auf die großen Industriestandorte. Lebten 1830 noch 75% der Einwohner auf dem Land, so waren es hundert Jahre später bereits nur noch 50% (Antrop, M. 2004a: S. 11-13). In der Nachkriegszeit – in Ostdeutschland nach der „Wende“ − setzte die Dekonzentration von Bevölkerung, Produktion, Dienstleistung und Handel aus der Kernstadt ins städtische Umland ein. Die Zeit der Suburbanisierung war angebrochen (Abb. 4) (Kistenmacher, H. 2001: S. 17).

Aktuell lassen sich mehrere Urbanisierungs-Phänomene gleichzeitig beobachten: Im suburbanen Raum entwickeln sich klein- und mittelstädtische Zentrenqualitäten, deren Grundgerüst durch Konsumstandorte an Autobahnauffahrten gebildet wird (Brake, K. et al. 2001: S. 9-10).

Daneben schreitet die Suburbanisierung über den eigentlichen Verdichtungsraum[24] hinaus, sodass man hierbei häufig von Ex- oder Periurbanisierung spricht. Bekannter allerdings ist das Phänomen unter dem amerikanischen Begriff urban sprawl, womit das physikalische Muster der Ausbreitung geringer Siedlungsdichten ins rurale Umland gemeint ist (EEA (Hrsg.) 2006: S. 6). Dieses Ausufern städtischer Strukturen findet unter liberalen Marktbedingungen statt und ist deshalb nur schwer zu kontrollieren oder unter das stadtplanerische Leitbild der dezentralen Konzentration zu fassen (ebenda: S. 6). Das sich allmählich auch in Deutschland herauskristallisierende Produkt dieser jüngeren Verstädterungstendenzen ist eine neuartige Raumstruktur zwischen ruralen und urbanen Merkmalsausprägungen, welche häufig als „Zwischenstadt“ oder „Stadtlandschaft“ bezeichnet wird (Sieverts, T. 2001: S. 235-236).

Die Trennung zwischen Stadt und Land wird aufgehoben, indem der ländliche, agrarisch geprägte Raum mit urbanen Charakteristika durchsetzt wird. Typische Merkmale dieses „rurbanen Siedlungsbreis“ sind hauptsächlich über Pendlerströme funktional mit den Verdichtungsräumen verbundene Satellitenstädte, Schnellstraßen, Industrieanlagen, Gewerbeparks, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie moderne Einzelhandelsvertriebstypen, zu denen Urban Entertainment Center (UEC) oder Factory-Outlet-Center (FOC) gehören (Dosch, F. und G. Beckmann 2001: S. 22). Dazu nimmt das vormalige radial-konzentrische Mobilitätsmuster zwischen Stadt und Umland zunehmend komplexere Strukturen an, sodass man in vielen Fällen eher von tangential-dendritischen Beziehungsmustern sprechen muss (Brake, K. et al. 2001: S. 9).

Eine Amerikanisierung der deutschen Peripherie – in den USA leben 70% der Bevölkerung in Vorstädten – mit größeren, peripheren Wirtschaftszentren, den sogenannten Edge Cities, und kilometerweiten, homogenen Wohngebieten ist vorerst nicht zu befürchten. Dies liegt u.a. am mangelnden Freiraum, an der Abwesenheit eines ausgeprägten ethnisch-sozialen Gefälles zwischen Kernstadt und Vorstadt, an einem gut ausgebautem ÖPNV und v.a. an einer intakten Regionalplanung, die die lokalen Eigeninteressen der Kommunen weitestgehend bremsen kann (Müller, W. und R. Rohr-Zänker 2001: S. 36ff.). Eine weiter voranschreitende Zersiedlung ins ländliche Umland hinein konterkariert jedoch eine nachhaltig flächensparende und ressourcenschonende Stadtentwicklung einerseits und die Bemühungen um die ökologische Leistungsfähigkeit und das Entwicklungspotenzial der Landschaft andererseits (Umweltbundesamt (Hrsg.) 2001: S. 71-72).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Modelle zum Veränderungsmuster urbanisierter Dörfer (ANTROP, M. 2004: S.20)

Eng verbunden mit dem urban sprawl ist der Deurbanisierungsprozess (Abb. 4), welcher durch eine absolute Abnahme von Bevölkerungs- und Beschäftigungszahlen im gesamten Agglomerationsraum gekennzeichnet ist. In den meisten Fällen geht mit einer Deurbanisierung die sogenannte counterurbanization einher. Damit ist das demographische und ökonomische Wachstum von Mittel- und Kleinstädten bei gleichzeitiger Schrumpfung des Agglomerationsraums gemeint (Heineberg, H. 20012: S. 43-46 u. S. 53-54).

Von counterurbanization können sogar durch bisher ländliche Strukturen geprägte Gemeinden betroffen sein, wodurch sich allmählich urbanisierte Dörfern herausbilden (Antrop, M. 2004a: S. 16ff.). Dazu zählen bspw. Gemeinden, die im sogenannten urban shadow[25] des Verdichtungsraums liegen und aufgrund des daraus resultierenden, mangelhaften Marktzugangs ein eher stagnierendes Wachstum aufweisen. In geringer Distanz zur Agglomeration konnte sich dadurch eine ländliche, scheinbar unberührte Landschaft erhalten. Trotzdem sind bei einer solchen „urban implosion in space and time“ (ebenda: S. 16, Z. 19-S. 17, Z. 1) funktional gesehen urbane Strukturen vorhanden, was sich u.a. an der Ausrichtung mittels entsprechender Einrichtungen auf Wochenendtouristen aus der Stadtregion ausdrückt (ebenda: S. 17). Urbanisierte Dörfer können aber auch im entfernteren Umland des Verdichtungsraums oder im weit entfernten ländlichen Raum gelegen sein. Sie erfahren häufig ein plötzlich einsetzendes Wachstum aufgrund verbesserter Zugangsmöglichkeiten durch neue oder ausgebaute Verkehrswege und -kreuzungen (ebenda: S. 19-20). Die Morphologie jener urbanisierten Dörfer ist sehr vielfältig und wird vornehmlich in funktional-homogen oder funktional-heterogen „explodierte“ (Abb. 5a u. c), axial ausgedehnte (b) sowie perl- und trabentenartig entwickelte (d u. e) Formen unterteilt (ebenda: S. 20).

Neben Exurbanisierung und urban sprawl, Deurbanisierung und counterurbanization lässt sich als dritte, jüngere Verstädterungstendenz eine allmähliche Reurbanisierung sowohl in wachsenden als auch in schrumpfenden Ballungsgebieten ausmachen. Hervorgerufen wird sie meist durch Erhaltungs- und Erneuerungsinvestitionen in den Kernstädten (Heineberg, H. 20012: S. 54-55). In der jüngeren Forschungsliteratur geht man jedoch eher davon aus, dass diese potentielle „Renaissance der Städte“ eher auf ein Verbleiben in der Kernstadt als auf einen erhöhten Zuzug von Bevölkerung und Arbeitsplätzen zurückzuführen ist (Hirschle, M. und A. Schürt 2008: S. 211).

3.3 Ursachen und Antriebskräfte von Flächenversiegelung und Flächenverbrauch

Für die Beantwortung der Frage nach den Gründen für den weiter voranschreitenden Prozess der Flächenversiegelung müssen vornehmlich die Steuerungsfaktoren, die underlying causes, von Verstädterung und Siedlungsdispersion untersucht werden. Wie die meisten Landwandel der postmodernen Gesellschaft bestehen auch die Steuerungsfaktoren und Ursachen für die Flächeninanspruchnahme aus einem komplizierten, nicht-linearen Beziehungsgeflecht der verschiedensten Sphären des sozialen Systems.

Konnte man in der Vergangenheit als Hauptantriebskraft für einen zunehmenden Flächenverbrauch im Zuge der Industrialisierung noch den gewachsenen Bevölkerungsdruck auf die Industrieregionen ausmachen, so gehört diese Monokausalität längst der Vergangenheit an (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 58). Demnach ist im Bundesgebiet die Bevölkerungszahl in den letzten 50 Jahren um ca. ein Fünftel angestiegen, wohingegen sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche nahezu verdoppelt hat (Dosch, F. und G. Beckmann 2001: S. 18). Natürlich zieht zwar nach wie vor ein Wachstum in der Bevölkerungszahl einer Region auch ein Wachstum der Flächeninanspruchnahme nach sich, doch gestaltet sich die Beziehung zwischen Bevölkerung und Flächenverbrauch weitaus komplexer.

Eine Ursache lässt sich aus der Bezeichnung für den Flächenverbrauch als Wohlstandsphänomen ableiten (Platzeck, M. 2002: S. 7). Lag die durchschnittliche Haushaltsgröße 1950 nämlich noch bei 15m2/EW, so vergrößerte sie sich bis zum Jahr 2000 auf ca. 41m2/EW. Insbesondere der Wunsch nach einem „Eigenheim im Grünen“ und die Erfüllung desselbigen verursachten gerade in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine massive Ausdehnung der verstädterten Fläche (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 60). Zudem werden trotz eines existierenden Leerstands zahlreicher Wohngebäude viele Neubauprojekte durchgeführt, da sie in Lage und Qualität eher dem gesellschaftlichen Wohnideal entsprechen (ebenda: S. 60). Begünstigt wird die Flächenexpansion der Bevölkerungssuburbanisierung zudem vom Preislandgefälle zwischen Kernstadt und Umland, staatlichen Subventionen wie der Eigenheimpauschale (ebenda: S. 60) − die allerdings zum 1.1.2006 abgeschafft worden ist (Anm. d. Verf.) − und durch die momentane Bevölkerungsstruktur mit einer hohen Bevölkerungsanzahl in der vorzugsweise bauenden Gruppe der 30-40 Jährigen (Geist, H. und W. McConnell 2006: S. 57). Die Sub- und Exurbanisierung der Bevölkerung geht jedoch nicht nur auf den Wunsch nach einer Verbesserung der individuellen Wohnraumsituation durch Eigentumsbildung und einer Vergrößerung des Wohnumfelds mit genügend Freiraum zur ungestörten Selbstverwirklichung zurück, sondern wird auch getrieben durch den natürlichen, menschlichen Drang nach Sicherheit und sozialer Identität, welche für einige Gruppen der Bevölkerung bei mangelhafter Infrastruktur und sozialer Segregation in den Kernstädten nicht mehr gegeben sind (Kistenmacher, H. 2001: S. 18). So haftet den innerstädtischen Bereichen, häufig zu unrecht, in der allgemeinen Perzeption ein negatives Image an, das von schlechten ökologischen Lebensbedingungen, wie Schmutz, Lärm, Enge und Unsicherheit sowie defizitären sozialen Voraussetzungen, zu denen schlechte Schulen, Alltagskriminalität und Armut gehören, geprägt ist (EEA 2006: S. 17).

In dem Bewusstsein der breiten Masse hat noch eine andere Änderung hinsichtlich der Wohnstandortentscheidung stattgefunden. Die räumliche Entfernung zum Arbeitsplatz, welcher sich häufig in den Kernstädten von Verdichtungsräumen befindet, wurde nämlich von der zeitlichen Distanz zum selbigen bei der subjektiven Wohnstandortentscheidung abgelöst. Durch eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den ländlicheren Gebieten und durch den gestiegenen motorisierten Individualverkehr (MIV) kann deshalb auch eine hohe räumliche Distanz simultan zu einer niedrigen zeitlichen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort bestehen (Brinkmann, W. et al. 2007: S. 94). Die Folge ist eine Entkopplung der beiden elementarsten Standorte zur Befriedigung der Daseinsgrundfunktionen.

Die hohe Nachfrage nach neuem Wohnraum hat aber noch weitere Gründe, worunter vor allem die Pluralisierung der Lebensstile im Rahmen des Demographischen Wandels eine bedeutende Rolle einnimmt. Die Dauer von Partnerschaften verkürzt sich, Ehescheidungen steigen an und Geburten werden aufgeschoben (Föbker, S. et al. 2007: S. 207). Die Singularisierung der Gesellschaft ist die Folge. Dementsprechend hat sich die durchschnittliche Haushaltsgröße auch von 2,27 Personen pro Haushalt zwischen 1990 und 2004 auf 2,13 Personen verringert (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 58). Die Einpersonenhaushalte hingegen machen heute bereits ein Drittel aller Privathaushalte aus, wobei ein Anstieg auf 40% bis zum Jahr 2025 erwartet wird (Grüber-Töpfer, W. et al. 2007: S. 29). Dies hängt auch mit einem weiteren Aspekt des Demographischen Wandels zusammen: der Alterung der Gesellschaft. Ältere Personen leben zumeist in kleinen Haushalten bei gleichzeitig hoher individueller Wohnfläche, da die Kinder bereits ausgezogen sind und der Lebenspartner verstorben ist. Dieser Remanenzeffekt bedeutet für nachfolgende Generationen mit eigenen Familien die Suche nach neuen Wohnraum (Mielke, B. und A. Münter 2007: S. 60).

[...]


[1] Systeme im Fließgleichgewicht sind relativ stabil gegenüber kleineren Störungen (Leser, H. et al. (Hrsg.) 200513: S. 236).

[2] Landmanager sind die Entscheidungsträger über die jeweilige Nutzung eines Landareals. Es kann sich dabei sowohl um Personen, als auch um Institutionen o.ä. handeln. Häufig sind Landmanager auch gleichzeitig die Besitzer des Landareals (Anm. d. Verf.).

[3] Vgl. dazu Kapitel 2.7 und 3.5.

[4] Vgl. dazu Kapitel 3.5.

[5] Vom Menschen völlig unbewohnte Zonen der Erde (Anm. d. Verf.).

[6] Die Begriffe nominal und modal – nicht aber die von ihnen repräsentierten Inhalte − wurden vom Verfasser dieser Arbeit in Abwesenheit geeigneter, zusammenfassender Schlagwörter hilfsweise selbst gewählt.

[7] Als hot spots des Landwandels werden Regionen aufgefasst, in denen besonders intensive, großflächige oder rapide fortschreitende Landänderungen festzustellen sind. So gilt die Region Bonn/ Rhein-Sieg bspw. als hot spot der Urbanisierung in Nordrhein-Westfalen (Anm. d. Verf.).

[8] Ganzheitslehre eines Systems (Anm. d. Verf.).

[9] Ein Verbundprojekt von IHDP (International Human Dimensions Programme on Global Environmental Change) und IGBP (International Geosphere-Biosphere Programme) (Anm. d. Verf.).

[10] Für ausführlichere Informationen siehe auch Briassoulis (2000).

[11] Vgl. dazu Kapitel 6.1.1.

[12] Vgl. dazu Kapitel 5.1.5.

[13] Z.B. Straßenentfernung als Ersatz-Variable für Marktzugang (Anm. d. Verf.).

[14] Vgl. dazu: Verburg, P. H. et al. (2006c): S. 118 ff., Alcamo, J. et al. (2006): S. 138, Brown, D.G. et al. (2004): S. 395, Judex, M. (2007): S. 18-23, Orekan, V. (2007): S. 23ff. und Briassoulis (2000): Kap. 4.

[15] Die normativen Zwecke fokussieren sich darauf, welche Änderungen im Landsystem wünschenswert sind, während die evaluierenden speziell politisch gesteuerte Landnutzungsänderungen auswerten (Anm. d. Verf.).

[16] Der Name verweist auf die für den Gebrauch ausgerichtete Tastaturbelegung von Buchstaben (engl.: „qwerty“) (Hill, M. J. und R. J. Aspinall 2008: S. 172).

[17] Für Grundlagen der Fernerkundung vgl. Albertz 20073.

[18] Aktive Scanner werden außen vor gelassen (Anm. d. Verf.).

[19] Hysterese beschreibt ein System, dessen Output nicht nur von der Eingangsgröße abhängig ist, sondern auch von der Geschichte desselbigen (Ramankutty, N. 2006: S. 39).

[20] Mathematische Beschreibungsmöglichkeit zeitlich geordneter, zufälliger Prozesse (Briassoulis 2000: Kap. 4.6.3B).

[21] Vgl. dazu Kapitel 5.4.

[22] Öffentliche Parkanlage nahe des Wohnstandorts (Umweltbundesamt (Hrsg.) 2001: S. 51).

[23] Kaufmannssiedlungen (Anm. d. Verf.).

[24] Die Begriffe Verdichtungsraum, Agglomeration, Ballungsgebiet und Stadtregion meinen in der vorliegenden Arbeit alle ein dicht besiedeltes städtisches Gebiet mit hoher Einwohnerzahl und Fläche sowie einer überregionalen, zentralörtlichen Bedeutung respektive internationaler Ausstrahlung (Anm. d. Verf.).

[25] Ländlicher, meist keilförmiger Raum, der sich zwischen den entlang an Hauptverkehrsachsen ausgebreiteten, verstädterten Vororten der Verdichtungsräume befindet (Antrop, M. 2004: S. 16-17).

Excerpt out of 167 pages

Details

Title
Räumlich explizite Modellierung der Flächenversiegelung in der Region Bonn/Rhein-Sieg auf Basis von multispektralen Satellitendaten
College
University of Bonn  (Geographisches Institut)
Grade
1,0
Author
Year
2009
Pages
167
Catalog Number
V148174
ISBN (eBook)
9783640596546
ISBN (Book)
9783640596935
File size
5279 KB
Language
German
Notes
Auszug aus Gutachten: "... Aufgrund der stark stringenten Gliederung und der klaren Sprache ist die Arbeit insgesamt sehr gut nachvollziehbar. Sie wird von einer Reihe meist selbst erzeugter Grafiken illustriert, was die Anschaulichkeit der Arbeit erhöht. Insgesamt zeigt die Arbeit einen gelungenen Forschungsansatz, der an einem regionalen Beispiel eine Reihe methodischer Ansätze aus den Bereichen Fernerkundung, GIS und Statistik, sowie theoretischer Ansätze aus Teildisziplinen der Human- und physischen Geographie vereint. Als Bewertung schlage ich die Note vor: sehr gut (1,0)"
Keywords
CLUE-S, Logistische Regression, Bonn/ Rhein-Sieg, Flächenversiegelung, Flächenverbrauch, CORINE, NRW-Pro, Antriebskräfte, Bedarf, Allokation, Landnutzungswandel, Landbedeckungswandel, LUCC, ROC, AUC, Inter-Quartil-Range-Plots, Fuzzy-Kappa, Multiple-Resolution Validation, Unüberwachte Klassifikation, Versiegelungsgrad, Landsat, Konversionselastizität, Geographie, Geografie, Geowissenschaften, Landsystem
Quote paper
Andreas Rienow (Author), 2009, Räumlich explizite Modellierung der Flächenversiegelung in der Region Bonn/Rhein-Sieg auf Basis von multispektralen Satellitendaten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148174

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