Die Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht: Demokratische Legitimation oder politischer Kuhhandel?


Term Paper, 2003

17 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Gesetzliche Grundlagen der Richterwahl
1. Die Normierung in Grundgesetz und Bundesverfassungsgerichtsgesetz
2. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Wählbarkeit

III. Das gesetzliche Wahlverfahren
1. Kandidatenauswahl
a) Liste des Bundesministerium der Justiz
b) Vorschlagrecht des Bundesverfassungsgericht
2. Die Wahl in Bundestag und Bundesrat
a) Aufteilung der Richterstellen
b) Die Wahl im Bundestag
c) Das Wahlverfahren im Bundesrat
3. Die Ernennung durch den Bundespräsidenten

IV. Die Praxis der Verfassungsrichterwahl
1. Die Auswahl der Kandidaten
2. Das praktizierte Wahlverfahren
V. Kritik am Wahlverfahren
1. Kritik an den gesetzlichen Regelungen der Richterwahl
a) Kritik am Wahlausschuss des Bundestags
b) Kritik an der Transparenz des Wahlverfahrens
c) Bewertung der Kritik an der gesetzlichen Ausgestaltung der Verfassungsrichterwahl
2. Kritik an der Praxis der Wahl

VI. Demokratische Legitimation des Bundesverfassungsgerichts
1. Keine demokratische Legitimation durch Responsivität
2. Richterwahl: Demokratische Legitimation oder politischer Kuhhandel?

VII. Zwei Anmerkungen zur Vollständigkeit
1. Unterschiedliche Grade an politischer Legitimation durch zwei 12 Wahlorgane?
2. Das Wahlverfahren und die richterliche Unabhängigkeit

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Im Unterschied zur Rechtsprechung im Rahmen der klassischen Gewaltenteilung fällt dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht lediglich die Aufgabe zu, am vorgegebenen Maßstab des gesetzten Rechtes die Wirklichkeit zu überprüfen.[1] Vielmehr besitzt das Bundesverfassungsgericht als selbständigem Verfassungsorgan eine Fülle an Kompetenzen, die ihm einen „Anteil an der Staatsleitung“[2] zukommen lassen.

Willi Geiger zählt in „Verfassungsgerichtsbarkeit im dritten Jahrzehnt“ drei Dimensionen auf in denen sich ein Verfassungsgerichts legitimieren muss. Einmal durch die Erfüllung seiner Funktion, den Schutz des demokratischen Rechtsstaates und der bundesstaatlichen Struktur, zweitens durch die Qualität seiner Rechtsprechung und drittens nach der Legitimation als Verfassungsorgan, also die Frage nach der demokratischen Legitimationskette.[3] Daraus erwachsen vier zentrale Forderungen an die Regelung der Richterbestellung, die sich nicht leicht vereinbaren lassen. Dies sind nach Heinz Laufer zuerst demokratische Legitimierung der Verfassungsrichter, dann der Ausschluss einseitiger Einflüsse bei der Richterwahl, weiter die Forderung nach hoher richterlicher Qualität und schließlich föderative Repräsentation. Diese Forderungen, die Laufer als „magisches Viereck der Richterbestellung“ bezeichnet, schaffen erst die Möglichkeit für eine substantielle Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts.[4]

In der folgende Hausarbeit soll die Frage geklärt werden, ob das Wahlverfahren der Richter die Anforderungen, eine demokratische Legitimation des an der Staatsleitung beteiligten Verfassungsorgans „Bundesverfassungsgericht“ zu leisten, in der Lage ist.

Dabei soll in einem ersten Schritt eine ausführliche Darstellung der Richterwahl gegeben werden. Anschließend werden Kritikansätze dargestellt, um dann zu Ende die obige Frage zu diskutieren.

II. Gesetzliche Grundlagen der Richterwahl

1. Die Normierung in Grundgesetz und Bundesverfassungsgerichtsgesetz

Art. 94 GG regelt die Wahl der Richter zum BVerfG. Durch die Bestellung der Verfassungsrichter durch Bundestag (BT) und Bundesrat (BR) soll die Richterwahl demokratisch legitimiert werden und somit eine Legitimation des BVerfG vermittelt über die Gesetzgebungsorgane direkt vom Staatsvolk, dem ja nach Art 20 Abs. 2 S. 1 GG die Souveränität zukommt, hergestellt werden.[5] Art. 94 Abs. 1 regelt jedoch lediglich, dass die „Richter des Bundesverfassungsgerichts“[6] je zur Hälfte von BT und BR zu wählen sind.[7]

Nähere Ausführungen nahm der Gesetzgeber mit dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 (BVerfGG) vor. Es zeigten sich jedoch früh eine Reihe von Schwachstellen in diesem Gesetz[8], die zu der „sehr ungewöhnlichen“[9] Situation führten, dass sich das BVerfG dazu entschloss, dem Bundesministerium der Justiz einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die größten Missstände beseitigen sollte.[10]

Essentielle Änderungen des BVerfGG kamen durch das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21. Juli 1956“[11] zustande. Es enthielt Änderungen zur Anzahl der Richter pro Senat, die stufenweise auf acht reduziert werden sollten, sowie die Neueinfügung eines Vorschlagsrechtes für die Verfassungsrichter, falls für eine vakante Richterstelle nicht innerhalb zweier Monate ein Nachfolger bestimmt wird. Des weiteren setzte es die zur Wahl bis dahin nötig Dreiviertel auf eine Zweidrittelmehrheit herab.

Nach dem Erlass des deutschen Richtergesetzes (DRiG) 1961[12] entfielen im Zuge einer Anpassung an die allgemeinen Zugangsvoraussetzungen zum Richteramt die in §3 Abs. 2 BVerfGG dato geforderten zusätzlichen Qualifikationsmerkmale der „besonderen Kenntnisse im öffentlichen Recht“ und der „Erfahrung im öffentlichen Leben“.[13]

Weiter für die Wahl der Verfassungsrichter relevante Bestimmungen änderte das „Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das BVerfG vom 21. Dezember 1970“[14] Dies waren insbesondere die Veränderung der Amtszeit auf die immer noch aktuellen maximal zwölf Jahre[15] und der Ausschluss einer Wiederwahl.

2. Die Allgemeinen Vorraussetzungen für die Wählbarkeit

Die „bescheidenen“[16] formellen Voraussetzung sind im Art. 94 Abs. 1 GG und in den Paragraphen 2 und 3 des BVerfGG festgelegt. Art. 94 GG schreibt gewaltenteilend die Inkompatibilität eines Richteramtes am BVerfG mit der Mitgliedschaft in BT, BR oder Bundesregierung (BReg) vor. Das BVerfGG[17] fügt die Vollendung des 40. Lebensjahr, die Wählbarkeit zum BT, eine schriftliche Bereitschaftserklärung zur Übernahme des Amtes sowie die Befähigung zum Richteramt nach dem DRiG besitzen. Die aus der Reihe der obersten Bundesrichter zu wählende Richter sollen nach §2 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG mindestens drei Jahre an einem Bundesgericht tätig gewesen sein.

III. Das gesetzliche Wahlverfahren

1. Kandidatenauswahl

a) Liste des Bundesministerium der Justiz

Nach § 8 BVerfGG hat der Bundesminister der Justiz zwei Listen, davon eine mit Bundesrichtern, die andere mit Personen, die von einer Fraktion des BT, von der Bundes- oder Landesregierungen vorgeschlagen werden, zu führen, welche den in § 2 und 3 BverfGG formulierten Ansprüchen genügen. Allerdings sind die zuständigen Wahlgremien nicht auf die Personen in den Listen beschränkt, womit diesen Listen kaum Bedeutung zukommt.[18]

b) Vorschlagsrecht des Bundesverfassungsgericht

Wie oben (II. 1.) bereits erwähnt besitzt das BVerfG in dem Falle, dass innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf der Amtszeit oder dem Ausscheiden eines Richters am BVerfG die Wahl eines Nachfolgers nicht zustande gekommen ist, ein subsidiäres und nicht verbindliches Vorschlagsrecht.[19] Diese Regelung dürfte aber nach Meinung von Klaus Kröger kaum ein Mittel zur Entscheidungsfindung in Situationen der politischen Konfrontation sein. Eine Annahme des Vorschlags des BVerfG würde ja auch explizit die Unfähigkeit des zuständigen Wahlgremiums zu einer Lösung zu kommen, dokumentiert.[20]

2. Die Wahl in Bundestag und Bundesrat

a) Aufteilung der Richterstellen

BT und BR wählen je zur Hälfte die Richter des BVerfG, wobei wiederum je vier Richter pro Senat von jedem der beiden Wahlgremien gewählt werden.[21] Da seit der Verminderung der Zahl der Richter die Anzahl der Bundesrichter pro Senat auf drei zurückging, ist eine paritätische Besetzung durch BR und BT nicht mehr möglich. Das BVerfGG verfügt:

„Von den aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes zu berufenden Richtern werden einer von dem einen, zwei von dem anderen Wahlorgan, von den übrigen Richtern drei von dem einen, zwei von dem anderen Wahlorgan in die Senate gewählt.“[22]

Die Entscheidung darüber, welches Organ mehr Bundesrichter bzw. andere Mitglieder zu wählen hat, wurde der Entwicklung vorbehalten, welche Mitglieder des Verfassungsgerichts zuerst ausschieden.[23] Aus historischen Gründen wählt der BT zwei Bundesrichter und zwei andere Mitglieder, der BR einen Bundesrichter und drei andere Mitglieder, sowohl zum ersten als auch zum zweiten Senat.[24]

Dabei findet die Wahl frühestens drei Monate vor Ende der Amtszeit des zu ersetzenden Richters statt.[25] Die Nachfolger vorzeitigt ausgeschiedener Richter werden innerhalb eines Monats gewählt.[26]

b) Die Wahl im Bundestag

Das Wahlverfahren im BT wird in § 6 BVerfGG festgelegt. Abs. 1 schreibt indirekte Wahl im BT vor. Der 2. Absatz regelt dann die Modalitäten der Zusammenstellung des deshalb erforderlichen Wahlausschusses:

„Der Bundestag wählt nach den Regeln der Verhältniswahl einen Wahlausschuß für die Richter des Bundesverfassungsgerichts, der aus zwölf Mitgliedern des Bundestages besteht. Jede Fraktion kann einen Vorschlag einbringen. Aus den Summen der für jeden Vorschlag abgegebenen Stimmen wird nach dem Höchstzahlverfahren (dïHondt) die Zahl der auf jeden Vorschlag gewählten Mitglieder errechnet. Gewählt sind die Mitglieder in der Reihenfolge, in der ihr Name auf dem Vorschlag erscheint. Scheidet ein Mitglied des Wahlausschusses aus oder ist es verhindert, so wird es durch das nächste auf der gleichen Liste vorgeschlagene Mitglied ersetzt.“[27]

Der Älteste der Wahlmänner beruft die Sitzungen des Ausschusses mit einer Ladungsfrist von einer Woche ein und leitet sie auch. Die Sitzung wird fortgesetzt bis alle Richter gewählt sind, zur Wahl ist eine Zweidrittelmehrheit, also acht Stimmen, notwendig.[28]

Die Richterwahl wird dem Wahlmännerausschuss als ständige Aufgabe während der Legislaturperiode übertragen. Er entscheidend eigenverantwortlich und ist deshalb dem Bundestag keine Rechenschaft schuldig und nicht an Weisungen oder Empfehlungen des Plenums gebunden.[29]

Die Mitglieder sind zur Vertraulichkeit über ihre Tätigkeit im Wahlausschuss verpflichtet.[30]

c) Das Wahlverfahren im Bundesrat

Der BR wählt nach §7 BVerfGG „seine (sic) Bundesverfassungsrichter“[31] mit Zweidrittelmehrheit im Plenum.

„Mangels speziellerer Vorschriften wird die Wahl gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 3 GG i. V. m. §29 GeschOBR öf fentlic h durchgeführt.“[32]

3. Die Ernennung durch den Bundespräsidenten

Nach §10 BVerfGG ernennt der Bundespräsident die von BT oder BR Gewählten zu Verfassungsrichter. Der Präsident ist nicht befugt, den Wahlakt sachlich zu überprüfen. Er kann lediglich die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl kontrollieren. Erst mit dieser Ernennung erwirbt der Gewählte die Stellung eines Richter des BVerfG und erlöschen die mit seiner Tätigkeit als Verfassungsrichter unvereinbaren Funktionen (gemäß § 3 Abs. 3 BVerfGG)

IV. Die Praxis der Verfassungsrichterwahl

1. Die Auswahl der Kandidaten

Die bereits erwähnte Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Wahlausschusses des BT[33] macht es schwierig genaue Aussagen über die Modalitäten der Auswahl der Kandidaten zu treffen. Kröger stellte 1976 fest, dass sich ein „grundsätzliches Arrangement von CDU/CSU und SPD“ entwickelt hätte, sich auf bestimmte Richterstellen die Besetzungspräferenz einzuräumen.[34] Und Christine Landfried zeigt in ihrer 1984 geschriebenen Arbeit, wie erstaunlich konsequent seit 1951 der Parteienproporz bei Richterwahlen eingehalten wird.[35]

[...]


[1] v gl. Rudzio, W., Das politische System, 2000, S. 329

[2] Stern, K., Staatsrecht, 1980, S. 951

[3] vgl. Geiger, S. 73 in: Frowein, J., Bundesverfassungsgericht, 1973

[4] vgl. Laufer, H., Verfassungsgerichtsbarkeit, 1968, S. 207

[5] vgl. Kröger, K., Richterwahl, 1976, S. 78

[6] so der nach § 98 Art 1 BVerfGG korrekte und schönen Titel der Richter (vgl. Schlaich, K., Bundesverfassungsgericht, 1994, S. 29)

[7] vgl. Art. 94 Abs. 2 GG

[8] vgl. Laufer, H., Verfassungsgerichtsbarkeit, 1968, S. 170, vgl. Ley ,R., Wahl, 1991, S. 423 (mit Verweis auf Laufer)

[9] vgl. Ley ,R., Wahl, 1991, S. 423

[10] vgl. Laufer, H., Verfassungsgerichtsbarkeit, 1968, S. 172

[11] Bundesgesetzblatt I, S. 662

[12] Bundesgesetzblatt I. S. 589

[13] vgl. Ley ,R., Wahl, 1991, S. 424, und vgl. Kröger, K., Richterwahl, 1976, S. 85

[14] Bundesgesetzblatt I, S. 1765

[15] Ein interessantes Abweichen von dieser Regelung ergibt sich lediglich durch den Verteidigungsfall, durch den sich die Amtszeit der Richter am Bundesverfassungsgericht verlängert, bis sechs Monate nach Ende des Verteidigungsfall (vgl. Art 115h Abs. 1, Satz 3 GG). Ziel dieser Gesetzesänderung 1968war, dass das BVErfG so „in der kritischen Zeit der Normalisierung und der Neubildung der Verfassungsorgane seine Funktion erfüllen“ kann. (RegEntw., Begründung zu Art. 115h Abs. 1; zitiert nach Billing, W., Problem, 1969, S. 164

[16] vgl. Geck, W. K., Amtsrecht, 1986, S. 15

[17] vgl. § 3 BVerfGG

[18] vgl. Geck, W. K., Amtsrecht, 1986, S. 22

[19] vgl. § 7a BVerfGG

[20] vgl. Kröger, K., Richterwahl, 1976, S. 89f

[21] vgl. § 5 Abs. 1 BVerfGG

[22] § 5 Abs. 1 BVerfGG

[23] vgl. Ley ,R., Wahl, 1991, S. 427

[24] vgl. Ley ,R., Wahl, 1991, S. 428

[25] vgl. § 5 Abs. 2 BverfGG (Eine Sonderregelung für den Fall, das der Bundestag zu dieser Zeit aufgelöst ist, wird wohl schwerlich irgendwann Bedeutung gewinnen.)

[26] vgl. § 5 Abs. 3 BVerfGG

[27] § 6 Abs. 2 BVerfGG

[28] vgl. § 6 Abs. 3 – 5 BVerfGG

[29] vgl. Kröger, K., Richterwahl, 1976, S. 91

[30] vgl. § 6 Abs. 4 BVerfGG

[31] vgl. Ley ,R., Wahl, 1991, S. 436

[32] vgl. Ley ,R., Wahl, 1991, S. 436

[33] vgl. § 6 Abs. 4 BVerfGG

[34] vgl. Kröger, K., Richterwahl, 1976, S. 94

[35] vgl. Landfried, Chr., Gesetzgeber, 1984, S. 17

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Die Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht: Demokratische Legitimation oder politischer Kuhhandel?
College
LMU Munich  (Geschwister-Scholl-Institut)
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
17
Catalog Number
V14825
ISBN (eBook)
9783638201285
File size
599 KB
Language
German
Keywords
Wahl, Richter, Bundesverfassungsgericht, Demokratische, Legitimation, Kuhhandel
Quote paper
Johannes Dejon (Author), 2003, Die Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht: Demokratische Legitimation oder politischer Kuhhandel?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14825

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