Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit in Bertolt Brechts Theatertheorie


Trabajo Escrito, 2005

14 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Kunstmodell
2.1 Die gebundene Ästhetik
2.2 Die Technik der Verfremdung

3. Das Wirklichkeitsmodell
3.1 Der Unfall als Grundmodell des epischen Theaters
3.2 Das didaktische Konzept

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Untersuchungsziel der vorliegenden Arbeit ist es zu zeigen, in welchem Verhältnis Kunst und Wirklichkeit in Bertolt Brechts theatertheoretischen Schriften bzw. Gedichten stehen. Als Gegenstand der Analyse dient zum einen Die Straßenszene: Grundmodell einer Szene des epischen Theaters, ein Essay aus dem Jahr 1940, und zum anderen das Gedicht Über alltägliches Theater von 1935.

Bereits Aristoteles befasste sich mit der Problematik, in welchem Maße künstlerische Mittel gerechtfertigt seien, um die Realität abzubilden ohne sie zu verfälschen. Auch Goethe erkannte das Dilemma und der Stückeschreiber Bertolt Brecht selbst führte die Problematik in seinen theoretischen Schriften weiter. Somit hat die Diskussion um den Zusammenhang von Kunst und Wirklichkeit bis heute an Aktualität nicht verloren, was auch die Vielzahl an Sekundärliteratur zu diesem Thema bezeugt. Häufig überschneiden oder wiederholen sich jedoch Interpretationsaspekte verschiedener Autoren. Als Sekundärquellen neben den zu untersuchenden Primärtexten dienen daher insbesondere das Brecht-Handbuch von Jan Knopf, Die Lyrik Bertolt Brechts von 1914-1956 von Horst Jesse, ferner Kunst und Wirklichkeit: Zur Literaturtheorie bei Brecht, Lucàcs und Broch von Victor Zmegac und Brecht: Theater und Gesellschaft im 20. Jahrhundert herausgegeben von Ernst Schumacher.

Eine Analyse kann hier nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durchgeführt werden. Da Brecht als Nachfolger Marx und Vertreter des Sozialismus die Ansicht vertrat, dass Literatur einen gesellschaftspolitischen Zweck zu erfüllen habe,[1] stehen vor allem inhaltliche Aussagen der Texte im Zentrum des Interesses. An signifikanten Stellen sollen jedoch auch formale Qualitäten unter narratologischer und rhetorischer Perspektive untersucht werden.

Im ersten Kapitel geht es um das Kunstmodell, welches Brecht in den vorliegenden Texten entwirft. Dabei wird analysiert, inwiefern das epische Theater einer Wirkungsästhetik folgt und welche Konsequenzen dieser Funktionswandel auf die Wahl der Kunstmittel hat. Anschließend soll das zweite Kapitel Aufschluss darüber geben, welche Rolle Wirklichkeit in Brechts Texten spielt. Dazu wird auf das Unfallmodell und das didaktische Konzept eingegangen. Am Ende soll die Frage beantwortet sein, in welchem Verhältnis Kunst, Wirklichkeit und im weiteren auch Wissenschaft zueinander stehen.

2. Das Kunstmodell

2.1 Die gebundene Ästhetik

Bereits die Überschriften beider Texte – Die Straßenszene bzw. Über alltägliches Theater – geben dem Leser einen ersten Einblick in das Kunstverständnis Brechts. Im Schriftbild werden Theater und Alltag verknüpft, es findet eine Synthese beider Ebenen statt, die die Forderung beinhaltet, dass Theater sich am Alltagsgeschehen orientieren soll. Damit distanziert sich der Erzähler bzw. das lyrische Ich vom Illusionstheater des 19. und 20. Jahrhunderts, welches „unter künstlichen Lichtsonnen“, d.h., abgeschlossen im Theatergebäude, stattfindet. Sowohl das Gedicht als auch der dramentheoretische Text thematisieren das epische Theater und stellen es mehrfach kontrastiv dem klassischen Theater gegenüber. So bilden z.B. die Adjektive „künstlich“ (Z.2) und „alltäglich“ (Z.6) oder „schweigend“ (Z.4) und „lebendig“ (Z.7) im Gedicht Gegensatzpaare, die das alte Theater negativ, distanziert werten, das neue epische Theater dagegen positiv und `aus dem Leben gegriffen`. Auch hinsichtlich der Schauspielkunst wird unterschieden: „Nicht wie Papagei und Affe Ahmen diese nur nach der Nachahmung willen [...], sondern sie Haben Zwecke im Auge.“[2] Die Schauspieler des bürgerlichen Illusionstheaters bemühen sich also, mit ihrer Rolle zu verschmelzen und vor dem Publikum möglichst gut nachzuahmen, um ihr Können zu beweisen. Brecht sieht hierin allerdings nicht den Sinn von Kunst, sondern fordert vom Schauspieler eine deutliche Distanz zu seiner Rolle. Eine Fusion beider muss zu Gunsten der Zweckmäßigkeit verhindert werden. Als Negativbeispiel nennt das lyrische Ich die Metapher des Schlafwandlers und des Hohen Priesters (Z. 80/81), die Unantastbarkeit und Distanz versinnbildlichen. Im epischen Theater ist es jedoch die Pflicht des Demonstranten, so nennt Brecht den Schauspieler, sich nie in seiner Nachahmung zu verlieren. Im Gegenteil: er soll die Rolle lediglich zeigen. In seiner dramentheoretischen Abhandlung stellt Brecht klar: „Er hat niemanden ,in den Bann zu ziehen´. Er soll niemanden aus dem Alltag in ,eine höhere Sphäre` locken.“[3] Diese Aussage wirft zugleich die Frage auf, welche Funktion Kunst im epischen Theater zu erfüllen hat, wenn nicht mehr die Bereitung von Emotionen im Publikum. Eine Identifikation mit den gezeigten Rollen ist nun fast unmöglich, so dass Illusion als Grundlage entfällt. In der Straßenszene spricht Brecht daher von einem Funktionswandel des Theaters und das lyrische Ich des Gedichts betont mehrfach den Nützlichkeitseffekt desselben: sowohl zu Anfang als auch ganz am Ende, so dass es dem Leser besser im Gedächtnis haftet, beschreibt das Adjektiv „nützlich“ den Charakter des neuen Theaters. Der Marxist Brecht greift somit auf aufklärerische Ideale zurück, denn die Kunst der Aufklärung legitimierte sich vor allem über ihre gesellschaftliche Wirkung.[4] Genauso stellt nun Brecht sein episches Theater unter das Primat einer sozialpolitischen Wirkungsästhetik. Mit der Art der Darstellung, so der Stückeschreiber in seinem Essay, solle die Kritik des Zuschauers geweckt werden, so dass er gesellschaftliche Prozesse in ihrer Kausalität erkenne.[5] Symbolisch für diesen Erkenntnisprozess steht daher in beiden Texten das Auge als wichtigstes Sinnesorgan (z.B. im Gedicht Z.23, Z.43) im Mittelpunkt. Damit wendet sich Brecht gegen eine Autonomie der Kunst und stellt sie in Beziehung zu gesellschaftlichen Problemen. Sie kann sich nicht mehr darauf beschränken, nur die Oberfläche darzustellen,[6] sondern wird funktionalisiert im praktischen Sinne. Die Ästhetik ist damit gebunden an die Wirkung, die sie gesellschaftlich erreichen soll. So argumentiert auch Walter Hinck in seiner Dramaturgie des späten Brecht:

Brechts theoretische Grundlegungen seines „epischen Theaters“ richten sich auf eine Wirkungsästhetik (-poetik) strengsten Sinnes. Über die Wahl aller dramatischen und bühnenmäßigen Mittel, über das Wie der Gestaltung entscheidet das Ziel.[7]

Eine weitere Komponente, die mit dem Funktionswandel von Kunst einhergeht, ist die Wissenschaft. Die Straßenszene ist eine Art wissenschaftliche Übersetzung des Gedichts, erklärt sie doch präzise und in aller Ausführlichkeit die Grundzüge des alltäglichen Theaters. Am Anfang des Textes wird es auch „Theater eines wissenschaftlichen Zeitalters“ (S.371, Z.27) genannt. Brecht bringt hiermit zum Ausdruck, dass die Gesellschaft im 20. Jahrhundert wesentlich komplizierter und in ihren Kausalitäten undurchschaubarer geworden ist als jemals zuvor in der Geschichte. Daher kommt Kunst um die Wissenschaft nicht herum, will sie an den aktuellen Veränderungen der Welt teilhaben.[8] Anstelle von Einfühlung und kulinarischem Genuss tritt also nun Wissenschaft an die Basis der Kunst. Eben diese Verwissenschaftlichung wird im dramentheoretischen Text auch rhetorisch realisiert: So folgt der Essay in seiner Struktur einem argumentativen Frage-Antwort-Verlauf. Oft endet ein Absatz mit einer Frage, die mit dem nächsten Abschnitt beantwortet wird (z.B. S.372, Z. 27 ff.). Dabei handelt es sich nie um rhetorische Fragen, sondern sie haben immer praktischen Wert und zielen auf Erkenntnis. Diese Vorgehensweise kann man ebenfalls in Brechts Theaterstücken beobachten: sie wirken nicht durch ,Suggestion´, sondern durch ,Argument´, zielen nicht auf ,Empfindungen´, sondern auf ,Erkenntnisse´.[9] Das lyrische Ich im Gedicht ermutigt den Leser sogar, die Demonstration zu unterbrechen, um Fragen zu stellen (S.859, Z.82). Diese Theaterpraxis beweist einmal mehr, wie Kunst desillusioniert und der Zweckmäßigkeit untergeordnet wird.

[...]


[1] Vgl. Neuhaus, Stefan: Grundriss der Literaturwissenschaft. Tübingen u. Basel: Francke 2003. S. 196.

[2] Vgl. Brecht, Bertolt: Über alltägliches Theater. In: Bertolt Brecht. Schriften 2. Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Berlin, Weimar u.a.: Aufbau-Verlag 1993. Bd. 22. S.857.

[3] Brecht, Bertolt: Die Straßenszene. Grundmodell einer Szene des epischen Theaters. In: Bertolt Brecht. Schriften 2. Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Berlin, Weimar u.a.: Aufbau-Verlag 1993. Bd. 22.

S. 372.

[4] Vgl. Bertolt Brecht. Epoche – Werk – Wirkung. Hrsg. von Klaus-Detlef Müller. München: Beck 1985.

S. 220.

[5] Vgl. Brecht, Bertolt: Die Straßenszene. S. 371.

[6] Vgl. Zmegac, Victor: Kunst und Wirklichkeit. Zur Literaturtheorie bei Brecht, Lucàcs und Broch. Bad Homburg: Gehlen 1969. S. 16.

[7] Hinck, Walter: Die Dramaturgie des späten Brecht. 3. Auflage. Göttingen: Vadenhoeck & Ruprecht 1962. S. 16.

[8] Vgl. Hecht, Werner: Aufsätze über Brecht. Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1970. S. 116.

[9] Vgl. Jendreiek, Helmut: Bertolt Brecht. Drama der Veränderung. Düsseldorf: Bagel 1969. S. 39.

Final del extracto de 14 páginas

Detalles

Título
Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit in Bertolt Brechts Theatertheorie
Universidad
University of Münster  (Germanistisches Institut)
Curso
Seminar
Calificación
1,3
Autor
Año
2005
Páginas
14
No. de catálogo
V148319
ISBN (Ebook)
9783640591213
Tamaño de fichero
401 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Germanistik, Literatur, Theater, Brecht, Kunst, episches Theater
Citar trabajo
Ines Hermeling (Autor), 2005, Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit in Bertolt Brechts Theatertheorie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148319

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