Anthropologie als Grundpfeiler in der Staatstheorie von Thomas Hobbes im Kontrast zur aristotelischen


Dossier / Travail, 2009

16 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Von der Unverzichtbarkeit des Erkennens eigener Wurzeln

3. Hobbes’ Staatskonstruktion als aristotelische Nachahmung?

4. Von der Notwendigkeit des Staates

5. Resumee

6. Literaturverzeichnis
6.1 Primarliteratur
6.2 Sekundarliteratur

1. Einleitung

Thomas Hobbes kann mit recht als Begrunder der englischsprachigen Philosophie genannt werden. Fasziniert von wissenschaftlicher Exaktheit der mathematischen Methode, suchte Hobbes in der Geometrie und Mathematik Antworten auf philosophische Fragen. Eine innere Ordnung seiner Philosophie stellt sich in einem Fortschreiten seiner Werke, angefangen bei der Physik (De corpore), uber die Anthropologie (De homine), bis hin zu seiner Staatslehre (De cive; Leviathan) dar. Auch in Leviathan kann diese innere Ordnung festgestellt werden. Hobbes konstruiert seine Theorie auf Basis personlicher Erfahrungen und Reflektionen dieser. Er stellt gesetzesartige Prinzipien auf, die ihre Grundlage auf wissenschaftlichen Erkenntnissen bilden. Sinnliche Erfahrungen werden bei Hobbes als Reaktion auf aubere Reize angesehen und Hobbes’ Menschenbild spiegelt sein Interesse an der Naturwissenschaft wieder. In seinem Werk Leviathan thematisiert Hobbes Gebiete wie Philosophie, Ethik, Physik und Metaphysik. Was wir heute als Selbstverstandlichkeit deuten konnten, war zu seiner Zeit eine bemerkenswerte Leistung und zeugt davon, dass Hobbes damals eine enorme Partizipation an wissenschaftlichen Prozessen haben musste. Dieses mechanische oder naturwissenschaftliche Menschenbild ubertragt er auf seine Staats- und Gesellschaftslehre. Im Folgenden mochte ich der Frage nachgehen, ob die im Leviathan dargelegte Staatsphilosophie von der des Aristoteles zu unterscheiden ist, oder ob es sich hierbei um eine blofie Kopie antiken Gedankenguts handelt, mit Beschrankung auf einige wenige Merkmale. Anschliefiend wird hinterfragt, ob der Staat als notwendig angesehen werden muss. Zuvor mochte ich jedoch kurz darlegen, wieso Hobbes es als so wichtig empfindet, dass der Mensch zuerst seine eigene Natur begreifen muss, bevor er so etwas Komplexes verstehen kann, wie eine Staatstheorie.

2. Von der Unverzichtbarkeit des Erkennens eigener Wurzeln

In der Philosophie von Thomas Hobbes spielt vor allem die Anthropologie eine immanent wichtige Rolle. Als Ahnenherr des neuzeitlichen Rechtspositivismus vertritt er - mag dies auch widerspruchlich klingen, zumal beide Theorien in Konkurrenz zueinander stehen - das Naturrecht.[1] Seine Lehre ist materialistisch konnotiert, was besonders deutlich wird in der Darstellung des Menschen und des Lebens, das „nichts anderes [ist,] als das Bewegen der Glieder; daher haben auch Automaten ein kunstliches Leben.“[2] Hobbes unterscheidet die von Natur geschaffenen Korper von den kunstlich geschaffenen. Diese Differenzierung muss laut Hobbes erfolgen, weil Gegenstand der Philosophie als rationale Wissenschaft, der Korper ist. Bevor uber Rechte und Pflichten in Ethik und Politik gesprochen werden kann oder ein so komplexes Thema wie die Staatsbildung, muss jeder Burger die Erkenntnis bezuglich seiner Anlagen, Neigungen und Sitten[3] erkennen. Erst nachdem die „Erkenntnis der ingenia, affestus und mores“[4] erfolgt ist, kann der Mensch die komplexe Staatstheorie Hobbes’ mit dem Konstrukt Leviathans verstehen. Somit erscheint die Zweiteilung seiner Schrift zur Staatstheorie durchaus sinnvoll.

Die Anthropologie kann als Voraussetzung der Staatsphilosophie verstanden werden, „aber so, dass ihre Isolierung, also der Mensch in einem vorstaatlichen Naturzustand gesehen, eine methodische Abstraktion [darstellt],“[5] was ihre entscheidende Rolle in der Philosophie Hobbes’ ausmacht. Nachdem der Mensch sich selbst als naturlichen Korper begriffen hat, ist er auch im Stande einen unnaturlichen, kunstlichen oder konstruierten Korper zu begreifen. Hobbes konstruiert den Staat (in Form des Leviathan) als kunstlichen Korper, damit sich Menschen mit dem Staat identifizieren konnen. Dies fuhrt dazu, dass etwas Kunstliches als etwas Naturliches angesehen wird und somit auch Akzeptanz erfahrt. Diese Tatsache fuhrt wiederum dazu, dass der Staat vom Menschen nicht nur respektiert und akzeptiert wird, sondern sich auch als unabdingbar fur den Menschen erweist, da der Mensch selbst ein Teil des Leviathans darstellt. Antworten auf die Frage warum es eigentlich notwendig ist, sich mit dem Staat zu identifizieren und worin eine angemessene Grundstruktur des Staates besteht, liefert Hobbes nur unzufriedenstellend. Hoffe vertritt die These, dass in Hobbes’ Staatsbegrundung zwei Teilfragen auftreten: 1) Wie lasst sich der Staat uberhaupt begrunden und 2) wie die absolute und ungeteilte Staatssouveranitat begrundet wird.[6] Die erste Frage beantwortet Hobbes damit, dass politische Herrschaft etwas sehr wichtiges ist und der Mensch schon von Natur aus die Veranlagung hat, politisch zu wirken, um durch den Staat in Form des Leviathan „geschutzt und glucklich gemacht [zu] werden.“[7] Die Staatsbegrundung wird nicht mehr als Voraussetzung menschlichen Handelns angesehen, sondern aus der menschlichen Natur heraus begrundet. Somit basiert die hobbes’sche Philosophie auf anthropologischen Bestimmungen mit einer Dependenz zwischen Anthropologie und Politik. Damit der Staat in seiner Wirkungsweise als Beschutzer der Burger aufgehen kann und akzeptiert wird, mussen alle Elemente bekannt sein.

3. Hobbes’ Staatskonstruktion als aristotelische Nachahmung?

Hobbes versucht, wie auch Platon oder Aristoteles, den „wahren“ Staat mit Hilfe der naturlichen Vernunft zu erklaren. Die aristotelische Lehre geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus ein Zusammenleben mit seinesgleichen anstrebt. Denn erst in einem institutionalisierten Zusammenleben von Freien und Gleichen kann der Mensch sich selbst verwirklichen und strebt daher nach einem erfullten Leben - als Mitglied einer Polis. Aufgrund verschiedener psychologischer und biologischer Voraussetzungen und Impulse der sozialen Gesellschaft erfahrt der Mensch durch ein Miteinander innerhalb der Polis ein gluckliches und erfulltes Leben. Nach Aristoteles ist der Staat notwendig, weil der Mensch ein Sozialwesen ist, das „seine Sozialnatur in verschiedenen Primarbeziehungen realisiert.“[8]

Ausschlaggebende Sektoren die zur Bindung anstiften sind z. B. Sexualitat, Hilfsbedurftigkeit und Personlichkeitsbildung (Aufbau der Ich-Identitat) durch unterschiedliche Sozialbeziehungen. Es ist kaum vorstellbar, dass der Mensch fur sich selbst sorgen soll, zumal jeder unterschiedliche Begabungen, Starken und Schwachen besitzt. Eine Arbeitsteilung muss, schon um der Erleichterung willen, erfolgen. Daher ist der Mensch auf andere Menschen angewiesen. Soziale Beziehungen wie Ehe und Familie (Primarbeziehungen), Arbeitsbeziehungen und Wirtschaft- oder Sicherungsverbande sind unumgangliche Faktoren. Der Staat wird laut Hoffe zur Institution zweiter Ordnung (Sekundarordnung), der die Menschen und ihr Bedurfnis nach Gutem und Gerechtem koordiniert.

Staatsfeindliche Tendenzen, die dem Menschen nicht abzusprechen sind, stehen jedoch mit der Sozialnatur in Konflikt. Neid, Eifersucht, Rachesucht oder Bosheit sind beispielsweise solche Grunde, die Aristoteles, aus einem politischen oder religiosen Antrieb heraus, als negativ bewertet. Eine Staatsfeindlichkeit entwickelt sich aber erst, wenn sich der Mensch zunehmend aus dem sittlich-politischen Ordnungszusammenhang lost.

Wie auch Aristoteles geht Hobbes vom naturphilosophischen Begriff der Bewegung (kinesis) aus und fugt die Moglichkeit der Selbstreflexion (formaler Selbstbezug) als spezifischen Zusatz hinzu. „Die Reflexion richtet sich entweder auf Partikulares und heifit dann Klugheit (prudence) oder geht auf Allgemeines ein und heifit Vernunft[9] (reason).“[10] Gerade durch diese Klugheit entsteht ein wesentlicher Unterschied zu den Tieren[11], die diese Moglichkeit des Reflektieren-konnens nicht besitzen. Selbstreflexion ist daher notwendig, weil fur Hobbes daraus das „freie Selbst“ entsteht, welches nach Selbsterhaltung und personlichem Gluck strebt.

Das freie Selbst wird aber von Leidenschaften getrieben. Dazu gehoren 1) die unsoziale Leidenschaft (Neid, Rache), 2) die genuin-soziale Leidenschaft (Wohlwollen, Freigiebigkeit) und 3) die sozial neutrale Leidenschaft (Hoffnung, Furcht). Das freie Selbst“ kann soziale Regungen einschliefien, muss es aber nicht. Dies hangt ganz allein vom Zufall ab. Begehrungen und Abneigungen sind von Natur aus im Menschen vorhanden. Die sozialen Tendenzen sind somit nicht auf eine naturliche Begabung zuruck zu fuhren und sollen einen „guten Staat“ zur Folge haben, wie es bei Aristoteles der Fall ist. Die Einfuhrung des Begriffs des „freien Interesses“ hat bei Hobbes einen methodischen Hintergrund. Hobbes verfolgt eine resolutiv-kompositive Argumentationsstruktur (Reduktion-Deduktion) und verbindet diese mit einem (formal-)mechanischen Ansatz. Dies ermoglicht ihm den Staat in seine Einzelteile aufzugliedern und einzelne menschliche Handlungen auf kinematisch-psychologische Gesetzte zuruckzufuhren.[12] [13]

Seit der Renaissance befinden sich platonisch-aristotelische Staatstheorien grundsatzlich in einer Krise, sodass ab dort das freie, selbststandig denkende Individuum der Ursprung jeder politischen Ordnung zu sein scheint. Dadurch wird nicht mehr der „gute Staat“ als Ziel menschlichen Lebens angesehen. Dies hat zur Folge, dass Hobbes dazu genotigt ist, seine Staatstheorie auf ein anthropologisches Minimum zu reduzieren, damit jeder Mensch, unabhangig von Religion und Weltanschauung, diese verstehen kann. Den anthropologischen Kern bildet fur Hobbes die Tatsache, dass jeder Mensch ein Interesse daran hat, zu leben (Selbsterhaltungstrieb) und glucklich zu sein (Glucksstreben). Weil der Mensch vernunftig ist, empfindet er den Staat als notwendig, um auf Dauer gesehen, seine Interessen verfolgen zu konnen. Hobbes ist davon uberzeugt, dass er von Natur aus Sozialimpulse besitzt, die jedoch nicht immer und uberall starker sind, als sein Aggressions- und Destruktionszwang. Der Staat als Dauerform menschlichen Zusammenlebens hat daher die Aufgabe beim Auftauchen dieser negativen Sozialimpulse zu handeln. Ware die Welt in sich nur gut, brauchte man keinen Staat. Erst durch die negativen Sozialimpulse wir ein Staat zur Notwendigkeit. Hieraus folgt, dass die hobbes’sche Theorie nicht einen blofien Gegensatz zur aristotelischen darstellt, sondern auch einen Fortschritt hinsichtlich des „Nachdenkens uber die conditio humana.id3 Ausgehend davon, dass die politische Philosophie von Aristoteles (a) teleologisches Denken, (b) Vernunft- und Sprachbegabung und (c) Verpflichtung der Polis auf Gluck und Gerechtigkeit voraussetzt, wird deutlich, dass Hobbes’ Staatsphilosophie erhebliche Unterschiede aufweist.

Zu (a): Der Staat ist bei Thomas Hobbes kein naturliches, sondern ein kunstliches Gebilde (vgl. Leviathan, Einleitung) indem es ein naturphilosophisches Denkmodell auf die Politik ubertragt, ohne ein teleologisch-aristotelisches Denkmodell der Naturphilosophie aufzuwerfen.

[...]


[1] Vgl. Hoffe, Otfried: Widerspruche in Leviathan. Zum gelingen und Versagen der Hobbesschen Staatsbegrundung, S.114.

[2] Russell, Bertrand: Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung, S.557.

[3] Hobbes formuliert in der Einleitung des Leviathan hierzu den pragnanten Satz: „Lerne dich selbst kennen“ Vgl. Leviathan, Einleitung S.6.

[4] Bartuschat, Wolfgang: Anthropologie und Politik bei Thomas Hobbes, S.19; Hervorhebungen nicht im Original.

[5] Ebd., S.20.

[6] Hoffe, S.113.

[7] Hobbes, Thomas: Leviathan. Erster und zweiter Teil, Einleitung; im Folgenden zitiert: Leviathan.

[8] Hoffe, S.115.

[9] Russell behauptet der hobbes’sche Vernunftbegriff sei ein nicht angeborener, sondern eine erst durch Fleifi entwickelte Tugend. Vgl. Russell, Bertrand: Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung, S.558; Meines Erachtens ist die Vernunft kein Begriff wie Selbsterhaltung oder Glucksstreben, die Hobbes standig erwahnt, die Vernunft jedoch als fleifigebunden darzustellen, empfinde ich als fragwurdig.

[10] Hoffe, S.115-117.

[11] In der Einleitung von Leviathan bezeichnet Hobbes daher auch den Menschen als das edelste aller Tiere, weil dieser die Fahig zur Selbstreflexion besitzt. Vgl. Leviathan, Einleitung.

[12] Vgl. Hoffe. S.118.

[13] Ebd., S.121; Keine Hervorhebung durch den Autor.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Anthropologie als Grundpfeiler in der Staatstheorie von Thomas Hobbes im Kontrast zur aristotelischen
Université
University of Cologne  (Philosophisches Seminar)
Cours
Proseminar Anthropologie und Staatsvertrag bei Thomas Hobbes
Note
1,0
Auteur
Année
2009
Pages
16
N° de catalogue
V149323
ISBN (ebook)
9783640597833
ISBN (Livre)
9783640598090
Taille d'un fichier
417 KB
Langue
allemand
Mots clés
Thomas Hobbes, Aristoteles, Staatstheorie, Anthropologie, Leviathan, Staatskonstruktion, Staat, Erkenntnis, Naturrecht, Staatsphilosophie, Selbsterhaltungstrieb, Glücksstreben, politische Philosophie
Citation du texte
Martin Rybarski (Auteur), 2009, Anthropologie als Grundpfeiler in der Staatstheorie von Thomas Hobbes im Kontrast zur aristotelischen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149323

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