„Bienvenue en France“

Eine qualitative Untersuchung der Zielsetzungen und der Umsetzung des französischen Integrationsprogramms unter besonderer Berücksichtigung der Perspektiven der an ihm teilnehmenden Einwanderer


Bachelorarbeit, 2009

118 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zur Genese der heutigenplateforme d’accueil de I’integration
2.1. Zur Geschichte des Integrationsprogrammes
2.2. Zum zentralen Empfang im Office franpais de l’lmmigration et de l'Integration

3. Zur Zielsetzung des staatlichen Integrationsprogrammes
3.1. Der Contract d’accueil et d‘integration - Herzstuck des Integrationsprogrammes
3.2. Zur Zielsetzung des Contract d’accueil et d‘integration
3.3. Wie viel integration republicaine steckt in dem Integrationsprogramm?
3.4. Zusammenfassung der Zielsetzungen

4. Methodik: Eine Kombination aus qualitativen Interviews und Fragebogen

5. Das Integrationsprogramm in der sozialen Praxis
5.1. Zusammensetzung des Samples
5.2. Motivation und Einwanderungsprojekte der Interviewten
5.3. Wahrnehmung des Integrationsprogrammes durch die Einwanderer
5.3.1. Zum Umgang mit der Sprache in der Praxis des Integrationsprogrammes
5.3.2 Ziel der Akzeptanz der Werte der Republik aus Sicht der Einwanderer
5.3.3. Zielsetzungen und Zielgruppe des Integrationsprogrammes aus Sicht der Einwanderer
5.3.4. Einschatzung des Erfolges der formations civiques und Verbesserungsvorschlage der Einwanderer
5.3.5. Zum Ziel der integration republicaine aus Sicht der Einwanderer

6. Schluss

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang

1. Einleitung

Seit mehr als einem Jahrhundert hat Frankreich in drei groBen Einwanderungswellen mehrere Generationen von Einwanderern 1 aufgenommen2, die einschlieBlich ihrer Nachkommen die Bevolkerung Frankreichs um ca. 10 Millionen Menschen anwachsen3 lieBen und welche seit

1945 etwa 40% des absoluten Bevolkerungswachstums ausmachen . Das in Frankreich durchaus positiv gesehene4 assimilitionistische (oder auch republikanische)

Integrationsmodell, welches die Anpassung des zugewanderten Individuums an die im Einwanderungsland geltenden Verhaltensnormen fordert und explizit keine Rucksicht auf kulturelle oder religiose Unterschiede nimmt, diente dabei als Leitidee, die Frankreich als terre d’accueil offen fur Asylsuchende machte5. Bei diesem in den Prinzipien der Republik verwurzelten Konzept handelt es sich jedoch um ein Feld, uber das in Frankreich nie ein Konsens bestand. In Abhangigkeit von der Varianz politischer, okonomischer, administrativer und psychologischer Faktoren kam es im Verlauf der Einwanderungsgeschichte Frankreichs zu einem breiten Spektrum unterschiedlicher Politiken, die von der Forderung nach einem offenen Frankreich bis zur immigration zero reichten.6 Seit 2003 bedarf es - und das ist vor dem Hintergrund der oben angerissenen Geschichte ein Novum - laut Politikern wie dem Prasidenten Sarkozy eines Integrationsprogrammes fur Einwanderer. Durch ein Integrationsprogramm soll, dass laut dem Prasidenten in der Krise befindliche modele republicain d’integration, den aktuellen Herausforderungen angepasst werden7. Tatsachlich beschloss Frankreich, wie viele andere westlich-europaische Lander zur Zeit der Wirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre, einen Anwerberstopp fur Arbeiter aus dem Ausland. Trotz dieser MaBnahme kamen bis heute weiterhin Einwanderer im Rahmen von Familienzusammenfuhrungen nach Frankreich. Die aus wirtschaftlicher Sicht unattraktiven Einwanderungspopulationen wurden von den Schopfern des Integrationsprogrammes rhetorisch meist eng mit Phanomenen wie der ethnischen Segregation in Stadten, fehlenden Sprachkenntnissen in der zweiten Einwanderergeneration sowie einer hoher Abhangigkeit von staatlichen Transferleistungen zusammengebracht8. Als aktuelles Beispiel fur die immer wieder aufflammende und die politischen Lager durchziehende Integrationsdebatte durfte die durch den kommunistischen (!) Burgermeister Andre Gerin ausgeloste Diskussion um die islamischen Burka sein, deren Tragerinnen der President selbst als femmes prisionnieres derriere un grillage bezeichnete, was nicht im Sinne der republikanischen Idee sei.9 Mit dem neuen Programm soll diesen Problemen begegnet werden, indem einerseits die bereits in Frankreich lebenden Einwanderer und andererseits alle Neueinwanderer uber Rechte und Pflichten in der Republik informiert werden, zu denen, um bei dem obigen Beispiel zu bleiben, selbstverstandlich auch der Respekt und die Akzeptanz des Laizismus zahlt. Herzstuck des Integrationsprogrammes ist der obligatorisch zu unterzeichnende Contrat d'Accueil et d''Integration (CAI), ein Vertrag zwischen Staat und Immigrant sowie zwei mit ihm verbundene Integrationskurse. Neben dieser integrativen Funktion scheint das Programm vor dem Hintergrund des immer wieder deklarierten Zieles der Regierung, das Verhaltnis zwischen Einwanderung aus familiaren Motiven zu Gunsten der Einwanderung von hochqualifizierten Einwanderern zu verandern, auch noch eine zweite Funktion zu haben.10 Die durch Sarkozy und seinen ehemaligen Integrationsminister angestrebte Senkung der immigration subie bei gleichzeitiger Steigerung der immigration choisie11 legt nahe, dass dazu auch die numerisch uberwiegende Einwanderung durch Familienzusammenfuhrung gesenkt werden muss. Das Integrationsprogramm scheint neben seinem integrationspolitischen Aspekt zusammen mit anderen MaBnahmen wie dem beruchtigten DNA-Test fur Familienangehorige eine weitere Funktion im Feld der Einwanderungspolitik zuerfullen12.

Die Diskussion um die Frage der tatsachlichen Funktion des Integrationsprogrammes, das von Vertretern der Rechte der Immigranten, wie zum Beispiel der Groupe d'Information et de Soutien des Immigres (GISTI), als klares Hindernis der Familienzusammenfuhrung beziehungsweise als Symbolpolitik beschrieben, das von der Regierung nach auBen als reine IntegrationsmaBnahme dargestellt wird, soll nicht Thema dieser Arbeit sein. Vielmehr soll das Integrationsprogramm als Pramisse der Untersuchung in seiner Integrationsintention ernst genommen werden.

Bevor auf die genaue Zielsetzung der vorliegenden Arbeit eingegangen wird, soll zuvor nicht der wichtige Blick auf die europaische Dimension des Integrationsprogramm a la francaise vernachlassigt werden. Tatsachlich stammt die verarbeitete Idee eines Vertrages zwischen Staat und Einwanderer mit dem Ziel der Steuerung seiner Integration in die Aufnahmegesellschaft nicht aus Frankreich, sondem aus den Niederlanden. Dort wurde sie seit der Abwendung vom Multikulturalismus in den 1990er Jahren entwickelt13 und ist seitdem von sechs weiteren europaischen Staaten aufgegriffen worden.14 In der politikwissenschaftlichen Fachliteratur wird angesichts dieser Entwicklung bereits vielfach von einer Harmonisierung der europaischen Integrationspolitik gesprochen, als deren Meilensteine laut Joppke die common basic principles for immigrant integration policy in the European Union15 und die Antidiskriminierungsdirektive16 von 2000 angesehen werden17 konnen und die auch in Frankreich bei der Schaffung des Integrationsprogrammes und der sich far die Gleichberechtigung der Immigranten einsetzende Haute autorite de lutte contre les discriminations etpour I'egalite (HALDE) scheinbar berucksichtigt wurden. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Einwanderungspolitik sowie dem groBen Umfang der zu diesem Thema produzierten Fachliteratur wies Christiane Harzig in ihrer Arbeit zum Thema politische Kultur und Einwanderung auf die Problematik hin, dass der Fokus der Forschung zu diesem Thema zumeist auf der oben angerissenen politikimmanenten Perspektive lage, die [...] der Logik der Zahlen, Abgrenzungen, Ausschlusse und Kontrollen [folge und]die [primar] daran interessiert [sei] Einwanderung in „den Griff“ zu bekommen, bevor „uns“ die Massen aus den „armen“ Landern vollig uberfluten18. Das in dieser Darstellungsweise die individuellen Einwanderungsprojekte und Sichtweisen, die fur das Gelingen des Integrationsprozesses neben der Gestaltung der diesbezuglichen Politik im Aufnahmeland, ebenfalls von groBer Wichtigkeit seien, wurde aber bei der Erforschung dieses Themas kaum beachtet.19 Dieser Gedanke wurde bei der vorliegenden Untersuchung des Integrationsprogrammes aufgegriffen, indem das Integrationsprogramm unter besonderer Berucksichtigung der teilnehmenden Einwanderer untersucht wurde. Hierzu wurde wahrend einer dreiwochigen Hospitation in Paris die Perspektive der Einwanderer auf das Integrationsprogramm und seine Ziele exemplarisch erschlossen.

Ziel der folgenden Untersuchung soll sein, die in dem Integrationsvertrag durch den Staat an den Immigranten gerichteten Forderungen und Angebote herauszuarbeiten und mit den erschlossenen Perspektiven der Einwanderer zu kontrastieren, um im Anschluss eine Hypothese uber den Erfolg und die Reichweite des Integrationsprogrammes aufzustellen.

Hierzu soil im ersten Teil der Arbeit zunachst auf das Integrationsprogramm selbst und seine Zielsetzungen eingegangen werden. Dabei soll den zentralen Fragen nachgegangen werden: Welchen Umfang die durch das Programm gewahrleistete Integration aus Sicht des Staates hat? Welche Integrationsleistung der Einwanderer aus Sicht des Staates selber erbringen sollte? - und was aus Sicht des Staates eine erfolgreiche Integration ist20. Antworten auf diese Fragen sollen ein gezwungener MaBen kurzer Blick in die entsprechenden Gesetzestexte und Regierungsstellungsnahmen sowie im neu gegrundeten Minis ter e de 1’immigration, de l’integration, de l'identite nationale et du developpement solidaire hierzu durchgefuhrte Interviews geben. Dem oben zitierten Gedanken Harzigs folgend soll im Anschluss die Reichweite der staatlichen Zielsetzung durch die Darstellung der Sicht der Immigranten auf den Integrationsvertrag und seine Teilziele sowie deren Umsetzung in den Integrationskursen uberpruft werden. Um diese Perspektiven zu erschlieBen wurde ein duales Vorgehen aus quantitativen Fragebogen und qualitativen Leitfadeninterviews gewahlt, wobei die erste Datenquelle primar dazu diente, Tendenzen innerhalb der insgesamt 37 Interviews aus der 17 Nationen umfassenden Stichprobe auszumachen. Der Schwerpunkt der Analyse der sozialen Realitat des Integrationsprogrammes wird auf der Untersuchung des Spannungsfeldes zwischen den staatlichen Zielsetzungen und den individuellen Zielsetzungen der Einwanderer liegen. Auf der Basis der Ergebnisse des Hauptteils soll im Schlussteil unter Berucksichtigung der sehr eingeschrankten Reprasentativitat der Stichprobe eine Hypothese uber die Erreichbarkeit der Zielsetzung des Integrationsprogrammes aufgestellt werden und ein Ausblick auf zukunftige Entwicklung des Integrationsprogrammes gegeben werden.

2. Zur Genese der heutigen plateforme d’accueil de l’integration

Um die neuartigen Aspekte des aktuellen Integrationsprogrammes Frankreichs nachzuvollziehen, soll zunachst ein geschichtlicher Uberblick der Integrationspolitik gegeben werden, wie sie als Reaktion auf die starke Einwanderung wahrend der trente glorieuses und die um sich greifende Arbeitslosigkeit der Olkrisen in den 1970ern durch die Politik eingesetzt wurde. Dabei soll der Fokus weniger auf der politischen Entwicklung, sondern auf der Ausgestaltung der konkreten MaBnahmen liegen. Im zweiten Teil des Kapitels soll dann ein Blick in die Praxis der heutigen Empfangsplattform geworfen werden, die den vorlaufigen Endpunkt der Entwicklung darstellt.

2.1. Zur Geschichte des Integrationsprogrammes

In den 1950er Jahren bestand in Frankreich wegen des wirtschaftlichen Aufschwunges ein groBer Bedarf an Arbeitskraften. Die schon Mitte der funfziger Jahre als immigration algerienne bezeichnete Einwanderung fuhrte 1954 zur Grundung der nur zum Teil durch staatliche Gelder finanzierten Organisationen Societe Nationale de Construction de Logements pour les Travailleurs Algeriens ( SONACOTRAL) und 1958 Fond d’action social (FAS)21, die die Aufnahme der als muslimischen Personen aus Algerien titulierten Einwanderer hauptsachlich durch Wohnungsbauten unterstutzten und auch kontrollieren sollten22. Diese Organisationen, die beide im direkten Zusammenhang mit der algerischen Einwanderung gegrundet wurden, erfuhren vor dem Hintergrund des wachsenden Einwandererstromes nach der Unabhangigkeit der Kolonien in den 1960er Jahren eine Ausweitung ihrer Kompetenzen, wobei dem laut Einschatzung des Cours des Comptes (CDC) kein klares politisches Programm gegenuberstand23.

Durch die Ausweitung entstanden bis Ende der 90er Jahre zahlreiche Beratungsstellen fur Immigranten, Anti-Diskriminierungs-, Sprachforderungs- und Sozialprojekte, die haufig dezentral in stadtpolitische Kontexte eingebettet wurden und sich explizit an die eingewanderten Populationen richteten.24

Ein weiteres MaBnahmenpaket wurde ab 1973 durch die DPM25 angestoBen, die wiederum selbst eine Unterabteilung des Ministeriums fur Arbeit und Soziales war und mit dem Fonds d'action et de soutien pour I'integration et la lutte contre les discriminations (FASILD) die wichtigsten integrationspolitischen Akteure bildete. Sie setzte sich fur die Schaffung eines Reseau national d’accueil des travailleurs etrangers ein. Ziel des Netzwerkes sollte es sein, in allen groBeren franzosischen Stadten eine einheitliche Struktur von Anlaufstellen fur Einwanderer zu schaffen, um ihre Integration zu beschleunigen. Zu Beginn der 1990er Jahre kam das durch die Direction de la Population et des Migrations26 (DPM) initiierte Netzwerk zunehmend in die Kritik. Ihm wurde Ineffizienz und eine mangelnde Ausrichtung auf den oben beschriebenen Aufgabenbereich vorgeworfen.27

Ein erster Schritt in Richtung des heutigen Integrationsprogrammes war 1993 die Einfuhrung des Plan Departemental d’Accueil28 durch die DPM. Ziel der ministeriellen Bestimmung war es, die Zusammenarbeit der fur die Einwanderer relevanten Institutionen wie dem franzosischen Arbeitsamt (ANPE) und dem Familienversorgungsamt (CAF) zu verbessern. Die Realisierung dieses primaren Zieles trat laut Einschatzung des CDC zunachst nicht ein, beziehungsweise war von dem Engagement des jeweiligen Prafekten abhangig. Ein Grund dafur mag auch sein, dass keinerlei zusatzliche Ressourcen fur die Durchfuhrung des Programmes bewilligt wurden.

An dieser Stelle lasst sich festhalten, dass es bis Ende der 1990er Jahre kein Gesamtkonzept gab, nach dem die Integration der Immigranten gestaltet werden sollte. Die bis dahin etablierten MaBnahmen waren dezentral organisiert und wiesen groBe Qualitatsunterschiede in ihrer Umsetzung auf. Gemein war ihnen, dass sie auf die soziale Unterstutzung der bereits in Frankreich lebenden Einwanderer abzielten, statt Neueinwanderer zu empfangen29.

Zwischen 1997 und 2003 fuhrte die sozialistische Regierung Jospins zur Zeit der cohabitaion mit dem gaullistischen Chirac, die bereits im Plan Departemental (PDA) von 1993 angedachte plate-formes d’accueil ein, wobei dieses Vorgehen nicht explizit an die Offentlichkeit getragen und in der Presse kaum besprochen wurde. Da die durch den PDA in der Verantwortung stehenden Prafekten sich mit der tatsachlichen Einfuhrung des Programmes Zeit lieBen, waren im Juli 2000 gerade 33 Departements der entsprechenden Aufforderung des Ministerialschreibens nachgekommen30. Diese schleppende Einfuhrung schlug sich in der unzureichenden Bilanz des Programmes nieder. So konnten im Jahr 2000 nur etwa 50% der durch das OMI zu dem Empfang auf der Plattform einzuladenden Immigranten empfangen werden 31 Neben der langsamen Einfuhrung bestand ein anderes Problem der Plattform darin, dass die von ihr angebotenen MaBnahmen, abgesehen von der obligatorischen medizinischen Untersuchung, freiwillig waren und nicht im gewunschten MaB von den Neueinwanderern angenommen wurden32. So erschienen nur 20% der

Immigranten zu den vorgesehenen Veranstaltungen33.

Das Urteil des Haut Conseil a I’integration (HCI) fiel 2001 dementsprechend harsch aus, als das Programm mit den Worten Des structures eclatees et sans lien entre elles.34 [...] Quelle que soit l'energie deploye par les intervenants sur les plates-formes d'accueil, une visite d'une demi-journee n’offre en effent qu'un „ticket d'entree“ dans la societe frangaise, agremente dans le meilleur des cas d'un carnet d'adresses utiles35 abgestempelt wurde.

Der Bericht empfahl den service public de l'accueil konsequent auf das gesamte Territorium auszudehnen und mit ihm systematisch alle Einwanderer zu erfassen. Bezuglich der Funktionsweise der bisherigen Plattform kritisierte er vor allem, dass die legal in Frankreich lebenden Arbeitsimmigranten, deren nachziehende Familien die Plattform besuchen sollten, selbst nicht die Moglichkeit hatten, von diesem Angebot zu profitieren.36 AuBerdem sprach er sich fur die Abschaffung der sich uberlappenden Zustandigkeiten der verschiedenen Tragerorganisationen beim Empfang der Einwanderer aus, die durch die dezentrale, durch die Prafekturen verantwortete, Einfuhrung des Programmes entstanden waren37. Zudem sollten die im Rahmen der bilan linguistique durchgefuhrten Sprachniveaueinschatzungen ihren fakultativen Charakter verlieren38 und die konsekutive Integration der Immigranten durch eine individuelle Betreuung besser kontrolliert werden.

Im Wahljahr 2002, in dem die Franzosen durch eine Stimmabgabe von 17,79%39 fur den rechtsradikalen Le Pen ihren Unmut, der angesichts der Ausrichtung dieses Politikers wohl auch etwas mit der Einwanderungspolitik zutun haben mag40, zum Ausdruck brachten, wurde die Idee der Integrationsplattform von Chirac wieder aufgegriffen. In seiner Rede in Troye erweiterte er die die Idee der Integrationsplattform um das Element eines veritable contrat d'integration comprenant notamment la possibilite d'acceder a des formations et a un apprentissage rapide de notre langue41, ahnlich dem hollandischen Modell.

Die Verbesserungsvorschlage des HCI von 2001 wurden schlieBlich 2003 von der Regierung Raffarin, namentlich von dessen Innenminister Sarkozy weitgehend aufgegriffen und mit der Grundung des ANAEM fheute OFII) und der durch diese neue Behorde zentral verwalteten plateforme d’accueil et de l’integration umgesetzt.42

Dieser Umschwung, der mit der weitgehenden Auflosung beziehungsweise Konsolidierung der oben beschriebenen Integrationsprogramme einherging, wurde durch die 200343 und 200644 beschlossenen Gesetze untermauert und stellte das neue Programm sowie den CAI auf eine legale Basis. Seit 2006 muss nun jeder Eiwanderer, der plant sich dauerhaft in Frankreich niederzulassen, obligatorisch den CAI unterschreiben, der ihn zu der Teilnahme an dem Integrationsprogramm verpflichtet. Seit 2007 ist das ebenfalls neu gegrundete Ministere de l'immigration, de l’integration, de l'identite nationale et du developpement solidaire fur die weitere Ausgestaltung der Integrationspolitik verantwortlich, worauf weiter unten bei der Untersuchung der Zielsetzung des Integrationsprogrammes eingegangen werden soll. Vergleicht man die oben dargestellten MaBnahmen mit dem durch den HCI vorgeschlagenen Programm, wird deutlich, dass es sich um eine Bewegung von einem dezentralen, fakultativen Integrationskonzept hin zu einem zentral ausgerichteten Mechanismus handelt. Wahrend zuvor Einwanderer als Zielgruppe fokussiert wurden, die bereits in Frankreich lebten, werden durch die Reform nun systematisch alle legalen Immigranten nach ihrer Ankunft erfasst und durch die Unterzeichnung des Integrationsvertrages zur Teilnahme an einem standardisierten Programm verpflichtet. Die Verantwortung fur die Integration der eingewanderten Bevolkerungsgruppen war zuvor auf mehrere Ministerien aufgeteilt und ist jetzt in dem neu gegrundet Ministerium konzentriert.

Worin die Zielsetzung des staatlichen Integrationskonzeptes genau besteht, soll weiter unten untersucht werden, zuvor soll jedoch ein kurzer Blick in die Praxis der oben beschriebenen Integrationsplattform des OFII geworfen werden.

2.2. Zum zentralen Empfang im Office frangais de l'Immigration et de l'.Integration

Im Rahmen des empirischen Teiles dieser Arbeit konnte der Autor, dank der freundlichen Erlaubnis des zustandigen Ministeriums, mit 31 Einwanderern an einem Empfang im OFII teilnehmen, der dort zweimal taglich abgehalten wird.45

Die in dem Office Frangais de 1'Immigration et de l'Integration- (OFII) Paris Centre46 stattfindende Veranstaltung begann mit der gemeinsamen Betrachtung des 15minutigen Filmes Vivre ensemble en France47, in dem auf die Prinzipien der Republik und das alltagliche Leben in Frankreich eingegangen wurde. Fur Einwanderer, die kein Franzosisch sprachen, gab es die Moglichkeit mit einer Art Audio-Guide, der gleichzeitig mit dem Film gestartet wurde, die Ubersetzung des Filmes synchron zu horen. Nach diesem, nicht weiter durch das Personal kommentierten Film stand jedem Immigranten ein Parcours aus vier Stationen bevor, bei dem verschiedene Daten uber ihn erhoben wurden und der CAIunterschrieben wurde48.

Im sogenannten Audite wurde der Einwanderer nach einem standardisierten Fragebogen interviewt, der vor allem auf die zukunftige Tatigkeit des Immigranten abzuzielen schien.

Quand est-ce que vous-etes arrive en France? Avez-vous de la famille ici? Est-ce que vous avez fait des etudes a votre pays? Avez-vous des enfants? Est-ce que vous compter travailler en France? Est-ce que vous etes inscrit a l’ANPE? Etes-vous a la securite sociale?

AuBerdem wird dem Einwanderer an dieser Station der CAI zur Unterzeichnung vorgelegt. Im Rahmen der von mir durchgefuhrten Besichtigung der Plattform konnte ich bei mehreren dieser Gesprache anwesend sein. Auffallend im Zusammenhang mit dem Vertrag war die Form, in der er von den verschiedenen Mitarbeitern eingefuhrt wurde. Die Einfuhrung des Vertrages dauerte meist nur wenige Sekunden und wurde mit Satzen Signiez la et la oder C’est votre contrat d’integration, vous l’avez lu et compris? Signiez la! eingeleitet. In Anbetracht der Relevanz des Vertrages fur die Legitimation des weiteren Integrationsprozesses schien es etwas verwunderlich, dass so wenig Zeit auf die Erklarung des

Vertrages verwendet wurde. Auf diesen Punkt angesprochen erklarte eine der Mitarbeiterinnen, dass dies im engen zeitlichen Rahmen nicht moglich sei und die in dem Vertrag erklarten Werte und Prinzipien noch in der formation civique erklart wurden.49 Als Ziel des Audite sah sie an, herauszufinden mit welchen Zielen der Immigrant nach Frankreich gekommen ist, beziehungsweise sie ein wenig dazu zu ermuntern, in Frankreich einen Arbeitsplatz zu finden.50 Integration bedeutete fur sie jedoch weniger eine Arbeit zu haben, sondern eher sich den Verhaltensmustern einer Gesellschaft anzupassen. Als Beispiel brachte sie einen Franzosen, der sich in China sehr viel ruhiger und hoflicher verhalten musse als in Frankreich, da es dort andere Verhaltensnormen gabe.51

Ziel des visite medical war im Wesentlichen die Diagnose von „Volkskrankheiten“ wie zum Beispiel Diabetes und die Registrierung von Menschen mit Tuberkulose. Patienten mit schweren Krankheiten wurden direkt an die zustandigen Behorden weitergeleitet.

Wahrend des audites linguistiques wurde das Sprachniveau des Einwanderers ermittelt. Der Test begann mit der BegruBung und einem kleinen Gesprach, bevor ein zweiseitiges Arbeitsblatt ausgefullt werden musste. Die dort gestellten Aufgaben scheinen von ihrem Schwierigkeitsgrad her dazu konzipiert, herauszufinden, ob die getestete Person uberhaupt lesen und schreiben kann. So ging es zum Beispiel darum, Zahlen zu erkennen Quelle bouteille coute la plus chere? oder Multiple Choice zu Satzen zu machen, wie Il habite a Bordeaux. Il travaille a DAX. zu verstehen. Auf Basis dieses Testes konnten der getesteten Person bis zu 400 Stunden Sprachkurs angeordnet werden.

Bei assistance sociale handelt es sich um ein fakultatives Angebot, dass sich laut Auskunft der dort arbeitenden Beraterin vor allem an Immigranten richtete, die familiare Probleme haben oder wissen wollten, wo sie zum Beispiel staatliche Hilfe beim Finden einer Arbeit oder Wohngeld beantragen konnen52.

Nachdem die Einwanderer an dem oben dargestellten Empfang teilgenommen haben, verlieBen sie ausgestattet mit diverseren Informationsmaterial53 und den Terminen fur ihre Integrationskurse und ihren bilan de competences das OFII. Zu was genau sie sich mit ihrer Unterschrift unter den CAI bereit erklart haben, soll im folgenden Kapitel herausgearbeitet werden.

3. Zur Zielsetzung des staatlichen Integrationsprogrammes

In diesem Abschnitt der Arbeit soil ausgehend von einem detaillierten Blick auf den Integrationsvertrag, den seit dem Einwanderungsgesetz von 2006 jeder Immigrant unterschreiben muss, der Zielsetzung des Integrationsprogrammes nachgegangen werden. Hierzu soll dem Bedeutungsumfang zentraler Begriffe des CAI anhand der relevanten Gesetzgebung und diesbezuglichen Stellungnahmen der Regierung nachgegangen werden. Wichtig fur die weitere Analyse ist zu bemerken, dass zu den Unterzeichnern des CAI nicht nur tatsachliche Neueinwanderer, sondern auch Alteinwanderer zahlen, die zuvor illegal in Frankreich gelebt haben. Die Ergebnisse dieser Analyse sollen dann im Anschluss als Zielsetzung des Integrationsprogrammes aus der Sicht der Einwanderer betrachtet werden.

3.1. Der Contract d’accueil et d ‘integration - Herzstuck des Integrationsprogrammes

Auf der ersten Seite des Integrationsvertrages, der dem Immigranten in einer Sprache, die er spricht, vorzulegen ist, heiBt der franzosische Staat ihn willkommen und stellt ihm rhetorisch Frankreich und die Franzosen gegenuber, deren Geschichte, Kultur sowie bestimmte fundamentale Werte er respektieren soll.

La France et les Frangais sont attaches a une histoire, a une culture et a certaines valeurs fondamentales. Pour vivre ensemble il est necessaire de les connaitre et de les respecter.54

Im Anschluss werden die zuvor als fundamental bezeichneten traditionellen Konzepte wie Liberte, Egalite, Fraternite kurz erklart. Explizit wird auf den Laizismus und die Geschlechtergleichheit hingewiesen sowie dass bei fehlenden Franzosischkenntnissen die Sprache gelernt werden muss. Durch eine jeweils dreimalige Nennung wird betont, dass der Einwanderer die Werte einerseits respektieren muss und andererseits die gleichen Rechte hat wie ein Franzose und dass das Leben in Frankreich einen volonte de s ’integrer a la societe frangaise voraussetzt.

Bis hier scheint die vom Staat eingeforderte Integration also in dem vertraglich abgesicherten Respekt beziehungsweise der Akzeptanz der genannten Werte und Prinzipien durch den Immigranten zu bestehen. Dem gegenuber steht eine Auflistung von Leistungen, die der Staat dem Einwanderer zum Zwecke seiner Integration vorschreibt.

Mit der Unterzeichnung des Vertrages verpflichtet sich der Einwanderer zur Absolvierung der kostenlosen formation civiques, des bilan de competences (professionelles) sowie bei einem festgestellten Bedarf der formation linguistique in einem Zeitraum von zwei Jahren. Der Besuch der ebenfalls angebotenen Veranstaltung Vivre en France (nicht zu verwechseln mit dem Film Vivre en France, der beim Empfang im OFII gezeigt wird.), hat im Kontrast dazu fakultativen Charakter. Rechtlich wird die Absolvierung dieses Pensums mit dem ersten Schritt in Richtung seiner sogenannten integration republicaine gleichgesetzt, die jedoch in dem Vertrag nicht naher definiert wird. Am Ende des Vertrages wird der Immigrant darauf hingewiesen, dass sich ein Vertragsbruch seinerseits negativ auf die Einschatzung eben dieser nicht genau definierten condition d’integration republicaine und somit auf sein Bleiberecht nach Ablauf seiner aktuellen Aufenthaltsgenehmigung auswirken kann.

Le prefet tient compte de la signature du contrat et de son respect pour l’appreciation de la condition d’integration republicaine de l’etranger dans la societe frangaise prevue pour la delivrance de la carte de sejour55

Obwohl die vorgeschriebenen Integrations- und Sprachkurse offiziell nicht am Ende evaluiert werden, scheint der Vertrag implizit eine fur den Immigranten nicht sofort erkennbare Evaluation zu beinhalten. Es handelt sich scheinbar um einen mit Sanktionen verknupften Vertrag, den der franzosische Staat abschlieBt, um die Integration des Einwanderers unter Vorbehalt zu stellen. Die Unterzeichnung des CAI und die Teilnahme an den damit verbundenen MaBnahmen wird gesetzlich mit einem Teil der erfolgreichen integration republicaine des Einwanderers gleichgesetzt, die durch den Staat angeboten wird. Diese partielle Gleichsetzung von integration republicaine und Einhaltung des CAI wird auch in den Artikeln L.311-9 und L.314-2 des Code de l'entree et du sejour des etrangers et du droit d’asile (CESEDA) deutlich.

Lors du premier renouvellement de la carte de sejour, il peut etre tenu compte du non­respect, manifeste par une volonte caracterisee, par l’etr anger, des stipulations du CAI.[...]De meme, lorsque la delivrance d’une premiere carte de resident est subordonnee a l’integration de l’etranger dans la societe frangaise, il sera notamment tenu compte de la souscription et du respect du CAI.56 Es bleibt nach der Lekture also aus Sicht des Immigranten offen, welchen Umfang seine integration republicaine aus staatlicher Sicht haben sollte und in welcher Relation sie zu den konkreten IntegrationsmaBnahmen des CAI steht. Dieser Problematik soil im folgenden Abschnitt nachgegangen werden.

3.2. Zur Zielsetzung des Contract d’accueil et d‘integration

Die Frage, die sich vor dem Hintergrund der unklaren Formulierung der integration republicaine aufdrangt, ist die, welche Integrationsleistung von dem Einwanderer durch die Unterzeichnung des CAI seitens des franzosischen Staats gefordert wird, beziehungsweise welche Zielsetzung der Staat implizit durch die vorgeschriebenen Kurse verfolgt.

Ein zentrales Dokument der Intergrationspolitik ist der seit 2003 gesetzlich vorgeschriebene jahrliche Bericht uber die orientations de la politique de I’immigration, den die Regierung an das Parlament zu richten hat57. In dem Bericht aus dem Jahr 2008 wird als Hauptziel des CAI die Schaffung einer Basis fur die integration republicaine angegeben. Unter Bezugnahme auf den CESEDA formuliert das zustandige Sekretariat58 folgende Zielsetzung fur den CAI:

La connaissance du fonctionnement des institutions et des services publics, des lois, principes et valeurs de la Republique et une connaissance suffisante du frangais [...]59

Als Erfolgsindikator fur das Integrationsprogramm scheint hier die Bilanz der unterzeichneten Vertrage gewertet zu werden (2007 haben 99,5% der Einwanderer den CAI unterschrieben).60 Eine genaue Definition der durch den CAI formulierten Integrationsforderung an den Immigranten ist jedoch weder hier noch in dem CESEDA selbst zu finden. In dem aktuellen lettre de mission61, einer Art offentlichen Handlungsanweisung fur den aktuellen Integrationsminister Eric Besson, fanden die Absender des Briefes, Nicolas Sarkozy und Francois Fillon, direktere Worte, um die Ziele des Integrationsprogrammes zu beschreiben. Ein naherer Blick in diesen Brief soll im Folgenden dazu dienen, das im CAI formulierte Integrationskonzept der Regierung zu beleuchten.

Unter Punkt 3 des Briefes gehen die Absender auf die Prioritat der neuen Einwanderungspolitik ein und betonen die Verbindung dieses Aufgabenfeldes mit der ebenfalls durch das Ministerium62 promotion de notre identite nationale?????. Der in diesem Dokument festgehaltene politische Wille teilt die Integrationspolitik in drei Saulen auf: diegemeinsamen Sprache63, die gemeinsamen Werte sowie Arbeit und Wohnen. Indirekt geht er damit auf die Zielsetzung des Programmes ein, dass nur die Einwanderer, die die Werte der Republik kennen und Franzosisch sprechen, ein visa de longue sejour beziehungsweise eine carte de resident bekommen sollen (Die carte de resident erlaubt in Abgrenzung zur normalen carte de sejour einen Aufenthalt von 10 Jahren.). Da innerhalb des CAI keinerlei Evaluationen vorgesehen sind, bleibt zunachst offen, wie genau durch den Prafekten uberpruft werden soll, ob die oben genannten Kriterien erfullt sind. Die im Rahmen des empirischen Teiles dieser Arbeit hierzu befragte Verantwortliche fur das Integrationsprogramm im Ministerium (sous-direction de I'accueil) zitierte auf die Frage, wie genau die Prafekten uber die Gute der integration republicaine des Einwanderers entscheiden sollen, aus einem Ministerialrundschreiben des Innenministeriums von 2004, das intern bereits konkrete Integrationsindikatoren genutzt werden, die den offentlich zuganglichen CESEDA erganzen. Neben den oben genannten werden folgende gleichgewertete Faktoren bei der Beurteilung der integration republicaine berucksichtigt: Unterzeichnung des CAI sowie die Teilnahme an den mit ihm verbundenen MaBnahmen, scolarisation des enfants, participation a des associations, integration dans le quartier, particpation a la vie locale.64 Die Zielsetzung fasste sie damit zusammen, dass die Immigranten zunachst uber die Werte der Republik aufgeklart werden sollten, um von ihnen anschliefiend verlangen zu konnen sie anzunehmen65 Das Programm wurde ihrer Ansicht nach von der Regierung als erster Schritt in einem veritable parcours d’integration gesehen, an dessen Ende die franzosische Staatstangehorigkeit steht.66 Das in diesem Kontext von ihr mehrfach gebrauchte Wort adherer scheint dabei uber die „bloBe“ Akzeptanz der Werte der Republik hinauszugehen. Ins Deutsche ubersetzt hatte das Verb in einem solchen Kontext die Bedeutung eines „Anhangen an einer Ideologie“.67

Im Anschluss an diesen Teil des Briefes wird auf die ebenfalls von dem Ministerium verantwortete promotion de l’idenitite nationale eingegangen, die aus Sicht der Regierung im direkten Zusammenhang mit der erfolgreichen Integration der Einwanderer steht. Als Voraussetzung einer erfolgreichen Integration wird von der Seite der Aufnahmegesellschaft primar ein durch das Ministerium zu verstarkendes Nationalgefuhl gefordert.

[...] Le sentiment d’appartenance a une communaute de destin, la volonte de vivre ensemble, le partage de cette identite qui est la notre, avec sa culture, son histoire, sa langue et les valeurs qui la fondent, constituent la condition d’une integration reussie. [...]En etant nous-memes fiers d’etre frangais, nous facilitons l’integration des etrangers que nous accueillons. Comment leur demander d’aimer la France si nous ne l’aimons pas nous-memes ? Nous devons non seulement assumer mais aussi celebrer, au regard du monde et des nouveaux migrants, la fierte d’etre frangais.

Die Einwanderer sollen im Sinne ihrer erfolgreichen Integration die Werte der Republik kennen sowie Franzosisch sprechen und die Werte und Gebrauche der Franzosen respektieren. Sie sollen sich jedoch scheinbar auch personlich mit ihnen identifizieren, sogar das Verb „lieben“ wird gebraucht, um die erfolgreiche Integration zu charakterisieren.

Gegen kommunitaristische Tendenzen, so weiter unten im Brief, soll der Minister diese die Werte der Republik reprasentierenden Symbole sowie die Nationalhymne verstarken, uberall wo dies diesem Zwecke diene.68 Dem Anteil der kulturellen Identitat der Immigranten wird in dem besagten Dokument insgesamt ein Satz in der letzten Zeile gewidmet.

C’est une France a laquelle chaque nouvel arrivant, chaque nouveau Frangais apporte son histoire, les richesses de son origine, sa contribution.

Als letzte Quellen fur die Untersuchung der Zielsetzung des Integrationsprogrammes soll an dieser Stelle noch auf diesbezugliche Erklarungen Sarkozys in seiner damaligen Funktion als Innenminister 2003 und in einem Interview von 2006 eingegangen werden. Bereits bei der Einfuhrung des Integrationsprogrammes ging er besonders auf die Zielgruppe Einwanderinnen ein, die durch Heiraten nach Frankreich kommen. Da es seiner Meinung [.] des communautes issues de l’immigration [qui] s’organisent pour resister a l’integration republicaine par des pratiques endogames [et] des jeunes frangaises issues de l’immigration [qui] sont maries de force a l’etranger gabe, musse dieser Misstand durch das Integrationsprogramm beseitigt werden.69 In einem Interview aus dem Jahr 2006 ging er erneut auf die mit dem Integrationsvertrag verfolgten Zielsetzungen bezuglich der obigen Zielgruppe ein. Dans le cas d’une femme gardee en otage a son domicile sans apprendre lefrangais, la famille entiere sera contrainte de repartir.70

Aus der Zusammenschau der oben zitierten Zeugnisse des politischen Willens der fur das Programm verantwortlichen Regierung wurde ersichtlich, dass die Zielsetzung auf der gesetzlichen Ebene eng mit der Definition des Begriffes der integration republicaine verknupft ist. Wie in dem Interview mit dem Ministerium deutlich wurde, besteht bezuglich des Begriffes des integration republicaine zurzeit eine Diskrepanz zwischen der politischen- gesetzlichen Ebene und der Praxis. Die fur die Einschatzung der integration republicaine verantwortlichen Prafekten verfugen bereits uber eine Einschatzungsgrundlage in Form von nicht offentlich zuganglichen circulaire ministeriel, in denen die Teilnahme an den Kursen nur als ein Teilaspekt des erfolgreichen Integrationsprozesses gewertet wird.

Aus der Sicht des Einwanderers bleibt daher nach der Unterzeichnung des Vertrages zunachst unklar, was neben der stark betonten Akzeptanz der Werte im weiteren Integrationsprozess von ihm gefordert wird. Klar wurde jedoch, dass das Integrationsprogramm gesetzlich und politisch als anteilige Integrationsleistung des Staates an der integration republicaine verstanden wird, der sich der Immigranten zu unterziehen hat.

3.3. Wie viel integration republicaine steckt in dem Integrationsprogramm?

Im folgenden Abschnitt soll durch die uberblicksartige Betrachtung der Ausgestaltung des Programmes gezeigt werden, welche konkreten MaBnahmen den durch den Staat formulierten Integrationszielen gegenuberstehen.

Laut dem oben zitierten lettre de mission soll die Integrationspolitik in drei Saulen aufgeteilt werden. Durch den CAI werden konkret die Sprache (formation linguistique), die gemeinsamen Werte (formation civique, session „Vivre en France “) sowie der Bereich Arbeit (bilan de competences) abgedeckt. Nachdem oben auf die Zielsetzungen von Seiten des Staates eingegangen wurde, soll nun ein Blick auf die konkreten MaBnahmen geworfen werden, um zu eruieren, welchen Umfang die Integrationsleistung des Staates hat.

Durch die Datenerhebung, die im Rahmen des Empfanges im OFII durchgefuhrt wird, kann der Einwanderer bis zu 400 Stundensprachkurse verordnet bekommen. Das in den Kursen angestrebte Sprachniveau des Diplome Initial de Langue Franqaise (DILF) liegt mit A1.1. unter dem niedrigsten Niveau (A1) des europaischen Referenzrahmens71. Dieser Aspekt sowie die Tatsache, dass die Mehrheit der Unterzeichner des CAI aus frankophonen Landern stammen beziehungsweise bereits in Frankreich gelebt haben, erklaren, dass 90% der Immigranten in der Statistik des OFII von 2009 als capable de communiquer de maniere correcte en francais ausgewiesen werden.

Den Bereich Arbeit deckt das Integrationsprogramm durch den bilan de competences ab. Bei diesem Teil des Programmes handelt es sich um ein Gesprach, das zu einem vereinbarten Termin zwischen dem Einwanderer und einem Berufsberater einer externen, durch das OFII nach offentlicher Ausschreibung beauftragten Tragerorganisation durchgefuhrt wird. Ziel des Gespraches ist es, eine Bestandsaufnahme der bisherigen Bildung beziehungsweise Ausbildung des Einwanderers zu ermitteln72. Zwecks seiner regularen Einschreibung bei der ANPE. bei den anschlieBenden MaBnahmen zur Arbeitssuche wird der Immigrant wie ein normaler Staatsburger behandelt.

Die im Sinne der vertraglich verordneten integration republicaine zentrale Kenntnis der Funktionsweise der franzosischen Institutionen, der Gesetze und Prinzipien der Republik soll im Rahmen der achtstundigen formations civique vermittelt werden. Das konkrete Ziel der formations civique wird in der offentlichen Ausschreibung fur die Vergabe des Auftrages der Integrationskurse durch das OFII folgendermaBen prazisiert: faire connaitre aux nouveaux arrivants les valeurs et les principes fondamentaux de la Republique frangaise et de les informer sur le fonctionnement institutionnel et administratif de la France. Um diese Inhalte zu vermitteln, wird den Einwanderern im Rahmen des Integrationskurses innerhalb von sechs Stunden eine 106-seitige Prasentation gezeigt, die durch den Kursleiter der Tragerorganisation erklart werden soll. In der Prasentation wird analog zum CAI besonderer Wert auf Symbolik und Prinzipien der Republik sowie auf Vermittlung der Menschenrechte und den Zugang zur franzosischen Nationalitat gelegt.

Die fakultative Veranstaltung Vivre en France soll jeden Unterzeichner des Vertrages bezuglich der Funktionsweise der franzosischen Gesellschaft sensibilisieren und ihm praktische Hilfen fur das alltagliche Leben in Frankreich, sowie Informationen uber den Zugang zu den verschiedenen offentlichen Diensten geben. Welchen Umfang der oben dargestellte staatliche Anteil an der erfolgreichen integration republicaine des Einwanderers genau hat, wo dieser also nach der Teilnahme „steht“, kann hier nicht geklart werden. Es ist jedoch deutlich geworden, dass es sich vergleichsweise nur um einen kleinen Teil der unter dem Terminus integration republicaine geforderten Integrationsleistung handeln kann.

3.4. Zusammenfassung der Zielsetzungen

Nach dem Abschluss der MaBnahme sieht der Staat seinen Anteil, der zur Erreichung der erfolgreichen integration republicaine notig ist, insofern als beendet an, als dass er auf nationaler Ebene keine weiteren ForderungsmaBnahmen, die sich explizit an den Einwanderer richten, vorsieht. Der Vertrag formuliert also implizit ein Ziel, fur dessen Erreichung der Einwanderer, sofern er langer in Frankreich bleiben mochte, selbst verantwortlich ist. Das standardisierte Integrationsprogramm kann, wie oben gezeigt, aufgrund seines Umfanges nicht mehr als eine Ausgangsbasis schaffen, von der aus der Einwanderer die weitere Bestreitung seines parcours d’integration in Richtung des Endzieles der franzosischen Staatsburgerschaft selbst zu verantworten hat. Gleichzeitig behalt der Staat sich jedoch vor, den Integrationsfortschritt, zu dem er den Einwanderer vertraglich verpflichtet hat, nach Ablauf dessen Aufenthaltsgenehmigung zu bewerten. Die dann angelegten Integrationsindikatoren gehen jedoch uber die erfolgreiche Teilnahme an dem Integrationsprogramm hinaus und sind fur den Einwanderer bei der Unterzeichnung des Vertrages kaum einsehbar. Die Integration im Sinne einer Einbringung beziehungsweise eines kulturellen Austausches des Einwanderers wird nicht durch das Programm angestrebt. Aus Sicht der Regierung stellt die Teilnahme an dem Programm einen ersten Schritt in dem parcours d’integration in Richtung der Staatsburgerschaft dar.

An den Einwanderer werden demzufolge vertraglich drei explizite Forderungen gestellt: der Respekt und die Akzeptanz der Werte der Republik (Ziel 1), das Erlernen der franzosischen Sprache (Ziel 2) sowie die Teilnahme an den Integrationskursen (Ziel 3). Die oben zitierte politische Rhetorik bezuglich der groBen Wichtigkeit der Werte mag ubertrieben erscheinen, trotzdem obliegt es allein dem Urteil des Prafekten, ob die Akzeptanz vorliegt(!). Implizit fordert der Vertrag durch §5, Absatz 2 eine Integrationsleistung ein, die uber die Teilnahme an den MaBnahmen hinausgeht und die weitere Punkte wie einen Arbeitsplatz, die Einhaltung der Schulpflicht der Kinder, Teilnahme am Leben in einem Wohnviertel umfassen (Ziel 4), die durch den Einwanderer selbst geleistet werden muss und uber die durch das Programm geschaffene Ausgangsbasis hinausgeht. Der Einwanderer hat also eigenverantwortlich die Hauptlast seiner Integration zu tragen. Bei der folgenden Kontrastierung der hier herausgearbeiteten Zielsetzung des Programmes mit den Perspektiven der Einwanderer soll der Fokus zunachst auf den CAI allgemein sowie auf die expliziten Zielsetzungen gelegt werden. Am Ende sollen exemplarisch einige individuelle Integrationskonzepte der Einwanderer der staatlichen Vorstellung des parcours d’integration gegenubergestellt werden.

4. Methodik: Eine Kombination aus qualitativen Interviews und Fragebogen

Bevor mit der Darstellung der gewonnen Daten begonnen werden kann, soll in diesem Abschnitt die Angemessenheit der gewahlten Methode begrundet und die Vorgehensweise bei der anschlieBenden Auswertung des Materials kurz erlautert werden.

Um der Fragestellung folgend die Perspektive der Einwanderer auf das Integrationsprogramm und dessen Zielsetzungen zu verstehen, erschien eine kombinierte Herangehensweise aus qualitativen Leitfadeninterviews und einem erganzenden Fragebogen als dem Forschungsgegenstand angemessen.

Die rein quantitativen Untersuchungen, die auch bereits durch das OFII in Form von Fragebogen durchgefuhrt wurden, haben vor dem Hintergrund des Verstandnisses der Perspektive der Einwanderer den eindeutigen Nachteil, dass die AuBerungen der Befragten stark reduziert wurden. Beispielsweise die Frage nach dem Interesse an der formations civique wurde auf ein Spektrum zwischen tres interessant und pas interessant reduziert, was keinerlei Ansatzpunkt far ein tieferes Verstandnis der Antwort bietet.

Die gewahlte Kombination der beiden Methoden bot mit den qualitativen Interviews einerseits die Moglichkeit, die Perspektiven der Einwanderer in ihrer Komplexitat und Vielschichtigkeit zu berucksichtigen73 und sie andererseits zwecks der reprasentativen Auswahl von Einzelperspektiven und dem Nachweis von Trends innerhalb des Samples zu quantifizieren.

Zur quantitativen Erhebung

Der verwendete Fragebogen umfasste mehrere fur die Fragestellung der Arbeit relevante Kernfragen, bei denen die Einwanderer zwischen mehreren vorgegebenen Antwortmoglichkeiten wahlen konnten. So hatten sie zum Beispiel auf die Frage nach der Relevanz der formation civique fur ihr weiteres Leben in Frankreich die Moglichkeit zwischen gering, mittel und hoch auszuwahlen.

Zu den qualitativen Leitfadeninterviews

Um den Einwanderern einen moglichst groBen Freiraum fur ihre personlichen AuBerungswunsche zu dem Integrationsprogramm einzuraumen, wurden die Interviews als semi-strukturierte Leitfadeninterviews74 unter Ruckgriff auf das Standardwerk zur qualitativen Sozialforschung von Flick gestaltet. Der Konzeption der Leitfragen wurde a priori die Annahme zugrunde gelegt, dass ein tieferes Verstandnis der subjektiven Wahrnehmungen des Integrationsprogrammes nur unter Berucksichtigung des individuellen Einwanderungsprojektes, das heiBt der Motivation zur Einwanderung und der Zukunftsplanung des interviewten Individuums, moglich ist75. Eingebettet in Fragen zu der Zeit vor und nach dem Integrationsprogramm wurden vor dem Hintergrund der Zielsetzung Fragen zu dem Programm allgemein, zum Inhalt des CAI, zu den bis dato von ihnen passierten Stationen des Integrationsprogrammes sowie zu der formation civique als zentralem Punkt der Wissens- und Wertevermittlung gestellt. Die Subjektivitat der Antworten wurde dabei nicht als Problematik, sondern als wertvolles Wissen uber die Wirkung und Reichweite des Integrationsprogrammes angesehen.

Zu meiner Rolle als Forscher im Forschungsfeld

Ein weiterer nicht zu vernachlassigender Aspekt des gewahlten Ansatzes ist die Reflexivitat des Forschers. Bei der qualitativen Methode gehort die Kommunikation des Forschers mit dem Forschungsfeld und den Beteiligten zum Bestandteil der Erkenntnis. Dadurch werden die Subjektivitat des Forschers und die der Erforschten zum Teil des Forschungsprozess.76 Diese essentielle Eigenschaft der gewahlten Methodik macht es wegen der in dieser Arbeit zur Prioritat erklarten Nachvollziehbarkeit wichtig, kurz auf meine Rolle als Forscher in den Interviews einzugehen. Vor dem Hintergrund des Ziels die subjektive Perspektive der Interviewpartner zu verstehen, erschien es als wesentlich, Angsten und Misstrauen auf Seiten der Neueinwanderer vorzubeugen. Diese Angste erschienen angesichts des Eintretens in ein neues Leben, in eine neue Kultur als sehr nachvollziehbar77. Diese aus den ersten, relativ unfruchtbar verlaufenden Interviewversuchen hervorgegangene Erfahrung wurde von mir aufgegriffen, indem ich zu Beginn der formations civiques vor der versammelten Gruppe und dann jeweils vor den einzelnen Interviews meine Position als Forscher innerhalb der Organisation und mein Forschungsinteresse offenlegte. Dazu stellte ich mich immer mit vollem Namen vor und erklarte ca. funf Minuten lang auf Englisch und Franzosisch meine Absichten. Die intendierte Wirkung dieser kleinen Ansprachen war, verstandlich zu machen, dass ich einerseits „ungefahrlich“ und andererseits interessiert an der personlichen Sichtweise der Immigranten war.

Wie aus der obigen Positionierung und aus der bisherigen Vermeidung des „Ich“ in dieser Arbeit ersichtlich wird, sollen im empirischen Teil meine personlichen Eindrucke, die ich wahrend der Hospitationen gesammelt habe, zu Gunsten der Perspektive der Einwanderer weitgehend ausgeklammert bleiben. Nachdem die Frage der Vorgehensweise bei den Interviews erlautert wurde, soll nun auf die Auswahl der Interviewpartner eingegangen werden.

Zur Auswahl der Interviewpartner

Um eine moglichst hohe Reprasentativitat der Ergebnisse zu erreichen, wurde bei der Auswahl der Interviewpartner auf die taglich vorliegenden Anwesenheitslisten der Tragerorganisation zuruckgegriffen, aus denen hervorging, aus welchen Landern die Immigranten kamen. In Anlehnung an die CAT-Statistik des OFII von 2009 wurde eine Vorabfestlegung der Samplestruktur nach Herkunftsland, Geschlecht, Alter und der bisherigen Aufenthaltsdauer in Frankreich angestrebt. Abgesehen von der Nationalitat war die Auswahl jedoch dem Zufall uberlassen. Ziel der Auswahl war es, die numerisch am starksten vertretenen Einwanderungslander, mit gleicher Gewichtung von Mannern und Frauen sowie annahernd zwei gleiche Gruppen von Neueinwanderern und Alteinwanderern, zu interviewen. Dazu ist zu bemerken, dass nach Auskunft von Verantwortlichen der Tragerorganisation sowie der Verantwortlichen des Ministeriums die Wahl der Stadt Paris eine Art Filtereffekt bezuglich der anzutreffenden Einwanderer mit sich brachte. Laut ihren Angaben gabe es in Paris, im Vergleich zu anderen Regionen Frankreichs, einen groBeren Anteil an Arbeitseinwanderern mit einem relativ hohen Bildungsniveau79. Dieser Umstand unterstreicht, dass die im Rahmen dieser Arbeit durchgefuhrte Stichprobe nur eine eingeschrankte Reprasentativitat haben kann.

Zur Umsetzung der Methode in der Praxis

Die konkrete Umsetzung der oben beschriebenen Methode sah in der Praxis so aus, dass in der Vorstellungsrunde zu Beginn der Veranstaltungen ermittelt wurde, welche Personen aufgrund ihrer Nationalitat und ihres Geschlechts in die angestrebte Samplestruktur passten. In den Pausen wurden diese Personen dann fur die Interviews angesprochen und anschlieBend (manchmal auch zeitlich versetzt) der standardisierte Fragebogen abgefragt. Aufgrund eines Verbots durch die Tragerorganisation Fragebogen ausfullen zu lassen, wurden die Antworten der Immigranten in dem dafur vorgesehenen Raster vermerkt. Dabei ist zu bemerken, dass ein anfangliches kategorisches Aufzeichnungsverbot freundlicherweise aufgehoben wurde. Bei der Durchfuhrung der Interviews stellte sich die Methode der Leitfadeninterviews zum Zwecke des Verstandnisses der Perspektive der Einwanderer als sehr praktikabel heraus. Dabei wurde versucht als befragender Forscher moglichst wenig Sprechzeit zu beanspruchen und die Leitfragen zunachst „im Hinterkopf" zu behalten, um sie, ausgehend von der Initialfrage nach der Herkunft und Motivation nach Frankreich zu kommen, in die naturliche Entwicklung des Gespraches einzubinden. Zudem wurde im Anschluss an den Fragebogen versucht, die Immigranten durch eine Einladung auf einen Kaffee fur ein langeres Interview nach den Veranstaltungen zu gewinnen.

Zur Auswertung der Daten

Als letzter Punkt soil nun noch der Umgang mit den gewonnenen Daten erlautert werden. Insgesamt wurde in zehn ganztagigen formations civiques, zwei sessions Vivre en France sowie einem Tag auf der Empfangsplattform des OFII hospitiert und 37 Einzel- und Gruppeninterviews durchgefuhrt. AuBerdem wurden Interviews mit zwei Ministerialbeamten des verantwortlichen Ministeriums, sechs Interviews mit Kursleitern der Integrationskurse sowie ein Interview dem Direktor der Tragerorganisation durchgefuhrt.

Um die Interviewten zu schutzen, wurden in der Abgabeversion dieser Arbeit alle Namen entfernt. Da es fur wenig sinnvoll erachtet wurde, alternativ zu den wirklichen Namen fiktive Namen zu verwenden, wurde ein groBes „E.“ fur Einwanderer und die Kennzahl des Einwanderers verwendet. Zudem wurde jeder dieser Platzhalter mit einer FuBnote gekennzeichnet aus der Geschlecht, Nationalitat, Alter und Aufenthaltsdauer in Frankreich hervorgeht.

Die FuBnoten, die auf Interviews verweisen, enthalten zuerst die Kennzahl des Interviews und dann die Zeitstelle, nach der die Aussage durch den Einwanderer gemacht wurde. Zum Beispiel Vgl. I.5:5:20/E.8. fur das Interview mit der Kennzahl 5, ab der Zeitstelle 5 Minuten und 20 Sekunden sowie die Kennung des Einwanderers 8. Weitere Erklarungen zu den Vorarbeiten fur die Auswertung sowie den Umgang mit dem Interviewverzeichnis finden sich im Anhang.80

Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit musste fur die Auswertung der Interviews eine Vorgehensweise gefunden werden, dass die nicht unwesentliche Zahl von 37 Interviews handhabbar macht, ohne auf eine zu allgemeine Ebene abzugleiten. Hierzu soll in den einzelnen Unterkapiteln zunachst, wie von Muhlefeld vorgeschlagen, eine Quantifizierung der qualitativen Daten auf Basis der Fragebogen durchgefuhrt werden81. Die daraus resultierende Reduktion der Komplexitat soll jedoch nur als erster Schritt dienen, um Tendenzen innerhalb des Samples erkennbar zu machen, die dann als Auswahlkriterium fur die Darstellung von einzelnen Perspektiven genutzt werden sollen. Dabei ist zu betonen, dass die Quantifizierung im ersten Schritt nicht der Reduktion der Komplexitat durch Zerlegung in Variablen dient, sondern das durch sie eine Verdichtung und fokussierte Kontrastierung der Perspektiven mit den Integrationszielen der Regierung ermoglicht wird82. Die am Ende der folgenden Unterkapitel verfassten Zwischenfazits sollen es im Schlussteil erlauben, eine Hypothese uber den Erfolg und die Reichweite des Integrationsprogrammes zu bilden.

5. Das Integrationsprogramm in der sozialen Praxis

5.1. Zusammensetzung des Samples

In diesem Abschnitt der Arbeit soll zunachst ein Uberblick uber die Interviewten gegeben werden, um dann im Anschluss detailliert auf die Einwanderungsmotivationen einzugehen. Bei der Kontrastierung der Zielsetzungen des Integrationsprogrammes mit den Perspektiven der Immigranten wird es dann aufschlussreich sein, einen Blick zuruck auf deren individuelle Motivation und Zukunftsvision bezuglich ihres Lebens in Frankreich zu werfen, um ihre Sichtweise zu verstehen.

Wie aus der untenstehenden Tabelle ersichtlich wird, wurde die an der CAT-Statistik orientierte Vorabfestlegung der Samplestruktur mit den 37 durchgefuhrten Interviews weitgehend erfullt. Die einzige Ausnahme bildet das unausgeglichene Verhaltnis zwischen den Geschlechtern, bei dem die Frauen mit 21 und die Manner mit nur 16 Interviews vertreten sind. Der Altersdurchschnitt liegt bei ca. 29 Jahren. Ein kurzer Blick auf die Situation der Herkunftslander soll nun die Verstandnisgrundlage fur mogliche Einwanderungsmotivationen der Immigranten schaffen.

[...]


1 Bemerkung des Autors: Der Lesbarkeit und des Platzes wegen, sollen, sofern von weiblichen und mannlichen EinwanderInnen die Rede ist, nur die mannliche Form gebraucht werden.

2 Vgl. Cours des Comptes (2004), S. 18 f.

3 Vgl. Schor, (1996), S. 6.

4 Vgl. dazu zum Beispiel Gerard Noiriel in Le creuset frangais.

5 Vgl. Michalowski (2007), S. 10.

6 Vgl. Schor, (1996), S. 6.

7 Vgl. Ministere de l’Interieur (9.06.2005), (Rede von Nicolas Sarkozy).

8 Vgl. Michalowski (2006), S. 61.

9 Vgl. Liberation (19.06.2009).

10 Vgl. Ministere de l'Immigration, de l'Integration, de l'Identite nationale et du Developpement solidaire (18.07.2007).

11 Ebd., S. 4f.

12 Vgl. Migration-Info.de (2007).

13 Vgl. Sackmann (2004), S. 190 f.

14 Vgl. Michalowski (2006), S. 63.

15 Vgl. Europaische Kommission (2008).

16 Vgl. Europarat (2000).

17 Vgl. Joppke (2007), S. 247.

18 Vgl. Harzig (2004), S. 17.

19 Vgl. Harzig (2004), S. 18.

20 Bemerkung des Autors: Fur die sich aufdrangende Analyse des franzosischen Programmes mit „handfesten“ Integrationstheorien, vor dem Hintergrund unterschiedlicher Definitionen des Wortes Integration sowie einer fundierten Darstellung des traditionellen republikanischen Integrationsmodells in Abgrenzung zum Status quo, muss aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit verzichtet werden.

21 Spater anderte sich der Name in : Fonds d’action socialepour les travailleurs immigres et leurs familles (FASTIF) und Fonds d’action et de soutien pour migration et la lutte contre les discriminations FASILD.

22 Vgl. Cours des Comptes (2004), S. 31.

23 Vgl. Cours des Comptes (2004), S. 39.

24 Vgl. Michalowski (2007), S. 42 f.

25 Direction de la Population et des Migrations.

26 Genauer : sous-directions des programmes en faveur des migrants (PSM).

27 Vgl. Circulaire DPM93/10 (12.03.1993).

28 Ebd

29 Vgl. Michalowski (2007), S. 43.

30 Vgl. Cours des Comptes (2004), S. 80.

31 Vgl. HCI (2001), S. 42.

32 Vgl. Michalowski (2006), S. 66.

33 Vgl. Cours des Comptes (2004), S. 80.

34 Vgl. HCI (2001), S. 45.

35 Vgl. HCI (2001), S. 46.

36 Vgl. HCI (2001), S. 43.

37 Vgl. HCI (2001), S.47.

38 Vgl. HCI (2001), S. 46.

39 Vgl. Ministere de l’Interieur (2006).

40 Vgl. Spiegel (2002).

41 Vgl. Archives de la Presidence de M. Jaques Chirac (2002).

42 Vgl. Joppke (2007), S. 251.

43 Loi n° 2003-1119 (26.11.2003).

44 Loi n° 2006-911 (24.07.2006).

45 Bemerkung des Autors: Aus nachvollziehbaren Datenschutzgrunden durfte ich bei diesen Gesprachen keine Aufnahmen machen. Ich durfte mir jedoch die standardisierten Fragen notieren. Die Darstellung beruht zudem auf zahlreichen Originaldokumenten die aus urheberrechtlichen Grunden aus der vorliegenden Version der Arbeit entfernt werden mussten.

46 Bemerkung des Autors: Offensichtlich handelte es sich um eine „Vorzeige“-Behorde, da auch der Film Vivre en France in ihr gedreht wurde.

47 Titel des Films: Vivre en France. (Auszuge des Films sind im Internet abrufbar:http ://www.ofii. fr/s_integrer_en_france_47/vivre_ensemble_en_france_499.html).

48 Vgl. OFII (2009): Le film : « Vivre ensemble, en France ».

49 Bemerkung des Autors: Zu diesem Zeitpunkt war mir der Mitschnitt des Gespraches leider nicht erlaubt.

50 Vgl. I.39:6:15/Mitarbeiterin des OFII.

51 Vgl. I.39:20:00/Mitarbeiterin des OFII.

52 Vgl. I.44: 2:00/Mitarbeiterin des OFII.

53 Vgl. OFII (2009), (Livret d’accueil).

54 Vgl. Integrationsvertrag, S.1.

55 Vgl. Integrationsvertrag, S. 2.

56 Vgl. Loi N° 2006-911 (24.07.2006).

57 Vgl. Loi N° 2003-1119 (26.11.2003).

58 Secretariat general du Comite interministeriel de controle de l’immigration.

59 Vgl. Secretariat general du Comite interministeriel de controle de l'immigration (2008), S. 151.

60 Ebd., S. 157.

61 Vgl. Ministre de l’Immigration, de l’Integration, de l’Identite nationale et du Developpement solidaire (31.03.2009).

62 Ministre de l’Immigration, de l’Integration, de l’Identite nationale et du Developpement solidaire.

63 Zielniveau: A.1.1.

64 Vgl. I.38 :28 :25/Ministerialbeamtin; I.38:22:35/Ministerialbeamtin.

65 Vgl. I.38:53 :40/Ministerialbeamtin.

66 Vgl. I.38:68:10/Ministerialbeamtin.

67 Ubersetzung (www.pons.eu). adherer a un ideal/une ideologie - einem Ideal/einer Ideologie anhangen.

68 Vgl. iettre de mission, S. 6.

69 Vgl. Lochak (2004), S. 3.

70 Vgl. Journal du Dimanche (5.02.2006).

71 Vgl. Goethe Institut (2004), (Europaischer Referenzrahmen.

72 Vgl. I.48:2:55/E.28.

73 Vgl. Flick (2007), S. 26.

74 Vgl. Flick (2007), S. 196ff.

75 Vgl. Flick (2007), S. 135f.

76 Vgl. Flick (2007), S. 271ff.

77 Bemerkung des Autors: Diese ersten Interviews wurden nicht bei der Auswertung weiter unten berucksichtigt.

78 Vgl. Flick (2007), S. 155ff.

79 Vgl. I.38:92:40/Ministerialbeamtin.

80 Vgl. Anhang, S. 5 ff.

81 Vgl. Muhlefeld et al (1981).

82 Vgl. Flick (2007), S. 124.

Ende der Leseprobe aus 118 Seiten

Details

Titel
„Bienvenue en France“
Untertitel
Eine qualitative Untersuchung der Zielsetzungen und der Umsetzung des französischen Integrationsprogramms unter besonderer Berücksichtigung der Perspektiven der an ihm teilnehmenden Einwanderer
Hochschule
Universität Bremen
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
118
Katalognummer
V149379
ISBN (eBook)
9783640647453
ISBN (Buch)
9783640647439
Dateigröße
1172 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
- 2010 nominiert für den Bremer Studienpreis. - Engl. Titel: "Bienvenue en France: A qualitative analysis of the claims and implementation of the French integration program with special regard to the perspectives of participating immigrants."
Schlagworte
Frankreich, Integrationsprogramm, OFII, ANAEM, contrat d'accueil et d'intégration, french integration program, Immigration, intégration républicaine, CAI, Integrationsvertrag, Studie, Integrationskurs, formation civique, 2009, 2010, Werte der Republik, identité nationale, Politikfeldanalyse, Integration von Zuwanderern in Frankreich, Integration in Frankreich, Identitätsdebatte
Arbeit zitieren
Alexej Schlotfeldt (Autor:in), 2009, „Bienvenue en France“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149379

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