Sind 182 Insolvenzgerichte noch zeitgemäß? Ist eine Konzentration der Zuständigkeit bei Unternehmensinsolvenzen sinnvoll?

Moderne Sanierungsinstrumente in der Unternehmensinsolvenz


Seminararbeit, 2009

38 Seiten, Note: 14,0 Punkte (sehr gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

A. Die Insolvenzgerichtslandschaft der Bundesrepublik Deutschland
I. Das normative Grundgeflecht: Die Zustandigkeiten nach §§ 2, 3 InsO
1) Sachliche Zustandigkeit, § 2 InsO
a) Konzentration am Landgericht, § 2 I InsO
b) Dekonzentrationsmoglichkeit, § 2 II InsO
2) Ortliche Zustandigkeit, § 3 I, II InsO
a) allgemeiner Gerichtsstand oder Interessenmittelpunkt, § 3 I InsO
b) Prioritatsprinzip
3) Auslandsbezogene / international Verfahren, § 348 InsO, Art. 3 I EuInsVO
II. Die faktische Situation
III. Die Auswirkungen: Der Insolvenzstandort Deutschland
1) Der Verknupfungspunkt: Qualitatseinbufien in den zwei zentralen Aufgabenfeldern
der Insolvenzgerichte
a) Verwalterbestellung, §§ 21 II Nr. 1, 27 I Satz 1, 56 I InsO
aa) Vorauswahllisten
bb) Bestenauslese im Konflikt mit „open shops“
cc) Mangelnde Attraktivitat aus Richterperspektive
dd) Zwischenfazit
b) Verwalteruberwachung und Aufsicht, § 58 I InsO
aa) Anforderungsprofil des Gerichts: „Auf Augenhohe“ mit dem Verwalter
bb) Zwischenfazit
2) Anforderungen an das Gericht versus Erreichbarkeit des Gerichts?
3) Ein kurzer Blick uber den Atlantik: Das US-amerikanische System
a) Hintergrunde
b) Die Zustandigkeit
c) Zwischenfazit
4) Der Vergleich innerhalb der EU: Great Britain rules the waves
a) Hintergrunde
b) Uberblick
aa) Company voluntary arrangement
bb) administration
c) Zwischenfazit
5) Konsequenzen in der Praxis: Forum shopping
a) nationales forum shopping
b) internationales forum shopping
c) Zwischenfazit
IV. Zwischenergebnis

B. Losungsvorschlage
I. Losungen uber § 2 InsO
1) Bessere Ausnutzung des § 2 II InsO
2) Anderung § 2 II InsO
3) Ubertragung der Zustandigkeit auf die Kammern fur Handelssachen
4) Ansiedelung bei den
II. Losungen uber § 3 InsO: Der Konzerngerichtsstand
1) Gerichtlicher Wettbewerb unter dem Prioritatsprinzip
2) Schutz der Konzernmutter und Reduzierung des forum shoppings
3) Kritik
III. Sonstige Losungsansatze und Alternativen
1) Personelle Identitat der Verwalter der einzelnen Konzernunternehmen
2) Insolvenzverwaltungsvertrage
3) ad-hoc Koordination unter den Insolvenzrichtern
4) Zwischenfazit

C. Ergebnis

Literaturverzeichnis

Rechtsquellenverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

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Sind 182 Insolvenzgerichte noch zeitgemafi? 1st eine Konzentration der
Zustandigkeit bei Unternehmensinsolvenzen sinnvoll?

A. Die Insolvenzgerichtslandschaft der Bundesrepublik Deutschland

„Die zersplitterte dezentrale Zustandigkeit der deutschen Insolvenzgerichte stellt ein schwerwiegendes Problem dar.“ So sagt es zumindest die Ministerin des Bundes und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion Bundnis 90/Die Grunen, Christine Scheel, noch am 21.04.2009 in einem Vor- trag vor der Gesellschaft fur Restrukturierung TMA Deutschland e.V.1 Die Banken- und Wirtschaftskrise hat die Frage nach einem funktionierenden und effizienten Insolvenzrecht neu gestellt.2 Innerhalb dieser Frage ist die Zustan­digkeit der Insolvenzgerichte und das Mafi der notigen Konzentration dersel- ben, von fundamentaler Bedeutung. Bei dem Thema, ob 182 Insolvenzgerichte noch zeitgemafi sind oder ob eine weitere Konzentration der Zustandigkeit im Unternehmensinsolvenzrecht erfolgen sollte, handelt es sich um ein Problem grofiter Aktualitat und Brisanz. Es wird zu zeigen sein, ob Frau MdB Scheel Recht behalt, wenn sie weiter ausfuhrt: „Langst uberfallig ware deshalb, zu- mindest fur grofie Verfahren Schwerpunktgerichte zu installieren, zum Beispiel konnte pro Bundesland eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet werden.“

I. Das normative Grundgeflecht: Die Zustandigkeiten nach §§ 2, 3 InsO

1) Sachliche Zustandigkeit, § 2 InsO

a) Konzentration am Landgericht, § 2 I InsO

Die sachliche Zustandigkeit im Insolvenzverfahren ergibt sich aus § 2 InsO. Nach § 2 I InsO ist fur das Insolvenzverfahren das Amtsgericht, in dessen Be- zirk ein Landgericht seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht3 fur den Bezirk dieses Landgerichts ausschliefilich zustandig. Es wird also grundsatzlich in jedem Landgerichtsbezirk ein Amtsgericht zum Insolvenzgericht bestimmt und dort eine entsprechende Insolvenzabteilung eingerichtet.4 Mit dieser Regelung wird die Zustandigkeit des Insolvenzgerichts am Landgericht konzentriert. Zweck soil zunachst ganz allgemein sein, der zur Bearbeitung von Insolvenzverfahren erforderlichen spezifischen Fachkompetenz, die nur durch laufende Befassung und Fortbildung der zustandigen Insolvenzrichter und Rechtspfleger im Insol- venzrecht erreicht werden kann, Vorschub zu leisten.5 Dadurch, dass nur das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat, fur den gesamten Landgerichtsbezirk in Insolvenzsachen zustandig ist, soll das Insolvenzgericht vermehrt mit Insolvenzverfahren betraut werden und durch die standige Praxis eine besondere Erfahrung und Sachkunde in der Leitung von Insolvenzverfah­ren erwerben. So konnen auch die finanziellen Mittel auf die wenigen6 zustan- digen amtsgerichtlichen Abteilungen konzentriert werden, wodurch diese wie- derum leichter mit geeigneten technischen Hilfsmitteln, insbesondere zur Be- waltigung grofier Insolvenzverfahren und Sanierungen, ausgestattet werden konnen.7 Die sachliche Zustandigkeit des Insolvenzgerichts ist ausschliefilich und nicht durch Vereinbarung abanderbar.8

b) Dekonzentrationsmoglichkeit, § 2 II InsO

Durch § 2 II InsO werden die Landesregierungen ermachtigt, im Verordnungs- wege die grundsatzlich gewunschte Zustandigkeitskonzentration des § 2 I InsO abweichend zu regeln, indem sie andere oder zusatzliche Amtsgerichte zu In- solvenzgerichten bestimmen. Diese Ermachtigung steht unter dem Vorbehalt der sachdienlichen Forderung oder schnelleren Erledigung der Verfahren.9

2) Ortliche Zustandigkeit, § 3 I, II InsO

a) allgemeiner Gerichtsstand oder Interessenmittelpunkt, § 3 I InsO

Die ortliche Zustandigkeit knupft § 3 I Satz 1 InsO an den allgemeinen Ge­richtsstand. Nach den §§ 12 bis 17 ZPO ist daher regelmafiig dasjenige Amtsge­richt unter den deutschen Insolvenzgerichten ortlich zustandig, in dessen Bezirk der Schuldner als naturliche Person wohnt10 oder als juristische Person bezie- hungsweise als Gesellschaft seinen Sitz hat11. Liegt der Mittelpunkt der selbst- standigen wirtschaftlichen Tatigkeit des Insolvenzschuldners an einem anderen Ort, so ist nach § 3 I Satz 2 InsO abweichend das Gericht zustandig, in dessen Bezirk dieser Tatigkeits- und Interessenmittelpunkt liegt. Auch die ortliche Zu- standigkeit ist nicht abdingbar.12 13 b) Prioritatsprinzip Bei mehrfacher Zustandigkeit gilt gemafi § 3 II InsO das Prioritatsprinzip. Es ist ausschliefilich das Gericht zustandig, bei dem zuerst die Eroffnung des Insol- venzverfahrens beantragt worden ist.

3) Auslandsbezogene / internationale Verfahren, § 348 InsO, Art. 3 I EuInsVO

Fur Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug bestimmt § 348 I InsO ausschliefi­lich das Gericht fur zustandig, in dessen Bezirk die Niederlassung oder das Vermogen des Schuldners belegen ist. § 348 II InsO gewahrt den Landesregie- rungen die Moglichkeit, entsprechende Entscheidungen zur sachdienlichen For- derung oder schnelleren Erledigung durch Rechtsverordnung nur einem Insol- venzgericht fur mehrere Bezirke zuzuteilen. Nach § 348 III InsO konnen die Bundeslander auch durch Vereinbarung nur ein Gericht fur einen landeruber- greifenden Bezirk als zustandig erklaren.

Soweit der Anwendungsbereich der Europaischen Insolvenzverordnung betrof- fen ist, bestimmt Art. 3 I EuInsVO fur die Eroffnung des Verfahrens das Ge­richt des Mitgliedstaates als zustandig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mit- telpunkt seiner hauptsachlichen Interessen (Center of main interests, COMI) hat. Dieser Ort ist dort, wo der Insolvenzschuldner ublicherweise und mithin objektiv14 fur Dritte erkennbar, der Verwaltung seiner Interessen nachgeht.

II. Die faktische Situation

In Deutschland existieren momentan 182 Insolvenzgerichte, rechnet man die Berliner Stadtteilgerichte, die nur Verbraucherinsolvenzen bearbeiten, mit, so sind es sogar 193 Insolvenzgerichte.15

Dieser Anzahl von Insolvenzgerichten stehen 116 Landgerichtsbezirke gegen- uber.16 Es ist also offensichtlich, dass eine Konzentration der Insolvenzgerichte am Sitz der Landgerichte durch Nutzung der Dekonzentrationsmoglichkeit des § 2 II InsO in mehreren Bundeslandern nicht stattgefunden hat.17 Die insol- venzgerichtliche Landschaft der Bundesrepublik Deutschland weist teilweise erhebliche Unterschiede von Bundesland zu Bundesland auf. Bei einer gedank- lichen Reise von Sud- nach Norddeutschland haben beispielsweise von 72 bay- erischen Amtsgerichten 32 eine insolvenzgerichtliche Abteilung,18 davon 22 am Ort der Landgerichte, 17 der 58 hessischen Amtsgerichte, davon 9 am Ort der Landgerichte.19 In Nordrhein-Westfalen befinden sich 19 Insolvenzgerichte am Ort der 19 Landgerichte, wahrend wiederum in Schleswig-Holstein von 28 Amtsgerichten 13 Insolvenzabteilungen gebildet haben, davon lediglich 4 am Ort der Landgerichte. Im ganz besonderen Fall von Berlin ist jedes der 12 Amtsgerichte fur Verbraucherinsolvenzverfahren und sonstige Kleinverfahren zustandig, wahrend alle ubrigen Verfahren, sprich Unternehmens- und Grohin- solvenzen, vom AG Charlottenburg bearbeitet werden.20 Nicht nur in der Ein- heitlichkeit, auch in der Wirtschaftlichkeit lasst die Situation Zweifel zu: Teil- weise bestehen bis zu sechs Insolvenzgerichte in einem LG-Bezirk.21 Fur Insol- venzverfahren mit Auslandsbezug haben die Landesregierungen von der Kon- zentrationsmoglichkeit des § 348 II InsO, Art. 102 § 1 III Satz 2 EGInsO bisher keinen Gebrauch gemacht, auch eine landerubergreifende Zustandigkeit nach § 348 III InsO wurde nicht vereinbart.

III. Die Auswirkungen: Der Insolvenzstandort Deutschland

Die vorherrschende tatsachliche Situation hat erhebliche Auswirkungen auf den Insolvenz- und Wirtschaftsstandort22 Deutschland. Im ganzen Jahr 2008 wurden an 134 deutschen Insolvenzgerichten unter jeweils 50 Unternehmensinsolvenz- verfahren eroffnet.23 An 18 dieser Gerichte wurden sogar nur bis zu 10 Insol- venzverfahren verzeichnet.24 In Anbetracht dieser Zahlen darf man sich fragen, ob der ursprungliche Gesetzeszweck der §§ 2, 3 InsO, die Qualitat und Effizi- enz der Insolvenzverfahren durch fachliche Konzentration der Zustandigkeit an wenigen Amtsgerichten auf einem hohen Niveau zu gewahrleisten, durch die aktuelle Gesetzesumsetzung noch gestutzt wird oder ob die Vielzahl der be- schriebenen „kleinen“ Insolvenzgerichte dies konterkarieren.

1) Der Verknupfungspunkt: QualitatseinbuBen in den zwei zentralen Auf- gabenfeldern der Insolvenzgerichte

Mit der Qualitat, Erfahrung und Routine des Insolvenzgerichts steht und fallt die Effizienz des gesamten Verfahrens. Mit Blick auf den Zweck des Insolvenz- rechts, der bestmoglichen Verwertung des Schuldnervermogens, der damit ein- hergehenden Mehrwertmaximierung auf Glaubigerseite und der optimalen Ab- wicklung oder Umgestaltung der Finanzstruktur des betroffenen Insolvenz- schuldners,25 lasst sich die erhebliche Bedeutung der Effizienz auf insolvenzge- richtlicher Seite bereits erahnen. Um den Stellenwert qualifizierter Insolvenzge­richte und die Bedeutung eines funktionierenden Systems fur die effektive In- solvenzabwicklung aufzuzeigen, muss man sich zunachst zwei der zentralen Aufgabenfelder der Insolvenzgerichte vor Augen fuhren: Die Verwalterbestel- lung und die Verwalteraufsicht.

a) Verwalterbestellung, §§ 21 II Nr. 1, 27 I Satz 1, 56 I InsO

Eine der wohl fur das Insolvenzverfahren bedeutendsten und gleichwohl in ih- rer Ausfuhrung durch die Praxis am heftigsten kritisierten Aufgaben des Insol- venzgerichts ist die der Verwalterauswahl26 und -bestellung.27

Nach § 21 II Nr. 1 InsO erfolgt die Bestellung des vorlaufigen Insolvenzverwal- ters durch das Insolvenzgericht, dort gemafi § 18 I Nr. 1 RPflG wiederum durch den Richter. Auch der endgultige Verwalter wird gemafi § 56 I Satz 1, 27 I Satz 1 InsO mit der Verfahrenseroffnung durch das Gericht aus dem Kreis aller zur Ubernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen bestimmt. Der Ver­walter soll dabei nach den Kriterien der Geeignetheit und Geschaftskundigkeit im Rahmen des jeweiligen Einzelfalles bestimmt werden und von dem Schuld-ner unabhangig sein. In der Praxis sind vorlaufiger und endgultiger Verwalter regelmaBig personengleich.28

Die Entscheidung des Insolvenzrichters uber die Bestellung des Insolvenzver- walters ist eine Einzelfallentscheidung, die er in seinem weiten pflichtgemaBen Ermessen und im Rahmen seiner freien richterlichen Unabhangigkeit ausubt.29

aa) Vorauswahllisten

Damit der Insolvenzrichter eine Auswahl treffen und den bestgeeigneten Ver­walter bestellen kann, muss er wissen, welche Verwalter ihm fur eine Bestel- lung zur Verfugung stehen.30 Daher ist spatestens seit der Entscheidung des BVerfG vom 03.08.200431 grundsatzlich jeder Insolvenzrichter zur Fuhrung so- genannter Vorauswahllisten verpflichtet.32 Mit Entscheidung des BVerfG vom 23.05.200633 wurden die Anforderungen an die Fuhrung solcher Vorauswahllis­ten teilweise konkretisiert.34 Sie sollen es dem Insolvenzrichter im Einzelfall unverzuglich und fristgemaB moglich machen, eine Auswahl aus dem geeigne- ten Kreis der Bewerber zu treffen.35 Dies setzt nach Auffassung des BVerfG wiederum eine Erhebung, Verifzierung und Strukturierung der Daten der Ver- walter voraus. Daher sind sogenannte geschlossene Listen, wie sie zuvor durch- aus verbreitet waren, unzulassig.36

bb) Bestenauslese im Konflikt mit „open shops“

Ziel der Rechtsprechung des BVerfG und auch schon des Gesetzgebers ist es, mit dem Auswahlverfahren die Bestellung des im konkreten Fall tatsachlich am besten geeigneten Verwalters zu bezwecken. Denn die Qualifikation des Insol- venzverwalters entscheidet letztendlich uber das Schicksal des Verfahrens und des betroffenen insolventen Unternehmens.37

In Kombination mit der beschriebenen Dekonzentrationsproblematik, durch die im Zustandigkeitsbereich einer Vielzahl von deutschen Insolvenzgerichten jahr- lich auffallig wenige Unternehmensinsolvenzen anhangig werden, offenbart sich hier die Problemlage: Haben Insolvenzgerichte im Jahr lediglich zwischen 10 und 30 Unternehmensinsolvenzverfahren zu bearbeiten und vergeben sie diese an nahezu die gleiche Anzahl von Verwaltern, so kommen sie auf einen Verteilungsquotienten von < 1 >.38 Zweck der gesetzlichen Konzentrationsmaxime des § 2 I InsO sollte aber eine Effizienzsteigerung im Insolvenzverfahren sein.39 Solange es Gerichte gibt, die derart wenig Insolven- zen begleiten und deren Richter in solch wichtigen Aufgabenfeldern wie der Verwalterauswahl und -bestellung folglich gar keine wirkliche Routine erlan­gen konnen, kann die Wahl des wirklich bestgeeigneten Verwalters nicht garan- tiert werden. Die geforderte Steigerung der Effizienz des Verfahrens kann nur durch die Bearbeitung einer Vielzahl von Insolvenzverfahren erreicht werden,40 was voraussetzt, dass Richter und Rechtspfleger den uberwiegenden Teil ihres Pensums mit Insolvenzbearbeitung zu tun haben.41 Es ist nicht nur im Insol- venzrecht eine Allgemeinweisheit, dass standige Ubung eher zu erhohtem Spe- zialwissen fuhrt.42 Auf dieses kann gerade im Insolvenzrecht nicht auf Rechts- anwenderseite verzichtet werden.43

cc) Mangelnde Attraktivitat aus Richterperspektive

Die aufgrund mangelnder Konzentration existierenden „kleinen“ Insolvenzge- richte sind naturgemafi in ihren Ressourcen beschrankt44 Denn nicht nur die Verfahren, sondern auch die finanziellen Mittel verteilen sich in Gebieten mit vielen Insolvenzgerichten entgegen der Ratio des § 2 I InsO auf eine grofiere Anzahl von Gerichten. Fur karriereorientierte Richter ist das Insolvenzrecht da- her enorm unattraktiv.45 Hinzu kommt in diesem Zusammenhang, dass die Ta- tigkeit als Insolvenzrichter (und -rechtspfleger) auch weit haftungstrachtiger ist als in anderen Rechtsbereichen, da das Spruchrichterprivileg nicht gilt.46 Die Haftung wegen Amtspflichtverletzung nach Art. 34 GG, § 839 I Satz 1 BGB schwebt folglich wie ein Damoklesschwert uber der Tatigkeit des Insolvenz- richters. Manche Stimmen sehen hier das Ansehen der insolvenzgerichtlichen Richterschaft so sehr schwinden, dass bereits die Fursorgepflicht des Diensther- ren aus Art. 33 V GG, § 78 BBG eine weitere Konzentration der Zustandigkei- ten gebiete.47

dd) Zwischenfazit

Eine transparente Auswahl des bestgeeigneten Insolvenzverwalters kann nur si- chergestellt werden, wenn es sich auf Rechtsanwenderseite um erfahrene und mit den Verwalterpersonlichkeiten vertraute Rechtsanwender handelt. Wenn bei grofieren Insolvenzgerichten die Vorauswahllisten inzwischen mit durch- schnittlich 50-80 Verwaltern gefullt sind,48 49 durfte es einen Richter bereits eini- ge Zeit50 kosten, jeden Verwalter uberhaupt nur naher kennenzulernen. Richtige Auswahl im Sinne der Glaubiger setzt aber einen vollstandigen Uberblick uber Starken und Schwachen der verfugbaren Verwalter voraus. Um den Qualitats- anforderungen der gerichtlichen Verwalterauswahl und Verwalterbestellung nach §§ 21 II Nr. 1, 27 I Satz 1, 56 I InsO gerecht zu werden, ist eine weitere Zustandigkeitskonzentration daher grundsatzlich anzustreben.

b) Verwalteruberwachung und Aufsicht, § 58 I InsO

Die zweite Schnittstelle zwischen den normierten Aufgaben des Insolvenzge- richts und der Qualitat des Verfahrens bildet die gerichtliche Verwalter- und Verfahrensaufsicht nach § 58 I InsO.

Nach § 58 I Satz 1 InsO steht der Insolvenzverwalter unter der Aufsicht des In- solvenzgerichts. Gleiches gilt gemafi § 21 II Nr. 1 InsO fur den vorlaufigen Verwalter. Weiterhin steht nach § 270 I Satz 1 InsO der Eigenverwalter unter der Aufsicht des Sachwalters, und in Verbindung mit § 274 I InsO folglich gleichfalls mittelbar unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts.51 Die Aufsichts- und Kontrollfunktion des Gerichts umfasst daher die wesentlichen Bereiche des Insolvenzverfahrens. Es ist der „Huter der Rechtmabigkeit des Verfahrens“,52 auch wenn die Aufsichtsfunktion auf Rechtmafiigkeit und evident insolvenz- widriges Handeln des Verwalters beschrankt ist.53

aa) Anforderungsprofil des Gerichts: „Auf Augenhohe“ mit dem Verwalter

Auch diese zweite wesentliche Funktion des Insolvenzgerichts scharft das An- forderungsprofil des Richters, Rechtspflegers und des Gerichts im allgemeinen. Das Insolvenzrecht ist Schnittstellengebiet verschiedenster Rechtsmaterien: Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, allgemeines Zivilrecht, Miet- recht, Steuerrecht, Familien- und Vormundschaftsrecht,54 Wertpapierhandels- recht55 und Kreditwesenrecht. Weiterhin sind bei der Kontrolle von Sachver- standigengutachten das Insolvenzanfechtungsrecht und das Eigenkapitalersatz- recht zu beherrschen sowie die Schlussrechnung und die Kontenfuhrung des Verwalters zu prufen.56 Der Bereich der zunehmenden internationalen Insol- venzen macht eine Kommunikation mit auslandischen Insolvenzgerichten und Verwaltern notig, bei der die Spezialmaterie der EulnsVO innerhalb der Spezi- almaterie InsO57 ebenso wie die jeweilige Sprache des auslandischen Gerichts oder Verwalters beherrscht sein will. All dies ist vor dem Hintergrund be- triebswirtschaftlicher Kenntnisse zu vereinen,58 oftmals mit sozialem Verstand- nis59 sowie etwa vor der Presse mit der gebotenen Objektivitat und Zuruckhal- tung60 zu behandeln und unterliegt einer andauernden Erneuerung durch zahl- reiche Gesetzesanderungen.61 Dies macht eine standige Fortbildung und Be- schaftigung mit der Materie durch die Insolvenzrichter und -rechtspfleger uner- lasslich.

[...]


1 Scheel, Bankenmilliarden, Konjunkturpaket und Rettungsfonds: Segen oder Fluch fur die Unternehmensrestruk- turierung? Monetare Mafinahmen aus oppositioneller Sicht, http://www2.christine- scheel.de/uploads/tma_vortragsskript210409.doc (20.09.2009), S. 17.

2 Vgl. Frind in ZInsO 2009, 952 (958); Uhlenbruck/Vallender in NZI 2009, 1 (2 f.).

3 Ist im Folgenden von „Gerichten“ ohne nahere Bezeichnung die Rede, so sind stets die insolvenzrechtlichen Abteilungen der Amtsgerichte gemeint.

4 Reischl, Insolvenzrecht, § 2 Rdnr. 48.

5 Vgl. Begr. zum RegE InsO in BT-Drs. 12/244, S. 109 f.; Ganter in MunchKommInsO, § 2 Rdnr. 2.

6 Ob es denn wenige oder nicht doch viele bzw. zu viele sind, wird noch zu zeigen sein.

7 Vgl. Begr. zum RegE InsO in BT-Drs. 12/244, S. 109 f.; auch Gerhardt in Jaeger, InsO, § 2 Rdnr. 38; Holzer in ZIP-Report 1998, 2183.

8 Vgl. § 4 InsO i.V.m. § 40 II Satz 1 Nr. 2 ZPO; Ganter in MunchKommInsO, § 2 Rdnr. 11; Vallender in NJW- Spezial 2009, 418; Hasemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 6.02.

9 Vgl. auch Ganter in MunchKommInsO, § 2 Rdnr. 14 f.; Ruther in HambKomm, § 2 Rdnr. 6a.

10 Vgl. § 13 ZPO.

11 Vgl. § 17 I ZPO.

12 Vgl. ebenfalls § 4 InsO i.V.m. § 40 II ZPO.

13 Reischl, Insolvenzrecht, § 2 III, Rdnr. 54 ff.; Vgl. auch AG Koln in ZInsO-Rechtsprechungsreport 2008, 388.

14 Statt vieler: EuGH, Urteil v. 02.05.2006 in NZG 2006, 633 (Eurofood/Parmalat).

15 Vgl. z.B. Frindin ZInsO 2009, 952; auch schon Holzer in ZIP-Report 1998, 2183; Schmerbach in FK-InsO, § 2 Rz. 8.

16 Schmerbach in FK-InsO, § 2 Rz. 8; Frind in ZInsO 2009, 952.

17 Vgl. Bergner in NZI 2007, 642.

18 Auflistung bei Schmerbach in FK-InsO, § 2 Rz. 37.

19 Ganter in MunchKommInsO, § 2 Rdnr. 18; vgl. auch Insolvenzrecht ONLINE, Insolvenzgerichte im Bundes- land Bayern, http://www.insolvenzrechtonline.de/bayern.htm (22.09.2009).

20 Dazu AG Neukolln, Verfugung vom 01.04.1999 in DZWIR 1999, 371 mit Anmerkung von Smid sowie LG Berlin, Beschluss vom 29.06.1999 in DZWIR 1999, 517 mit Anmerkung von Muller-York; sowie Ganter in MunchKommInsO, § 2Rdnr. 18.

21 Frind in ZInsO 2009, 952 (953); Schmerbach in FK-InsO, § 2 Rdnr. 37; z.B. im Bezirk des LG Oldenburg.

22 „Ein ,gutes‘ Insolvenzgericht als Standortfaktor der ortlichen Wirtschaftsszene“, Vgl. Frind in ZInsO 2009, 952 (953).

23 Frind in ZInsO 2009, 952 (953); fur die Jahre 2004-2007 vgl. Haarmeyer/Beck/Frind in ZInsO 2008, 1178 (1178 ff.).

24 Frind in ZInsO 2009, 952 (953).

25 Vgl. Eidenmuller in ZHR 2005, 528 (529, 533); Reischl, Insolvenzrecht, § 1 Rdnr. 35.

26 In diesem Kontext sei hier mit der Bestellung auch auf die Verwalterauswahl eingegangen, auch wenn die Auswahlentscheidung nach BVerfG, Beschl. v. 23.05.2006 in NZI 2006, 453 kein Akt der Rechtsprechung ist.

27 Vgl. u.a. Graeber in MunchKommInsO, § 56 Rdnr. 87 f.; Uhlenbruck/Monning in ZIP 2008, 157; Graeber in INDat-Report 2004, 18 (20); auch schon Bund - Lander - Arbeitsgruppe Insolvenzrecht, Abschlussbericht zur 73. Konferenz der Justizminister und Justizministerinnen vom 10. Bis 12. Juni 2002 in Weimar, http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/schwerpunkte/insolvenzrecht/abschlussbericht.pdf (09.10.2009), S. 164.

28 Graeber in MunchKommInsO, § 56 Rdnr. 9.

29 Luke in ZIP 2000, 485 (488); Graeber in MunchKommInsO, § 56 Rdnr. 85 a.E.

30 Graeber in MunchKommInsO, § 56 Rdnr. 91.

31 BVerfG, Beschl. v. 03.08.2004 in NJW 2004, 2725;vgl. auch Frind in DRiZ 2006, 199 (199 ff.).

32 Vgl. Frind in DRiZ 2006, 199 (199 ff.); Smid in DZWIR 2004, 359 (360).

33 BVerfG, Beschl. v. 23.05.2006 in NZI 2006, 453; dazu Messner in DRiZ 2006, 326 (327).

34 Vgl. Messner in DRiZ 2006, 326 (327).

35 Messner in DRiZ 2006, 326 (327).

36 Vgl. Messner in DRiZ 2006, 326 (327); auch Busch in DZWIR 2004, 353 (353 ff.).

37 Vgl. z.B. Vallender in DZWIR 1999, 265 (266); Graeber in MunchKommInsO, § 45 Rdnr. 87.

38 Vgl. Frind in DRiZ 2006, 199 (201).

39 Vgl. Begr. zum RegE InsO in BT-Drs. 12/244, S. 109 f.; Ganter in MunchKommInsO, § 2 Rdnr. 2; Frind in

DRiZ 2006 199 (201).

40 Frind in DRiZ 2006, 199 (201).

41 Vgl. Uhlenbruck in ZInsO 2008, 396 (399).

42 Frind in ZInsO 2009, 952 (953).

43 Vgl. Frind in ZInsO 2009, 952 (955); vgl. Zypries in ihrer Rede beim Kongress des VID am 07.11.2008 in

Potsdam, Insolvenzverwaltung in Deutschland,

http://www.bmj.bund.de/enid/0,0/Reden/Brigitte_Zypries_zc.html?druck=1&pmc_id=5515 (15.09.2009).

44 Frind in ZInsO 2009, 952 (953).

45 Vgl. Uhlenbruck in ZInsO 2008, 396 (399).

46 Vgl. Aufruf des BAKinso in ZInsO-Dokumentation 2007, 489 (490); Frind in ZInsO 2009, 952 (953).

47 Frind in ZInsO 2009, 952 (953); Vgl. auch Messner in DRiZ 2006, 326 (331).

48 Frind in ZInsO 2009, 952 (955).

49 Vgl. Reuter in INDat-Report 2/08, 8.

50 Nach Frind in ZInsO 2009, 952 (955): 2 Jahre.

51 Zum Ganzen Becker, Insolvenzrecht, Rdnr. 324.

52 Uhlenbruck in ZInsO 2008, 396 (397);Wienberg in MittRhNotK 1999, 1 (3).

53 Vgl. Keller in NZI 2009, 633.

54 Im Verbraucherinsolvenzverfahren und Verfahren naturlicher Personen. Zum Ganzen vgl. nur schon §§ 14 f. FAO.

55 Etwa in Verfahren mit Finanzinstituten und Aktiengesellschaften.

56 Frind in ZInsO 2009, 952 (956); beherzt auch Brenner in ZIP 2007, 1826 (1828 f.); vgl. AufTuf des BAKinso in ZInsO-Dokumentation 2007, 489 (489 f.).

57 So Frind in ZInsO 2009, 952 (954).

58 Frind in ZInsO 2009, 952 (954); Uhlenbruck/Monning in ZIP 2008, 157 (166).

59 Uhlenbruck in ZInsO 2008, 396 (397); Uhlenbruck/Monning in ZIP 2008, 157 (165); vgl. auch Jaffe/Friedrich in ZIP 2008, 1849 (1852).

60 Uhlenbruck in ZInsO 2008, 396 (400); vgl. etwa zur „deformation professionelle“ Lamprecht in NJW 2007, 2744.

61 Vgl. Frind in ZInsO 2009, 952 (954); Vgl. z.B. nur das zunachst beschlossene und dann doch wieder verwor- fene GAVI in BR-Drs. 566/07; sowie Uhlenbruck/Vallender in NZI 2009, 1 (3).

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Titel
Sind 182 Insolvenzgerichte noch zeitgemäß? Ist eine Konzentration der Zuständigkeit bei Unternehmensinsolvenzen sinnvoll?
Untertitel
Moderne Sanierungsinstrumente in der Unternehmensinsolvenz
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Schwerpunktseminar Insolvenzrecht
Note
14,0 Punkte (sehr gut)
Autor
Jahr
2009
Seiten
38
Katalognummer
V149417
ISBN (eBook)
9783640600687
ISBN (Buch)
9783640600939
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zuständigkeitskonzentration, Richter, Insolvenzgericht
Arbeit zitieren
Maximilian Hallberg (Autor:in), 2009, Sind 182 Insolvenzgerichte noch zeitgemäß? Ist eine Konzentration der Zuständigkeit bei Unternehmensinsolvenzen sinnvoll?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149417

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Titel: Sind 182 Insolvenzgerichte noch zeitgemäß? Ist eine Konzentration der Zuständigkeit bei Unternehmensinsolvenzen sinnvoll?



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