Die Rolle der Theologie in Platons 'Nomoi': Der Gottesbeweis in Buch X


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

32 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Nomoi
1. Ort, Zeit und beteiligte Personen
2. Inhalt

III. Das zehnte Buch im Kontext der Nomoi
1. Gottesvorstellungen außerhalb des zehnten Buches: Die Ansprache an die Siedler
2. Platons Timaios als Verständnisgrundlage
3. Bedeutung für das zehnte Buch der Nomoi

IV. Das zehnte Buch
1. Die Einleitung zum Gottesbeweis
2. Der Gottesbeweis
2.1 Der Beweis der Existenz der Götter
2.1.1 Der Beweis für die Priorität der Seele
2.1.2 Die Herrschaft der besten Seele und die Götter
2.2 Der Beweis der Fürsorge der Götter gegenüber den Menschen
2.3 Der Beweis der Unbestechlichkeit der Götter

V. Abschließende Bemerkungen

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einleitung

Platons literarisches Gesamtwerk besteht aus einer langen Reihe einander zeitlicher folgender Dialoge, welche dem deutschen Philosophen H. Kuhn[1] zufolge offensichtlich zueinander gehören, ohne dass dieser Zusammenhang jedoch irgendwo betont wird. Dialogführer in den platonischen Dialogen ist jeweils Platon selbst, obwohl auch dies niemals in den Dialogen selbst ausgesprochen wird.[2] Doch kommt er als Dialogführer auf jeder Stufe seines Werkes zum Vorschein, woraus sich eine sinnvolle und auf Platon zurückweisende Einheit ergibt.

Abschließendes[3] und umfangreichstes Werk Platons sind die Nomoi, welche sich nach H. Kuhn[4] aus den Prämissen der früheren Werke ergeben. Sie stellen damit die politischen Erfahrungen zusammengefasst dar.

Im Unterschied zur historischen Bedeutung des Textes als Quelle antiker Gesetzgebung und als Beschreibung des Polislebens, welche zu keiner Zeit bestritten wurde, wurden häufig Bedenken gegen die philosophische Bedeutsamkeit der Schrift geäußert.[5] Mittlerweile ist jedoch auch das philosophische Interesse an den Nomoi wiedererwacht. Dabei kam dem zehnten Buch, welches wesentliche Gedanken zur Theologie und Kosmologie Platons beinhaltet, zu jeder Zeit besondere Aufmerksamkeit zu.[6] Und so befasst sich auch die vorliegende Arbeit mit der Theologie in den Nomoi. Ziel der Arbeit soll die Beleuchtung der Rolle der Theologie in Bezug auf die Gesetze sowie die Untersuchung des Gottesbeweises im zehnten Buch (Nom. 884 – 910) sein.

Um das zehnte Buch in den Gesamtzusammenhang einzuordnen, soll eine knappe Darstellung der einzelnen Bücher der Nomoi zu Beginn einen Überblick verschaffen. Für ein möglichst genaues Bild der Vorstellung von Gott bzw. Göttern in den Nomoi, soll daraufhin in einem ersten Schritt die Ansprache an die Siedler im vierten Buch (Nom. 715 e8 – 718 c8) als zentrale Stelle zur Theologie außerhalb des zehnten Buches untersucht werden. Da diese Textstelle der Kenntnis der Vorstellungen aus dem Timaios als Grundlage für genaues Verstehen bedarf, sollen wichtige Erkenntnisse aus diesem Dialog Platons zusätzlich dargestellt werden, bevor dann der Gottesbeweis im zehnten Buch der Nomoi ausführlich analysiert werden soll. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse soll die Arbeit daraufhin beschließen.

Aus Gründen der Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit werden direkte Zitate aus dem platonischen Primärtext bzw. indirekte Verweise auf diesen nach der Stephanus-Paginierung angegeben. Diese Angabe erfolgt direkt im Fließtext in Klammern hinter dem jeweiligen Zitat bzw. Verweis. Die verwendete Sekundärliteratur wird in den Fußnoten angegeben.

II. Die Nomoi

1. Ort, Zeit und beteiligte Personen

Der Nomoi-Dialog findet während einer Pilgerwanderung am Tag der Sommersonnwende statt. Die drei am Gespräch beteiligten älteren Männer, der gastgebende Kreter Kleinias, der Spartaner (bzw. Lakedaimonier) Megillos sowie ein namenloser Athener, wandern von der kretischen Stadt Knossos aus zur Zeusgrotte im Idagebirge. Diese Grotte ist die mythische Stätte der ursprünglichen kretischen Gesetzgebung, welche Minos von Zeus empfangen haben soll.[7]

Während Kleinias und Megillos bereits miteinander bekannt zu sein scheinen[8], ist der athenische Alte ein Fremder[9]. Dennoch ist es der namenlose Athener[10], der das Gespräch über die »Staatsverfassung und Gesetze« (Nom. 625 a7f.) initiiert. Er stellt die Fragen und lenkt somit das Gespräch, wobei durch seine maieutische Frageweise Sokrates deutlich präsent ist. Der Athener ist als der dominanteste den anderen beiden Gesprächspartnern argumentatorisch überlegen.

Im Laufe des Dialogs wird deutlich, dass sowohl der Spartaner als auch der Kreter dem Athener freundlich gesonnen sind.[11] Dies ist Grundvoraussetzung für ein solch heikles Thema wie die Gesetzgebung. Allerdings ist dieses Wohlwollen, allem voran das des Spartaners Megillos, keine Selbstverständlichkeit, da Sparta und Athen eigentlich verfeindete Staaten waren.

2. Inhalt

Das erste Buch entwirft in Form eines Rahmengesprächs neben Anlass des Dialogs auch dessen Problemstellung.[12] Mit der Bedeutung des oben genannten Ziels der Wanderung der drei Alten, der Zeusgrotte, ist ihren Gesprächen unterwegs zugleich ein Thema gegeben: Absicht und Ziel der Gesetzgebung Kretas und Spartas sind neben der Ausbildung sowie Stärkung der Tapferkeit vor allem der Sieg im Krieg aller gegen alle. Daraus, dass der natürliche Kriegszustand auf die Feindschaft des einzelnen mit sich selbst zurückgeführt wird, resultiert als neues Ziel einer guten Gesetzgebung die Freundschaft mit sich selbst sowie aller Bürger untereinander (Nom. 628). Hierfür erforderlich ist die Berücksichtigung aller Tugenden.

Im zweiten und dritten Buch wird aus der Prüfung der Tugenden im spielerischen Symposion die Bedeutung der Musik für die Erziehung der Polis entworfen, die traditionellen Götterauffassungen einer Kritik unterzogen und eine Entwicklungslinie von Entstehung, Lebensweise und Verfall der Stadtstaaten (poleis) sowie ihren Verfassungen deduziert. Der u. a. an Kleinias ergangene Auftrag der kretischen Polis Knossos, für die Gründung einer Kolonie auf Kreta neue und möglichst gute Gesetze zu erstellen (Nom. 702 b5ff.), wird zum eigentlichen Anlass des Hauptgespräches über eine beispielhafte Gesetzgebung.

Die Bücher vier bis sieben stellen dann den Entwurf einer solchen Gesetzgebung dar. Hierbei werden zunächst äußere Bedingungen, wie geographische Lage, Anlage der Stadt, Art und Zahl ihrer Einwohner, aber auch die innere Bedingung erläutert, welche die Bürger eindringlich erinnert, ihr Leben eingespannt zwischen die unbedingte Forderung der Angleichung an Gott und dem Unterworfensein unter den Zufall zu meistern (vgl. 709 b – c u. 716 c – d).[13] Das »vom Nachdenken Festgesetze« (Nom. 714 a2) bzw. die Verteilung der Vernunft wird als Definition für ›Gesetz‹ formuliert. Mit Reflexionen über die Möglichkeit des freiwilligen Gehorsams gegenüber den Gesetzen, woraus die Strukturierung des Entwurfs jeweils in Vorreden und Gesetzestext hervorgeht, wird das vierte Buch beschlossen.

Das fünfte Buch erklärt einleitend die Seele zum eigensten und göttlichsten der Besitztümer des Menschen (Nom. 726 a3f.) und zieht daraus, der fundamentalen Unterscheidung von Lust und Schmerz entsprechend, Folgerungen für die Beziehung zum eigenen Körper sowie für konkreten Besitz und Eigentum. Die Gesetzgebung als solche beginnt erst mit Nom. 734 e3 und regelt zu Beginn die Besiedlung und Aufteilung des Territoriums.

Das sechste Buch regelt die Besetzungs- und Verteilungsschwierigkeiten der staatlichen Ämter und stellt die Staatsverfassung als Mischung zwischen Monarchie und Demokratie dar.[14] Neben den Verwaltungsbestimmungen werden Gesetze über Ehe, Haushaltung und damit Zusammenhängendes ausgeführt.

Im siebten Buch wird die Organisation der Erziehung vom Säuglings- bis hin zum Greisenalter behandelt. Als mit wichtigste Punkte sind Musik und mathematische Gegenstände hervorgehoben.

Als Formen des gemeinschaftlichen Lebens werden im achten Buch Feste und Wettkämpfe, Liebe und Freundschaft sowie ökonomische Verhältnisse dargestellt.

Das neunte Buch behandelt das Strafrecht. Die Notwendigkeit einer solchen Gesetzgebung, aber auch die möglichen Ursachen von Vergehen gegen die Gesetze werden reflektiert und an der sokratischen These von der Unfreiwilligkeit des Unrechttuns gemessen. Somit liegt zugleich eine Theorie des Strafrechts vor, welche im zehnten Buch ihre Begründung finden soll.[15]

Das elfte Buch zählt diverse Bestimmungen des Alltags auf, entwirft ein Eigentumsrecht und regelt den Geschäftsverkehr, während das zwölfte Buch schließlich die Strafgesetze um diejenigen Bestimmungen ergänzt, welche die Schädigung der Polis betreffen. Zudem regelt das letzte Buch der Nomoi die Amtspflichten und die auswärtigen Beziehungen des Staates.[16] Als Anhang enthält es die Frage nach dem Erhalt der Gesetze, welche durch die Einsetzung der nächtlichen Versammlung beantwortet wird.

Zusammenfassend teilt sich das Werk in zwei größere Komplexe: In den ersten drei Büchern werden ausgehend von der spartanischen und kretischen Gesetzgebung prinzipielle Fragen erörtert und ab dem vierten Buch wird dann eine Mustergesetzgebung entwickelt, deren Legitimation durch den Gottesbeweis im zehnten Buch stattfinden soll. Die Nomoi sind nach P. M. Steiner[17] zudem wesentlich durch zwei Momente strukturiert, einmal inhaltlich durch die vernunftgemäße Orientierung an Gott bzw. am Göttlichen[18] sowie formal durch die Einteilung in Vorrede und Gesetz. Er schreibt hierzu:

»Beide Momente sind im zehnten Buch selbst in Frage gestellt und damit der Sinn der Gesetze überhaupt. Ihre Rechtfertigung, ja die Rechtfertigung des Unternehmens insgesamt ist die Aufgabe des X. Buches.«[19]

III. Das zehnte Buch im Kontext der Nomoi

Oft wurde behauptet, das zehnte Buch und der darin enthaltene Gottesbeweis seien lediglich eine Art Einschub[20] in die fortlaufende Reihe der Strafgesetzgebung und könne demzufolge vollkommen autark interpretiert werden. Auf die daraus resultierende Gefahr der Isolierung des Buches weist u. a. A. B. Hentschke[21] hin, die versucht, aus der Dihairese der Gesetze die Zusammengehörigkeit der Blöcke IX-X sowie XI-XII zu zeigen. M. Bordt[22] weist zwar darauf hin, dass die Beschränkung auf das zehnte Buch derer, die sich für Platons Theologie in den Nomoi interessieren, einerseits nachvollziehbar sei, da das zehnte Buch tatsächlich zunächst den Eindruck erwecke, mehr oder weniger aus sich selbst heraus verständlich zu sein. Allerdings betont auch er, dass die Isolierung andererseits jedoch Missverständnisse und Fehlinterpretationen Vorschub geleistet habe, welche nicht entstanden wären, wenn man das Buch im Kontext der gesamten Nomoi interpretiert hätte.[23] Dies betrifft vor allem die Frage nach der Bestimmung Gottes und der Götter.

Auf den ersten Blick entwickle Platon M. Bordt zufolge im zehnten Buch nämlich eine Auffassung von Göttern, welche dem der Politeia von Gott als einem obersten metaphysischen Prinzip[24] zu widersprechen scheine: »Ein Gott ist eine Seele, und was immer eine Seele ist, sie ist nie ein letztes Prinzip, sondern von einem letzten Prinzip oder letzten Prinzipien abhängig.«[25] Lese man das zehnte Buch unabhängig von denjenigen Passagen der Nomoi, in welchen Platon ebenfalls über Gott und die Götter spricht, so könne tatsächlich der Eindruck entstehen, ein Gott sei stets eine Seele und könne in keinem Fall ein oberstes Prinzip sein, so M. Bordt weiter.[26] Dass dieser Eindruck nicht nur einer genauen Interpretation des zehnten Buches selbst nicht standhält, sondern auch dem widerspricht, was Platon an einigen zentralen Stellen außerhalb des zehnten Buches über die Götter sagt, wird deutlich, wenn man zur Analyse des Gottesbeweises im zehnten Buch die Betrachtung der Rede an die Siedler (Nom. 715 e8 – 718 c8) hinzunimmt. Diese ist nämlich ein sehr relevanter Text dafür, welchen Gottesbegriff Platon außerhalb des zehnten Buches voraussetzt bzw. entwickelt.[27]

[...]


[1] Vgl. Kuhn, Helmut: Einleitung. Zur Auslegung von Platons Nomoi, Buch X, in: Steiner, Peter M.: Platon. Nomoi X. Mit einer Einleitung von Helmut Kuhn. Übersetzt und kommentiert von Peter M. Steiner, Berlin 1992 (Collegia), S.1.

[2] Vgl. ebd.

[3] Die Nomoi sind wohl Platons letztes Werk. Sie wurden posthum von seinem Sekretär Phillipus von Opus herausgegeben. Es wird vermutet, dass er sie zudem wegen ihres noch unfertigen Charakters auch redigiert und zusammengestellt habe. Vgl. Steiner, Peter M.: Platon. Nomoi X. Mit einer Einleitung von Helmut Kuhn. Übersetzt und kommentiert von Peter M. Steiner, Berlin 1992 (Collegia), S.99.

[4] Vgl. Kuhn, S.2.

[5] Vgl. Steiner, S.99.

[6] A. B. Hentschke betont die »Sonderrolle«, die das zehnte Buch »von jeher eingenommen« hat. Hentschke, Ada Babette: Politik und Philosophie bei Plato und Aristoteles. Die Stellung der »Nomoi« im platonischen Gesamtwerk und die politische Theorie des Aristoteles, Frankfurt a. M. 1971 (FWB: KWR 13), S.305.

[7] Vgl. Steiner, S.100 u. Morrow, Glenn R.: Plato’s Cretan city. A historical interpretation of the Laws, Princeton 1960, S.27f.

[8] So gibt Kleinias z.B. Fragen an Megillos weiter (z.B. Nom. 624 a). Zudem waren Kreta und Sparta eng miteinander verbunden.

[9] In der dt. Übersetzung steht als Synonym für den Athener zwar ›Gastfreund‹, im griech. Original allerdings › xenos‹, was ›Fremder‹ bedeutet.

[10] Im Folgenden wird der unbekannte Athener im Text nur noch mit ›Athener‹ bezeichnet.

[11] Megillos hegt bereits seit seiner Kindheit Sympathien für Athener und deren Mundart klingt ihm auch jetzt noch angenehm (Nom. 642 b3 – d3) und auch Kleinias ist den Athenern gegenüber aufgrund einer früheren Begebenheit und der daraus resultierenden Freundschaft zwischen seinen Vorfahren und den Athenern wohlwollend zugeneigt (Nom. 642 d4 – 643 a1).

[12] Vgl. Steiner, S.100.

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. ebd., S.101.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. ebd., S.102.

[18] Gott als Maß aller Dinge, Nom. 716 c5f.

[19] Vgl. Steiner, S.101.

[20] U. Wilamowitz z.B. benutzt die Bezeichnung »Einschiebsel«, Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich v., zitiert nach Hentschke, S.306.

[21] Vgl. Hentschke, S.306.

[22] Vgl. Bordt, Michael: Platons Theologie, Freiburg/ München 2006 (Symposion 126), S.168.

[23] Vgl. ebd.

[24] Dieses oberste metaphysische Prinzip entspricht in der Politeia der Idee des Guten, vgl. ebd., S.19.

[25] Ebd., S.167.

[26] Vg. ebd.

[27] Vgl. ebd., S.173.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Theologie in Platons 'Nomoi': Der Gottesbeweis in Buch X
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Platon, Nomoi
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
32
Katalognummer
V149433
ISBN (eBook)
9783640599707
ISBN (Buch)
9783640600137
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platon, Nomoi, Gesetze, Antike, Gottesbeweis, Theologie, Buch X
Arbeit zitieren
Nadine Heinkel (Autor:in), 2010, Die Rolle der Theologie in Platons 'Nomoi': Der Gottesbeweis in Buch X, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149433

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