Ist der Staat noch alleine handlungsfähig? Diese Frage beschäftigt die sozialwissenschaftliche Forschung zur Restrukturierung des öffentlichen Sektors seit geraumer Zeit. Der in diesem Rahmen populär gewordene Begriff Governance reflektiert dabei den Umstand, dass die Regelung, Koordination und Herstellung öffentlicher Dienste in modernen ausdifferenzierten Gesellschaften nicht mehr allein durch den Staat gewährleistet werden können. Der Staat wandelt sich dabei in seiner funktionalen Ausrichtung vom „Leistungsstaat“ zum „Gewährleistungsstaat“, in dem er die Erbringung fundamentaler Produkte und Dienstleistungen der Infrastruktur und Daseinsvorsorge an Partner in der Zivilgesellschaft überträgt und lediglich bestimmte Kernaufgaben sowie eine Aufsichts- und Regulierungsfunktion im Bereich der „ausgelagerten Dienste“ selbst wahrnimmt. Die bisherigen Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft verwischen durch diese neue Funktionsteilung nachhaltig.
Diese Arbeit soll die Frage beantworten, wie sich die Beschaffenheit des Verhältnisses zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren auf nationalstaatlicher Ebene darstellt. Dabei sollen sowohl die Koordinationsmechanismen als auch die Akteursstruktur betrachtet werden. Insbesondere soll die Frage geklärt werden, ob der Staat seine zivilgesellschaftlichen Partner als schlichte „Governance-Helfer“ oder „gesellschaftliche Hilfstruppen“ instrumentalisiert, um durch sie Leistungen zu erbringen, die er selber nicht mehr erbringen will oder kann. Ein entscheidender Teilaspekt ist dabei die Analyse, wie sich in diesem Rahmen die demokratische Legitimation ausgestaltet, wenn private Akteure ehemals staatliche Aufgaben zum Wohle der Allgemeinheit, oftmals finanziert durch Abgaben der Bürger, wahrnehmen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Governancestrukturen im Gewährleistungsstaat
- Gewährleistungs- und Leistungsstaat
- Der Gewährleistungsstaat
- Der Governancebegriff
- Veränderte Akteurskonstellationen
- NPOS und NGOs
- Privatwirtschaftliche Organisationen
- Staatliche Akteure
- Institutionelle Arrangements im Gewährleistungsstaat
- Hierarchie und Koordination
- Netzwerke
- Public-Private-Partnership (PPP)
- Gewährleistungs- und Leistungsstaat
- Die Frage der demokratischen Legitimation
- Definition von Demokratie
- Demokratie im Gewährleistungsstaat
- Der Gewährleistungsstaat in der konkreten Interaktion
- Der Gewährleistungsstaat im Telekommunikationsmarkt
- Institutionelle Struktur
- Interessens- und Kooperationsstruktur
- Konklusion
- Der Wohlfahrtsstaat als Gewährleistungsstaat
- Akteurs- und Interaktionsstrukturen
- Konklusion
- Der Gewährleistungsstaat im Telekommunikationsmarkt
- Fazit
- Abkürzungsverzeichnis
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Masterarbeit befasst sich mit der Frage der Verantwortungsteilung im Gewährleistungsstaat und analysiert die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure als Governancehelfer. Sie untersucht die veränderten Akteurskonstellationen und Koordinationsmechanismen im Kontext der Übertragung staatlicher Aufgaben an private Partner. Die Arbeit zielt darauf ab, die Funktionsweise des Gewährleistungsstaates zu beleuchten und die Auswirkungen auf die demokratische Legitimation zu analysieren.
- Der Wandel vom Leistungsstaat zum Gewährleistungsstaat
- Die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure im Gewährleistungsstaat
- Koordinationsmechanismen und Akteursstrukturen im Gewährleistungsstaat
- Die Frage der demokratischen Legitimation im Kontext der Verantwortungsteilung
- Fallbeispiele aus dem Telekommunikationsmarkt und dem Wohlfahrtsstaat
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 2 definiert die zentralen Begrifflichkeiten „Leistungsstaat“, „Gewährleistungsstaat“ und „Governance“ und analysiert die Akteurskonstellationen auf staatlicher und privater Seite. Es werden die möglichen Formen des Zusammenwirkens zwischen Staat und Zivilgesellschaft betrachtet, wobei ein Vergleich zwischen den Verfahrensweisen des Leistungsstaats und des Gewährleistungsstaats erfolgt. Public-Private-Partnerships, Policy-Netzwerke und die Möglichkeiten staatlich-autoritativer Eingriffe im Bereich der Gewährleistungsverantwortung werden im Einzelnen betrachtet.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Frage der demokratischen Legitimation bei der Zusammenarbeit zwischen Staat und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Es wird untersucht, wie sich die demokratische Kontrolle und Legitimation gestaltet, wenn der Staat zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge in die Hände privater Akteure übergibt. Besondere Aufmerksamkeit wird auf eine Definition von Demokratie sowie Input- und Outputlegitimation gelegt.
Kapitel 4 illustriert die in Kapitel 2 und 3 getroffenen Feststellungen anhand zweier Fallkonstellationen des Gewährleistungsstaates. Als Beispiele wurden die Privatisierung und Regulierung des Telekommunikationsmarktes als ehemalige staatliche Monopoldienstleistung und die veränderten Strukturen des Wohlfahrtssektors im Gewährleistungsstaat gewählt. Das erste Beispiel zeigt einen Bereich, dessen Dienstleistungen im Vorfeld des Gewährleistungsstaates durch den Staat in Eigenregie erbracht wurden und aus dem sich der Staat in seiner Erfüllungsrolle komplett zurückgezogen hat. Gleichzeitig erwächst ihm aber eine neue Aufgabe im Bereich der Regulierung des von ihm „geschaffenen“ Marktes, der einen neuen Behörden-typus in Form einer Regulierungsagentur hervorgebracht hat. Dieses Beispiel konzentriert sich auf das Verhältnis des Staates zu marktwirtschaftlich organisierten Akteuren und betrachtet konkret die dabei entstandenen Strukturen. Beispiel zwei beschäftigt sich mit den Interaktionsstrukturen und Akteuren im Wohlfahrtssystem. Im Vergleich zum Telekommunikationsbereich waren bereits im Leistungsstaat sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Akteure mit spezifischen Aufgaben der Leistungserfüllung beauftragt. Im Gewährleistungsstaat lassen sich nun neue Formen des Zusammenwirkens, sowie eine Erweiterung der Akteursstruktur im Wohlfahrtssystem beobachten. Das Beispiel soll diese Veränderungen charakterisieren und ihre Auswirkung auf die Beteiligten deutlich machen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Gewährleistungsstaat, Governance, Zivilgesellschaft, Verantwortungsteilung, demokratische Legitimation, Public-Private-Partnership, Telekommunikationsmarkt, Wohlfahrtsstaat, Akteurskonstellationen, Koordinationsmechanismen, Input- und Outputlegitimation.
- Citation du texte
- Matthias Neeser (Auteur), 2009, Verantwortungsteilung im Gewährleistungsstaat – Zivilgesellschaftliche Akteure als Governancehelfer?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149939