Leseprobe
Inhalt
1. Hinführung zum Thema
2. Zur Theorie der Filmmusik
3. Alfred Hitchcock und sein Verhältnis zur Filmmusik
3.1 Vom Stummfilm zum Tonfilm – Blackmail (1929)
3.2 Diegetische Musik auf der Ebene des Plots – The Man Who Knew Too Much (1934/1956)
3.3 Leitung der Zuschauerperspektive durch die Musik – Vertigo (1958)
3.4 Computergenerierte Filmmusik – The Birds (1963)
Fazit
Literaturverzeichnis
Filmverzeichnis
1. Hinführung zum Thema
Mit Alfred Hitchcocks fast 50-jähriger Tätigkeit als Filmemacher bilden seine Werke eine beinahe vollständige Übersicht über die Geschichte und die unterschiedlichen Verwendungs-möglichkeiten der Filmmusik. Von Stummfilmen, über frühe Tonfilme, bis hin zu computergenerierten Toneffekten, lässt sich anhand seiner Filme die Entwicklung der musikalischen Ebene des Films mit ihren verschiedenen Stadien der Technik und möglicher Bedeutungen beobachten. Der häufig unterschätze Einfluss der Filmmusik - des Tons im Generellen - findet bei dem Thriller-Regisseur Alfred Hitchcock seit Beginn des Tonfilms besondere Zuwendung. Diese zusätzliche Dimension der kinematographischen Ausdrucksweise integriert er von Anfang an als einflussreiches Element, experimentiert und perfektioniert in Zusammenarbeit mit verschiedenen Komponisten das Zusammenspiel von visueller und auditiver Ebene. Bereits in seinen frühen Werken lassen sich Doppeldeutigkeiten, Symbolismen und psychologische Feinheiten, durch den Einsatz von Musik ausmachen, deren Vertiefung und Ausarbeitung den Charakter und Erfolg der Hitchcock-Filme begründen.
Nach einer kurzen, allgemein gehaltenen Darstellung zur Theorie und Entwicklung der Filmmusik sowie zu Alfred Hitchcocks Schaffensweise und seinem Verhältnis zur Musik, werden vier Filme des Regisseurs exemplarisch analysiert, welche die musikalische Komponente in unterschiedlicher und teilweise sehr extremer Art und Weise anwenden. Die Beobachtungen werden jeweils in Zusammenhang mit der parallel verlaufender visuellen Ebene gesetzt, da die Einflussnahme der Musik nicht in Unabhängigkeit zu den jeweils gezeigten Bildern erschlossen werden kann. Hitchcocks erster Tonfilm Blackmail (1929) enthält einen bemerkenswerten Umgang mit allen drei Kategorien des Tons: dem Dialog, dem Geräusch und der Musik. Bei einigen Szenen im Film lässt sich sogar ein Ineinanderfließen von Musik und Dialog, Dialog und Geräusch, sowie Geräusch und Musik beobachten, so dass ich diese Aspekte des Tons ebenfalls kurz in der Untersuchung ansprechen werde. Die zweite Analyse zu The Man Who Knew Too Much (1934/1956) stellt exemplarisch den Umgang des Regisseurs mit diegetischer Musik dar, welche sich in diesem Fall maßgeblich auf die Ebene des Plots auswirkt. Anschließend wird mit der Beobachtung der Filmmusik in Vertigo (1958) erkennbar, wie Hitchcock die musikalische Begleitung als psychologische Komponente, nämlich als Externalisierung der Emotionen des Protagonisten, verwendet.[1] Auf diese Weise lenkt er bewusst die Perspektive des Zuschauers auf das Gefühlsleben einer einzelnen Person. Der Film zählt darüber hinaus zum wohl bedeutendsten Werk des Komponisten Bernhard Herrmann, der für die musikalische Leitung von insgesamt sieben weiteren Hitchcock-Filmen verantwortlich ist. Die letzte Analyse zu The Birds (1963) nimmt hinsichtlich der Verwendung von Filmmusik eine besondere Stellung ein, da dieser Streifen keine traditionell illustrative Musik beinhaltet, sondern computergenerierte Vogelgeräusche musikähnlich anordnet.
2. Zur Theorie der Filmmusik
Die Bedeutung eines Kunstwerks, sei es Film, Musik oder Malerei, entfaltet sich immer auf mehreren Ebenen, die bewusst und unbewusst aufgenommen werden und damit zu einer individuell geprägten, emotionalen Wertung des Betrachters beitragen. In Hinsicht auf die Kategorie der Filmmusik muss besonders ihr Zusammenspiel mit den übrigen Faktoren beachtet werden, da sie kein kohärentes Ganzes darstellt, sondern vielschichtig wirkt. Das Lesen der verschiedenen Codes, also möglichen Bedeutungen, wird gleichzeitig in Bezug zum eigenen Leben gesetzt, durch kulturelle Einflüsse geprägt und befindet sich in einem ständigen Wandel, so dass ihre unterschiedlichen Bedeutungen nicht eindeutig festgestellt werden können. Allerdings ist es möglich anhand der Verbindung von Bild und Ton Vermutungen aufzustellen, welche Wirkungsweise vom Regisseur vorgesehen ist. Demnach lässt sich auf einen „historisch gewachsenen Code“ schließen, welcher auch „die Musik semantisch auflädt“.[2]
Christian Metz beispielsweise unterscheidet fünf verschiedene Ebenen, die im Filme wirken: Das visuelle Bild, die Schrift/Grafik, der Dialog, die Musik und das Geräusch. Drei dieser fünf Kanäle finden demzufolge nicht visuell, sondern hörbar statt. Bilder werden durch die Steuerung unserer Aufmerksamkeit durch u.a. Montage, Kamerabewegung und einer Kombination der verschiedenen Kanäle gelesen und sind damit äußerst manipulierbar. Der Ton hingegen scheint zeitlich und örtlich gesehen allgegenwärtig zu sein. Vor allem das Geräusch ist fortwährend präsent und schafft somit eine Einheit von Zeit, Raum und Kontinuität.[3] Die Theorien und Terminologien zum Thema Ton im Film sind allerdings vielfältig: Siegfried Kracauer unterscheidet zum Beispiel zwischen dem ‚aktuellen‘ Ton, der natürlich und logisch zum Bild gehört und dem ‚kommentierenden‘ Ton, während Karel Reisz die Bezeichnung von synchron (Quelle des Tons im Bild vorhanden) und asynchron (Quelle liegt außerhalb des Bildes) vorschlägt. In Bezug auf die Ebene der Musik wird im Allgemeinen zwischen diegetischer, also asynchron und meist kommentierend, sowie nicht diegetischer Musik, synchron und aktuell, unterschieden. In den folgenden Filmanalysen werde ich mich vor allem auf letzte Unterscheidung beziehen.
Während sich die Sparte der Musik außerhalb des Films über mehrere Jahrhunderte entwickelt, verändert, gar völlig neu erfunden wird und auch der Film seit seiner Erfindung verschiedene Stadien, technische Veränderungen und Trends durchläuft, scheint dessen musikalische Begleitung beinahe zu stagnieren. Sie ist offenbar in einem festgestellten, massenmedialen System eingebunden, welches auf ein kollektives, öffentliches Verständnis angewiesen ist.[4] Besonders in den Anfängen Hollywoods ist die Tendenz zu einer konventionell gebundenen Klangwelt zu beobachten, die vor allem auf Richard Wagner, Richard Strass und andere Komponisten bis ins 16. Jahrhundert zurück verweist, da in dieser Epoche die klassische Musik vor allem die Nachahmung von Geräuschen und Bewegungen zum Ziel hat. Im 18. Jahrhundert entwickelt sich daraus die sogenannte Affektenlehre, die musikalische Themen bestimmten Emotionen zuweist: Spannung wird durch eine tonale Aufwärtsbewegung erzeugt, während eine Abwärtsbewegung und kleinschrittige Intervalle mit Entspannung gleichgesetzt werden; weite Sprünge und punktierte Noten schaffen eine lustige, dissonante Schritte eine traurige oder zärtliche Stimmung.[5] Es ist festzustellen, dass im Allgemeinen, „die Konsonanz […] de[n] Ausdruck vollkommener Ruhe und Zufriedenheit, die Dissonanz […] Verdruß und Unlust“ ausdrückt.[6] Im darauffolgenden Jahrhundert werden auch Geschlechterrollen ideologisch festgelegt, die ebenfalls durch musikalische Motive repräsentiert sind. So steht dem Mann, vermittelt durch die musikalische Themenauswahl, „die Fülle der Möglichkeiten, die Welt zu erkunden“ offen, während sich die Frau durch ununterbrochene Melodien, gleichmäßigen Rhythmus und emotionsgeladene Stimmungen mit einem begrenzten und privaten Zustand zu begnügen hat.[7]
Im Hollywood der 1930er Jahre stellt sich die Filmmusik ausgesprochen aktuell und synchron dar. Sie betont, kommentiert, führt und lädt selbst die simpelsten Szenen mit zugespitzten Emotionen auf. In den 1960er und 1970er Jahren wird die Musik „als dem Bild gleichwertig, aber andersartig empfunden“,[8] so dass sie verstärkt kontrapunktiert, also sich asynchron und entgegengesetzt zum Bild verhält und somit dem bisher programmatischen Einsatz eine Note von Ironie verleiht. Mit Blockbustern wie „Star Wars“ (1977) und „Jurassic Park“ (1990) kehren die Hollywood Filmemacher, zu einem traditionellen, emotional aufgeladenen auditiven Einsatz zurück.[9] Auch heute noch schöpfen die Film- und vor allem die Werbemusik aus solchen konventionell vereinbarten Bedeutungszusammenhängen. Der Einfluss europäischer Musik mit klassisch-romantischer Tradition gründet sich vor allem auf Komponisten wie Max Steiner, Erich Wolfgang Korngold, Miklós Rósza oder Dimitri Tiomkin. Die letzten Beiden arbeiteten auch an Filmen Hitchcocks mit, insbesondere Tiomkin, der bei insgesamt vier Spielfilmen für die Musik verantwortlich war.
3. Alfred Hitchcock und sein Verhältnis zur Filmmusik
Alfred Hitchcock zählt zu einem der bekanntesten und einflussreichsten Schaffer des Spielfilms, vielmehr des Thrillers, überhaupt. Mit Mord, Grusel, Intrigen und Geheimnissen begeistern seine Filme noch heute das Publikum und setzte Anfang der 1930er Jahre Maßstäbe in diesem Genre. Der jugendliche Alfred Hitchcock studierte zunächst Elektrotechnik, doch zog es den eifrigen Kinogänger schnell in die Werbeabteilung eines Kaufhauses, in der er als Layout-Assistent arbeitete. Als die amerikanische Firma „Famous Players-Lasky“ 1920 plante einen Film in England zu drehen, bewarb sich Hitchcock erfolgreich als Titelgraphiker. Er war einer der Ersten, der Zeichnungen symbolisch aufwertete, was ihm schnell zu einem gewissen Bekanntheitsgrad verhalf und ihm in den kommenden Jahren Türen als Designer, Regie-Assistent und Co-Autor öffnete.[10] Mit 27 Jahren bringt er mit seinem zehnten Stummfilm The Lodger (1926) erstmal mit einem erkennbar individuellen Stil - den Suspense Thriller - auf die Leinwand. Immer wiederkehrende Elemente wie das Auftreten Hitchcocks in kleinen Filmrollen, die Überblendung eines Schreis in ein assoziativ korrespondierendes Bild, die Bewegung von Schatten, aber vor allem das Erzeugen von Suspense und die Verwendung des MacGuffin ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Werke und machen diese unverwechselbar.[11] In einer Vielzahl seiner Filme geraten bürgerliche, unauffällige Personen durch Zufälle in kriminelle Machenschaften und werden damit der Angst, Schuld und Lebensgefahr ausgesetzt. Auf diese Weise thematisiert der Filmemacher immer wieder von Neuem die Differenzierung von Gut und Böse, Fragen der Moral sowie die Verarbeitung verbrecherischer Impulse.
Im Gegensatz zu anderen Schaffern des Thrillers beruhen seine Gruseleffekte selten auf kaum nachvollziehbaren Taten Wahnsinniger, sondern entwickeln sich oftmals aus banalen Alltagssituationen heraus und ermöglichen dem Zuschauer somit eine schnelle Identifizierung mit den Figuren. Eben dieser Bezug des Rezipienten zu einem bestimmten Charakter erreicht Hitchcock vor allem durch das Erzeugen seines berühmten Suspense, welches zunächst einmal die Dramatisierung einer Situation bezeichnet. Die Spannung, die dadurch aufgebaut wird, soll keinen Zweifel an der enormen Bedeutung der Szene zulassen. Auf diese Weise, erklärt Truffaut in seinem Werk „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht“, „kommt ein Unbehagen auf, eine Ungewißheit und Unsicherheit entsteht, die die Situation mit dramatischer Spannung auflädt. […] Die Kunst, Suspense zu schaffen, ist zugleich die Kunst, das Publikum zu packen, es am Film zu beteiligen“.[12] In diesem Interview betont Hitchcock mehrmals die Gewichtung des Ziels, die Aufmerksamkeit des Publikums zu packen und so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Diesem Anspruch folgt seine gesamte Dramaturgie, alle Entscheidungen bezüglich des Szenenaufbaus, der Montage, der Figurengestaltung und des Tons ordnen sich dieser Ambition unter. Hinsichtlich der Erzeugung von Suspense, damit auch der besagten Orientierung am Zuschauer, ist bewusste Einsatz von Musik und Geräuschen äußerst einflussreich. Bereits in seinem ersten Tonfilm von 1929, Blackmail, versteht es Hitchcock die neu entwickelte Technik äußerst expressiv einzusetzen. Die Ebene des Dialogs scheint er schon früh als die schwächste Kategorie anzusehen, während er mit nicht sprachlichen Ausdrücken, wie dem Schrei oder dem Lachen sehr bewusst umgeht. Der Regisseur definiert einen reinen Film als einen, der sich über das Visuelle erklärt, vor allem durch Montage. Gegenüber Truffaut erklärt er: „Die Stummfilme waren die reinste Form des Kinos. Das einzige, was den Stummfilmen fehlte, waren die Stimmen der Leute auf der Leinwand und die Geräusche. […] Man hätte deshalb die Technik des reinen Kinos nicht aufzugeben brauchen, wie man das mit dem Tonfilm gemacht hat“.[13] Dieses Statement bezieht sich weniger auf die Musik oder das Geräusch, sondern vor allem auf die Nichtigkeit des Dialogs.[14] Hitchcock versucht nach eigener Aussage zunächst eine filmische Art und Weise zu finden, in der die Geschichte durch „die Abfolge von Einstellungen, der Filmstücke“ erzählt werden kann: „Wenn man einen Film schreibt, kommt es darauf an, den Dialog und die visuellen Elemente säuberlich zu trennen, und wenn es möglich ist, dem Visuellen Vorrang zu geben vor dem Dialog“.[15] Zusätzlich betonen eine Vielzahl von Schauspielern in Interviews die Perfektion der Aussprache, das Heben und Senken der Stimme sowie die Betonung, mit der Hitchcock Sätze sprechen lies. Der Inhalt scheint weniger bedeutend, als die Art und Weise wie es gesprochen wird. Geräusche sowie der Einsatz von diegetischer und nicht diegetischer Musik scheint bei ihm jedoch einen vergleichsweise hohen Status einzunehmen: Wenn Geräusche hörbar sind, wirkt ihr Erscheinen nicht zufällig, sondern bewusst intentioniert. Der Regisseur legt Wert darauf, die Geräusche, welche dem Zuschauer erlaubt sind zu hören, präzise zu kontrollieren. Ein besonderes Beispiel dazu ist vor allem der Film The Birds, bei dem ausschließlich mit computergenerierten Geräuschen gearbeitet wird.
In der zahlreichen Sekundärliteratur zu Werken Hitchcocks, im Speziellen hinsichtlich der musikalischen Begleitung, wird häufig betont, wie interessiert, innovativ und experimentell der Filmemacher mit der Entwicklung von Ton, vor allem mit Geräusch und Musik umgeht. Er ist insbesondere stark bestrebt „alles zu einer kinematographischen Einheit [zusammenzufassen]: Den Dialog, optische Elemente, die Beleuchtung, den Schnitt, die Montage, die Einstellung, die Kameraführung, das Geräusch, den Ton und die Musik“.[16] Dieser Anspruch, Musik oder gar einzelnen Instrumente gezielt einzusetzen und sie gemeinsam mit dem visuellen Bild zu einer neuen Bedeutungsebene zu kombinieren, wird in den folgenden Analysen der einzelnen Filme deutlich sichtbar. Die Schauspielerin Teresa Wright beschreibt Hitchcocks Beziehung zum Ton folgendermaßen: „Er verwendete den Ton wie niemand sonst, den ich je gekannt habe. Wenn irgendein anderer Regisseur einen Schauspieler bat, eine Teetasse abzusetzen, ging es ihm nichts anderes. Bei Hitch aber geschah alles aus einem bestimmten Grund. Wenn ein Schauspieler mit den Fingern trommelte, war das nicht ein zweckloses Trommeln, es hatte einen Rhythmus, ein musikalisches Muster – es war ein Geräusch-Refrain. […] alles wurde sorgfältig von ihm orchestriert“.[17] Dieses „Orchestrieren“ ist u.a. auf Hitchcocks Verständnis über die Funktion eines Filmregisseurs zurückzuführen. Er vergleicht seine Position mit der eines Komponisten, der viele verschiedene Instrumente zu einem Gesamtklang zusammenbringt. Dementsprechend führt er ein so genanntes Tonprotokoll, in einigen Fällen sogar ein ganzes Tondrehbuch, in dem er den Einsatz, die Lautstärke sowie die Natur der Musik oder des Geräusches in jeder Szene notiert. Sinnloses Experimentieren lehnt er stets ab, sondern ruft zu einer exakten, schriftlichen Ordnung über das filmische Geschehen auf: „Ein Komponist […] notiert sich eine Menge von Punkten, und heraus kommt wunderschöne Musik […] Der gesamte Film sollte vorher schriftlich notiert werden, von Anfang bis Ende […] und jeder Schnitt sollte etwas bedeuten. […] Schauen Sie sich an, wie manchmal Nahaufnahmen eingesetzt werden, ohne Konzept der Orchestrierung.“[18]
Zwar geht der Regisseur sehr bewusst und zweckorientiert an die Ebene der Musik heran, allerdings scheinen seine eigenen musikalischen Kenntnisse nicht sonderlich ausgeprägt gewesen zu sein. Auch der Komponist Louis Levy, der für die Musik u.a. in dem Film Blackmail verantwortlich ist, empfand Hitchcocks musikalisches Verständnis als weniger versiert, da er sich kaum mit „musikalisch-technischen Dingen“ auskannte, jedoch „die größte Geduld dem Musiker gegenüber und die höchste Anerkennung der Rolle der Musik im Film“ besitzt.[19] Auch wenn er von der Technik des Komponierens und der Instrumentierung kaum etwas verstand, so spielte die Musik für ihn immer eine spezifische Rolle: „Für Hitchcock war die Musik zusammen mit der Handlung konzipiert und nicht im Nachhinein“.[20]
3.1 Vom Stummfilm zum Tonfilm – Blackmail (1929)
In den britischen Filmen Hitchcocks der 1930er Jahre geht der Einsatz von Musik kaum über die Anfangs- und Schlussmusik sowie vereinzelte diegetische Stücke hinaus. In dieser Phase scheint der Fokus auf den Raffinessen des neu entwickelten Tonfilms zu liegen: Die „All-Talkies“ geben dem Dialog und den Geräuschkulissen innovative Möglichkeiten der Verwendung und eröffnen damit neuartige Ausdrucksweisen. Blackmail ist bekannt als der erste “full length All-Talkie Film”,[21][22] der in Großbritannien produziert wurde. Der Film wurde zunächst stumm aufgenommen, anschließend zum Teil mit der aktuell vorhandenen Tontechnik gedreht und schließlich 1929 sowohl als Stummfilm als auch als Tonfilm veröffentlicht. Das Werk könnte somit als eine Art Hybrid beider Formen bezeichnet werden, da der Tonfilm Stummfilmelemente beinhaltet und umgekehrt. Dennoch sind auch gänzlich unterschiedliche Einstellungen zu finden, die in der jeweils anderen Ausführung nicht denkbar gewesen wären. Dementsprechend wurde Blackmail auch als „silent talkie“ bezeichnet.[23] Obwohl Blackmail Hitchcocks erster Tonfilm ist, experimentiert er bereits mit der künstlichen Manipulation von Geräuscheffekten und macht sich auf diese Weise die neuen Möglichkeiten eindrucksvoll zu Nutze. So setzt er den Ton vor allem ein, um das Geschehen zu intensivieren und verweist zum Beispiel durch den sprachlichen Akzent einer Figur auf dessen schichtspezifische Herkunft, welches im Stummfilm bisher nicht möglich war.
[...]
[1] Die Bezeichnung „musikalische Begleitung“ wird in dieser Arbeit keinesfalls als reduzierende Wertung verwendet.
[2] Rieger, 13
[3] Monaco, 215
[4] Siehe Rieger, 8
[5] Siehe Rieger, 13
[6] Rudolf Schänke, zit. bei Rieger, 14
[7] Detaillierte Ausführung siehe Rieger, 13
[8] Monaco 217
[9] Siehe Monaco, 217
[10] Siehe Rieger, 27
[11] MacGuffin bezeichnet einen meist bedeutungslosen Vorwand oder Auslöser für eine Intrige o.Ä., z.B. der Diebstahl von Dokumenten oder eine politische Botschaft, die unbemerkt von einem Land in ein anderes gebracht werden soll.
[12] Truffaut, 11ff.
[13] Hitchcock zit. Bei. Truffaut, 53
[14] Siehe Truffaut, 53ff.
[15] Hitchcock zit. bei Truffaut, 53/54
[16] Rieger, 10
[17] Rieger, 11
[18] Zit. b. Rieger, 10
[19] Rieger, 11
[20] Rieger, 12
[21] Blackmail (1929), British International Pictures, Produzent: John Maxwell, Regisseur: Alfred Hitchcock, Musik: Hubert Bath Henry Stafford. Siehe Rohmer & Chambrol, 1979
[22] Barr, 123
[23] Sullivan, 1