In der Todesanzeige seiner leberkranken Mutter beklagt ein Sohn, dass sie „ein fehlendes Spenderorgan aus unserer Mitte riss.“
„In Deutschland sterben jedes Jahr 1000 Menschen, weil Organe fehlen“ , kommentiert die ZEIT im Jahr 2007.
Bereits dieser kurze Einblick in die mediale Präsenz verdeutlicht, dass eine Vielzahl von tragischen Einzelschicksalen mit dem Mangel an Spenderorganen in Deutschland verknüpft ist. Gleichzeitig deutet sich jedoch ein Wandel in der wahrgenommenen Bedeutung der Organspende an. Dem Begriff „Spende“, also einer freiwilligen Leistung, wird eine moralische Pflicht zur Organweitergabe gegenübergestellt. Das nicht zur Verfügung gestellte Organ scheint die zu Grunde liegende Krankheit als Todesursache zu ersetzen.
Diese Entwicklung aufgreifend wurde auf Empfehlung des Deutschen Ethikrats die Einführung der „Widerspruchsregelung“ diskutiert, wonach von einer generellen Bereitschaft zur postmortalen Transplantation auszugehen sei, sofern eine Person diese nicht ausdrücklich ablehne.
Die folgende philosophische Untersuchung wird prüfen, inwiefern ein dadurch impliziertes „Recht auf den Körper des Anderen“ bestehen kann. Da Organspendebefürworter insbesondere den entstehenden größtmöglichen Nutzen aller hervorheben, soll eben dieser Standpunkt ausgehend vom klassischen Utilitarismus bei John Stuart Mill untersucht werden. Da die sich schnell entwickelnde Transplantationsmedizin ein sehr modernes philosophisches Problemfeld darstellt, gilt es Mills Positionen angemessen auf die Gegenwart zu übertragen.
Dazu soll zunächst auf die medizinischen Aspekte der Organspende näher eingegangen werden, um auf dieser Grundlage sowohl die Organspende im Allgemeinen, als auch die Möglichkeiten einer moralischen oder gar gesetzlichen Pflicht zur Organabgabe aus utilitaristischer Sicht zu bewerten.
Ziel des folgenden Diskurses ist es abschließend zu zeigen, ob die Einführung der zu diskutierenden Widerspruchslösung einen gangbaren Kompromiss in der gegenwärtigen ethischen Debatte darstellt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Praxis der Organspende
- Sind Organspenden „Mangelware“?
- Ist der Hirntod als sicheres Todeskriterium ausreichend?
- Utilitarismus und Organspende
- Freiwillige „postmortale“ Organspende
- Fördert die freiwillige Organspende das Glück der Gesamtheit?
- Wie individuell kann die Bewertung postmortaler Organspenden sein?
- Organspende als „Moralische Pflicht“?
- Freiwillige „postmortale“ Organspende
- Die Widerspruchsregelung in der Praxis
- Welche legislativen Möglichkeiten bestehen, die Zahl der Organspender zu erhöhen?
- Die Widerspruchsregelung als utilitaristischer Kompromiss?
- Ist dieser juristisch mögliche auch ein moralisch sinnvoller Kompromiss?
- Inwiefern sind generelle Bewertungen der Organspende überhaupt möglich?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der vorliegende Text befasst sich mit der ethischen Problematik der Organspende im Kontext des Utilitarismus von John Stuart Mill. Er untersucht, inwiefern ein „Recht auf den Körper des Anderen“ durch die Einführung der „Widerspruchsregelung“ entstehen kann. Dabei werden die medizinischen Aspekte der Organspende, die Frage der Organspende als moralische Pflicht und die ethischen Implikationen der Widerspruchsregelung im Detail beleuchtet.
- Ethische Fragen rund um die Organspende
- Anwendung des Utilitarismus im Kontext der Organspende
- Das „Recht auf den Körper des Anderen“
- Die Widerspruchsregelung als ethischer Kompromiss
- Die Rolle des Hirntodes in der Organspende
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema Organspende ein und verdeutlicht die gesellschaftliche Relevanz der Frage nach dem „Recht auf den Körper des Anderen“. Die Kapitel 2 und 3 widmen sich der Praxis der Organspende und der ethischen Bewertung aus utilitaristischer Sicht. Dabei werden die medizinischen Aspekte der Organspende, insbesondere die Bedeutung des Hirntodes, sowie die Frage nach der moralischen Pflicht zur Organspende diskutiert. Kapitel 4 und 5 befassen sich mit der Widerspruchsregelung und ihrer ethischen und juristischen Legitimität. Die Kapitel analysieren die Widerspruchsregelung als möglichen Kompromiss in der ethischen Debatte um die Organspende.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter des Textes sind: Organspende, Utilitarismus, John Stuart Mill, Hirntod, Widerspruchsregelung, Recht auf den Körper des Anderen, ethische Debatte, moralisches Dilemma, Transplantationsmedizin, postmortale Organspende, freiwillige Organspende.
- Arbeit zitieren
- Peer Klüßendorf (Autor:in), 2010, Das Recht auf den Körper der Anderen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150727