Kennzeichnend für die funktional differenzierte Gesellschaft sind autonom operierende Funktionssysteme, zu denen auch Politik und Massenmedien zählen. Dies bedeutet zugleich, dass eine Steuerung des einen Systems durch das andere unmöglich ist. Diese Arbeit versucht nun die Frage zu beantworten, ob es vor diesem Hintergrund ein Merkmal funktionaler Diffusion ist, wenn Medienunternehmen sich im Besitz von Parteien oder einzelnen Politikern befinden. Hierfür wird ein Stufenmodell möglicher funktionaler Diffusion aufgestellt, das sich aufgliedert in vier Stufen: 1.) totalitäre Gleichschaltung (Beispiel Drittes Reich), 2.) autoritäre Lenkung (Beispiel Russland), 3.) Medienkonzerne unter politischer Kontrolle (Beispiel Berlusconi) sowie 4.) einzelne Medienunternehmen in politischem Besitz (Beispiel „Neue Westfälische“). Anhand dieser Skala wird der Versuch einer theoretischen Einordnung der Beispiele und somit der Beantwortung der Ausgangsfrage unternommen.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1. Einleitung
2. Zum Verhältnis von Politik und Massenmedien
2.1 Das politische System
2.2 Das Massenmediensystem
2.3 Strukturelle Kopplung von Politik und Massenmedien
3. Stufen funktionaler Difffusion
3.1 Vorbemerkung
3.2 Totalitäre Gleichschaltung: Drittes Reich
3.3 Autoritäre Lenkung: Das moderne Russland
3.4 Telekratie? Italien unter Berlusconi
3.5 Medien in Parteibesitz: Der Fall Neue Westfälische
4. Fazit und Ausblick
5. Quellenverzeichnis
Abstract
Kennzeichnend für die funktional differenzierte Gesellschaft sind autonom operierende Funktionssysteme, zu denen auch Politik und Massenmedien zählen. Dies bedeutet zugleich, dass eine Steuerung des einen Systems durch das andere unmöglich ist. Diese Arbeit versucht nun die Frage zu beantworten, ob es vor diesem Hintergrund ein Merkmal funktionaler Diffusion ist, wenn Medienunternehmen sich im Besitz von Parteien oder einzelnen Politikern befinden. Hierfür wird ein Stufenmodell möglicher funktionaler Diffusion aufgestellt, das sich aufgliedert in vier Stufen: 1.) totalitäre Gleichschaltung (Beispiel Drittes Reich), 2.) autoritäre Lenkung (Beispiel Russland), 3.) Medienkonzerne unter politischer Kontrolle (Beispiel Berlusconi) sowie 4.) einzelne Medienunternehmen in politischem Besitz (Beispiel „Neue Westfälische“). Anhand dieser Skala wird der Versuch einer theoretischen Einordnung der Beispiele und somit der Beantwortung der Ausgangsfrage unternommen.
1. Einleitung
Funktionale Differenzierung des Gesellschaftssystems bedeutet zugleich Autonomie seiner Funktionssysteme (vgl. Brodocz 2003: 80). Dies ist die Grundlage jeder systemtheoretischen Betrachtung nicht zuletzt auch des politischen Systems, dessen Rolle sich damit deutlich verändert hat, seit ihm nicht länger das Primat obliegt, steuernd in die Gesellschaft hineinzuwirken. Andere relevante Funktionssysteme wie Wirtschaft, Wissenschaft, Recht oder eben auch die Massenmedien sind operativ geschlossen und somit nicht mehr politisch steuerbar. Die Folgen, die sich daraus für die Rolle des politischen Systems ergeben, können wir etwa im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wiedererkennen. Grundlegende Bürgerrechte und Prinzipien wie Freiheit der Kunst, Freiheit der Wissenschaft oder eben Pressefreiheit sind nichts anderes als Mittel des Rechtssystems, die Politik zu „disziplinieren“ und sie beständig an die Grenzen ihrer Einflussoptionen zu erinnern. Die Verfassung dient somit als strukturelle Kopplung von Politik und Recht, die gerade ersteres Funktionssystem beständig „in Grenzen“ hält und über die Grundrechte die Autonomie der anderen Funktionssysteme vor illegitimen Steuerungsversuchen der Politik schützt. Begreift man Demokratie nicht bloß in einem engeren Sinne – dem der bloßen politischen Partizipation – sondern in diesem beschriebenen, erweiterten Sinne eines „gezügelten Staates“, so lässt sich somit funktionale Differenzierung durchaus als Grundvoraussetzung dafür ansehen, dass das politische System mit der Selbstbeschreibung der „Demokratie“ operieren kann.
So wie sich in der politischen Kommunikation tagtäglich neu die Frage stellt, wie perfekt die Demokratie tatsächlich ausgeprägt ist, wo sie Defizite aufweist und ab welchem Punkt womöglich gar nicht mehr von Demokratie die Rede sein kann, so stellt sich – mit der im ersten Absatz beschriebenen Prämisse im Hinterkopf – letztlich die gleiche Frage hinsichtlich funktionaler Differenzierung. Existieren Fälle, bei denen man trotz Vorhandensein einer funktional differenzierten Gesellschaft von kleinen oder großen funktionalen Diffusionsprozessen ausgehen muss? In dieser Arbeit stelle ich die These auf, dass die vorausgegangene Frage zu bejahen ist und untersuche sie mit Hilfe eines Stufenmodells funktionaler Diffusion. So werde ich, im Anschluss an den einführenden (system-) theoretischen Teil zum Verhältnis von Politik und Massenmedien in der Gesellschaft, vier Fälle geringer bis erheblicher funktionaler Diffusion heranziehen: Das erste Beispiel, die Gleichschaltung im totalitären Staat des „Dritten Reiches“, zeigt die absoluteste Variante moderner funktionaler Diffusion auf, die möglich ist. Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Lenkung der Medien im autoritären Staat des heutigen Russland. Im dritten Beispiel wird auf den Fall Berlusconi in Italien Bezug genommen, wo sich ein ganzer Medienkonzern in politischem Besitz befindet. Das vierte Beispiel zeigt den Fall der deutschen Regionalzeitung „Neue Westfälische“, die sich mehrheitlich im Besitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands befindet. Abschließend wird ein Fazit gezogen, in welchem die Stichhaltigkeit der aufgestellten These bewertet wird.
2. Zum Verhältnis von Politik und Massenmedien
2.1 Das politische System
Im Folgenden soll in Kürze eine Zusammenfassung derjenigen Eigenschaften des politischen Systems erfolgen, welche für das Verhältnis zu den Massenmedien von besonderer Relevanz sind.
Die Codierung des Systems in das Gegensatzpaar Macht / Nicht-Macht verhilft dem System zu Identität, indem sie Kriterien für Selektivität der politischen Kommunikation festlegt. Alles, was ist, d.h., was beobachtet wird, ist für das System entweder machtdienlich oder eben machtgefährdend. Alles andere wird als „Hintergrundflimmern“ ausgeblendet und durch den Code gewissermaßen aussortiert: „Ein Code schafft und dirigiert zugleich die Entscheidungsfreiheiten eines Systems“ (Luhmann 2000: 88). Dies trägt dazu bei, dass das System auch seine Grenzen festlegt: Es wird festgelegt, worüber es kommuniziert und worüber nicht. Es grenzt sich also von der Umwelt ab und erhält dadurch Identität.
Eine überaus wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die interne Differenzierung in Zentrum und Peripherie, welche die im System ablaufenden Kommunikationen ordnet. Die Grundproblematik der politischen Kommunikation besteht in der Frage, „wie man die Komplexität des Systems steigern kann, ohne die Entscheidungsfähigkeit, also ohne die Funktion des kollektiv bindenden Entscheidens zu beeinträchtigen“ (ebd.: 245). In der Sprache der politischen Selbstbeschreibung formuliert: Wie ist es zu schaffen, einerseits eine grundlegende Handlungsfähigkeit der Politik zu gewährleisten (d.h., zu schnellen und so vollständig wie möglich durchdachten, kollektiv bindenden Entscheidungen zu kommen), und andererseits demokratischen Anforderungen nachzukommen, indem die Möglichkeit der Partizipation des Einzelnen sichergestellt wird und die Politik somit eine generelle Offenheit nach außen zeigt? Wie lässt sich damit umgehen, ohne das System zu überladen? Für Luhmann liegt die Antwort nun in der internen Differenzierung: „Das läßt sich erreichen, indem man eine Zentralorganisation, eben den „Staat“, einrichtet, für die alle anderen politischen Organisationen dann Zulieferungsdienste erbringen“ (ebd.: 245).
Der Staat bzw. das, was im systemtheoretischen Machtkreislauf als Verwaltung bezeichnet wird, stellt das Zentrum dar, dessen Aufgabe das kollektiv bindende Entscheiden ist und welches hierarchisch aufgebaut ist, um dadurch Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Die politische Kommunikation des Zentrums erfolgt meist schriftlich, was Verbindlichkeit sichert und Entscheidungen erst kollektiv bindend macht. So kann man beispielsweise sicher sein, dass von offizieller mündlicher Kommunikation im Zentrum (Sitzungen) in der Regel Protokolle erstellt werden.
Dem gegenüber bezeichnet die Peripherie nun den Teil des Systems, der die besagten „Zulieferungsdienste“ für das Zentrum erbringt. Das Zentrum bleibt arbeitsfähig dank des „Filters“ der Peripherie: Hier sind Parteien, Verbände und andere politische Akteure angesiedelt, die nicht kollektiv bindend entscheiden, sondern diskutieren und thematisieren, was entschieden werden kann oder sollte und was nicht. Das Zentrum wird somit entlastet und Komplexität reduziert, andererseits liefert die Peripherie ihm aber den nötigen Input, indem sie darüber Auskunft zu geben vermag, welche Fragen und Themen momentan verbindlich bearbeitet werden müssen. Die Kommunikation der Peripherie verläuft eher unverbindlich und nicht selten lediglich mündlich, um ein höchst mögliches Maß an Offenheit zu gewährleisten. Diese Kontingenz ermöglicht „Wunschvorstellungen und klientelorientierte Dramatisierungen“ (ebd.: 246), was die Legitimation der Politik erhöht: Je freier und „utopiefreundlicher“ die Diskussionen sind, desto mehr steigert das zumindest den Anschein möglicher Partizipation und Offenheit gegenüber dem politischen Publikum. Insbesondere im Hinblick auf die strukturelle Kopplung mit dem Mediensystem spielt die politische Peripherie eine erhebliche Rolle. Näheres dazu folgt in Abschnitt 2.3.
2.2 Das Massenmediensystem
Die Massenmedien sind codiert durch die Unterscheidung Information / Nicht-Information. Alles, was beobachtet wird, wird auf seinen Informationsgehalt hin beobachtet. Ob ein bestimmtes Ereignis möglicherweise machtgefährdend für die Politik ist, wird vom Mediensystem nur dann wahrgenommen, wenn darin noch eine Information erkannt werden kann. Damit geht natürlich auch eine Bindung an die Zeit einher, da Informationen irgednwann veraltet sind und ab dem Moment keine mehr darstellen: „Mit anderen Worten: Das System veraltet sich selber. Fast könnte man daher meinen, es verwende letztlich den Code neu / alt, gäbe es nicht auch andere, sachliche Gründe, eine Information nicht zu bringen“ (Luhmann 2004: 42). Der Code ist also ursächlich dafür, „daß die Operationen des Systems ständig und zwangsläufig Information in Nichtinformation verwandeln“ (ebd.: 41). Auch hier gilt: Die Codierung setzt die Grenzen des Systems. Die Identität des Mediensystems ergibt sich durch die Abgrenzung zur Umwelt, die es durch die vom Code aufgestellten Selektionskriterien seiner Kommunikation erfährt.
Das System ist wie auch die Politik intern differenziert, und zwar in die drei Bereiche Werbung, Unterhaltung und Nachrichten. Im Folgenden werde ich mich auf eine Darstellung des letzteren Bereichs beschränken, da in erster Linie er für das Thema dieser Arbeit relevant ist – das Verhältnis von Politik und Werbung bzw. von Politik und Unterhaltung sind zwei eigene große Komplexe, denen man gesondert Aufmerksamkeit schenken müsste.
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Abstract dieses Textes?
Der Abstract beschreibt, dass die Arbeit untersucht, ob es ein Merkmal funktionaler Diffusion ist, wenn Medienunternehmen sich im Besitz von Parteien oder einzelnen Politikern befinden. Es wird ein Stufenmodell möglicher funktionaler Diffusion vorgestellt, das sich in totalitäre Gleichschaltung, autoritäre Lenkung, Medienkonzerne unter politischer Kontrolle und einzelne Medienunternehmen in politischem Besitz aufgliedert. Anhand dieser Skala wird der Versuch einer theoretischen Einordnung der Beispiele und somit der Beantwortung der Ausgangsfrage unternommen.
Was ist das Hauptthema der Einleitung?
Die Einleitung behandelt die funktionale Differenzierung des Gesellschaftssystems und die Autonomie seiner Funktionssysteme, einschließlich Politik und Massenmedien. Sie diskutiert, wie diese Autonomie die Rolle des politischen Systems verändert und wie Grundrechte die Politik disziplinieren. Sie stellt die Frage, ob es Fälle funktionaler Diffusion gibt und untersucht diese mit Hilfe eines Stufenmodells.
Welche Beispiele werden im Rahmen des Stufenmodells funktionaler Diffusion untersucht?
Es werden vier Fälle untersucht: die Gleichschaltung im totalitären Staat des "Dritten Reiches", die Lenkung der Medien im autoritären Staat des heutigen Russland, der Fall Berlusconi in Italien und der Fall der deutschen Regionalzeitung "Neue Westfälische", die sich mehrheitlich im Besitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands befindet.
Wie ist das politische System in Bezug auf das Verhältnis zu den Massenmedien codiert?
Das politische System ist durch das Gegensatzpaar Macht / Nicht-Macht codiert, was Kriterien für Selektivität der politischen Kommunikation festlegt.
Wie ist das Massenmediensystem codiert?
Das Massenmediensystem ist durch die Unterscheidung Information / Nicht-Information codiert.
Welche Selektoren prägen die Kommunikation im Bereich Nachrichten (Journalismus)?
Zu den Selektoren gehören: Neuigkeit der Information, Konflikte, Quantitäten, lokaler Bezug, Normverstöße, moralische Bewertungen, Zurechenbarkeit auf Handlungen und Personen, Rekursivität, Äußerung von Meinungen und organisationelle Faktoren.
Was ist die Rolle der internen Differenzierung in Zentrum und Peripherie im politischen System?
Die interne Differenzierung in Zentrum (Staat/Verwaltung) und Peripherie (Parteien, Verbände) ermöglicht es dem politischen System, Komplexität zu bewältigen, indem das Zentrum kollektiv bindende Entscheidungen trifft und die Peripherie Input liefert und Diskussionen führt.
Welche Rolle spielen die Massenmedien bei der Erhaltung und Reproduktion von Moral?
Die Massenmedien haben eine wichtige Funktion in der Erhaltung und Reproduktion von Moral, insbesondere durch die Berichterstattung über Normverstöße und moralische Bewertungen.
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- Florian Sander (Autor), 2010, Medien in politischer Hand, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150732