Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Relevanz des Themas
1.2. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
1.3. Persönliche Motivation
2. Literatur und Methodik der Arbeit
3. Theoretische und begriffliche Grundlagen
3.1. Politische Partizipation
3.2. Partizipationsformen
3.3. Determinanten politischer Partizipation
3.4. Erklärungsmodelle zur politischen Partizipation
3.4.1. Rational-Choice-Ansatz
3.4.2. Behavioralismus
4. Das Ressourcen-Sozialisations-Mobilisierungs-Modell nach Verba, Schlozman und Brady (1995)
4.1. Ressourcen
4.2. Motive
4.3. Netzwerke
5. Rahmenbedingungen der politischen Partizipation beruflich Pflegender
5.1. Berufsgeschichte unter der Perspektive der politischen Partizipation
5.2. Institutionelle Interessenvertretung und Organisationsgrad
5.3. Lebenslage und Arbeitssituation beruflich Pflegender
6. Analyse der politischen Teilhabe von beruflich Pflegenden anhand des Ressourcen- Sozialisations-Mobilisierungs-Modells nach Verba, Schlozmann und Brady (1995)
6.1. Ressourcen
6.1.1. Zeit
6.1.2. Einkommen
6.1.3. Bürgerliche Fähigkeiten
6.2. Motive
6.2.1. Politisches Interesse
6.2.2. Vertrauen in die Wirksamkeit des politischen Handelns
6.2.3. Politisches Wissen
6.2.4. Parteiidentifikation
6.2.5. Bürgerliche Einstellungen
6.3. Netzwerke
6.3.1. Primäre familiäre Netzwerke
6.3.2. Sekundäre öffentliche Netzwerke
6.4. Interpretation der Daten
7. Schlussfolgerungen
7.1. Zusammenfassung
7.2. Fazit
8. Evaluation
8.1. Rückblick
8.2. Ausblick
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang
1. Einleitung
1.1. Relevanz des Themas
Im Zuge der derzeitigen Diskussion über den Professionalisierungsprozess der beruflichen Pflege lässt sich feststellen, dass Pflege dabei ist, sich vom Beruf zur Profession zu entwickeln. Ein Kennzeichen einer Profession ist die Organisationsautonomie, das heißt Unabhängigkeit von der Bewertung und Kontrolle durch andere Berufszweige oder staatliche Institutionen (vgl. Schaeffer, 1994: 105f). Gesetzliche Veränderungen betonen die zunehmende Eigenständigkeit der Pflege, z. B. in Modellvorhaben zur Verordnung von Verbands- und Pflegemitteln sowie selbständiger Gestaltung häuslicher Pflege und selbstständiger Ausübung von Heilkunde durch qualifiziertes Pflegepersonal (vgl. SGB V, §63, Abs. 3b und 3c). Außerdem ist es seit dem Inkrafttreten der neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung möglich, dass anstelle eines Arztes als Behördenvertreter, ein Medizin-Pädagoge den Vorsitz des Prüfungsausschusses für die staatliche Prüfung in der Gesundheits- und Krankenpflege übernehmen kann (vgl. KrPflAPrV, §4, Abs. 1. Satz 3 b).[1] Die Eigenständigkeit als Berufsgruppe wird folglich durch den Gesetzgeber zunehmend anerkannt, jedoch nicht im Sinne der Organisationsautonomie.
Der derzeitige gesundheits- und berufspolitische Kontext ist dabei durch eine demographische Veränderung (hohe Lebenserwartung, Kinderlosigkeit) mit einem steigenden Pflegebedarf gekennzeichnet. Parallel ist eine steigende Ökonomisierung des Gesundheits- und Sozialwesens (Finanzmittelbeschränkung, Leistungsverdichtung) zu beobachten. Dies hat eine Verschiebung der Pflege vom Krankenhaus zur ambulanten Krankenpflege und stationärer Altenpflege zur Folge.
Aktuelles Beispiel für den Zusammenhang von beruflichen, politischen und wirtschaftlichen Interessen ist die vergangene Deprofessionalisierungsinitiative der Koalitionsparteien mit dem Ziel, nach dem Krankenpflegegesetz geregelte Berufe für Hauptschulabsolventen zugänglich zu machen. Pflegebezogene Berufspolitik ist folglich immer auch Gesundheits- und Sozialpolitik (vgl. Änderungsanträge der Fraktionen CDU/CSU und SPD, Ausschussdrucksache 16(14)0527).
Die Bedeutung einer unabhängigen Steuerung und Überwachung der Berufs- ausbildungs- und Ausübungsgesetze im Sinne einer Organisationsautonomie wird hier deutlich und zeigt sowohl Chancen, als auch Risiken der Begleitumstände des Professionalisierungsprozesses Pflegender.
Die Entwicklung der Pflege vom Beruf zur Profession ist nach Schaeffer abhängig von der Fähigkeit, wie sich diese in Umverteilungs- und Machtkämpfen mit anderen bestehenden Professionen, z. B. die Medizin, behaupten kann (vgl. Schaeffer, 1994: 111). Die aktive Mitgestaltung derartiger Veränderungen, erfordert eine starke politische Lobby, da sie historisch gewachsenen und strukturell deutlich besser organisierten Professionen gegenüberstehen. „Pflegepolitik (...) ist immer auch Frauenpolitik, Gesundheits- und Sozialpolitik, Berufspolitik und damit sozusagen mitten im gesellschaftlichen Geschehen“ (zit. nach Steppe, 2000a: 88). Betrachtet man im Speziellen die politischen Organisationsstrukturen beruflich Pflegender, so kann man feststellen, dass geringer Organisationsgrad, relativ unpolitische Haltung Pflegender kombiniert mit durch Einzelinteressen geprägte Berufsverbände und Gewerkschaften die Pflegenden relativ machtlos den politischen Geschehnissen gegenüberstehen lassen. Politische Partizipation im Sinne einer berufspolitischen Organisation ist folglich für den Professionalisie- rungsprozess bedeutsam und steht im Mittelpunkt gesellschafts-, gesundheitsund berufspolitischer Systeme und Veränderungen.
Wenn Pflege die anstehenden Veränderungen mitgestalten will, dann benötigen sie eine gut organisierte politische Interessenvertretung. Dies erfordert die aktive Teilhabe Pflegender.
1.2. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Im Rahmen dieser Arbeit sollen zunächst, politische Partizipation definiert und die Faktoren, welche politische Partizipation beeinflussen erörtert werden. Des Weiteren werde ich wissenschaftliche Ansätze zur Erklärung politischer Partizipation darstellen. Das Ressourcen-Sozialisations-Mobilisierungs-Modell von Verba, Schlozman und Brady (1995) soll mir dabei als Grundlage für die Analyse der politischen Teilhabe von beruflich Pflegenden dienen, mit dem Ziel die politische Partizipation von Pflegenden anhand der bestimmenden Faktoren des Modells zu erläutern und mögliche Handlungsstrategien abzuleiten. Daher folgt der Aufbau meiner Ausführungen der Struktur des verwendeten Modelles und gliedert sich in die Betrachtung der partizipationsbeeinflussenden Determinanten politi- sche Motive, Ressourcen und soziale Netzwerke. Meine Ausführungen beschränken sich auf die Analyse von Gesundheits- und Krankenpflegern in Abgrenzung zu anderen Pflegeberufen, wie z. B. der Kinderkranken- oder Altenpflege. Diese Einschränkung erfolgt, aufgrund der formalen Vorgaben zur Erstellung einer Bachelor-Thesis. Des Weiteren liegen zur Arbeits- und Lebenssituation der Gesundheits- und Krankenpfleger unter der Perspektive der politischen Partizipation umfangreichere und aussagekräftigere Daten vor. Des Weiteren betrachte ich deutsche Pflegende ohne Migrationshintergrund. Bei Migrationshintergrund liegen für die politische Partizipation entscheidende veränderte Bedingungen vor (Wissen, Sozialisation), die eine Eigenständige Untersuchung bedürfen.
Die Lebens- und Arbeitssituation, der historische Kontext und die aktuelle berufspolitische Interessenvertretung Pflegender beziehe ich in die Analyse mit ein.
Im Rahmen dieser Bachelorarbeit werde ich die Faktoren analysieren, welche auf die politische Partizipation von Pflegenden Einfluss nehmen. Im Besonderen betrachte ich die Partizipation innerhalb berufspolitischer institutioneller Interessenvertretungen, wie z. B. die Mitgliedschaft in einem Berufsverband, Im Bewusstsein, das für diese Mitgliedschaft auch Motivationen unpolitischer Art in Frage kommen (Versicherungsschutz, Fachzeitschrift), gehe ich im Folgenden von einer politischen Motivation aus. Diese Annahme gilt es jedoch in einer weiteren Untersuchung zu überprüfen. Des Weiteren lege ich die Annahme zugrunde, dass Pflegende, im Hinblick auf politische Partizipation, sich geschlechtstypisch verhalten. Auch dies gilt es in weiteren Untersuchungen zu überprüfen.
1.3. Persönliche Motivation
Die Frage nach den Einflussfaktoren auf die berufspolitische Partizipation Pflegender ist ein Thema, dass mich seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn in der Pflege beschäftigt. Relativ schnell ließ sich die mangelnde politische Macht von Pflegenden im Rahmen der täglichen Pflegepraxis erkennen. Häufige Mehrarbeit, Personalkürzungen oder starre Hierarchien im Krankenhaussystem sollen hier nur Beispiele von Auswirkungen mangelnder politischer Durchsetzungskraft sein. Die Arbeitssituation wird von den meisten Pflegenden als enorm belastend und unbefriedigend betrachtet und häufig beklagt. Gleichzeitig stellt man aber nur einen geringen berufspolitischen Organisationsgrad fest. „Immer noch ist es vielen offensichtlich angenehmer, andere zu kritisieren als sich selbst zu beteiligen (...)“ stellte Steppe schon 1996 (zit. nach Steppe, 2000a: 89) fest. Meines Erachtens gilt dies 13 Jahre später gleichermaßen, so dass sich mir die Frage stellte, welche Faktoren Einfluss auf politische Aktivität nehmen und wie sich diese mangelnde politische Aktivität in der beruflichen Pflege verändern lässt.
2. Literatur und Methodik der Arbeit
Die Literaturrecherche für die vorliegende Arbeit habe ich im April 2009 überwiegend auf der Grundlage der Bibliotheksbestände der katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln getätigt. Hierzu gab ich die Begriffe „politische Partizipation“, „politische Teilhabe“, „politisches System“, „politische Aktivität“ und „politisches Engagement“ im Bibliothekskatalog OPAC einzeln ein.
Bei der Suche des Schlüsselwortes „politische Partizipation“ erschienen 139 Einträge, so dass ich hier eine Eingrenzung vornehmen musste, die das Ergebnis auf 53 Einträge begrenzte. Diese Eingrenzung habe ich unter den Gesichtspunkten der Aktualität (Einbeziehung von Literatur ab 1995) und des Themenbezugs vorgenommen. Diverse Quellen betrachteten andere Zielgruppen, wie z. B. Jugendliche, Migranten oder andere Beteiligungsformen wie z. B. den Protest. Nach erster Sichtung der Literatur konnte ich 20 Literatureinträge unter pflege- und genderspezifischen Gesichtspunkten als relevant einschätzen.
Bezüglich der Recherche „politisches System Deutschland“ habe ich im OPAC 92 potentielle Quellen gefunden und unter Perspektive der politischen Partizipation auf 14 relevante (Quellen) eingegrenzt. Nach Festlegung auf das Ressour- cen-Sozialisations-Mobilisierungs-Modell führte eine erneute Recherche (jeweils nach Einschränkung) unter den Schlagwörtern „Arbeitssituation“, „Lebenssituation“, „Zeitverwendung“, „Einkommen“ und „Ressourcen“ in Kombination mit „*pflege*“ zu 19, unter den Schlagwörtern „Interesse Politi*“, „Einstellung* *Politi*“, „Vertrauen Politi*“, „berufliche Sozialisation“ und „*pflege*“ zu 13 und unter den Schlagwörtern „Netzwerke *pflege*“, „Netzwerke *frau*“ „Interaktion *pflege*“ zu 5 relevanten Ergebnissen.
Insgesamt konnte ich so anhand des OPAC 71 Quellen mit Bezug auf die zu untersuchende Thematik recherchieren. Die systematischen Rechercheergebnisse führten bei der Betrachtung der verwendeten Literatur zu weiteren Quellen, so dass ich die systematische Suche im OPAC mit dem Schneeballprinzip kombinieren konnte und folglich insgesamt 83 Quellen zur Verfügung hatte.
Als Methodik liegt der Arbeit das Verfahren der Dokumentenanalyse im Sinne des hermeneutisch interpretativen Paradigmas zugrunde. Mit dem Ziel, einen fachspezifischen Sachverhalt auf der Grundlage einer theoretischen analytischen Literaturarbeit zu erschließen, nehme ich in diesem Sinne eine interpretierende Sinndeutung systematisch recherchierter Quellen vor.
3. Theoretische und begriffliche Grundlagen
Im Folgenden werde ich zunächst den theoretischen Bezugsrahmen der Politikwissenschaft näher darstellen. Zu Beginn werde ich erläutern, wie aus politikwissenschaftlicher Perspektive politische Partizipation definiert wird und welche Formen politischer Partizipation in der Literatur diskutiert werden. Im Anschluss möchte ich einen Überblick über die bedeutsamsten empirischen Theorien zur Erklärung politischer Partizipation geben. Im Besonderen stelle ich das Ressour- cen-Sozialisations-Mobilisierungs-Modell nach Verba, Schlozman und Brady (1995) dar, welches als Grundlage meiner weiteren Ausführungen dienen wird. Diese Auswahl werde ich im Anschluss begründen.
3.1. Politische Partizipation
Über den Begriff der politischen Partizipation konkurrieren in der Politikwissenschaft unterschiedliche Auffassungen. Diese unterliegen einer historischen Entwicklung und sind je nach wissenschaftlichem Ansatz sehr unterschiedlich. In den 40er und 50er Jahren wurde politische Teilhabe auf die Stimmabgabe bei den Wahlen oder auf wahlkampfbezogene Aktivitäten beschränkt (vgl. van Deth, 2003: 171). Diese Auffassung steht in starken Kontrast zu Radtkes (1976) Verständnis, welches „jede mentale oder im Verhalten sichtbare Beschäftigung mit der Politik als politische Partizipation versteht‘. (Radtke, 1976: 16; zit. nach Gabriel et al. 2005: 528). Diese Definition umfasst somit alle Handlungen und Einstellungen, bei denen eine politische Bedeutung unmittelbar zu erkennen oder zu erwarten ist, d. h. sie schließt auch nicht direkt beobachtbare Wertvorstellungen, Interessen und Kenntnisse mit ein (vgl. Gabriel & Völkl, 2005: 528). Diese weitreichende Definition ist daher nur geringfügig überprüfbar und erscheint somit als Grundlage der weiteren Ausführungen ungeeignet.
Sinnvoller ist daher die in der Politikwissenschaft gebräuchliche Definition nach Kaase (1997), die unter politischer Partizipation Handlungen, die „die Bürger freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen“ (Kaase, 1997: 160, zit. nach Gabriel & Völkl, 2005: 528) versteht.
Aus diesem Verständnis lassen sich grundlegende Merkmale der politischen Partizipation ableiten. Politische Partizipation wird somit als aktives, beobachtbares Verhalten verstanden und lässt sich von Einstellungen abgrenzen. Des Weiteren erfolgen politische Handlungen freiwillig, schließen verpflichtende Mitgliedschaften innerhalb von Organisationen (z. B. die Mitgliedschaft in der Ärztekammer aufgrund der Berufszugehörigkeit) aus und werden von Menschen in ihrer Rolle als Bürger wahrgenommen (in Abgrenzung zu Staatsbeamten oder Politikern). Zuletzt hat politische Partizipation ein konkretes Ziel: Sie möchte das politische System beeinflussen. Die durch Partizipation geprägten Entscheidungen sind weder durch spezifische Stadien der Entscheidungsfindung (Gesetzesvorschlag, öffentliche Diskussion) noch durch spezifische Ebenen des Systems (KommunalLandes- oder Bundespolitik) beschränkt und beinhalten dementsprechend interessengruppenspezifisches Handeln (ebd.: 528f, vgl. van Deth, 2003: 170f). Angesichts der Tatsache, dass sich in modernen Gesellschaften die Grenze zwischen gesellschaftlichen und politischen Bereichen zunehmend vermischt, erscheint eine Differenzierung zwischen sozialer und politischer Partizipation erforderlich. Soziale Partizipation hat das Ziel „(...) sich selbst oder anderen unentgeltlich materielle oder immaterielle Güter wie Geld, Pflege, Wohlbefinden, Unterhaltung oder soziale Kontakte zur Verfügung zu stellen“ (zit. nach Gabriel & Völkl, 2005: 529), will also nicht das politische System beeinflussen, sondern bezieht sich auf soziale Kontakte und Unterstützung. Obwohl Mitgliedschaft in einem Berufsverband in den Grenzbereich zwischen sozialer und politscher Partizipation fällt, erscheint eine Analyse im Hinblick auf politische Partizipation legitim, da sich Berufsverbände als Interessensvertreter auf politischer Ebene verstehen (ebd., vgl. DPR 2008: 18). Sie versuchen das politische System zu beeinflussen und dienen als Ausübungsorte politischer Partizipation.
3.2. Partizipationsformen
Menschen können auf vielfältige Art und Weise versuchen, das politische System zu verändern. So wurde nach van Deth das Handlungsrepertoire politischer Par- tizipation „um nahezu alle erdenklichen Formen nicht-privater Aktivität erweitert“ (zit. nach van Deth, 2003: 172). Empirische Untersuchungen versuchen sich an einer Analyse der politischen Partizipationsformen mit dem Ziel der Klassifikation typischer Handlungsmuster. Die Partizipationsforschung hat auf der Grundlage von Umfragedaten im zeitlichen Verlauf eine Reihe von Taxonomien unterschiedlicher Beteiligungsformen hervorgebracht, die in starkem Maße auch mit den spezifischen historischen Konstellationen in Verbindung stehen.
Uehlinger (1998) hat eine Typologie politischer Partizipation beschrieben und unterscheidet dabei folgende fünf Typen: (1) Staatsbürgerrolle (z. B. Wahlbeteiligung), (2) problemspezifische Partizipation, (3) parteiorientierte Partizipation (z. B. Mitgliedschaft in einer politischen Partei), (4) ziviler Ungehorsam (z. B. Demonstrationen) und (5) politische Gewalt (z. B. Gewaltanwendung). Dabei umfasst problemspezifische Teilhabe die Aktivitätsformen, welche das Ziel haben die Entscheidungen über ein spezifisches Problem zu beeinflussen. Dies beinhaltet z. B. die Mitarbeit oder Kontaktaufnahme in politischen oder gesellschaftlichen Organisationen, das Unterzeichnen von Petitionen, Beteiligung an politischen Diskussionen oder genehmigten Demonstrationen. Berufspolitik widmet sich einem konkreten Problembereich und versucht die Interessen einzelner Berufsgruppen zu vertreten. Folglich lässt sich berufsbezogenes politisches Handeln in diese Partizipationsform einordnen. (vgl. Gabriel &Völkl, 2005: 566f, Uehlinger 1998: 129ff.)
3.3. Determinanten politischer Partizipation
In der Politikwissenschaft werden politische, institutionelle, gesellschaftliche, sozial-psychologische und kulturelle Faktoren unterschieden (vgl. Naßmacher et al., 2004: 28f; Gabriel 2009, Gabriel 2005: 514ff). Im Folgenden möchte ich eine Übersicht über diese Faktoren geben, da diese von Theorien zur politischen Partizipation auf ihre Wirksamkeit hin untersucht und in Relation zueinander gestellt werden.
Politische Faktoren betrachten die Gesamtheit der formalisierten Regeln und Organisationsstrukturen, in deren Rahmen sich das politische Leben eines Landes abspielt. Es handelt sich hierbei um rahmengebende formalisierte Regeln (Rechtsnormen) und Organisationsstrukturen für politisches Handeln, wie z. B. die Beteiligung an der Bundestagswahl. Man unterscheidet im Einzelnen kommunikative, organisatorische und Entscheidungsrechte[2]. Sie wirken sowohl motivierend als auch regulierend auf politische Partizipation, da sie Mitbestimmungsmöglichkeiten eingrenzen oder eröffnen (vgl. Gabriel, 2009).
Institutionen, auch ohne Politikbezug, dienen als Lernorte für Fähigkeiten der politischen Partizipation, z. B. in dem man im Rahmen von Vereinsarbeit lernt Treffen zu organisieren oder Gespräche zu führen. Oder sie sind direkter Ausübungsort politischer Aktivität, z. B. bei der Teilnahme an gewerkschaftlich organisierten Demonstrationen. Sie werden entweder fördernd oder hindernd wirksam, indem sie politische Partizipation mobilisieren, benötigte Ressourcen bereitstellen oder um vorhandene Ressourcen konkurrieren (vgl. Gabriel, 2009).
Die gesellschaftlichen Faktoren betrachten die individuelle Ressourcenausstattung, wobei das Verständnis partizipationsrelevanter Ressourcen je nach Erklärungsansatz variiert und sich meist aus den Faktoren Zeit, Bildung, Geld und subjektivem sozio-ökonomischem Status zusammensetzt. Auch Items wie Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit werden in die Betrachtung der politischen Teilhabe einbezogen. Bedeutsam ist, dass „(...) sozialstrukturelle Faktoren vornehmlich vermittelt über Einstellungen auf die politische Partizipation ein[wirken]. Faktoren wie das Bildungsniveau, das Alter oder das Geschlecht begründen ein bestimmtes Verhältnis der Individuen zur Politik, das Partizipation begünstigt oder hemmt (zit. nach Gabriel, 2009).
Die Sozial-psychologischen und kulturellen Faktoren betrachten die Sozialisation und die daraus gebildeten politischen Einstellungen der Individuen. „Politische Einstellungen sind in diesem Sinne Neigungen, auf politische Objekte oder Ereignisse positiv oder negativ zu reagieren. Dies[e] Reaktionen setzen allerdings die Wahrnehmung der betreffenden Sachverhalte voraus“ (zit. nach Gabriel, 2009). Sie werden innerhalb der verschiedenen Sozialisationsphasen ausgebildet, stützen sich auf Erfahrungen und stellen Verhaltensmuster für die Auseinandersetzung mit der Umwelt dar. Das heißt folglich, dass sie stark abhängig von den Ressourcen und Lebenssituation der Individuen sind. Das politische Interesse und die Einschätzung der Bedeutsamkeit von Politik, das politische Kompetenzbewusstsein und das Wissen über politische Sachverhalte oder Zusammenhänge sind hier die wirksamsten Orientierungen. Auch sind Wertvorstellungen entscheidend, so entfalten stark materialistisch verhaftete Personen insgesamt weniger Interesse an politischer Aktivität, und sind in der Wahl ihrer Mittel moderater (vgl. Gabriel, 2009; Gabriel, 2005: 470ff.; Naßmacher et al., 2004: 28ff.).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die politischen Faktoren (Rechte und Organisationsstrukturen) die Angebotsseite der politischen Partizipation bilden. Verkörpert werden diese durch einzelne institutionelle Faktoren innerhalb des gesetzlich geschaffenen Rahmens. Darüber hinaus wird die Nachfrage an politischer Partizipation durch die gesellschaftlichen Faktoren (Ressourcen, Einstellungen), psychologischen und kulturellen Faktoren (Primär- und Sekundärsozialisation) bestimmt.
3.4. Erklärungsmodelle zur politischen Partizipation
Bislang habe ich dargelegt, welche Determinanten politische Partizipation beeinflussen. Diese Faktoren wurden in empirischen Theorien diskutiert, in einen Zusammenhang gebracht und in Beziehung zur politischen Partizipation gestellt. Über die bedeutsamsten empirischen Erklärungsansätze werde ich im Folgenden einen kurzen Überblick geben. Das Ressourcen-Sozialisations-Mobilisierungs- Modell nach Verba, Schlozman und Brady (1995) wird im nächsten Kapitel differenzierter dargelegt, da es Grundlage meiner Analyse der Berufssituation Pflegender sein wird.
3.4.1. Rational-Choice-Ansatz
Der Rational-Choice-Ansatz, begründet auf Downs (1957), geht als zentraler Ausgangspunkt bei der Erklärung politischer Partizipation davon aus, dass jedes Individuum eine Entscheidung fast ausschließlich abhängig davon fällt, welchen Nutzen es in Bezug auf seine individuellen Präferenzen hat. Bei einer positiven Kosten-Nutzen-Bilanz ist die politische Aktivität größer. Kritisiert wird dieses Konzept vor allem wegen seiner mangelnden Erklärung für politische Teilhabe trotz geringer Effizienzeinschätzung.
Die Theorie des geplanten Verhaltens nach Karl-Dieter Opp (1992), eine Weiterentwicklung des Rational-Choice-Ansatzes, basiert auf der Überlegung, dass jegliche Verhaltensabsicht (z. B. sich einer Bürgerinitiative anzuschließen) abhängig von der Einstellung zum Verhalten und von den Erwartungen der Umwelt ist. Die Entscheidung, diese Absicht in die Tat umzusetzen, ist wiederum abhängig von wahrgenommenen Einflussmöglichkeiten und individuellen Kompetenzen (vgl. Gabriel, 2009; Lüdemann, 2001: 47ff.; Hoecker, 2006: 15ff.). Aufgrund der mangelnden Überprüfbarkeit einer Verhaltensabsicht, ist dieses Konzept wenig handlungsleitend und als Grundlage für meine Analyse nicht geeignet.
[...]
[1] Im Folgenden verwende ich die männliche Form, die weibliche Bezeichnung gilt sinngemäß auch für den männlichen Terminus ohne eine Wertung damit vorzunehmen.
[2] Kommunikative Rechte sind z. B. das Recht auf freie Meinungsäußerung (vgl. GG, 2006, Art. 5), organisatorische Rechte umfassen z. B. das Recht Vereine und Gesellschaften zu bilden (vgl. GG, 2006, Art. 9) und Entscheidungsrechte beinhalten z. B. das Recht den Bundestag zu wählen (vgl. GG, 2006, Art. 19)
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- Wiesner Cordula (Autor), 2009, Was bewegt Pflegende?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150733
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