Organisatorischer Wandel als Beteiligungsprozess

Aufgezeigt am Beispiel der Hamburger Schulreform


Masterarbeit, 2010

80 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Hintergrund
1.2 Problemstellung
1.3 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise

2. Organisationstheoretische Grundlagen
2.1 Organisatorische Besonderheiten von Schulen
2.2 Organisatorischer Wandel
2.3 Organisationsentwicklung im Schulwesen
2.4 Change Management
2.4.1 Widerstände in organisatorischen Wandelprozessen
2.4.2 Gelingensbedingungen

3. Eine empirische Analyse eines Organisationsentwicklungsprozesses im Rahmen der Hamburger Schulreform
3.1 Untersuchungsplanung/-design
3.1.1 Falldefinition
3.1.2 Wahl der Erhebungsmethode und des Erhebungsdesigns
3.1.3 Wahl des Aufbereitungsverfahrens und des Auswertungsverfahrens
3.2 Datenerhebung und Datenaufarbeitung
3.3 Ergebnisse
3.4 Interpretation

4. Schlussbetrachtung

Anhang

Entwicklungslinien der Organisationstheorie

Das organisatorische Änderungsgesetz nach Lewin

Die Teamentwicklung nach Tuckman

Die personellen Kräfte im Veränderungsprozess

Das Ablaufmodell der inhaltlichen Strukturierung

Terminübersicht der Regionalen Schulentwicklungskonferenzen

Das Kategoriensystem

Ergebnisse der inhaltlichen Strukturierung der Beobachtung und der Datenanalyse

Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die neue Schulstruktur in Hamburg (BSB 2010, 4)

Abbildung 2: Aufbau der Arbeit (eigene Darstellung)

Abbildung 3: Die sieben Wesenselemente einer Organisation (in Anl. an Glasl, F. 2004)

Abbildung 4: Drei Ebenen auf die Veränderungsprozesse einwirken (Stolzenberg 2009)

Abbildung 5: Phasen in Organisationsentwicklungsprozessen (nach Schley 1998a, 42)

Abbildung 6: Kreuz des Lebens (nach Riemann 1962)

Abbildung 7: Erfolgsfaktorenmodell (vgl. Vahs und Leiser 2003, 16)

Abbildung 8: erfolgskritische Aspekte der Schlüsselfaktoren (eigene Darstellung)

Abbildung 9: Schulbezirke in Hamburg

Abbildung 10: Ablaufplan der teilnehmenden Beobachtung (in Anl. an Mayring 2002, 83)

Abbildung 11: Das organisatorische Änderungsgesetz nach Lewin (in Anl. an Schreyögg 1996; S. 480)

Abbildung 12: Die Teamentwicklung nach Tuckman (vgl. Wolz 2009)

Abbildung 13: personelle Kräfte im Veränderungsprozess (eigene Darstellung)

Abbildung 14: Ablaufmodell der inhaltlichen Strukturierung (in Anl. an Mayring 2008, 89)

Abbildung 15: Kategoriensystem (eigene Darstellung)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Entwicklungslinien der Organisationstheorie (nach Reichwald/Möslein 1997, 6)

Tabelle 2: Terminübersicht der Regionalen Schulentwicklungskonferenzen

1. Einleitung

Ziel des einleitenden ersten Kapitels ist die Hinführung zum Thema der vorliegenden Arbeit. Neben der Darstellung des Hintergrundes für die Arbeit (Abschnitt 1.1) wird die sich daraus ergebene anvisierte Zielsetzung (Abschnitt 1.2) beschrieben. Der Aufbau und die der Arbeit zugrundeliegende Vorgehensweise werden im Abschnitt 1.3 dargestellt.

1.1 Hintergrund

Nach der Bürgerschaftswahl und der damit verbundenen Koalition aus CDU und GAL wurde im September 2008 eine der umfassendsten und grundlegendsten Schulreformen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht.

Ausgangspunkt der Reform war die Einsetzung der Enquete-Kommission, die als Reaktion auf die PISA-Studie von 2003 durch die Hamburgische Bürgerschaft eingesetzt wurde. Die Studie der OECD hatte insbesondere den Stadtstaaten einen zu hohen Anteil an Risikoschülerinnen und -schülern1 an der Gesamtschülerschaft, darunter überproportional viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, sowie eine zu enge Koppelung von Kompetenzerwerb und sozialer Herkunft attestiert. Die Kommission erarbeitete Vorschläge dazu, wie die Qualität der Hamburger Schulen und damit die Leistungen ihrer Schülerschaft nach nationalem wie internationalem Maßstab deutlich gesteigert werden könnte. Die Expertengruppe entwickelte dazu eine Vielzahl von Empfehlungen, die überwiegend mit der geplanten Schulreform umgesetzt werden sollen.

Die Schulreform vollzieht sich in ihrem gesamten Verlauf auf unterschiedlichen Ebenen, die jeweils eigene Prozessketten aufweisen. Eine Ebene stellt die Ausgestaltung der neuen Schulformen aus Primar- und Stadtteilschulen sowie den Gymnasien dar. Diese lösen die Haupt- und Realschulen, die Gesamtschulen, die Aufbaugymnasien und weitere Schulformen ab. Eine zweite, schulstrukturelle Ebene bezieht sich auf die Standortentscheidungen der neuen Schulformen. Mit dem Schuljahr 2010/11 soll es ein Angebot aus Primarschulen und dem Zwei-Säulen-Modell aus Stadtteilschulen sowie Gymnasien geben. Die Struktur sieht eine flexible Grundstufe der Primarschule mit jahrgangsübergreifenden Lerngruppen und mindestens zwei Einschulungsterminen pro Schuljahr vor. Die Primarschule geht bis zur 6. Klasse. Anschließend wechseln die Schülerinnen und Schüler auf die Stadtteilschule, an der alle Bildungsabschlüsse erreicht werden können und deren Besuch mit dem Abitur nach der 13. Klasse endet. Mit entsprechenden Leistungen können die Schülerinnen und Schüler ebenso auf das Gymnasium wechseln, das nach sechs Jahren zum Abitur führt. Die Abbildung 1 stellt die geplante Schulstruktur grafisch dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die neue Schulstruktur in Hamburg (BSB 2010, 4)

Dieser Prozessabschnitt sollte unter breit angelegter Beteiligung in den dafür eingerichteten Schulentwicklungskonferenzen verlaufen. Dazu wurden Hamburgs sieben Verwaltungsbezirke in insgesamt 22 Regionen unterteilt, welche den weitestgehend gewachsenen Strukturen und besonderen räumlichen Gegebenheiten folgen.

Auf dieser Ebene durfte ich im Rahmen des Masterstudiengangs „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ in Form eines Praktikums teilnehmen. Aus diesem Grund erwuchs hieraus mein Interesse an der Frage zu der Beteiligung der unterschiedlichen Anspruchsgruppen von Schule an dieser Reform.

Die letzten beiden Ebenen der Schulreform bilden die Ausgestaltung der Bildungspläne sowie die Schulgesetznovelle.

1.2 Problemstellung

Organisationen befinden sich in einem ständigen Wandel. Heraklits Metapher vom Fluss, in dem man nicht zweimal steigen kann, hat seit jeher Bedeutung, da das einzige, was Bestand hat, der Wandel ist. Entscheidend ist jedoch die Art und Weise des Veränderungsprozesses. Es lässt sich in diesem Zusammenhang, insbesondere im Bildungsbereich, von einem Paradigmenwechsel sprechen. Wurden auf bildungspolitischer Ebene bisher Veränderungen ausschließlich „top-down“ entschieden und die Betroffenen waren lediglich Umsetzende der Reform, so sollen in der aktuellen Schulreform in Hamburg aus passiv Betroffenen aktive Veränderer werden. Die Steuerung des Wandels löst sich von den ausschließlich zentralen Vorgaben und bezieht alle Betroffenen mit in einen dialogischen Veränderungsprozess ein. Die förderliche Reaktion auf aufkommende Konflikte und Widerstände, sowie die offene und direkte Kommunikation über den Veränderungsprozess und seine Folgen und Anforderungen führen zu einer konstruktiven und entwicklungsoffenen Situation und legen somit einen ganzheitlichen Systembegriff zugrunde. Dieses erfordert jedoch ausreichenden Zeitraum für den Veränderungsprozess und eine in Abständen stattfindende Dissoziation aller Akteure.

Es stellt sich somit die Frage, inwiefern die Erkenntnisse der Organisationstheorie im Bereich des Change Managements für schulische Veränderungsprozesse nutzbar gemacht werden können. Ich möchte meine Betrachtung in dieser Arbeit im Wesentlichen auf die Dimension der Beteiligung fokussieren. Zum einen, da ein Veränderungsmanagement sehr umfangreich ist und dem Rahmen dieser Arbeit zeitlich, wie auch im Umfang nicht gerecht werden würde. Zum anderen aber habe ich gerade diesen Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Veränderungsmanagements für meine empirische Studie gewählt, da dieser Aspekt in schulischer Organisationsentwicklung auf der Ebene der Schulstruktur eines Bundeslandes neu ist.

Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit lautet somit:

Welche Rolle spielen die verschiedenen Akteure im Wandelprozess der Hamburger Schulreform?

Anhand dieser Fragestellung soll überprüft werden, inwiefern eine Beteiligung in dem Prozess der Regionalen Schulentwicklungskonferenz implementiert werden konnte. Des Weiteren soll analysiert werden, ob die Beteiligung der Betroffenen des Wandels bei Einhaltung der erfolgskritischen Faktoren (vgl. Abschnitt 2.4.2) zu einem erfolgreichen Veränderungsprozess führen und somit die Akzeptanz der Betroffenen für die Veränderung erhöhen kann. Diese Fragen sollen mittels eines Fallbeispiels analysiert werden.

1.3 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise

Um die zentrale Frage der Arbeit beantworten zu können, müssen die erfolgskritischen Einflussfaktoren eines Veränderungsprozesses theoretisch (Abschnitt 2.4) dargestellt und empirisch (Kapitel 3) überprüft werden. Diesen Abschnitten geht eine Darstellung der organisationstheoretischen Grundlagen mit einem speziellen Fokus auf die Schule voraus (Kapitel 2). Insgesamt gliedert sich die vorliegende Arbeit in vier Kapitel, die in der Abbildung 2 dargestellt sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Aufbau der Arbeit (eigene Darstellung)

In dem, auf das einleitende Kapitel folgende zweite Kapitel, werden die organisationstheoretischen Grundlagen behandelt. Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen stellen die organisatorischen Besonderheiten dar, wobei ein spezieller Fokus auf die Schule gelegt wird (Abschnitt 2.1). Schulen sind komplexe soziale Organisationen, die sich anhand deren sieben Wesenselementen beschreiben lassen. Als sog. Expertenorganisationen weisen Schulen organisatorische Besonderheiten auf, die einen Wandelprozess beeinflussen. Dieser Wandel von Organisationen kann sich von selbst, d. h. ohne jede Planung ergeben, oder aber bewusst gesteuert werden (Abschnitt 2.2). Organisationen sind unterschiedlichsten externen und internen Einflüssen ausgesetzt und bedürfen einer innerhalb der Organisation gestalteten Entwicklung, die inhaltlicher Gegenstand der Organisationsentwicklung ist. Diese bietet zahlreiche Erkenntnisse und Erklärungen von Organisationen und deren Entwicklung (Abschnitt 2.3).

Mit dem Veränderungsprozess sind unweigerlich Konflikte und Widerstände verbunden. Der Abschnitt 2.4 greift die Ursachen von Widerständen auf und definiert daraus folgernd die erfolgskritischen Einflussfaktoren im Rahmen eines Veränderungsmanagements. Der Schlüsselfaktor Beteiligung wird fokussiert dargestellt, um die theoretischen Erkenntnisse im anschließenden dritten Kapitel empirisch zu überprüfen. Im vierten Kapitel werden die wichtigsten Schlussfolgerungen abschließend zusammengefasst. Neben den Auswirkungen für meine weitere Berufspraxis soll ein Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf gegeben werden.

Die für die Arbeit relevanten Disziplinen sind vor allem die Organisationstheorie als übergeordnete Wissenschaft, sowie die Ökonomie und die Verhaltenswissenschaft als Einzeldisziplinen.

Die Organisationstheorie hat sich seit ihren Anfängen im 20. Jahrhundert von klassischen Organisationsansätzen über humanorientierte und systemorientierte bis zu institutionenökonomischen und wettbewerbsstrategischen Ansätzen entwickelt. Die Tabelle 1 im Anhang gibt einen Überblick über die vielfältigen Ansätze. Für diese Arbeit sind vorwiegend die system- und humanorientierten Ansätze von Interesse. Die systemorientierten Ansätze wandten sich von der Annahme stabiler Rahmenbedingungen organisatorischen Handelns der klassischen Ansätze ab. Sie zeigen das dynamische Zusammenspiel von unterschiedlichen Organisationselementen auf und bieten somit einen Bezugsrahmen für Interdependenzen von Einflussfaktoren bei Veränderungsprozessen. Mit Hilfe der humanorientierten Ansätze lassen sich Motivation und Entscheidungsverhalten von Individuen und Gruppen innerhalb von Veränderungsprozessen erklären.

Das Ergebnis der Arbeit soll weder eine Theorie zum Umgang mit Veränderungen noch ein ubiquitär einsetzbares Orientierungsmodell sein. Jede Organisation und jede Veränderung, die in ihr stattfindet, ist individuell zu betrachten. Die Arbeit analysiert lediglich die Umsetzung eines Veränderungsmanagements am Beispiel des für den Bildungsbereich auf Ebene der Bildungspolitik neuartigen Schlüsselfaktors Beteiligung.

2. Organisationstheoretische Grundlagen

Ziel dieses Kapitels ist es, theoretische Grundlagen für den sich anschließenden empirischen Teil meiner Arbeit zu legen. Einleitend werden hierzu die organisationstheoretischen Besonderheiten von Schule dargestellt (Abschnitt 2.1). Der Abschnitt 2.2 betrachtet den Organisationswandel. Folgend wird ein theoretischer Überblick über die Organisationsentwicklung gegeben, wobei der Fokus dabei auf dem Schulwesen liegt (Abschnitt 2.3). Der Abschnitt 2.4 ist in zwei größere Unterabschnitte gegliedert. So werden im Abschnitt 2.4.1 die Ursachen von Widerständen in Veränderungsprozessen benannt. Mit diesem Wissen lassen sich Gelingensbedingungen eines erfolgreichen Wandels ableiten (Abschnitt 2.4.2).

Ergebnis des zweiten Kapitels ist ein Bündel an erfolgskritischen Einflussfaktoren für ein Veränderungsmanagement. Die zentralen Schlüsselfaktoren werden fokussiert betrachtet und dienen als theoretische Grundlage für die Kategorienbildung der qualitativen Inhaltsanalyse im dritten Kapitel.

2.1 Organisatorische Besonderheiten von Schulen

Bildungsorganisationen haben gemein, dass hier Menschen arbeiten, die in ihrem Fachgebiet Experten sind. Henry Mintzberg bezeichnete eine solche Organisationsform als „professional bureaucracy“. Im deutschsprachigen Raum hat sich der Begriff „Expertenorganisation“ durchgesetzt.

Bevor ich jedoch auf die Besonderheiten dieser Organisationsform näher eingehen werde, möchte ich den Organisationsbegriff auszugsweise charakterisieren und anhand der sieben Wesenselemente einer Organisation beschreiben.

Der Begriff der Organisation wird - je nach Auffassung – als

(1) die Unternehmung hat eine Organisation und
(2) die Unternehmung ist eine Organisation erläutert.

Zur Definition (1) zählt die funktionale Auffassung, wie sie von Gutenberg vertreten wird (vgl. Gutenberg 1968, 233). Hiernach ist die Organisation Instrument und wird nicht selbst zum Problem. Die Organisation als dienende instrumentale Funktion findet sich auch in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre im deutschsprachigen Raum wieder. Diese Charakteristik wird u. a. von Kosiol vertreten, nach dem Organisieren als spezielle Strukturtechnik verstanden wird, mit derer die Unternehmensziele erreicht werden sollen. (vgl. Kosiol 1976, 20). Organisation ist aus instrumenteller Sicht folglich ein Mittel zum Erreichen des Unternehmensziels. Dabei lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Zielssysteme unterscheiden. Zum einen Organisationen, deren Ziel darin besteht, Leistungen zu erbringen bzw. Produkte zu fertigen (Dienstleitungs- und Produktionsunternehmen), zum anderen solche Organisationen, die eine bestimmte Außenwirkung erzielen wollen (Parteien, Interessensverbände, Verwaltungsbehörden etc.). Dieser Organisationsauffassung fehlen Annahmen über menschliches Verhalten und die sich daraus ergebenen Konsequenzen für die Zielwirkung organisatorischer Gestaltungsalternativen. Hinzu kommt eine vorwiegend statische Betrachtung der Organisation.

Die Definition (2) - die Unternehmung ist eine Organisation – erweitert den Begriff der Organisation. Sie wird zusätzlich als spezifischer Organisationstyp verstanden, der sich von anderen sozialen Systemen durch Entstehung, Ziel- und Zwecksetzung, Art und Grund der Mitgliedschaft sowie der Qualität der Verhaltenserwartungen unterscheidet (vgl. Luhmann 1968). Heinen, als einer der wichtigen Vertreter der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre der Nachkriegszeit, hingegen definiert die Organisation als: “Ein zeitgerechtes Sozialsystem, das Informationen gewinnt und verarbeitet.” (vgl. Heinen 1972, 49). Wichtigstes Merkmal der Organisation nach dieser Definition ist durch die Betrachtung des Individual- und Gruppenverhaltens u. a. die Einbeziehung von Motivationsproblemen und Konflikten der Macht. Diese sind für den empirischen Teil dieser Arbeit von Bedeutung.

Aktuelle Definitionsversuche integrieren den Organisationsbegriff in einer Art Synthese sowohl aus instrumentalen, als auch funktionalen und institutionalen Elementen. So beschreibt bspw. Hoffmann die Organisation folgend (vgl. Hoffmann 1976, 64 f.):

“Die beiden Entwicklungsstufen, die Unternehmung hat und ist eine Organisation, können in einer Art Synthese verbunden werden. Organisation als Funktion stellt einen (Meta-­) Entscheidungs-­ und Realisationsprozeß zur Differenzierung und Integration von Aufgaben und Aufgabenträgern dar, dessen Ergebnis eine Struktur, d.h. ein relativ invariantes Beziehungsmuster als Mittel zur Reduktion von Unternehmensproblemen ist.”

Die Zielerreichung ist nach diesem Organisationsbegriff, im Gegensatz zur rein instrumentellen Sicht, zusätzlich auf die Veränderung von Personen ausgerichtet. Zu solchen Organisationen zählen u. a. die Expertenorganisationen, wie Universitäten, Krankenhäuser und Schulen. Der institutionelle Organisationsbegriff bezieht zudem das gesamte soziale Gebilde, die geplante Ordnung, sowie die ungeplanten Prozesse mit ein.

Organisationen sind strukturdeterminiert und haben die Funktion aber auch die Dysfunktion organisierter Arbeitsabläufe. Sie besitzen die Fähigkeit zur Veränderung, weisen aber auch gewollte und ungewollte Grenzen auf. Organisationen sind auf spezifische Zwecke hin ausgerichtet, haben indes ihre Widersprüche. (Schreyögg 1996, 4ff.) Diese Komplexität von Organisationen lässt sich mit Hilfe des folgenden Schaubildes (Abb. 3) in sieben Wesenselemente einteilen, welche die Ansatzpunkte für eine Organisationsentwicklung (vgl. Abschnitt 2.3) darstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Die sieben Wesenselemente einer Organisation (in Anl. an Glasl, F. 2004)

Hierzu zählen zentral die Organisationsmitglieder in ihrer Persönlichkeit und im sozialen Gefüge, womit sich das Klima und die Mikropolitik einer Organisation zusammenfassen lassen. Des Weiteren gehört die Identität bzw. das Leitbild einer Organisation zu deren Wesenselementen. Widersprüche zwischen der Gesamtidentität und der Teilidentität von kleineren Organisationseinheiten kann beispielsweise zu langwierigen Strategie-Diskussionen und Machtkämpfen führen. Das dritte Wesenselement umfasst die Policy. Dieses Wesenselement beinhaltet die Programme und Leitsätze einer Organisation, mit denen die allgemeinen Ziele und Werte konkretisiert werden sollen. Stehen die praktizierten Leitsätze zu den proklamierten Leitsätzen im Widerspruch, kann es auch hier zu Spannungen führen. Die Struktur beinhaltet die Aufbauorganisation einer Organisation. Das Wesenselement der Funktionen geht der Frage nach der Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen nach. Der Einsatz der Ressourcen wird in den „physischen Mitteln“ zusammengefasst. Das letzte Wesenselement beinhaltet den Prozessablauf mit der dazugehörigen Koordination und der Kommunikation unter den Beteiligten.

Alle sieben Wesenselemente sind untereinander vernetzt. Da neben den sichtbaren viele unsichtbare Verbindungslinien bestehen, müssen die Elemente immer als Teil des Ganzen betrachtet werden.

Bei Schulen handelt es sich um komplexe Organisationen, „die Struktur und Kultur, Formelles und Informelles, Geplantes und Spontanes, Vorgabe und Freiheit verbindet. Das macht sie vielseitig, entwicklungsoffen und gestaltbar.“ (Schley 1998a) Dennoch weisen Schulen, als Expertenorganisationen, organisatorische Besonderheiten auf, die einen Wandelprozess beeinflussen. Innerhalb einer Expertenorganisation lassen sich alle in ihr arbeitenden Experten zusammenfassen. Jedoch arbeiten diese nicht zwingend zusammen. Vielmehr orientieren sie sich in ihrer Aufgabenerfüllung an ihre jeweiligen Fachgebieten. Das liegt an bestimmten Eigenheiten speziell von Schule, die näher betrachtet auch einige Gefahren von Schulentwicklung darstellen (vgl. Krainz-Dürr, 1999). Ich möchte diese kurz ansprechen und die für den Wandelprozess relevanten Kennzeichen im folgenden Kapitel wieder aufgreifen. So ist der Experte die wichtigste Ressource der Organisation, da die Qualität ihrer Leistung wesentlich vom Sachverstand und der Motivation des Einzelnen abhängt. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang vom Professionsbezug einer Bildungsorganisation gesprochen. Folglich zählen Wissen und Qualifikation mehr als die Fähigkeit zur Kooperation. Damit ist es nicht selbstverständlich, die eigenen Fähigkeiten zum Wohle des Gesamtergebnisses zu teilen. Mintzberg führt hierzu als Beispiel die Arbeit des Lehrers an:

„Lehrerautonomie spiegelt sich in Strukturen des Schulsystems wider, die mit ´struktureller Lockerheit´ umschrieben werden kann. Der Lehrer arbeitet alleine in seinem Klassenraum, seine Arbeit bleibt dadurch vergleichsweise verborgen vor Kollegen und Vorgesetzten, so dass er über einen breiten Gestaltungsspielraum innerhalb seines Klassenraums verfügt“ (Röbken 2008, 22f.).

Ein Höchstmaß an Qualität und Zuverlässigkeit in der Erfüllung der Aufgaben wird durch eine langjährige Ausbildung sowie der kontinuierlichen Weiterbildung sichergestellt. (vgl. ebd., 23)

Weick (1976) ergänzt dieses in der Organisationstheorie der losen Kopplung dadurch, dass die Ziele, Ergebnisse und Arbeitsprozesse von Bildungseinrichtungen teilweise nur schwer steuerbar und lediglich lose miteinander gekoppelt sind. D. h., dass sie zwar in einer Beziehung zueinander stehen, da sie jedoch jeweils auch einen eigenen Sinn verfolgen und eine eigene Identität besitzen, zu einem gewissen Grad auch getrennt voneinander operieren. Glassmann (1973) bemisst den Grad der Kopplung daran, wie viele Variablen zwei Systeme miteinander verbinden, was entsprechend auch für Veränderungsprozesse zu Funktionen und Dysfunktionen in Bildungseinrichtungen führen kann (vgl. ebd., 35ff.). Der große Vorteil dieser Organisationsform liegt an dem relativ großen Freiraum der in ihr tätigen Experten. Hierdurch kann ihr kreatives Potential zur Wirkung kommen und beachtliche Leistungen erreicht werden.

Die Leistung wird, im Gegensatz zu den Produktions- und Dienstleistungsunternehmen, zumeist direkt und in persönlicher Kooperation mit dem „Kunden“ erbracht. Schüler kommen mit bestimmten Bedürfnissen aus ihrer Umwelt in die Schule, dort arbeiten sie mit den Lehrkräften zusammen und gehen anschließend wieder aus dem System Schule in die Umwelt heraus. Diese besondere Zusammenarbeit von „Kunden“ und Experten wird im Englischen mit dem Portmanteau-Wort „prosumer“2 deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund werden Bildungseinrichtungen als „people-processing organizations“ bezeichnet (vgl. Röbken 2008, 18).

Experten wünschen sich eine Organisation, die im Hintergrund funktioniert und sie in ihrer Fachausübung unterstützt, aber nicht einengt. Die Beteiligung an Organisationsaufgaben wird nicht als Teil der Aufgabenerfüllung, sondern als Zusatzarbeit empfunden.

Die Leistungen in Expertenorganisationen sind multiplex und ebenso vielschichtig, was u. a. mit zahlreichen Zielen für sehr unterschiedliche Zielgruppen zusammenhängt, die an eine Schule gestellt werden. Die Schule, als Organisation, versucht allen Erwartungen gerecht zu werden, was zu unklaren und höchst umstrittenen Zielen führt. Das macht Qualitätskontrollen nahezu unbestimmt. Eine Standardisierung ist schwierig und Regeln sowie Kontrolle von außen sind für Experten häufig nicht akzeptabel. Dennoch befinden sich gerade Schulen in einer ständigen Überprüfung ihrer Leistungen durch eine kritische Öffentlichkeit. Wenn Organisationen nur dann Bestand haben, wenn sie sich dauerhaft von ihrer Umwelt abgrenzen, dann sind Schulen der Gegenpol zu Unternehmen aus der freien Wirtschaft und mehr oder weniger vollständig durch ihre Umwelt eingeschränkt (vgl. Röbken 2008, 19).

Expertenorganisationen sind von ihrer Struktur im Wesentlichen bürokratisch. Sie sind durch sog. flache Hierarchien gekennzeichnet. Macht und Einfluss sind ganz oben und ganz unten angesiedelt. Die mittlere Ebene fehlt fast vollständig. Trotz der formell flachen Hierarchie wirken auch in Schule informelle und systemische Hierarchien. Gerade die mikropolitischen Prozesse begrenzen nach Türk (1989) die rationale Steuerung von Bildungsorganisationen, da diese durch „interessengeleitete Interventionen, Aushandlungen und Konflikten mit jeweils nur temporären Problemlösungen“ gekennzeichnet sind (vgl. ebd., 29). Auf die vielfältigen Motive für mikropolitische Prozesse soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen, aber auf die hohe Bedeutung für einen Wandelprozess hingewiesen werden.

Eine letzte Besonderheit von Expertenorganisationen betrifft ihr Verhältnis zur Außenwelt. Impulse für die Weiterentwicklung kommen vorwiegend aus den einzelnen Fachdisziplinen. Rückmeldungen von Außen, also u. a. durch Rückmeldungen der „Kunden“ spielt nur eine untergeordnete Rolle. Expertenorganisationen denken i. d. R. nur wenig über sich selbst als Organisation nach, was auch daraus resultiert, dass dies für das Bestehen auch nicht notwendig war. Doch müssen auch Schulen um ihre Legitimität zu erhalten, den teilweise widersprüchlichen Erwartungen ihrer Umwelt zunehmend entsprechen. Bildungsorganisationen sind somit einem permanenten Spannungsfeld ausgesetzt. Werden institutionale Strukturelemente, wie die Veränderungen durch den Wandel lediglich adoptiert, aber nicht in dem Arbeitsprozess umgesetzt, kommt es zu einer Entkopplung der formalen und internen Struktur (vgl. ebd., 27f.).

Der Mangel an formeller Struktur und Organisationsbewusstsein hat somit gerade in Wandlungszeiten gravierende Nachteile. Es liegen Verantwortungsüberschneidungen, Doppelgleisigkeiten sowie wenig Synergie der Fachbereiche vor. Professionelle Bürokratien neigen zur Trägheit. Die dezentrale Organisationsstruktur verleitet dazu „neue Probleme in die alten Schubladen“ zu sortieren, anstatt Lösungen für Probleme zu entwickeln (vgl. ebd., 25). Es bedarf folglich einiger spezieller Anforderungen um das hohe Potential der Expertenorganisation auch in Entwicklungsprozessen zu nutzen.

2.2 Organisatorischer Wandel

Organisationen sind aufgrund einer sich ständig verändernden Umwelt ununterbrochen Wandlungsprozessen unterworfen, deren Auslöser organisationsinterne, oder, wie in der Hamburger Schulreform, organisationsexterne Faktoren sein können. Die Ursachen dieses Wandels sind im Abschnitt 1.1 bereits dargestellt worden. Sich dieser immer wieder bewusst zu werden, um die Nachhaltigkeit und Wirksamkeit des Veränderungsprojektes abschätzen zu können, ist von entscheidender Bedeutung (vgl. Röbken 2008, 110). Bergquist (1998) betont in diesem Zusammenhang, dass aktuelle Wandelprozesse in Bildungseinrichtungen hohe Anforderungen an ihre Entwicklungsfähigkeit stellen und die Entscheidungsträger veranlasst, ihre Organisation in Bezug auf die Zielsetzung und Funktionsweise sowie der Organisationsgröße zu überprüfen (vgl. Röbken 2008, 109). Deshalb sei der aktive Wandel eine dauerhafte und zentrale Aufgabe der Entscheidungsträger in den entsprechenden Einrichtungen (vgl. ebd., 109).

Die Wandlungsprozesse können sich von selbst, d. h. ohne jede Planung ergeben, oder bewusst gesteuert werden.

“Es geht also darum, die [...] Vielfalt des Umweltgeschehens auf relevante verarbeitbare Informationen zu reduzieren und im Inneren des Unternehmens in Entscheidungen -­neue Adaptionen an den Markt-­ umzuwandeln." (zit. nach Reitger in Lembke 1996).

Die zahlreichen aus der Umwelt kommenden und auf eine Organisation treffenden Informationen müssen selektiert und verdichtet werden, so dass die für die Entscheidungsprozesse relevanten Informationen herausgefiltert werden können. Diese dienen als Grundlage von Entscheidungen und Prozessen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Veränderungen in der Organisation kommunizierbar und nachvollziehbar werden. Dabei darf die Identität der Organisation (vgl. Kapitel 2.1) trotz der Umweltdynamik und der damit verbundenen Unsicherheit nicht verloren gehen.

Die vielfältigen Umwelteinflüsse, die Unsicherheit sowie die wachsende Dynamik systemischer Vorgänge sind Kennzeichen des prozessorientierten Wandels. Der Wandel darf daher nicht als Sonderfall oder Ausnahme angesehen, sondern muss als Normalfall betrachtet werden. Nach Möglichkeit sollte ein Wandel proaktiv sein, da die Veränderungen vor einer Krise eingeleitet und somit weniger radikale Veränderungen bewirkt werden, die gleichsam nicht so kostenintensiv und weniger risikoreich sind (vgl. Röbken 2008, 113f.). Bei der Hamburger Schulreform handelt es sich, wie dem Hintergrund (Abschnitt 1.1) entnommen werden konnte, mit dem vorausgegangenen „PISA-Schock“ um einen reaktiven Wandel.

Alle Organisationen müssen sich auf einen stetigen Wandel einstellen und in einem permanenten Prozess versuchen, mit den Veränderungen der Umwelt Schritt zu halten. Rudolf Mann spricht in diesem Zusammenhang von dem "Wandel des Wandels" (vgl. Mann 1993, S. 14ff.), in dem er auf den konstanten Zuwachs von Veränderungen und den sich daraus ergebenen Schwierigkeiten des Managens von Systemen spricht. Aufgrund unterschiedlichster Anforderungen nimmt jeder Veränderungsprozess einen anderen Verlauf und bildet eigene inhaltliche Schwerpunkte aus. Trotz dieser Unterschiede lassen sich Veränderungen mindestens einer der in Abb. 4 dargestellten Ebenen zuordnen. Die Veränderungen können so tiefgreifend in die Organisation eingreifen, dass dabei beispielsweise neue Abteilungen entstehen oder bereits bestehende zusammengelegt werden. Arbeitsabläufe werden ggf. effizienter gestaltet oder neue eingeführt, sodass von einem Second Order-Wandel gesprochen werden kann. Die Veränderungen können neben Prozessen und Strukturen auch das soziale Gefüge bzw. das Arbeitsverhalten von Mitarbeitern beeinflussen. Das kann bspw. auf neue Führungsinstrumente, aber auch lediglich auf veränderten Rahmenbedingungen zurückgeführt werden. Dieses zeigt, dass Veränderungen i. d. R. multidimensional verlaufen, jede einzelne Ebene jedoch in unterschiedlich starkem Umfang beeinflussen. Von einigen Autoren wird die Auffassung vertreten, dass eine Maßnahme, die keine Veränderung in den Einstellungen erreicht, genau genommen nicht als organisatorischer Wandel bezeichnet werden kann (vgl. Röbken 2008, 112).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Drei Ebenen auf die Veränderungsprozesse einwirken (Stolzenberg 2009)

Aufgrund der weitreichenden und irreversiblen Konsequenzen ist mit stärkeren Widerständen zu rechnen, als bei einem First Order-Wandel, der lediglich kleinere Anpassungen oder Verbesserungen in wenigen Bereichen der Organisation vornimmt. Dieses ist bei der Planung von Veränderungsprozessen zu beachten und der jeweilige Fokus ist nach einer Fallanalyse entsprechend der Ziele und der damit verbundenen Auswirkungen zu positionieren.

Organisationen sind den angeführten Einflüssen ausgesetzt und bedürfen einer innerhalb der Organisation gestalteten Entwicklung, die inhaltlicher Gegenstand der Organisationsentwicklung ist. Diese bietet zahlreiche Erkenntnisse und Erklärungen von Organisationen und deren Entwicklung. Da es sich bei dem Wandlungsprozess der Hamburger Schulreform um einen eher geplanten Wandel handelt, möchte ich mich in meiner Analyse auch auf diesen beschränken. Die Planbarkeit des Wandels liegt nie in Reinform der Theorie vor, auch lässt sich ein Wandel nicht bis ins Detail planen und doch lassen sich an der Schulreform in Hamburg einige Charakteristika festmachen, die stark hierzu tendieren. So gehört beispielsweise dazu, dass die Schulbehörde3 die Richtung des Organisationswandels vorgibt, einen groben Plan zur Realisierung der Ziele entwirft, die Maßnahmen ableitet und die Zielerreichung evaluiert. Diese Ergebnisse lassen sich nicht immer genau quantifizieren. Einige Autoren argumentieren, dass die Ergebnisse an klar greifbaren Elementen der Organisation festgemacht werden müssen, wie der Organisationsstruktur oder den Prozessen. Andere vertreten die Ansicht, dass ein Wandel die Organisation ganzheitlich erfasst und sich damit auch in den schwer erfassbaren kulturellen Werten und mentalen Modellen der Organisationsmitglieder äußert (vgl. Röbken 2008, 114). Ein weiteres Charakteristikum, das für einen geplanten Wandel spricht, ist die Integration eines externen Experten einer Unternehmensberatungsfirma zur Beratung der Schulbehörde für den Wandelprozess.

Die Idee des geplanten Wandels ist Grundlage der strategischen Planung sowie der Theorie der Organisationsentwicklung.

2.3 Organisationsentwicklung im Schulwesen

Die Identität der Schule steht nicht ein für alle Mal fest. Wie alle Organisationen muss sich demnach auch die Schule immer wieder neu definieren und in ihrem Handeln legitimieren. Aus diesem Grund sind es die Krisen, wie der „Pisa-Schock“, der den Auslöser der Schulreform in Hamburg stellt, die aus der Perspektive der Organisationsentwicklung von besonderem Interesse sind. Sie markieren Übergänge, stellen bisher Selbstverständliches in Frage und schwächen Haltungen, die bislang tragfähig waren. (vgl. Schley 1998a, 20) Ein Wandelverständnis für Schulen muss die im vorherigen Abschnitt beschriebenen komplexen und vieldeutigen Aspekte von Expertenorganisationen berücksichtigen. Aus diesem Grund wird ein einziger Managementansatz dieser Vielschichtigkeit, um Veränderungsprozesse anzustoßen, nicht gerecht (vgl. Röbken 2008, 114). Der Wandelprozess selbst ist ebenso komplex und schwer steuerbar, dass einfache Patentrezepte häufig zu kurz greifen (vgl. ebd., 114).

In diesem Abschnitt werden daher aus der Vielzahl der Theorien von Wandelprozessen zwei ausgewählte Managementansätze vorgestellt, die sich auf die Hamburger Schulreform beziehen lassen.

Der organisatorische Wandel als planerisches Problem, bei dem die Organisationsleitung – im Falle der Hamburger Schulreform die Behördenleitung – mit der Auswahl der optimalen organisatorischen Lösung für die veränderte Situation beschäftigt ist, wird als „Top-down-Strategie“ bezeichnet. Dieser Ansatz soll zu einer geplanten Neuausrichtung der Organisation führen, in dem die Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit und einer i. d. R. geringen Partizipation der Betroffenen von oben angeordnet werden (vgl. Röbken 2008, 117). Widerstände gegen den Wandel werden durch Macht- und Zwangsstrategien übergangen. Obwohl sich die Philosophie der Ansätze nur geringfügig mit den Wertestrukturen einer „bottom-up“-gesteuerten Expertenorganisation vereinbaren lässt, sind sie in der Schule auf der Ebene der Kultusministerien bis heute die einzig angewandte Variante. Dabei wird gerade die mangelnde Einbeziehung der Betroffenen bemängelt. Wird das Wissen der Experten nicht eingebunden und Motivation sowie Commitment nicht erreicht, so führt dieses Vorgehen, aufgrund der Eigenschaften von Expertenorganisationen (vgl. Abschnitt 2.1), ggf. zu Widerständen und zu einer Lähmung des Wandels (vgl. ebd., 118).

Sind die Probleme dieses Managementansatzes in Bildungseinrichtungen auf der Ebene der einzelnen Schulen schon länger bekannt, so werden Schulen dennoch weiterhin mit neuen bildungspolitischen Vorgaben konfrontiert, die ohne größeren Gestaltungsspielraum umzusetzen sind (vgl. ebd., 117).

Die aktuelle Hamburger Schulreform geht erstmalig einen anderen Weg und bringt Akzente eines weiteren Ansatzes hinzu.

Insbesondere die Erkenntnis, dass die erfolgreiche Umsetzung eines Wandels entscheidend von der Partizipation der betroffenen Organisationsmitglieder abhängig ist, war der Ausgangspunkt des diagnoseorientierten Verfahrens (vgl. ebd., 118). Dieser Ansatz kann der Organisationsentwicklung zugeordnet werden.

Das Konzept der Organisationsentwicklung entstand in den USA kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Organisationslaboratorium und dem Survey-Feedback und geht auf Kurt Lewin sowie dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) zurück. Hierbei wurden die Ergebnisse aus der Gruppendynamik auf größere Organisationen angewendet (vgl. Schreyögg, 1996).

In der Literatur finden sich zahlreiche Definitionen zur Organisationsentwicklung, wie die des Transformationsmanagements, des Change Managements, oder des Veränderungsmanagements, um nur einige Beispiele zu nennen. Alle Begriffsbestimmungen sind sich in dem Punkt einig, dass Neuerungen aktiv einzuleiten und zu realisieren sind und es sich damit weniger um Steuerungsaktivitäten einer Anpassung von außen stammender Veränderungen, als um eine zielgerichtete Gestaltung von Veränderungen handelt. Bei extern initiierten Innovationen sollen zumindest die Gestaltungsspielräume bewusst wahrgenommen werden können. Des Weiteren sind sich alle Definitionen darin einig, dass sich die Veränderungen nachhaltig einstellen müssen. Die Durchführenden eines Wandels müssen umfassende Verhaltensänderungen bei Mitarbeitern bei gleichzeitiger Vermeidung von negativen Neben- und Folgeeffekten durch Lernen und Mitwirken aller Beteiligten unterstützen. (vgl. Müller-Stewens & Lechner 2001; Steiger & Hug 1999; Bach 2002) Gerade der Aspekt der Beteiligung ist für den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit bedeutsam. Im Fokus des Wandels steht vorwiegend die Sachebene. Die Veränderungsprozesse werden analytisch geplant und umgesetzt. Der Zielerreichungsgrad wird anschließend evaluiert. In einer Kombination aus dem organisatorischen Änderungsgesetz nach Kurt Lewin (vgl. Anhang, Abb. 11) und einem systematischen Problemlösekonzept entsteht ein komplexes Phasenmodell von Organisationsentwicklungsprojekten (Abb. 5).

Bei dem Phasenverlauf handelt es sich nicht zwingend um aufeinanderfolgende Arbeitsprozesse. Der Verlauf orientiert sich an den jeweilig maßgeblichen Handlungsprozessen.

Die erste Phase betont als Anfangsphase die Bedeutung des Auftauens und Aufwärmens und entspricht damit dem „Unfreezing“ aus dem Lewinschen Modell. Ein Veränderungsvorhaben, wie der strukturelle Organisationswandel der Hamburger Schulreform, muss zunächst vom alten Gleichgewichtszustand der Organisation gelöst werden. Der Auslöser für den Auftauprozess kommt in diesem Fall durch den oben beschriebenen „PISA-Schock“ zustande. Das Ziel der ersten Phase ist dann erreicht, wenn stabile Beziehungen geschaffen und die Spielregeln definiert wurden. Aus dem Bereich der Teamentwicklung ist es damit mit der „Forming-Phase“ vergleichbar (vgl. Anhang, Abb. 12). Die betroffenen Anspruchsgruppen von Schule müssen den vormaligen Gleichgewichtszustand aufgeben und eine Bereitschaft zur Veränderung ausbilden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Phasen in Organisationsentwicklungsprozessen (nach Schley 1998a, 42)

Die zweite Phase basiert auf der Analyse und der Bestandsaufnahme. Mit der Erstellung einer vorläufigen Diagnose für die weitere Arbeit, ist diese Phase beendet.

Die dritte Phase konzentriert sich auf die zukünftige Gestaltung der Organisation. In Projektgruppen werden Lösungen erarbeitet. Das Ziel ist erreicht, wenn ein in sich geschlossenes und die Diagnose aufnehmendes Konzept erstellt wurde, dass in der folgenden Phase umgesetzt werden kann. Hier gilt die Grundannahme, dass die Mitarbeiter die organisatorischen und verhaltensbezogenen Veränderungen erfolgreicher umsetzen, wenn sie an deren Ausarbeitung aktiv mitwirkten (vgl. Röbken 2008, 120).

Die Implementationsphase setzt das erstellte Konzept um und lässt sich folglich dem „Moving“ aus dem Lewinschen Modell zuordnen. Diese Phase kann sich über mehrere Monate erstrecken. Die Organisationsmitglieder müssen sich mit neuartigen Handlungsanforderungen vertraut machen und zur aktiven Mitwirkung aktiviert werden. So treten gerade in dieser Phase vermehrt Konflikte und Widerstände auf.

In der letzten Phase soll die Implementierung mit Erfahrungswerten evaluiert und die erreichten Ergebnisse stabilisieren werden . In dieser Phase muss die Organisation wieder beruhigt werden, damit sie sich auf den neuen Gleichgewichtszustand einpendeln kann. Lewin bezeichnet diese Phase als „Refreezing“ (vgl. Schreyögg 1996, 480).

Dieser Ablauf lässt sich nicht auf die gesamte Schulreform übertragen. Lediglich der Bereich der strukturellen Veränderungen innerhalb der Regionalen Schulentwicklungskonferenzen (RSK) (vgl. Abschnitt 1.1) lässt Ansätze in diese Richtung erkennen. Insgesamt handelt es sich bei der Schulreform um eine Kombination der beiden dargestellten Organisationsentwicklungsansätze mit einem Schwerpunkt auf „Top-down“ Entscheidungen.

Anhand der Komplexität des Phasenmodells nach Schley 1998 (Abb. 5) lässt sich erkennen, dass die alleinige Betrachtung der Sachebene jedoch nicht ausreichend ist, um einen Organisationsentwicklungsprozess zu beschreiben. Schon in der ersten Phase finden sich Aspekte der Beziehungsebene. Der Erfolg einer Veränderung ist maßgeblich von der Beziehungsebene abhängig, die bei allen Betroffenen durch die Veränderungen auf der Sachebene ausgelöst wird. So reicht eine fachlich gut geplante Veränderung nicht aus, um erfolgreich umgesetzt zu werden, wenn sie nicht von allen Betroffenen akzeptiert und mitgetragen wird. Diese Ansicht lässt sich den personenzentrierten Ansätzen von Organisatorischem Wandel zuordnen, wonach eine Veränderung der Organisation (Sachebene) zuvor eine Veränderung des Verhaltens der involvierten Akteure (Beziehungsebene) voraussetzt (vgl. Galbraith 1977). Es gilt, auf die Stimmungen und Bedürfnisse einzelner Personen und Gruppen einzugehen und professionell zu begleiten. Dabei ist zu beachten, dass die Stimmungen in Wandlungsprozessen nicht konstant verlaufen und alle Beteiligten individuell unterschiedlich reagieren. Um Missstimmung und ggf. Widerstände aufgrund mangelnder Information und Beteiligung über die Veränderungen zu verhindern, sind alle Beteiligten frühzeitig zu informieren und auf ihre Rollen im Wandlungsprozess vorzubereiten. Bei tief greifenden Veränderungen finden sich kaum Sachentscheidungen, die nicht gleichzeitig Einfluss- und Machtfragen tangieren.

[...]


1 Zur besseren Lesbarkeit verwende ich im Weiteren die männliche Form. Wenn nicht explizit darauf hingewiesen wird, schließe ich damit aber gleichzeitig die weibliche Form ein.

2 Das Portmanteau -­ Wort „prosumer“ setzt sich aus den Begriffen „producer“ und „consumer“ zusammen.

3 Die Schulbehörde trägt in der aktuellen Legislaturperiode die Bezeichnung „Behörde für Schule und Berufsbildung“. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit beschränke ich mich auch im weiteren Verlauf auf die offizielle Abkürzung „BSB“, oder auf die verkürzte Fassung „Schulbehörde“.

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Organisatorischer Wandel als Beteiligungsprozess
Untertitel
Aufgezeigt am Beispiel der Hamburger Schulreform
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
80
Katalognummer
V151416
ISBN (eBook)
9783640635795
ISBN (Buch)
9783640636358
Dateigröße
1699 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schulmanagement, Organisatorischer Wandel, Hamburger Schulreform, Schulreform, Beteiligung, Change Management, Schulentwicklung
Arbeit zitieren
János Lilienthal (Autor:in), 2010, Organisatorischer Wandel als Beteiligungsprozess, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151416

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Organisatorischer Wandel als Beteiligungsprozess



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden