„Hitler als Comicfigur“ oder „Der Umgang der modernen Medien mit dem Erbe des Dritten Reiches“


Essai, 2008

12 Pages, Note: 1,7


Extrait


Noch vor wenigen Jahren war es undenkbar, daß sich jemand dem Dritten Reich auf humoristische Art genähert hätte, doch in letzter Zeit ist ein gewisser Trend in diese Richtung festzustellen. Zahlreiche Comedians scheinen die Jahre zwischen 1933 und 1945 als Quelle für ihre Art von Witz entdeckt zu haben. Und der Erfolg gibt ihnen Recht: Es wird darüber gelacht; Filme wie Helge Schneiders „Mein Führer“, in dem er Adolf Hitler persönlich parodiert, kamen bei den Kritikern zwar weniger gut, beim Publikum dagegen hervorragend an. Ist dies nur der Ausdruck einer neuen Generation, die für sich entdeckt hat, daß man auch Tabus brechen kann und muß und damit beim breiten Auditorium gut ankommt; das Zeichen dafür, daß wir Deutschen nach fast sieben Jahrzehnten des katastrophalen Zusammenbruchs einer Schreckensherrschaft es endlich geschafft haben, über uns selbst reflektieren und am Ende sogar lachen zu können?

Man kann der heutigen Generation, der kurz nach dem Krieg geborenen sowie der im Krieg als Kinder aufgewachsenen nicht vorwerfen, sie trägen irgendeine Mitschuld an den Ereignissen bis 1945. Aber es wurde von Seiten der Politik und der Medien immer wieder darauf hingewiesen, daß wir Deutschen im Besonderen unser Augenmerk darauf richten sollten, die Vorkommnisse jener dunklen Zeit nicht zu vergessen und neuem Aufkeimen von Rechtsradikalismus entschieden entgegenzutreten. Nun, daß wir dazu in der Lage sind, haben wir in der Vergangenheit hervorragend bewiesen. Ist es also jetzt an der Zeit, nach dem ernsthaften Teil den amüsanten aufzuzeigen?

Wenn wir sehen, wie sich junge Komödianten (und auch ältere) über Hitler als Person lustig machen, so kann man zum einen etwas irritiert reagieren, andererseits wird aber auch dadurch aufgezeigt, was Hitler wirklich war: Ein Mensch, nicht der fast schon mystifizierte Mann, das Monster, der Dämon. Sicher war er auch das, aber in erster Linie doch ein Mensch und nichts Mystisches. Dadurch wird die Person Hitler aus einem Kontext herausgelöst, der für sich einen geschlossenen Rahmen für mannigfaltige Spekulationen für ernsthafte Historiker und auch Revanchisten bot. Auf das Minimum reduziert, nämlich nur ein erbärmlicher Demagoge ohne großartige intellektuelle Begabung, aber mit der verhängnisvollen Kraft, ganze Millionen mitzureißen, zeigt man, was Hitler in der Tat war.

Der belehrende Duktus der letzten Jahrzehnte hat an sich an Kraft verloren. Unsere moderne Medienlandschaft hat unseren Alltag und unsere Art zu sehen und zu hören merklich beeinflußt. Der moderne „Durchschnittsmensch“ möchte nicht mit einer traurigen Stimmung aus dem Kino kommen, nachdem er einen zwar anspruchsvoll guten, aber auch auf das Gemüt drückenden Dokumentarfilm geschaut hat. Er möchte unterhalten werden; und wenn es möglich ist, beide Seiten zusammenzufügen – die Unterhaltung und die Unterrichtung – wieso nicht? Zwar wird man in einem solchen Film nicht allzu viel über die furchtbaren Massenmorde der Nationalsozialisten und anderer Kriegsgräuel erfahren, aber es ist an sich davon auszugehen, daß die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes dies ohnehin weiß und verinnerlicht hat. Die Jugend wird in der Schule und über unzählige qualitativ gute Dokumentationen im Fernsehen über das Wesen des Krieges aufgeklärt, wieso sollte sie also auch noch darüber hinaus darauf aufmerksam gemacht werden? Belehrung ist gut und wichtig, aber ein zu viel davon erzeugt im Gegenteil irgendwann eine Trotzreaktion und führt nur dazu, sich mit den vermeintlich „geheimen“ Tatsachen um den „Führer“ auseinanderzusetzen und dann sind Revanchisten und Neonazis Tür und Tor beziehungsweise die Köpfe und Seelen der Jugend geöffnet.

Wird man sich hingegen schon früh darüber klar, wie erbärmlich Hitler und seine Mannen in ihrem Grunde waren, dann fällt es sicher schwer, diese als Leitbilder zu akzeptieren, insbesondere in einer von Leitung erfüllten Welt wie der unseren und für die Jugend in einem Alter, in dem sie Vorbilder sucht und braucht. Denn nehmen wir doch einmal die Führungsriege des Dritten Reiches, welche Art von gescheiterten Existenzen haben wir dann? Einen an Verstand und Begabung Minderbemittelten, der nur durch seine Eloquenz und die Umstände seiner Zeit dazu wurde, was er war. Einen drogensüchtigen und stark übergewichtigen Mann, der von niemand wirklich ernst genommen wurde. Einen gescheiterten Hühnerzüchter. Die Liste ließe sich fortsetzen, soll aber an dieser Stelle genügen.

An sich bilden diese „Karrieren“ genügen Stoff, um sich darüber lustig zu machen und mit Hohn und Spott bedacht zu werden. Indem man aufzeigt, was sie hinter der Fassade waren – eben die gerade Genannten – läßt sich das Geheimnisvolle an Hitler und seiner Faszination entzaubern und es bleibt... nichts. Jedenfalls nichts, das es wert wäre, Bewunderung oder gar Gefolgschaft abzuverlangen.

Die Kritiker solcher Art Comedy sollten einige Dinge nicht vergessen: Zum Ersten hat das Ausland längst eine ähnliche Sicht auf die Dinge gewonnen und verhält sich gegenüber Hitler in vergleichbarer Weise. Schon 1940, also noch im Krieg, hat es Charly Chaplin mit seinem brillanten Werk „Der große Diktator“ geschafft, das Wesen Hitlers und seiner Leute zu entschlüsseln, ihn zwar als gefährlichen Mann darzustellen, den es gilt, bis zum Ende zu bekämpfen, aber auch als einen Mann, der im Grunde seines Wesens ein charakterloses Etwas war. Sein Selbstmord, um sich einem ordentlichen Gerichtsurteil zu beugen, legt davon Zeugnis ab.

Zum Zweiten lebt heute eine Generation, die die unmittelbaren Folgen des Krieges nicht mehr kennt, außer aus Erzählungen der Großeltern und Filmen. Der Wiederaufbau des in Trümmern liegenden Deutschlands und der steinige Weg zur Einigung Europas sind für sie nur Notizen in Geschichtsbüchern, sie leben und erleben das großartige Werk ihrer Eltern und Großeltern unmittelbar. Sie haben sicher andere Sorgen, in einer sich immer mehr globalisierenden Welt mit teils unsicherer Zukunft im Privaten wie Beruflichen und Leistungsdruck, aber auch konfrontiert mit den neuen Geiseln unserer Zeit wie islamistischer Terrorismus, Klimawandel oder einer immer mehr vergreisenden Bevölkerung. Wie kann man ihnen da zum Vorwurf machen, sich nicht intensiv genug mit dem Erbe des Dritten Reiches auseinanderzusetzen?

Ich möchte hier nicht der Marginalisierung oder Nivellierung Vorschub leisten. Die bitteren Lehren, die wir aus den Jahren von 1933 bis 1945 ziehen mußten, sind schmerzlich genug, nicht nur für uns Deutsche, um sie einfach als ad acta abzutun. Sie müssen im kollektiven Gedächtnis haften bleiben, aber man muß sich doch allmählich damit abfinden, daß diese Zeit Gott sei Dank vorüber ist. Man muß sich immer wieder erinnern, darf aber nicht die Gegenwart und Zukunft zur Geisel der Vergangenheit machen. Wenn sich die jetzige Gesellschaft vermehrt mit Entertainment und dem Leben an sich abgibt, so sind das doch genau die Dinge, für die die Befreier unseres Landes kämpften und starben, eben daß wir wieder ganz normal leben können. Man muß diese Männer ehren für das was sie taten, nämlich Europa und die Welt vom Joch der Tyrannei zu befreien, darf aber bei aller Dankbarkeit nicht das Leben an sich vergessen. Vielleicht ehrt man sie damit am meisten, wenn man genau das tut, was sie erreichen wollten und erreicht haben.

Wer anspruchsvollere Filme über den Krieg und die Nazizeit sucht, wird leicht fündig.

„Der Soldat James Ryan“, „Der schmale Grat“ oder „Der Untergang“ sind nur drei Beispiel der jüngeren Filmgeschichte für die realistische Schilderung der Gräuel jener Epoche. Doch sie zeigen einen anderen Aspekt dieser Zeit. Sie schildern die Erlebnisse von Soldaten, die in diesem Krieg kämpften oder die Machtelite des Reiches kurz vor dem Ende. Sie zeigen nicht wirklich die einfache Niedertracht, die Hitler besessen hat. Bernd Eichingers Film skizziert Adolf Hitler als Monstrum, entrückt der Wirklichkeit. Sicher war er das gegen Ende auch, aber wird er damit nicht nur noch mystischer?

Sicher darf man nicht den Fehler begehen, sich auf Kosten der Opfer lustig zu machen, dies ist geschmacklos und zeugt nicht vom Können als Comedian. Ohne Frage gleiten auch manche Witze über Hitler allmählich ins Niveau des Stillosen ab.

Es ist aber bei allem Fokus auf die heutige Medien eines noch festzuhalten, nämlich, daß sich bereits zur Zeit von Hitlers Macht und auch bis in den Krieg hinein über die Elite des Landes lustig gemacht wurde. Insbesondere Hermann Göring war Gegenstand von Spott und Verhöhnungen sowohl des Volkes als auch der Offiziere, insbesondere der Piloten der Luftwaffe, die seine offensichtliche Inkompetenz als Erste zu spüren bekamen. Doch auch die Bevölkerung riß ihre Witze darüber, in welchem „Outfit“ er jetzt wieder erscheinen mochte oder worüber auch immer. Dies ist auch ein Beleg dafür, daß man sich über das wahre Gesicht hinter der Maske der Herrschaft einigermaßen im Klaren war.

Man hat aus falsch verstandenem Eifer für die Aufarbeitung eine besondere Sensibilität im Umgang mit dem Dritten Reich an den Tag gelegt. Zweifellos sollte man an den Entscheidungen der Führungsriege jener Zeit nichts Komisches finden, denn diese Urteile hatten zu oft nur den Tod zur Folge. Auch ist Krieg niemals witzig oder in sonst einer Art und Weise als Amüsement zu sehen. Aber begibt man sich mit all dem fast schon sakralen Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg nicht auch in die Gefahr, Hitler als Mensch aus den Augen zu verlieren und ihn nur noch als Monster zu betrachten und ihn damit mit noch mehr Anziehungskraft zu versehen, als ihm zusteht? Gerade dadurch erhält er eine Aura, die man eigentlich vermeiden will.

Als die humoristische Betrachtung von Teilaspekten des Dritten Reiches vor einigen Jahren begann, war dies zunächst etwas, das in den Feuilletons heftigen Aufschrei zur Reaktion hatte. So etwas hatte es bisher noch nicht gegeben und kam einem wirklichen Tabubruch gleich. Mittlerweile gibt es zahlreiche Comedians, die Hitlers Sprachstil imitieren und als satirische Groteske verarbeiten und die Wogen das Aufbegehren gegen eine solche Art der Behandlung jener Zeit sind abgeebbt. Selbstverständlich ist es noch nicht geworden und wird es wohl auch nicht; man möchte hinzufügen: es sollte auch nicht, aber es zeugt von einem allmählich weniger angespannten Umgang der Deutschen mit ihrer eigenen Vergangenheit. Ob dies nun positiv oder negativ zu werten ist, muß jeder mit sich selbst ausmachen.

Wenn man Hitlers Reden einmal des Inhaltes beraubt, also nicht miteinbezieht, was er gesagt hat sonder nur wie , dann wird die eigentliche Komik dieses kleinen, um Ansehen kämpfenden Mannes bewußt: Ein Mann, der wie wild am Rednerpult schreit und für sich allein genommen eigentlich eine groteske Figur macht. Das Tragische daran ist nur, daß er Millionen bewaffneter Gefolgsleute hinter sich hatte, die sein mörderisches Programm zur Ausführung brachten.

In keiner Zeit des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland haben wir uns mehr mit den Jahren des Zweiten Weltkrieges beschäftigt als heute. Nie wurden mehr Dokumentationen darüber gedreht oder Museen und Mahnmale errichtet. Dies ist sicher lobenswert und richtig, aber die Masse an Material, die über jenes Thema Verbreitung findet, scheint mittlerweile eine Fülle angenommen zu haben, die des Guten zu viel tut. Wer fast täglich in Radio und Fernsehen mit diesem Thema konfrontiert wird, schaltet irgendwann „auf Durchzug“, bekommt die Nachricht nicht mehr mit oder reagiert sogar genervt. Dies kann nur kontraproduktiv sein und ist kein Symptom unserer so genannten Spaßgesellschaft. Natürlich muß Aufklärung erfolgen, aber diese darf nicht ausarten in eine Dauerberieselung, durch welche das Eigentliche nicht mehr vermittelt wird.

Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist das Problem Neonazis und Parodie des Dritten Reiches. Die Ursachen für rechtsextremes Denken und Handeln liegen nicht darin begründet, daß ein junger Mensch eine humorvolle Bemerkung über Hitler gehört hat; deshalb wird keiner auf die Idee kommen, Ausländer zu schlagen oder fremdenfeindliche Symbole zu kaufen. Im Gegenteil sind doch Anhänger dieser Denkrichtung auf ihre Idole fixiert, sie verehren geradezu Hitler und seine Gefolgsmänner und betrachten Spott über diese als Propaganda und Schmähung der jetzigen Regierenden. Sie würden wohl kaum durch einen Besuch in Helge Schneiders Film darauf kommen, Hitler anders zu sehen als wie sie es tun, falls sie sich ihn überhaupt anschauen würden. Auch die aufklärerischen Dokus des Fernsehens haben hier wohl eher geringe Aussicht auf Erfolg. Wer einmal tief im neonazistischen Denken verhaftet ist, wird dadurch kaum bekehrt werden. Hier sollte der Ansatz lieber auf gute Bildung mit der Chance des sozialen Aufstiegs gesetzt werden. Nur damit läßt sich der Teufelskreis aus Unwissen, Arbeitslosigkeit und Minderwertigkeitskomplexen gepaart mit Aggression gegen Fremdes sowie der leichten Gefangennahme durch populistische Parolen durchbrechen. Wer einmal im demokratischen Denken verankert ist, wird auch durch Humor über Hitler nicht die Seite wechseln; genauso wird keiner, der überzeugter Christ ist, durch den Besuch einer Moschee oder Synagoge gleich zum Konvertiten.

Vielleicht ist der neue Humor, mit dem man dem Dritten Reich seit einiger Zeit begegnet, auch ein Ausdruck der Zeitenwende, welche Deutschland gerade durchlebt. Wir können seit Ende der 1990er Jahre eine Emanzipation unseres Landes in der Außenpolitik feststellen. So nahm die Bundeswehr 1999 erstmals wieder an einem aktiven Kampfeinsatz teil, wir beteiligen uns mit Soldaten und Polizisten beim Wiederaufbau Afghanistans, des Kosovo oder im Kongo; darüber hinaus wird ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat angestrebt.

[...]

Fin de l'extrait de 12 pages

Résumé des informations

Titre
„Hitler als Comicfigur“ oder „Der Umgang der modernen Medien mit dem Erbe des Dritten Reiches“
Université
Technical University of Chemnitz
Note
1,7
Auteur
Année
2008
Pages
12
N° de catalogue
V151685
ISBN (ebook)
9783640635962
ISBN (Livre)
9783640636211
Taille d'un fichier
452 KB
Langue
allemand
Mots clés
Hitler, Comicfigur, Humor, Drittes Reich, Medien
Citation du texte
Magister Artium Daniel Müller (Auteur), 2008, „Hitler als Comicfigur“ oder „Der Umgang der modernen Medien mit dem Erbe des Dritten Reiches“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151685

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