Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Elemente politischen Handelns in der Figur Maria Stuart
3. Die Bedeutung des religiösen Motivs für Schillers Maria Stuart
4. Die „schöne Seele“ in der Figur der Maria Stuart
5. Wandlung als Erweckung statt als Entwicklung
6. Fazit
7. Bibliographie
1. Einleitung
Das am 14. Juni 1800 uraufgeführte und Ostern 1801 veröffentlichte Drama Maria Stuart von Friedrich Schiller, ein im Titel als historisch ausgewiesenes Stück, ist paradoxerweise laut Schiller aus einem „frei phantasierten, nicht historischen“, sondern „bloß leidenschaftlichen und menschlichen Stoff“ entstanden. Auch während seiner Vorstudien zu dem Drama dringt aus seinen Briefen die Lust an dem Dramaturgisch-Formalen des Themas durch, die die geschichtlichen Fakten an den Rand drängen. Auch, dass die als reizvoll empfundenen Darstellungen, dazu dienen, den Blick auf die Charaktere der zentralen Figuren zu richten, verrät ein Brief vom 11. Juni 1799 an Goethe:[1]
„ Die Idee, aus diesem Stoff ein Drama zu machen, gefällt mir nicht übel. Er hat schon den wesentlichen Vortheil bei sich, daß die Handlung in einen thatvollen Moment concentriert ist und zwischen Furcht und Hoffnung rasch zum Ende eilen muß. Auch sind vortreffliche dramatische Charaktere darinn schon von der Geschichte hergegeben.“[2]
Später formuliert er sein Ansinnen noch deutlicher und beabsichtigt, die Hauptfiguren zwar aus dem geschichtlichen Kontext zu entnehmen, sie aber dennoch ausschließlich über das Menschlich-Personenhafte darzustellen. Die Freiheit der Fantasie soll über die Geschichte gestellt werden. Trotzdem will Schiller sich an allem Brauchbarem aus der Geschichte bedienen:
„Ich fange schon jetzt an, bei der Ausführung, mich von der eigentlich tragischen Qualität meines Stoffs immer mehr zu überzeugen, und darunter gehört besonders, daß man die Catastrophe gleich in den ersten Scenen sieht, und indem die Handlung des Stücks sich davon wegzubewegen scheint, ihr immer näher und näher geführt wird. An der Furcht des Aristoteles fehlt es also nicht, und das Mitleid wird sich auch schon finden.
Meine Maria wird keine weiche Stimmung erregen, es ist meine Absicht nicht, ich will sie immer als ein physisches Wesen halten, und das pathetische muß mehr eine allgemeine tiefe Rührung als ein persönlich und individuelles Mitgefühl seyn. Sie empfindet und erregt keine Zärtlichkeit, ihr Schicksal ist nur, heftige Paßionen zu erfahren und zu entzünden. Bloß die Amme fühlt Zärtlichkeit für sie.“[3]
In diesem Auszug eines weiteren Briefes an Goethe zeichnet Schiller bereits ein zartes Bild der Charakterzüge seiner Maria Stuart.
Das Trauerspiel kontrastiert von Beginn an die beiden Königinnen und ihre Lebenswelten. Obwohl Schiller in seinem Stück einen markanten Gegensatz der Königinnen entwirft, verlangen die Figuren eine differenzierte Analyse. Bereits mit Beginn des ersten Aktes zeigt sich, dass die Schicksale der beiden blutsverwandten Königinnen eng miteinander verflochten sind, beide sind in ihren Gedanken aufeinander fixiert. Ihre komplementäre Abhängigkeit bringt Burleigh in einer Aussage auf den Punkt:
„ Du mußt den Streich erleiden oder führen.
Ihr Leben ist dein Tod! Ihr Tod dein Leben!“ (II, 3; Vers 1293)
Diese Konstellation aus staats- und religionspolitischen Differenzen sowie persönlichen Motiven ergibt einen Machtkampf. Zusätzlich zur dynastischen Rivalität verbindet sie ein konfessioneller Konflikt. Elisabeth steht für einen sittenstrengen Protestantismus in England. Maria steht ihr mit einem sinnenfrohen Katholizismus in Schottland diametral gegenüber. Schiller beweist hier ein gewisses psychologisches Geschick, indem er ihre Schwächen auf ihre persönlichen Entwicklungen hin transparent macht und Konsequenzen aufzeigt, die sich aus einer Verflechtung von persönlichen Interessen und einer vermeintlicher Staatsräson ergeben.[4]
In der folgenden Arbeit werde ich versuchen, mich aufgrund der Fülle von Aspekten, zunächst nur der Figur der Maria in Schillers Drama detaillierter zu nähern. Es ist dabei nicht von Bedeutung, wie historische Quellen die Person der Mary Stuart darstellen, denn Schiller hat zwar selbst eine Menge an Quellwerken zu seiner Vorarbeit herangezogen, jedoch hat er die meisten Fakten frei für sich umgestaltet. So stellt Schiller seine Maria eher günstiger und Elisabeth eher ungünstiger dar, als seine Quellen es belegt haben können. Außerdem macht er sie beide jünger. Die historische Mary Stuart gab zudem ihre Beihilfe an der Ermordung Darnleys, sowie die Beteiligung an Babingtons Attentat auf Elisabeth nie offen zu. Auch andere historische Tatsachen oder Wahrscheinlichkeiten ergänzt Schiller frei zu seinen dramaturgischen Zwecken, wie zum Beispiel die Erfindung Mortimers, die Inszenierung der als unwahrscheinlich geltenden Begegnung Elisabeths mit Maria und das Abendmahl vor der Hinrichtung. Diese Ergänzungen finden sich nicht in Schillers zugänglichen Quellen. Ebenso dient Schiller die erotische Beziehung Marias zu Leicester zum Ausbau seiner Charakterdarstellungen.[5] Die Annäherung an ihre Person wird unter der Leitfrage, wie es zu ihrer Wandlung am Schluß des Dramas kommt, geschehen.
2. Elemente politischen Handelns in der Figur Maria Stuart
Das Gleichgewicht von Rolle und Individualität im Drama ist nicht ausgewogen. Elisabeth beispielsweise kann weder als Königin noch als liebende Frau erfolgreich sein. Denn sie lebt ständig in der Angst ihr Gesicht vor dem Volk zu verlieren und kann dadurch keine Freiheit erlangen.
Maria hingegen ist in der Rolle der Königin gescheitert, da sie die erotische Liebe über die staatlichen Verpflichtungen gestellt hat. Als Gefangene Englands bleibt es ihr zudem versagt einen Wandel in ihrer Rollenauffassung zu beweisen.
Elisabeth beklagt stets ihr Schicksal. Leicester gegenüber äußert sie dass sie ihr „Herz nicht fragen“[…] dürfe, da der Vorrang ihrem Amt gebührt und nicht ihren Gefühlen. Jedoch scheinen ihre emotionalen Gefühle die politischen Beweggründe stark zu beeinflussen, was in einem Monolog Elisabeths deutlich wird:
„Wo ich mir eine Freude, eine Hoffnung
Gepflanzt, da liegt die Höllenschlange mir
Im Wege. Sie entreißt mir den Geliebten,
Den Bräutigam raubt sie mir!“ (IV, 10; Vers 3232)
Hier legt sie offen, dass sie im Kampf gegen Maria vor allem persönliche Motive hegt. Denn hinter dem Konflikt um die Rechte auf den Thron gibt es offensichtlich auch eine erotische Konkurrenzsituation.[6] Da die Fähigkeit zu Handeln in Schillers Tragödie von einer Person abhängt, gewinnt die Dominanz der Politik schicksalhafte Züge. Denn die faktisch und juristisch ungeteilte Herrschaft liegt uneingeschränkt bei der Regentin. Sie scheint ihr Amt ohne jegliche Prinzipien auszuüben, wie man an ihrer inneren Unentschlossenheit sehen kann, zum Beispiel bei der Überlegung, wie man gegen die Rivalin vorgehen solle (IV, 11). Schiller macht hier auf die schwankende Dominanz des politischen Rollenbildes sowie die mangelhafte Umsetzung der königlichen Rechte aufmerksam. In ähnlicher Weise ist auch Maria noch an politische Handlungsmuster gebunden. Sie steht nicht wegen Mordes unter Anklage, sondern weil sie verdächtigt wird, eine Verschwörung gegen Elisabeth angestiftet zu haben. Der Prozess gegen Maria hat zweifelsfrei eine politische Dimension und ist kein moralisches Strafgericht. Auffällig ist, dass sie die Rolle der Anstifterin ohne Einwand annimmt. Da sie ursprünglich eine Vereinigung Schottlands und Englands angestrebt hatte, ist für sie die Vertreibung der Rivalin legitim.
„Ja ich gesteh`s, daß ich die Hoffnung nährte,
Zwei edle Nationen unterm Schatten
Des Ölbaums frei und fröhlich zu vereinen.“ (I, 7; Vers 830)
Hinter ihrer Vision von einer Versöhnung steht ein dynastischer Anspruch. Ihre strategischen Motive scheinen deutlich in ihrer sachverständigen Ansprache an den Großschatzmeister Burleigh durch. Sie begründet ihre Kritik, indem sie festhält, dass das Hochverratsgesetz auf sie nicht angewendet werden dürfe, da sie allein in England existiere und die juristische Praxis sehe eine strikte Trennung von englischen und schottischen Zeugen vor, was auch für ihren Prozess gelten solle. Sie sehe sich als Vertreterin eines auswärtigen Staates:
„Nicht mit dem Schwerte kam in dies Land,
Ich kam herein als Bittende,
Das heil´ge Gastrecht fordernd, in den Arm
Der blutsverwandten Königin mich werfend –
Und so ergriff mich die Gewalt, bereitete
Mir Ketten, wo ich Schutz gehofft“ (I, 7; Vers 939)
Maria zeugt zudem von einer aufgeklärten Rechtsauffassung, als sie die Vermutung äußert, dass in ihrem Prozess keine Gewaltenteilung herrsche:
[...]
[1] Vgl.: Guthke, Karl S., 2005: 209f
[2] Guthke, Karl S., 2005: 209
[3] Guthke, Karl S., 2005: 210
[4] Vgl.: Neymeyr, Barbara, 2005: 107ff
[5] Vgl.: Guthke, Karl S., 2005: 210f
[6] Vgl.: Alt, Peter-André, 2009 Bd.2: 499