[...] Zwar sind die Absichten des Präsidenten Wilson nach dem ersten Weltkrieg gescheitert, aber sie entsprangen dem Willen, eine neue moralischere zwischenstaatliche Ordnung zu schaffen. Die bedeutendsten Aspekte seiner „vierzehn Punkte“ waren der Versöhnungsfrieden, die Moralisierung des Konzerts der Nationen und das Ende des Imperialismus, die Gleichheit zwischen den Völkern, ihre Selbstbestimmung, die „open door policy“, der freie Handel und die Schaffung des Völkerbundes, das Völkerrecht, der Vorzug der öffentlichen Diplomatie gegenüber der geheimen und der Multilateralismus. Deshalb sei der Status quo in internationalen Beziehungen überhaupt nicht wünschbar und viel gefährlicher als der Wechsel. Micheal Ledeen benutzt in diesem Zusammenhang Schumpeters Begriff der „kreativen Zerstörung“, wenn er vom internationalen Vorgehen der USA spricht. „In der Welt sind wir“, sagt er, „eine große revolutionäre Gesellschaft und wir wollen die Revolution. Wir wollen nicht die Stabilität. Wir wollen die Tyrannen zu Fall bringen.“ Er möchte nicht nur Regierungswechsel, sondern auch Regimewechsel. Nach dem Forscher spielen Ideen und besonders die amerikanischen, wie Menschenrechte, Demokratie und Freiheit, eine entscheidende Rolle . Aus realistischer Perspektive erscheint dies umso paradoxer, als die Vereinigten Staaten von Amerika das internationale System dominieren. Der Begünstigte der aktuellen zwischenstaatlichen Situation lehnt den Statut quo ab, um die Welt zu verbessern. Es existieren viele Ähnlichkeiten zwischen dem Wilsonismus und dem Neokonservatismus. Aber gibt es eine Verbindung zwischen diesen beiden Strömungen? Ist der erste die Ursache des zweiten? Handelt es sich beim Neokonservatismus um einen „starken Wilsonismus“ ? Oder kann man, wie Charles Krauthammer, von einem „democratic realism“ oder „democratic globalism“ , also von einem pragmatischen Wilsonismus, sprechen? Anders gesagt, kann man von einem „Wilsonismus mit Anabolikum“ sprechen, der die Effektivität und deshalb die Legitimität des Völkerrechts anzweifelt, um die Ausweitung der offenkundig universellen Prinzipien der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zu rechtfertigen? Hat Pierre Hassner Recht, wenn er von einen “wilsonisme botté“ , einem “gestiefelten“, also gewalttätigen Wilsonismus spricht? Wenn auch der Neokonservatismus in Tradition des Wilsonismus steht (I), ist diese Verbindung trotzdem ambivalent (II).
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I) Der Neokonservatismus als direkter Erbe des Wilsonismus
- A) Theoretische Grundlage
- 1) Die Grundwerte der Unabhängigkeitserklärung 1776
- 2) Die beschränkte Regierungsmacht
- B) Außenpolitische Orientierungen
- 1) Die Verweigerung des Isolationismus
- 2) Die Verweigerung des Realismus
- 3) Die Verweigerung des Zusammenpralls der Kulturen
- C) Normative Zielsetzungen:
- 1) Der Weltfriede
- 2) Die Weltsicherheit
- 3) Das Streben nach Moral in internationalen Beziehungen
- A) Theoretische Grundlage
- II) Der Neokonservatismus als ambivalenter Erbe des Wilsonismus
- A) Der Multilateralismus Wilsons
- 1) Die 14 Punkte
- 2) Die Demokratisierung der Welt und der Handel
- 3) Der Völkerbund
- B) „Multilateralism when we can, unilateralism when we must“
- 1) Die Skepsis der Neokonservativen bezüglich der Effektivität der internationalen Organisationen und Regelungen
- 2) Die Unipolarität der Welt
- 3) Die Notwendigkeit der „Moral Clarity“
- 4) Die gerechten Kriege
- 5) Die Transformationsdiplomatie
- A) Der Multilateralismus Wilsons
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Frage, ob der amerikanische Neokonservatismus als „starker Wilsonismus“ betrachtet werden kann. Sie analysiert die theoretischen Grundlagen und außenpolitischen Orientierungen beider Strömungen und untersucht, inwieweit der Neokonservatismus als Erbe des Wilsonismus verstanden werden kann.
- Der Einfluss der Grundwerte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 auf den Neokonservatismus
- Die Bedeutung von Freiheit und Demokratie in der Außenpolitik
- Die Rolle der militärischen Macht und der „gerechten Kriege“
- Der Wandel von Multilateralismus zu „unilateralism when we must“
- Die Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Wilsonismus und Neokonservatismus
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung präsentiert den Ausgangspunkt der Arbeit: die Rede von George W. Bush im Jahre 2003, die die schicksalhafte Rolle der USA in der Welt beschreibt. Sie stellt die These auf, dass der Neokonservatismus eine messianische Tradition des Wilsonismus fortsetzt.
I) Der Neokonservatismus als direkter Erbe des Wilsonismus
Dieses Kapitel beleuchtet die Gemeinsamkeiten zwischen Wilsonismus und Neokonservatismus, insbesondere in Bezug auf ihre theoretischen Grundlagen. Es analysiert die Bedeutung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 und die Betonung von Freiheit und individueller Initiative. Weiterhin wird die außenpolitische Ausrichtung beider Strömungen untersucht, insbesondere die Verweigerung von Isolationismus, Realismus und dem Konzept des Zusammenpralls der Kulturen.
II) Der Neokonservatismus als ambivalenter Erbe des Wilsonismus
Dieses Kapitel widmet sich der ambivalenten Beziehung zwischen Wilsonismus und Neokonservatismus. Es analysiert den Multilateralismus Wilsons, insbesondere seine „vierzehn Punkte“ und die Schaffung des Völkerbundes. Es stellt die Skepsis der Neokonservativen gegenüber der Effektivität der internationalen Organisationen und Regelungen dar und diskutiert die Bedeutung von „Moral Clarity“ und „gerechten Kriegen“ in der Neokonservativen Außenpolitik.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit dem amerikanischen Neokonservatismus, der durch seine Betonung von Freiheit, Demokratie und „gerechten Kriegen“ geprägt ist. Weitere wichtige Schlüsselbegriffe sind Wilsonismus, Multilateralismus, Unipolarität, Moral Clarity, Transformationsdiplomatie, „kreative Zerstörung“ und das Konzept der „manifest destiny“. Die Arbeit beleuchtet die Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen den beiden Strömungen und analysiert den Einfluss des Wilsonismus auf den Neokonservatismus.
- Arbeit zitieren
- Alexis Fourmont (Autor:in), 2008, Der amerikanische Neokonservatismus - ein "starker" Wilsonismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/152551