Als die Fußballweltmeisterschaft (WM) 2006 in Deutschland zu Ende ging, war dies auch das Ende einer 4-wöchigen Massen- und Medieneuphorie in Deutschland, die so kaum jemand erwartet hätte. Mit der Begeisterung der Deutschen für das deutsche Team ging auch ein unbeschwerter Umgang mit den Nationalstaatsfarben Schwarz-Rot-Gold einher, wie er seit 1990 nicht mehr zu beobachten war. Was war in den vier Wochen der WM geschehen? Handelte es sich nur um eine überdimensionale Party? Oder verdeutlichte sich während der WM 2006 ein bereits zuvor vollzogener ‚Wandel’ im Umgang mit der Nation, der zudem als Ausdruck der Zustimmung zum ‚neuen Patriotismus’ verstanden werden kann?
Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit gilt der Frage nach den Kennzeichen und politischen Funktionen des ‚neuen Patriotismus’ und dem darin vorhandenen übergreifenden Interesse ein positives Verhältnis zur Nation und deren Geschichte zu fördern. Für die Herstellung eines positiven historischen Bezugs auf die Nation und Patriotismus wird dabei auf die Ideen und Vorstellungen des Patriotismus des 18./19. Jahrhunderts zurückgegriffen. Wird hierin vielfach doch ein aufgeklärtes und freiheitlich-demokratisches Gesellschaftsverständnis gesehen. Aufgrund dessen gilt das erste Kapitel den zentralen (historischen) Begriffen und ihren Konzepten. Die zentrale Frage hierbei ist, wie der negativ verstandene Nationalismus vom positiv gedeuteten Patriotismus historisch abzugrenzen versucht wird.
In Kapitel zwei wird der Frage nachgegangen, wie es dazu kam, dass ein einst vermeintlich kritisches Verhältnis zur Nation in der BRD der unbefangenen Handhabung von 2006 wich. Die Blicke richten sich hier auf zentrale Diskurse und Debatten um Patriotismus und nationale Identität seit Entstehen der BRD (mit einem besonderen Schwerpunkt auf die Zeit ab 1982 bis 2006).
Darauf erfolgt in Kapitel drei eine qualitative Analyse der Diskurse um den ‚neuen Patriotismus’ um das Jahr 2006. Einhergehend mit der Betrachtung verschiedener zentraler Aspekte des ‚neuen Patriotismus’ soll den Fragen nachgegangen werden, ob der ‚neue Patriotismus’ im Jahr der WM tatsächlich das Potential zur Förderung von Weltoffenheit, Toleranz und demokratischem Bewusstsein aufweisen konnte. Mittels der Untersuchung der Debatten um die GEW-Broschüre "Argumente gegen das Deutlandlied" wird zudem dargelegt werden, dass Kritik an der verm. Weltoffenheit des deutschen Patriotismus keinerlei Gehöhr finden konnte.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Patriotismus oder Nationalismus?
- Forschungs- und Definitionsschwierigkeiten
- Grundthesen zum modernen Nationalismus
- Die Vorstellung von Volk und Nation. Oder: Die Konstruktion der Gemeinschaft
- Nationale Identität: Selbstwahrnehmung über Abgrenzung
- Kontroversen um historische Bezugspunkte und den Charakter des Patriotismus
- Vom Reichspatriotismus zum nationalen Patriotismus
- Das Verständnis von Volk und Nation im deutschen Sprachgebiet
- Wissenschaftliche Nationalismustypologisierungen und ihre historische Anwendung auf den deutschen Nationalismus
- Zur Ideologie des Nationalismus anhand seiner Entwicklung in Deutschland
- Patriotismus und Nationalismus: Gegensatz- oder Geschwisterpaar?
- Die Konstruktion partikularer Interessen als Gemeinwohl
- Nationalismus als Integrationsideologie
- Nationalismus als grundsätzlicher Widerspruch zum emanzipatorischen Universalismus
- Nationalismus, Patriotismus, Identitäts- und Normalisierungsdiskurse in der BRD
- Identitäts- und Normalisierungsdiskurse in der Bonner Republik
- Die Last der Vergangenheit - Geschichtspolitische Normalisierungs- und Identitätsdebatten
- Renationalisierung als Folge der deutsch-deutschen, Vereinigung'
- Alte und neue Formen des Nationalismus in der BRD im Zeichen des ökonomischen Wandels
- Vom erwachtem Nationalstolz und der, selbstbewussten Nation'
- Normalisierungs- und Geschichtsdiskurse in der Berliner Republik
- Die,Leitkultur❜-Debatte als Identitäts- und Homogenisierungsdiskurs
- Von Einwanderungs- und Asyldebatten zur, deutschen Leitkultur❜
- Zur Begriffsgrundlage der,Leitkultur'
- Die, Leitkultur' im Kontext des Zuwanderungsgesetzes'
- Die,Leitkultur'-Debatte als neorassistische Identitäts- und Ausschlussdebatte
- Kritik an der Leitkultur' - Zustimmung zur Identitätskonstruktion
- Der Diskurs um den,neuen Patriotismus' in Deutschland
- Parteipolitische Positionen und die Bedeutungszunahme des ,neuen Patriotismus'
- Vom, Gemeinwohl' des Patriotismus in einer globalisierten Welt
- Wirtschaftspolitische Motivationsappelle an die Gemeinschaft
- Du bist Deutschland - Weltoffener Standortnationalismus?
- Traditioneller Nationalismus und Standortnationalismus im Wechselverhältnis
- Vom Selbstverständnis des „neuen Patriotismus' in Deutschland
- Die historische Abgrenzung des Patriotismus vom Nationalismus
- ,Normalisierung' durch Historisierung - Vom neuen historischen Selbstbewusstsein deutscher Patrioten
- Die,neue' Liebe zum Vaterland - Abkehr von Verfassungspatriotismus und post-nationaler Identität
- Aufgeklärter Patriotismus - Fern von jeglichem Nationalismus?
- Die Fußball-WM 2006: Ausdruck eines ,neuen weltoffenen Patriotismus'?
- „Die Welt zu Gast bei Freunden"
- Fußball und Politik in Deutschland. Vom Spannungsverhältnis nationaler und transnationaler Identitäten
- Die WM im Rückblick - Ein nationales Erweckungserlebnis
- Ausgrenzender Nationalismus während der WM
- Der,Hymnendiskurs' als Ausdruck des nationalen Selbstverständnisses
- Schlussbemerkung
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit befasst sich mit dem Phänomen des „neuen Patriotismus“ in Deutschland im Kontext der Fußballweltmeisterschaft 2006. Ziel der Arbeit ist es, die Entstehung und Entwicklung des „neuen Patriotismus“ zu analysieren und dessen Verhältnis zu Nationalismus und nationaler Identität zu untersuchen. Dabei werden die historischen Wurzeln des Patriotismus und Nationalismus in Deutschland beleuchtet, sowie die diskursiven Grundlagen des „neuen Patriotismus“ im Kontext der bundesrepublikanischen Geschichte und der „Leitkultur“-Debatte.
- Die Abgrenzung von Patriotismus und Nationalismus
- Die Konstruktion nationaler Identität in Deutschland
- Die Rolle des „neuen Patriotismus“ in der deutschen Gesellschaft
- Die Bedeutung der Fußballweltmeisterschaft 2006 für den „neuen Patriotismus“
- Die Frage nach der Nachhaltigkeit des „neuen Patriotismus“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des „neuen Patriotismus“ ein und stellt die Forschungsfrage nach den Kennzeichen dieses Phänomens. Dabei wird die Bedeutung der Fußballweltmeisterschaft 2006 als Katalysator für die Debatte um den „neuen Patriotismus“ hervorgehoben. Die Einleitung skizziert zudem die historische Entwicklung des Patriotismus und Nationalismus in Deutschland und die Problematik der Abgrenzung dieser beiden Konzepte.
Das erste Kapitel befasst sich mit den Begriffen Patriotismus und Nationalismus. Es werden die Forschungs- und Definitionsschwierigkeiten dieser Begriffe beleuchtet und verschiedene theoretische Ansätze zur Erklärung des modernen Nationalismus vorgestellt. Darüber hinaus wird die Konstruktion von Volk und Nation sowie die Rolle der nationalen Identität im Kontext der Abgrenzung von „Selbst“ und „Anders“ analysiert. Das Kapitel beleuchtet auch die Kontroversen um historische Bezugspunkte und den Charakter des Patriotismus, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des Nationalismus in Deutschland.
Das zweite Kapitel untersucht die diskursiven Grundlagen des „neuen Patriotismus“ in der Bundesrepublik Deutschland. Es werden die Identitäts- und Normalisierungsdiskurse in der Bonner Republik sowie die Renationalisierungsprozesse nach der Wiedervereinigung analysiert. Ein Schwerpunkt liegt auf der „Leitkultur“-Debatte und deren Bedeutung für die Konstruktion von nationaler Identität und Homogenisierung. Das Kapitel beleuchtet auch die Rolle der Einwanderungs- und Asyldebatten im Kontext der „Leitkultur“-Diskussion.
Das dritte Kapitel widmet sich einer qualitativen Analyse des „neuen Patriotismus“ anhand von wissenschaftlichen Beiträgen und parteipolitischen Patriotismusproklamationen. Es werden die Abgrenzung des „neuen Patriotismus“ vom Nationalismus sowie die Frage nach dessen Potential zur Förderung von Weltoffenheit, Toleranz und demokratischem Bewusstsein untersucht. Das Kapitel beleuchtet auch die Rolle der „Last der Vergangenheit“ in den gegenwärtigen Debatten um den „neuen Patriotismus“. Ein besonderer Fokus liegt auf der Analyse der Fußballweltmeisterschaft 2006 als Ausdruck des „neuen Patriotismus“ und dessen Bedeutung für die nationale Identität.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den „neuen Patriotismus“, Nationalismus, nationale Identität, Deutschland, Fußballweltmeisterschaft 2006, „Leitkultur“, Renationalisierung, Geschichtspolitik, Normalisierung, Einwanderung, Asyl, Weltoffenheit, Toleranz, demokratisches Bewusstsein, „Last der Vergangenheit“.
- Arbeit zitieren
- Sascha Schmidt (Autor:in), 2007, Neuer Patriotismus und nationale Identität in Deutschland im Jahr der Fußball-WM 2006, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/152584
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