„Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff muss den Medienkonzern verlassen.
Bei einer Sondersitzung berief der Aufsichtsrat den 49-Jährigen am Sonntag
völlig überraschend ab“ 1, informierte die Wirtschaftspresse in einer Schlagzeile
am 29.07.2002. Weiter heißt es: „Als Grund für die Trennung nannte der
Konzern "unterschiedliche Auffassungen über die künftige Strategie von
Bertelsmann und die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat"“2.
Schlagzeilen wie diese findet man häufig in der Wirtschaftspresse.
Oft sind die Hintergründe dabei jedoch vielschichtiger als es auf den ersten
Blick erscheint und nur vordergründig von wirtschaftlicher Natur. Auch in
diesem Fall von Bertelsmann-Chef Middelhoff könnten die Gründe hierfür
eher im Zwischenmenschlichen liegen und mit ökonomischen Zielkonflikten
nicht alleine zu erklären sein.
Diese Problematik wollen wir in dieser Arbeit in den Vordergrund stellen und
die vielseitigen Möglichkeiten der Verhaltensweisen zwischen Menschen in
der Organisation aufzeigen. Dazu will diese Hausarbeit die Begriffe des
Themas „Macht und Politik in der Organisation“ zunächst definieren und dann
über Machtgrundlagen, Machtdurchsetzung und Machtmissbrauch in der
Organisation informieren.
1 Meier, L.: Middelhoff verlässt Bertelsmann. Financial Times Deutschland: 29.07.2002.
2 Vgl. Anlage 1, S. 51f.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anlagenverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinitionen
2.1. Macht
2.2. Politik
2.3. Organisation
2.4. Machtsituationen in der Organisation
2.5. Politisches Verhalten in der Organisation
3. Machtgrundlagen
3.1. Einleitung
3.2. Macht und Abhängigkeit
3.3. Quellen der Macht
3.3.1. Macht durch Bestrafung
3.3.2. Macht durch Belohung
3.3.3. Macht durch Vorbild
3.3.4. Legitime Macht
3.3.5. Expertenmacht
3.4. Steigerung der Macht
3.4.1. Unersetzbarkeit
3.4.2. Koalitionen
3.5. Verteilung der Macht
3.7. Schlussbetrachtung: Machtgrundlagen
4. Machtdurchsetzung
4.1. Einleitung
4.2. Machttaktiken
4.3. Politik als Anwendung von Macht
4.4. Ist Politik in der Unternehmung real?
4.5. Mikropolitik
4.6. Auslösende Faktoren für politisches Verhalten
4.6.1. Individuelle Faktoren
4.6.2. Unternehmens Faktoren
4.7. Defensive Verhaltensweisen
4.8. Impression Management
4.9. Fallbeispiel
4.10. Schlussbetrachtung: Machtdurchsetzung
5. Machtmissbrauch
5.1. Einleitung
5.2. Mobbing am Arbeitsplatz
5.2.1. Definition von Mobbing
5.2.2. Ursachen für Mobbing
5.2.3. Katalog der 45 Mobbinghandlungen
5.2.3.1. Angriffe auf die Möglichkeit sich mitzuteilen
5.2.3.2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen
5.2.3.3. Angriffe auf das soziale Ansehen
5.2.3.4. Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation
5.2.3.5. Angriffe auf die Gesundheit
5.2.4. Weitere Voraussetzungen des Mobbing
5.2.5. Der Mobbingprozess
5.2.5.1. Vorlaufphase
5.2.5.2. Mobbingphase
5.2.5.3. Endzustand
5.2.6. Auswirkungen von Mobbing
5.2.6.1. Auswirkungen auf den Betroffenen
5.2.6.2. Auswirkungen auf den Mobber
5.2.6.3. Auswirkungen auf die Belegschaft
5.2.6.4. Auswirkungen auf die Organisation
5.2.7. Rechtliche Grundlagen bei Mobbinghandlungen
5.3. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
5.3.1. Definition Sexuelle Belästigung
5.3.2. Ausmaß von sexueller Belästigung
5.3.3. Rechtliche Grundlagen bei sexueller Belästigung
5.4. Schlussbetrachtung: Machtmissbrauch
6. Ausblick
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Literatur- und Quellenverzeichnis
Weiterführende Literatur
Hiermit versichere ich, Ralf Schmid-Gundram, an Eides Statt, dass
ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benutzung anderer
als der in den Fußnoten und im Literaturverzeichnis angegebenen
Quellen angefertigt habe.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Quellen der Macht
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 2 Vorstandsvorsitzende General Motors 1917 bis 1978
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 3 Bevorzugte Machttaktiken von Managern
Quelle: Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 422.
Abb. 4 Politik entsteht im Auge des Betrachters
Quelle: Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 427.
Abb. 5 Einflussfaktoren für politisches Verhalten
Quelle: Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 429.
Abb. 6 Katalog der 45 Mobbinghandlungen
Quelle: Leymann, H. (1993): Mobbing. S.33.
Abb. 7 Allgemeiner Verlauf des Mobbingprozesses
Quelle: Eigene Darstellung
Anlagenverzeichnis
Anlage 1 Zeitungsbericht Financial Times Deutschland vom 29.7.2002: „Middelhoff verlässt Bertelsmann“.
Quelle: http://www.ftd.de/tm/me/1027723244993. html?nv=hptn
Anlage 2 Erweiterter Katalog der Mobbinghandlungen
Quelle: Mobbingberatungsstellen Berlin, Frankfurt, Hannover
Anlage 3 Kosten, die durch Mobbing entstehen
Quelle: Deutscher Gewerkschaftsbund)
Anlage 2 Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz vom 24.06.1994 – BGB1.L S.1412)
Anlage 3 Auszüge aus dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
1. Einleitung
„Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff muss den Medienkonzern verlassen. Bei einer Sondersitzung berief der Aufsichtsrat den 49-Jährigen am Sonntag völlig überraschend ab“[1], informierte die Wirtschaftspresse in einer Schlag-zeile am 29.07.2002. Weiter heißt es: „Als Grund für die Trennung nannte der Konzern "unterschiedliche Auffassungen über die künftige Strategie von Bertelsmann und die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat"“[2].
Schlagzeilen wie diese findet man häufig in der Wirtschaftspresse.
Oft sind die Hintergründe dabei jedoch vielschichtiger als es auf den ersten Blick erscheint und nur vordergründig von wirtschaftlicher Natur. Auch in diesem Fall von Bertelsmann-Chef Middelhoff könnten die Gründe hierfür eher im Zwischenmenschlichen liegen und mit ökonomischen Zielkonflikten nicht alleine zu erklären sein.
Diese Problematik wollen wir in dieser Arbeit in den Vordergrund stellen und die vielseitigen Möglichkeiten der Verhaltensweisen zwischen Menschen in der Organisation aufzeigen. Dazu will diese Hausarbeit die Begriffe des Themas „Macht und Politik in der Organisation“ zunächst definieren und dann über Machtgrundlagen, Machtdurchsetzung und Machtmissbrauch in der Organisation informieren.
2. Begriffsdefinitionen
Um über Macht und Politik in der Organisation informieren zu können, sollen zunächst wichtige Begriffe und Bestandteile des Themas definiert und erläutert werden.
2.1. Macht
Dennis H. Wrong[3] definiert Macht als „…die Fähigkeit einer Person, erwünschte und vorhersehbare Effekte bei anderen zu erzeugen“[4] und sieht Macht somit als die Fähigkeit zu beeinflussen. Dieser Ansatz wird soziologisch konkretisiert durch die Definition von Max Weber[5]: „Macht ist die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht“[6].
Wie der Begriff „Chance“ bereits zeigt, definiert sich Macht nicht notwendigerweise durch ihre aktive Ausübung. Macht kann auch passiv in Form von Machtpotential bestehen.
2.2. Politik
Politik stellt nach Max Weber „…das Streben nach Machtanteil oder der Beeinflussung der Machtverteilung“[7] dar und beschreibt demnach ein zielgerichtetes Verhalten zur Erlangung und Ausübung von Macht. Politik und Macht sind demzufolge miteinander verbunden.
2.3. Organisation
Zum einen kann Organisation als Gegenstück zur Planung, also als ein gesamtbetrieblicher Prozess der Realisierung und des Vollzugs von Ordnung („etwas organisieren“), angesehen werden[8].
Darüber hinaus kann Organisation jedoch auch als Sammelbezeichnung für sämtliche zielgerichtete soziale Systeme verstanden werden. In diesem Sinne wäre die Unternehmung selbst eine Organisation[9]. Für das Thema dieser Arbeit soll Organisation in diesem Sinne verstanden werden.
2.4. Machtsituationen in der Organisation
Die Organisation als ein soziales System ist – wie jede Gemeinschaft – dominiert von der Verschiedenheit ihrer Organisationsmitglieder. Daher ist davon auszugehen, dass verschiedene und vielfältige Meinungen, Ansichten und Überzeugungen aufeinander treffen. In einem sozialen Prozess versuchen dann die Organisationsmitglieder ihre Ziele und Werte in diesem Gefüge durchzusetzen. Wie im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt wurde[10], kann die Fähigkeit diese durchzusetzen, als Macht bezeichnet werden und somit erscheint klar, dass in einer Organisation notwendigerweise mannigfaltige Machtsituationen auftreten müssen.
2.5. Politisches Verhalten in der Organisation
Politisches Verhalten in der Organisation lässt sich definieren als jene Aktivitäten, die nicht zu den formalen Rollenanforderungen der Organisation gehören, sondern die Verteilung von Vergünstigungen und Belastungen innerhalb der Organisation beeinflussen sollen[11].
Organisationsmitglieder verhalten sich folglich politisch, wenn sie durch ihr Verhalten nach Macht streben oder Macht ausüben.
3. Machtgrundlagen
3.1. Einleitung
In Kapitel 2 wurden die Begriffe zum Thema dieser Arbeit definiert.
In den folgenden Abschnitten wird nun ein Überblick über die Grundlagen der Macht gegeben.
Ziel dieses Kapitels ist es, die Beziehung zwischen Macht und Abhängigkeit aufzuzeigen und die Möglichkeiten des Individuums, in der Organisation Macht zu erlangen, zu steigern und zu verteilen im Einzelnen darzustellen.
3.2. Macht und Abhängigkeit
Abhängigkeit entsteht, wenn eine Person etwas besitzt (eine Leistung oder Ressource), was eine andere Person benötigt oder begehrt: besitzt z.B. A etwas, das B begehrt, so ist B von A abhängig.
Der Grad der Abhängigkeit wird dabei bestimmt durch die Möglichkeit dieser Person, Alternativen zu nutzen: besitzen A und C etwas, das B begehrt, so ist die Abhängigkeit von B gegenüber A geringer als wenn A alleiniger Anbieter wäre (Ausgangsfall). Das Ausmaß der Abhängigkeit steht somit im umgekehrten Verhältnis zur Menge alternativer Bezugsquellen[12], d.h. zur möglichen Nutzung von fremden Bezugsquellen (hier: C), die nicht zu einer Abhängigkeit von einer Person (hier: A) führen.
Die Abhängigkeit einer Person von einer anderen Person verleiht dieser eine hohe Fähigkeit die abhängige Person zu beeinflussen. Diese Fähigkeit zu beeinflussen kann – wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert[13] – als Macht bezeichnet werden. Macht entsteht demnach aus einer Abhängigkeitsbeziehung und wird in ihrem Ausmaß bestimmt durch das Angebot alternativer Bezugsquellen.
3.3. Quellen der Macht
Eine Abhängigkeitsbeziehung, als die zentrale Grundlage der Macht, kann zwischen Personen oder Gruppen aus ganz verschiedenen Quellen entstehen. Die Grundlage der Abhängigkeit, und somit das Potential der Macht einer Person oder Gruppe innerhalb einer Organisation, lässt sich nach fünf Arten klassifiziert[14]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Quellen der Macht (Quelle: Eigene Darstellung14)
3.3.1. Macht durch Bestrafung
Eine Grundlage für die Macht eines Individuums kann dessen Möglichkeit sein, physische Sanktionen (Strafen) anzuwenden oder anzudrohen. Aus Angst vor den zu erwartenden Folgen erlangt die Person, die über diese Sanktionen verfügen kann, eine Machtstellung und drängt andere Personen in eine Abhängigkeit. Die Durchsetzung des Willens wird demnach nicht durch Einsicht oder Adaption des Willens erreicht, sondern lediglich durch Fügung aus Furcht vor den negativen Folgen der Sanktionen. Entscheidend für die Wirkung dieser Machtgrundlage ist die Größe, bzw. das Ausmaß der Bestrafung sowie die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch tatsächlich verwirklicht wird.
Angewendet auf das Beispiel der Abhängigkeitsbeziehung zwischen A und B bedeutet dies, dass A den Abhängigen B in Situationen versetzen kann, die von diesem als negativ empfunden werden. So könnte A z.B. eine Entlassung von B beantragen, seine Versetzung in die Wege leiten oder ihm eine schlechte Beurteilung erteilen.
3.3.2. Macht durch Belohung
Eine ganz ähnliche Machtbasis, jedoch mit umgekehrter Intention kann entstehen, wenn sich das Individuum aus Hoffnung auf Belohnung fügt. Im Gegensatz zur Macht durch Bestrafung werden hier Vorteile in Aussicht gestellt oder zugesichert.
Im Bezug auf das Beispiel der Abhängigkeitsbeziehung zwischen A und B bedeutet dies (analog zur Macht durch Bestrafung), dass A den Abhängigen B in Situationen versetzen kann, die B als positiv empfindet. So könnte A z.B. den Stundenlohn von B erhöhen, ihm Freizeit gewähren, eine Beförderung vorschlagen oder ihm durch soziale Zuwendung sein Wohlwollen ausdrücken. A könnte auch Situationen wieder aufheben, die von B als unangenehm empfunden werden (z.B. frühere Strafen).
3.3.3. Macht durch Vorbild
Nicht durch autoritäre, sondern durch persönliche Faktoren wird Macht bestimmt, wenn sich andere Personen einem Individuum fügen, weil sie es bewundern oder ihm nachstreben wollen. Im Gegensatz zur Macht durch Bestrafung/Belohnung begibt sich das Organisationsmitglied hier nicht in eine erzwungene autoritäre, sondern in eine freiwillige emotionale Abhängigkeits-beziehung. Dies bedeutet nicht, dass bei der Machtposition durch Vorbild nicht auch Aspekte der Bestrafung und Belohnung eine Rolle spielen. Jedoch ist der entscheidende Unterschied, dass sich in diesem Fall die Sanktionen nicht auf physische, sondern auf emotional/psychologische Aspekte (z.B. Anerkennung/ “Liebesentzug“) beziehen.
Zur Verdeutlichung sei auch diese Machtgrundlage auf das vorangegangene Beispiel angewandt: Die Macht von A beruht diesmal grundlegend auf dessen Wirkung, für B als Bezugsperson zu fungieren. B begibt sich deshalb freiwillig in eine Abhängigkeitsbeziehung zu A und adaptiert dessen Willen. B tut dies aus eigener Initiative heraus, da er einerseits an dem Erfolg von A teilhaben möchte und anderseits Angst hat, die Zuneigung von A zu verlieren.
3.3.4. Legitime Macht
Diese Quelle der Macht wird auch als positionelle Macht bezeichnet, da sie sich aus der Stellung des Individuums in der formalen Organisationsstruktur ableitet. Abhängig von der formalen Position innerhalb der Struktur erhalten Personen von der Organisation ein bestimmtes, legitimes Macht- und Autoritätspotential über rangmäßig untergeordnete Personen (Befehls-/ Rangstruktur). Die formale Position wird dabei oft durch äußerliche Symbole (z.B. Rangabzeichen auf der Kleidung) verdeutlicht, damit die Autoritäts- und Machtposition innerhalb der Organisationsstruktur sofort und eindeutig für jedes Organisationsmitglied erkennbar ist.
Häufig erhält eine Person zeitgleich mit legitimer Macht auch Macht durch Bestrafung oder Belohung, damit sie ihre formale Autoritätsstellung behaupten kann. Primär begründet sich die Stellung des Individuums jedoch in der Hierarchie der Organisation.
Bei Legitimer Macht entsteht demnach zwischen A und B eine Abhängigkeitsbeziehung, da A auf Grund seiner formalen Stellung (Position/Rang) erwarten darf, dass B seinen Anweisungen nachkommt, bzw. B empfindet es von sich aus als Pflicht, den Anforderungen und Erwartungen an seine Position zu entsprechen.
3.3.5. Expertenmacht
Ähnlich wie die Macht durch Vorbild basiert auch diese Machtgrundlage auf den eigenen Ressourcen, in diesem Fall auf dem Fachwissen eines Organisationsmitgliedes. Entscheidend dabei ist die Unersetzbarkeit des Experten für andere Organisationsmitglieder durch seine einzigartige Sachkenntnis. Je höher dieser Wissens-, Informations- oder Fähigkeits-vorsprung des Experten ist, umso größer ist auch die Abhängigkeit von ihm und somit seine Macht.
Verfügt A also über ein Wissen/eine Fähigkeit, das/die für B wichtig und (zumindest im Moment) unersetzlich ist, so ist B von A abhängig. Dabei ist gleichgültig, ob B zu Recht oder zu Unrecht annimmt, dass A über diese einzigartige Sachkenntnis verfügt.
Besonders deutlich wird die hohe Bedeutung der Expertenmacht vielleicht an dem Beispiel der Wartungsingenieure auf französischen Tabakplantagen[15]: Damals war der Ausfall der Produktionsmaschinen ein großer Unsicherheitsfaktor und eine bedeutende Gefahr für die französischen Tabakfirmen. Die einzigen Personen, die einen Ausfall dieser Spezialmaschinen innerhalb kürzester Zeit beheben und somit die Gefahr minimieren konnten, waren die festangestellten Wartungsingenieure. Ihrer wichtigen Stellung bewusst, entwickelten diese die Angewohnheit neue Ingenieure nur verbal einzuweisen und ließen zudem mit der Zeit alle schriftlichen Gebrauchs- und Reparaturanweisungen verschwinden. Dies führte dazu, dass die Tabakfirmen schließlich sowohl bei der Reparatur als auch bei der Einarbeitung neuer Ingenieure auf die alten Wartungsingenieure angewiesen waren, da keine Dokumentation existierte. Aufgrund ihres wertvollen Spezialwissens waren sie zu unersetzbaren Experten geworden und verfügten über unverhältnismäßig viel Macht.
Ein aktuelles Beispiel sind Informatiker, Software-Ingenieure und Systementwickler, die ebenfalls ihre Tätigkeiten oft nicht dokumentieren.
3.4. Steigerung der Macht
Die Erkenntnis, dass das Ausmaß der persönlichen Macht bestimmt ist durch den Grad der Abhängigkeit anderer Personen und dieser wiederum negativ abhängig von dem Angebot an Alternativen ist[16], führt zu der Frage, wie eine Person seine Macht in der Organisation steigern kann.
3.4.1. Unersetzbar keit
Zum einen kann das Organisationsmitglied versuchen, die Abhängigkeit der Organisation oder der anderen Mitglieder von ihm zu erhöhen. Entscheidend hierfür ist die Bedeutung, Knappheit und Unersetzbarkeit der eigenen, ganz individuellen, Ressourcen[17]. Die Wahrnehmung dieser Faktoren bestimmt die Möglichkeit der Organisation oder ihrer Mitglieder, fremde Bezugsquellen zu nutzen und somit stellt sie die Grundlage zur Steigerung der Macht und Abhängigkeit dar. Gelingt es demnach einer Person, eine von der Organisation als bedeutend oder sogar wesentlich wahrgenommene Leistung (z.B. Fähigkeit, ein entscheidendes Problem zu lösen) anzubieten, die von keinem anderen in dieser Form angeboten werden kann, so wird diese Leistung als unersetzbar wahrgenommen und die Abhängigkeit von dieser Person sowie deren Macht gesteigert.
3.4.2. Koalitionen
Eine weitere Möglichkeit zur Steigerung der Macht stellt die Bildung von Koalitionen dar. Insbesondere in großen Organisationen hat eine einzelne Person anfangs oft nur einen geringen Einfluss auf und eine geringe Bedeutung in Organisationsprozessen. Durch die Bildung von zielgerichteten Gruppen oder Koalitionen kann der Einfluss und die Bedeutung der gesamten Gruppe/Koalition gegenüber der Organisation gesteigert werden. Dies beruht darauf, dass ein einzelnes Individuum, das über keinerlei der oben dargestellten Machtgrundlagen verfügt (oder nur unwesentlich), innerhalb einer großen Organisation jederzeit ersetzbar ist. Eine Gruppe ist demgegenüber – in Abhängigkeit von der Gruppengröße und der Größe der Organisation – in zunehmendem Maße schwieriger zu ersetzen. Aus diesen Gründen sind Koalitionen meistens um stetige Vergrößerung bemüht und bilden sich insbesondere dann, wenn Organisationsmitglieder mit einer Routinetätigkeit leicht als Einzelperson gegeneinander ausgetauscht werden können[18].
Darüber hinaus kann eine Koalition ihre Bedeutung und ihren Einfluss steigern, wenn sich dieser nicht ausschließlich in der Gruppengröße begründet, sondern die Vereinigung von verschiedenen Ressourcen/Fähigkeiten auch zu einer Machtgrundlage (Expertenmacht) führt. Die Koalition kann so eventuell eine Abhängigkeitsbeziehung schaffen, die gegenüber den individuellen Ressourcen der Gruppenmitglieder nie – oder zumindest nicht in diesem Umfang – entstanden wäre.
Letztendlich erscheint die Bildung einer Koalition auch sinnvoll, wenn die Beziehung zwischen Organisationsmitgliedern durch eine starke gegenseitige Abhängigkeit geprägt ist. Benötigt z.B. ein Mitglied zur Erfüllung seiner Aufgaben in der Organisation oft die Fähigkeiten eines anderen Mitgliedes und auch umgekehrt, so können beide ihre individuelle Abhängigkeitssituation auflösen, indem sie sich als ein „Team“ verstehen. Entscheidend für die Teammitglieder sind dann nicht mehr die Abhängigkeitsbeziehungen untereinander, sondern lediglich die Abhängigkeit der Organisation von ihrem Team und somit ihre Machtposition.
3.5. Verteilung der Macht
In jeder Organisation bilden sich Funktionsbereiche aus, die durch verschiedene Tätigkeitsbereiche entstehen. Jeder Bereich baut dabei in Abhängigkeit von seinem Einfluss auf das Unternehmensziel und die Entscheidungen der Betriebs- und Geschäftsleitung ein eigenes Machtkontingent auf, das die Machtposition in der Organisationsstruktur bestimmt. In der Organisation können also verschiedene und ganz unterschiedlich ausgeprägte Machtpositionen (Machtzentren) entstehen. Abhängig von der Anzahl verschiedener Machtpositionen in der Organisation kann von einer unipolaren (Machtmonopol) oder multipolaren (Machtaufteilung) Machtkonzentration gesprochen werden[19].
Insbesondere traditionelle, hierarchisch gegliederte Organisationen sind dabei durch eine starke Konzentration und Zentralisation von Macht gekennzeichnet, über die typischerweise der Geschäftsführer verfügt. Bei größeren Organisationen und Konzernen ist jedoch auch häufig zu beobachten, dass das Machtzentrum bei einem – oft über die Jahre gleich bleibenden –Funktionsbereich liegt.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Berufung des Vorstandsvorsitzenden von General Motors, der bis Ende der 70er Jahre immer (bis auf eine Ausnahme) aus dem Finanzwesen hervorging[20]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Vorstandsvorsitzende General Motors 1917 bis 1978
(Quelle: Eigene Darstellung[21])
Zur Einschätzung der eigenen Machtposition und zur Erkennung von Abhängigkeitsbeziehungen kann es sehr wichtig sein, spezielle Macht-verteilungen in der Organisation herauszufinden und zu beachten. Jedoch sind diese nicht immer so offensichtlich wie im Falle von General Motors. Oft hilft es, auf die Verteilung von Statussymbolen zu achten. Dies kann z.B. eine unterschiedliche Zuteilung von Firmenwagen auf die Firmenbereiche, der dauerhafte Vorsitz eines Abteilungsleiters in Besprechungen oder die räumliche Aufteilung (Entfernung zur Geschäftsleitung) sein. Häufig äußert sich der Status einer Person oder Abteilung jedoch noch viel subtiler, wie z.B. durch dauerhaftes Zuspätkommen bei Konferenzen, besonders legere Kleidung oder eine vorteilhafte Parkplatzzuweisung.
Die Symbole der Macht sind also ebenso vielfältig wie deren Quellen: Macht kann aus verschiedenen Grundlagen bezogen werden und kann in ganz unterschiedlicher Weise nach außen demonstriert werden.
3.7. Schlussbetrachtung: Machtgrundlagen
Dieses Kapitel hat eine Klassifizierung der Quellen der Macht in fünf Kategorien dargestellt. Als Quellen wurden dabei die Macht durch Bestrafung, die Macht durch Belohnung, die Macht durch Vorbild, die Legitime Macht sowie die Expertenmacht ausführlich erörtert und die jeweiligen Unterschiede in der Abhängigkeitsbeziehung analysiert. Die Erkenntnis, dass sich Macht und Abhängigkeit gegenseitig bedingen, führte zu den Überlegungen, wie sich Macht steigern lässt. Hierzu wurde der Aspekt der Unersetzbarkeit als Grundlage einer starken Abhängigkeitsbeziehung und die Bildung von Koalitionen zur Ausweitung der Abhängigkeitsbasis dargestellt.
Nicht zuletzt die Ausführungen über die Verteilung der Macht haben jedoch erneut verdeutlicht, wie vielfältig Machtgrundlagen und Machtsymptome in der Organisation auftreten können.
Für die Organisation erscheint es somit sehr wichtig, das Auftreten von Macht genau bestimmen zu können, um so deren Durchsetzung zu beeinflussen oder sogar zu steuern. Die Organisation sollte daher versuchen, existierende Machtgrundlagen zu nutzen und die Durchsetzung zu gestalten.
Die Gestaltung der Machtdurchsetzung kann dabei der Organisation eine Möglichkeit bieten, aktiv in die Macht und die Politik in der Organisation einzugreifen.
Das folgende Kapitel soll deshalb den Aspekt der Machtdurchsetzung genauer betrachten. Hierzu werden zunächst die Möglichkeiten der Durchsetzung betrachtet und analysiert, um dann entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten erörtern zu können.
4. Machtdurchsetzung
4.1. Einleitung
In Kapitel 3 wurden die Grundlagen der Macht dargestellt und erörtert.
In den folgenden Abschnitten wird nun ein Überblick über die Durchsetzung der Macht gegeben.
Ziel dieses Kapitels ist es, die Möglichkeiten der Machtdurchsetzung aufzu-zeigen, den Zusammenhang von Macht und Politik zu verdeutlichen und die Bedeutung von Politik für die Organisation im Einzelnen darzustellen.
4.2. Machttaktiken
Im Bereich der Machttaktiken geht es darum, die verschiedenen Verhaltensweisen von Führungskräften und Mitarbeitern in eine Gruppierung zu bekommen. Bei einer Befragung hat Stephen P. Robbins 370 Machttaktiken aufgezeigt bekommen[22]. Die konnte er mit einer Befragung von Mitarbeitern dann in Sieben übergeordnete Taktiken einteilen.
- Vernunft: Mit Hilfe von Fakten und Daten werden bestimmte Vor-stellungen logisch und rational dargestellt.
- Freundlichkeit: Im Vorfeld eines Anliegens wird geschmeichelt und Schönwetter gemacht, man zeigt sich respektvoll und zuvorkommend.
- Koalitionen: Man holt die Unterstützung anderer Mitglieder der Organisation ein, die das Anliegen unterstützen.
- Feilschen: Man verhandelt über den Austausch von Vergünstigungen oder Gefälligkeiten.
- Durchsetzungsfähigkeit: Auf direkte und nachdrückliche Weise wird Gehorsam eingefordert. Man erinnert wiederholt an erteilte Zusagen, hält Mitarbeiter zur Ausführung der Anordnung an und weist auf einzuhaltende Regeln hin.
- Höhere Autorität: Man gewinnt die Unterstützung übergeordneter Organisationsebenen.
- Sanktionen: In der Unternehmung verfügbare Belohnungen und Be-strafungen werden eingesetzt. Man hindert oder verspricht eine Gehaltserhöhung, droht eine unbefriedigende Leistungsbeurteilung an oder stellt eine Beförderung zurück.
Dabei bleibt festzustellen, dass die sieben Taktiken nicht im gleichen Maße eingesetzt werden. Wie in der Abbildung 3 aufgezeigt, stellt der Einsatz der Vernunft die beliebteste Strategie dar, und zwar unabhängig davon, ob der Einfluss nach oben oder nach unten gerichtet war.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Bevorzugte Machttaktiken von Managern
(Quelle: Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 422)
Es bleib aber festzuhalten, dass es vier weitere Einflussfaktoren gibt, welche die Wahl der Machttaktiken beeinflussen:
- Die relative Macht des Vorgesetzten[23]
- Die Zielsetzung, aufgrund derer der Vorgesetzte Einfluss nehmen will
[...]
[1] Meier, L.: Middelhoff verlässt Bertelsmann. Financial Times Deutschland: 29.07.2002.
[2] Vgl. Anlage 1, S. 51f.
[3] Dennis H. Wrong: Professor (emeritiert 1995) der Soziologie, New York University.
[4] Wrong, D. H. (1995): Power. S.2.
[5] Max Weber: Soziologe und Sozialpolitiker, gestorben 1920 in München.
[6] Weber, M. (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. S. 28f.
[7] Weber, M. (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. S. 31.
[8] Vgl. Gutenberg, E. (1983): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. S. 235.
[9] Vgl. Bühner, R. (1999): Betriebswirtschaftliche Organisationslehre. S. 4
[10] Vgl. Kapitel 2.1, S. 2.
[11] Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 425.
[12] Vgl. Robbins, S. (2001): Organisation der Unternehmung. S. 417f.
[13] Vgl. Kapitel 2.1, S. 2.
[14] Vgl. Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 415ff.
[15] Vgl. Pfeffer, J. (1981): Power in Organizations. S. 110f.
[16] Vgl. Kapitel 3.2, S. 4.
[17] Vgl. Robbins, S. (2001): Organisation der Unternehmung. S. 418f.
[18] Vgl. Robbins, S. (2001): Organisation der Unternehmung. S. 423f.
[19] Vgl. Picot, A. et al. (1999): Die neue Organisation ganz nach Maß geschneidert. Harvard Business Manager (5). S. 2.
[20] Vgl. Pfeffer, J. (1981): Power in Organizations. S. 97f.
[21] Vgl. englische Darstellung in Pfeffer, J. (1981): Power in Organizations. Table 4-1.
[22] Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 421.
[23] Robbins, S. (2001): Organisation in der Unternehmung. S. 422.
- Arbeit zitieren
- Ralf Schmid-Gundram (Autor:in), 2003, Macht und Politik in der Organisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15291
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