Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Fotografie, die lügende Quelle?
2.1 Fotografische Manipulation am Beispiel von Stalins Retuschen
2.2 Fotopropaganda im Nationalsozialismus
3. Einsatz historischer Fotografien im Geschichtsunterricht
3.1 Analyse von Fotografien
3.2 Handlungsorientierter Unterricht
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Fotos sind aus unserer heutigen Lebenswirklichkeit nicht mehr wegzudenken. Jedes Ereignis, sei es eine Familienfeier, Einschulung oder Urlaub wird mit der Digitalkame- ra und ihrer stetig wachsenden Anzahl an Pixeln peinlich genau dokumentiert. Die An- ti-Rote-Augen Taste, der Sepia oder Schwarz-Weiß Effekt können gleich vor Ort Un- ebenheiten ausgleichen oder der Fotografie einen ganz anderen Charakter verleihen. Damit sind aber längst nicht alle Möglichkeiten der privaten Bildbearbeitung ausge- reizt. Am heimischen Computer wird weiter in die Trickkiste gegriffen bis das er- wünschte Resultat erreicht wird.
Früher hingegen galt die Fotografie nicht als modellierbares Massenprodukt, sondern fand sich in besser betuchten Gesellschaften wieder, die sich für das Festhalten der Er- innerung noch Zeit nahmen. Ganz anders war demnach auch die Betrachtung dieser Unikate. Hier oblag allein dem Fotografen die Auswahl des Winkels, der Lichtverhält- nisse, des Bildausschnitts usw. Schnell haben aber auch Machthaber erkannt, dass sich inszenierte oder gar manipulierte Fotografien für ihre Zwecke einsetzbar waren.
Die Fotografie bildet uns Geschehenes ab, auch geschichtliche Ereignisse werden fest- gehalten. Das was unser Auge visuell dargestellt bekommt, hat einen hohen Authenti- zitätsbonus, da Bilder viel einprägsamer sind, als beispielsweise Texte. Dementspre- chend vertraut man der Fotografie sehr schnell, die jedoch ohne jegliche Recherche eine Vielzahl an möglichen Sichtweisen für das Abgebildete eröffnen kann. Dies kann bei Familienfotos in lustiges Raten ausarten, aber im Geschichtsunterricht sollte man darauf eingehen.
Es gibt verschiedene Verfahren Fotos im Geschichtsunterricht einzusetzen, von denen ich einige in dieser Arbeit vorstellen möchte. Es soll um die Chancen gehen, die die Fotografie dem Unterricht eröffnet, aber auch ebenso um die Risiken, die dieses The- ma birgt. Dafür habe ich mich exemplarisch für zwei Diktaturen des 20. Jahrhunderts entschieden, die sich besonders durch ihren ganz eigenen Umgang mit der Fotografie auszeichneten: der Nationalsozialismus und der Stalinismus. Beide Diktaturen mach- ten sich die Fotografie für ihre Machtsicherung zu nutze, jedoch auf sehr unterschied- liche Weise. Unter Stalin wurden bereits existierende Fotos für unterschiedliche Zwe- cke manipuliert, während die Fotografien, die im Nationalsozialismus entstanden sind, eigens zu Imagezwecken inszeniert wurden.
Die dann folgenden Unterrichtsvorschläge sollen den motivierenden Charakter der Fo tografien für den Geschichtsunterricht unterstreichen und sind dementsprechend handlungsorientiert gehalten.
2. Fotografie, die lügende Quelle?
Die Fotografie hat wie viele Medien eine Entwicklung hinter sich, die sich durch steti- ge Innovationen auszeichnet. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts scheiterte man noch an dem Versuch Fotografien zu vervielfältigen, während heutzutage in Privathaushalten Fotos in großer Zahl zu finden sind. Fotografien der ersten Stunde wurden noch mit viel Geduld und vor allem nur in Gesellschaftsschichten, für die diese besondere Dienstleistung erschwinglich war, hergestellt. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wird die private Fotografie bezahlbar und verbreitet sich nun auch in den bürgerlichen Schichten. Trotzdem erforderte die Handhabung der damaligen Fotoapparate bis zur Entstehung der Automatikkameras noch ein talentiertes Händchen, um ein gutes Er- gebnis zu gewährleisten. Im heutigen Zeitalter sind sogar von Nichtkönnern aufge- nommene Fotos so veränderbar, dass man ihnen das laienhafte nicht mehr ansieht. Diese Entwicklung hat aber nicht nur das Foto als Produkt verändert, sondern auch die Betrachtungsweise. Während das Foto damals als Kostbarkeit galt und dementspre- chend mit großer Aufmerksamkeit bedacht wurde, wird heutigen Fotografien nur noch ein flüchtiger Blick geschenkt, ein Überfliegen des Massenprodukts.1
Doch auch im öffentlichen Leben ist das Foto bereits vor langer Zeit angekommen und ist aus Zeitschriften, Büchern, Zeitungen und Internetseiten nicht mehr wegzudenken. Zur Unterstützung des Textes kann das Foto aber auch alleine stehen und somit den Text schon ersetzen. Es gibt Fotografien von geschichtlich einschneidenden Ereignis- sen, die uns allein schon bei der reinen Erzählung ein Begriff sind. Diese Fotos nennt man „Ikonen“ 2, die ein historisches Ereignis durch ein eingängiges Motiv verdichten, wie z.B. das Foto des Grenzsoldaten, der sich kurz vor dem Mauerbau mit einem Sprung in den Westen rettet, der buddhistische Mönch, der sich auf offener Straße selbst verbrennt, das nackte vietnamesische Mädchen, das nach einem Napalmangriff wegläuft, der Vietkong, der von einem südvietnamesischen Polizeichef vor der Kame- ra erschossen wird oder der Junge aus dem Warschauer Ghetto.
Diese Fotos werden immer wieder zitiert, auf sie wird zurückgegriffen und ihnen wird ein großer Platz in den Geschichtsbüchern eingeräumt. Sie haben einen sehr hohen Stellenwert und auch, wenn sie nicht authentisch sind, einige Bilder sind gestellt, im Nachhinein geschossen wurden oder ein anderer Bildausschnitt gewählt wurde, be- herrschen sie unsere Vorstellung des geschichtlichen Ereignisses - schließlich domi- niert der visuelle Sinn des Menschen deutlich seine Gesamtwahrnehmung. Fotografien haben eine enorme Wirkung was gerade für den Unterricht gleichsam als Chance und Gefahr gilt. Denn die Kombination der veränderten Betrachtungsweise, nämlich von der genauen hin zur flüchtigen, und die starke visuelle Aussagekraft der Fotografie las- sen die SchülerInnen nicht mehr den Wahrheitsgehalt des Bildes in Frage stellen. Auf diese Gefahr muss das Augenmerk im Geschichtsunterricht gelegt werden, um genau diesen kritischen Blick auf Fotografien zu schulen und für die Zukunft zu trainieren.
In dieser Arbeit sollen die Diktaturen des 20. Jahrhunderts das Unterrichtsthema be- stimmen. Deshalb orientieren sich die Vorschläge für den Geschichtsunterricht an zwei Schreckensherrschaften, deren Einflüsse stark in der Fotografie sichtbar werden.
2.1 Fotografische Manipulation am Beispiel von Stalins Retuschen
Fotos können in großem Maße verändert werden, heute professioneller als damals. Doch trotz der noch nicht so ausgefeilten Technik machten manche Regime sich diese Art der Bildbearbeitung zu Nutze. Vor allem der russische Diktator Stalin hat davon häufig Gebrauch gemacht, um sich von politischen Gegnern auch visuell zu entledi- gen. Während seiner Herrschaft von 1929 bis 1953, aber auch darüber hinaus, wurden die entstandenen Fotografien offiziell verfälscht. Je mehr Terror, desto mehr fotografi- schen Lobgesang gab es für Stalin. Zuerst waren es nur kleine Verschönerungen und Ausbesserungen, sowie beispielsweise das Angleichen Stalins unebener Gesichtshaut. Später wurden dann die Bilder so stark retuschiert, sodass sie nicht mehr viel mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Es gab sehr viele kommunistische Funktionäre und ge- wöhnliche Bürger, die in Stalins Ungnade gefallen sind. Sie alle wurden aus sämtli- chen Fotografien entfernt. Auch auf privaten Fotografien sollte die persona non grata nicht mehr zu finden sein, sodass diese, getrieben durch folgenschwere Sanktionen, auch von seinen Angehörigen aus den Fotoalben verbannt wurden.3 Auch eine Vielzahl an Büchern fielen Stalins Säuberungen zum Opfer. Jeder Bürger wurde dazu angehal- ten seine Bücher auf den „neuesten“ Stand zu bringen, um nicht selbst in die Schussli- nie zu geraten. Dies hatte zur Folge, dass einzelne Kapitel herausgerissen wurden oder Fotografien reihenweise mit schwarzer Farbe ausradiert wurden. Dies geschah flä chendeckend und auch die Schulbücher waren davon nicht ausgeschlossen. 4
Die Bearbeitung der Fotografien war, wie bereits erwähnt, aus unserer heutigen Sicht stümperhafte Arbeit, doch haben sie ihren Zweck erfüllt. Doch vielleicht sollten diese doch sehr oft plump retuschierten Fotografien als Warnung gelten und deshalb die Fälschung sichtbar bleiben. Die politischen Gegner wurden mit einem feinen Schnitt aus dem Foto entfernt und durch einen liebsameren Genossen oder durch andere Objekte ersetzt. Die Schnittkanten wurden mit etwas Tusche übermalt.5 So schrieb Stalin seine eigene Geschichte in der seine Gegner fast nie existierten.
2.2 Fotopropaganda im Nationalsozialismus
Eine disziplinierte und geordnete Welt erwartet den Betrachter bei den Fotografien aus der Zeit des Nationalsozialismus. Anders als in Stalins Terrorherrschaft wird hier das Foto schon während des Entstehens inszeniert und nicht erst nachbearbeitet. Für diese Inszenierungen war Heinrich Hoffmann zuständig, der als Hitlers Leibfotograf alle Freiheiten hatte und dafür sorgte, dass Hitler vor sorgfältig ausgewählten Szenerien in das gewünschte Licht gesetzt wurde. Jede offizielle Fotografie von Hitler ist gestellt, nichts wird dem Zufall überlassen und jedem Foto liegt eine Überlegung zu Grunde. Hitler und seine Ideen konnten so in Szene gesetzt werden, wie es gerade am wirk- samsten war. Hitler wird dargestellt „als militärischer Führer, Parteiführer, Staatsmann, Privatmann“ 6 und die Aufmärsche und Feste, als geordnete, gut organisierte Massen- veranstaltungen. Diese inszenierten Fotografien spiegelten wider, wie die Machthaber ihre Zeit sehen wollten. Es kann keinen stärkeren Kontrast zu den Fotografien geben, die von den alliierten Befreiern nach dem Ende des Krieges von den schrecklichen Zu- ständen in den Konzentrationslagern und ihrer Opfer aufgenommen wurden.
3. Einsatz historischer Fotografien im Geschichtsunterricht
Möchte man diese Art der Quelle in der Schule angemessen nutzen, setzt das eine in- tensive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Foto voraus. Die SchülerInnen kön- nen selber zu Forschern werden und versuchen möglichst viel über ein Foto, seine Entstehung und seinen Kontext zu erfahren. Sie sollen durch ihr eigenes Tätigwerden erleben, wozu Fotografien im Stande sind und wo sie welche Anwendung finden. Es darf nicht nur bei der flüchtigen Ansicht bleiben, sondern den SchülerInnen muss klar werden, dass sie Fotografien im allgemeinen wieder aufmerksamer und kritischer be- trachten müssen. Es gibt vielzählige Mittel, um die Fotografie zu verfälschen und diese sollten die SchülerInnen im Unterricht kennenlernen. Es kann etwas zu einem Foto hinzugefügt werden, etwas weggelassen, verschiedene Perspektiven und Ausschnitte gewählt werden oder es können von vornherein nachgestellte oder inszenierte Situati- onen abgebildet werden. Erst wenn man diese Veränderungen eines Fotos wahrnimmt, kann man sich weiter mit dem Grund dieser Veränderung beschäftigen. Deshalb muss eine Medienerziehung mit einhergehen, um Fotos als Quelle richtig befragen zu kön- nen: Worüber kann das Foto informieren? Wobei kann es hilfreich sein, wo eher zu Verwirrung führen? Welches Vorwissen braucht man?7 Dies greift mit einer Fotoanaly- se ineinander und bildet die Vorarbeit und damit die Basis, um den Quellenwert eines Fotos ermitteln zu können.
3.1 Analyse von Fotografien
In einer ersten immanenten Analyse steht der Inhalt und dessen Gestaltung im Vorder- grund. Dafür zieht man erste Schlüsse aus den abgebildeten Personen, Gebäuden, die Situationen usw. Dies setzt aber bereits schon ein gewisses Vorwissen voraus, um z.B. verschiedene Menschengruppen oder die Zeit am bestimmten Kleidungsstil ausfindig zu machen. Dieses Vorwissen kann aus bereits vorhergehenden Unterrichtsstunden stammen oder aber beispielsweise in Form einer Materialsammlung von der Lehrkraft vorgegeben werden. Diese kann alte Abzeichen, Münzen, Texte, vergleichbare Foto- grafien und vieles mehr enthalten, das zur Klärung der damaligen Umstände beiträgt. Je umfangreicher diese Materialsammlung gestaltet ist, desto mehr überlässt man den SchülerInnen wiederum das Erforschen der Umstände der ihnen vorliegenden Foto- grafie. Auch hier sollte man die motivierende Neugier der SchülerInnen keinesfalls bremsen und ihnen das benötigte Vorwissen im Monolog vorsetzen, sondern im Ge- genteil ihnen Raum geben, um sich dieses Wissen selbst anzueignen.
Um die Mittel zu untersuchen, mit denen eine deutliche Wirkungsabsicht umgesetzt worden ist, müssen die Perspektive, die Einstellung und der gewählte Ausschnitt näher betrachtet werden. Doch um das vorliegende Foto dann in einen Kontext zu bringen reichen diese offensichtlichen Kriterien nicht aus.
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1 vgl. Sauer, Michael (2002): „Fotos im Geschichtsunterricht“. In: Geschichte lernen 91, S. 8.
2 Sauer, S. 8.
3 vgl. King, David: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion. Hamburg 1997, S. 7.
4 King, S. 9.
5 King, S. 13.
6 Sauer, Michael (2002): „Hitler im Bild. Nationalsozialistische Fotopropaganda“. In: Geschichte lernen 91, S. 29.
7 vgl. Sauer, Michael (2002): „Fotos im Geschichtsunterricht“. In: Geschichte lernen 91, S. 9.