Der Internationale Strafgerichtshof und seine Befriedungsfunktion

Die Wirkung der Tätigkeit des ICC auf die internationale Gemeinschaft


Thèse de Master, 2010

68 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Frieden durch Recht?

3. Ein historischer Überblick zur Entstehung des ICC
3.1. Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit
3.2. Materielle Zuständigkeit

4. Das Profil des ICC

5. Wirkung des ICC auf die internationale Gemeinschaft

6. Zusammenfassung

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

Abstract

Der Internationale Strafgerichtshof ICC arbeitet seit 2002 an der Verfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen. Die Fälle in Darfur, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo werden aktuell verhandelt. Das ICC kann jedoch durch seine Verhandlungen und Präsenz in den Konfliktregionen keinen Frieden etablieren, sondern nur eine abschreckende Wirkung erzielen. Diese könnte dazu führen, dass in der Region von derartigen Verbrechen abgesehen wird, jedoch greift die Theorie vom Frieden durch Recht hier nur bedingt. Das ICC steht als transnationale Justiz weltweit für die Einhaltung des Rom-Statuts und schärft zunehmend sein Profil nach außen. Obwohl die USA das Rom-Statut ablehnen, arbeitet das ICC effektiv und zielgerichtet und erfüllt die Anforderungen seines Profils. Einschränkungen in der Handlungsfreiheit, komplexe Verhältnisse in den Konfliktregionen und langjährige Untersuchungen erschweren die Arbeit des Anklägers. Das ICC klagt dennoch weiterhin die Hauptaggressoren an und stellt sie vor die internationale Strafgerichtsbarkeit. Die Bedeutung für die betroffene Gesellschaft und die internationale Wirkung ist positiv, da die Durchsetzung des Rechts eine moralische Verantwortung geschaffen hat. Das ICC kann zwar keinen Frieden durch das Recht schaffen, jedoch legt es den Grundstein zur Rechtsstaatlichkeit und ermöglicht einen Ansatz für die Vergangenheitsbewältigung und Befriedung.

1. Einleitung

Am 17. Juli 1998 stimmten 120 Staaten für die Einführung des Rom-Statuts und damit zur Etablierung des ICC.1 Vier Jahre später, am 1. Juli 2002, begann in Den Haag die Arbeit des ICC mit der Ratifizierung des Status von 60 Staaten. Seit diesem Tag arbeitet das ICC auf der Grundlage des Rom-Statuts an der Bestrafung von schwersten Menschenrechtsverbrechen und markiert damit einen Meilenstein in der internationalen Durchsetzung der Menschenrechtserklärung von 1948. Die Idee der Anwendung des internationalen Rechts entwickelte sich beträchtlich im letzten halben Jahrhundert. Während des Nürnberg-Tribunals 1946 wurden erstmals Strafen für Kriegsverbrechern des ehemaligen Naziregimes verhängt. Durch die zwei Weltkriege wurde die Gesamtheit der menschlichen Gräueltaten erkennbar. Kriegsverbrechen, Genozide, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggression sind bezeichnend für diese langen Jahren der Zerstörung. Durch diese Jahrzehnte der Massenmorde wurde ein Bewusstsein gestärkt, welches nach Gerechtigkeit auf transnationaler Ebene verlangt. Um Verbrechen dieses Ausmaßes zu verfolgen, aufzuklären und zu bestrafen, bedarf es einer Institution, welche unparteiisch über die nationalen Grenzen hinweg Recht sprechen kann. Diese einzigartige Funktion wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingenommen. International als ICC, International Criminal Court2 bezeichnet, verfolgt und richtet dieser die Hauptverantwortlichen von schwersten Menschenrechtsverbrechen. Dieser Wandel zur individuellen Verantwortlichkeit im internationalen Recht wurde hauptsächlich durch die Entwicklung von Normen durch die Menschenrechte ermöglicht. Der Weg jedoch zur Etablierung dieser juristischen Instanz umfasste Jahrzehnte und ist noch lange nicht abgeschlossen. Ein relevanter Gegner des ICC sind die USA. Die Ablehnung dieser Großmacht zeigt eine der Herausforderungen in der Arbeit des ICC.

Das ICC vertritt die Einhaltung des internationalen Völkerstrafrechts, welches im Rom-Statut im Konglomerat mit weiteren Konventionen verankert ist. Die Bedeutung des Strafgerichtshofes als Instrument der internationalen Gemeinschaft zur Sicherung und Wiederherstellung des Friedens hängt von der Möglichkeit ab, völkerrechtlichen Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Dabei ist das Recht das Mittel, mit dem das Ziel der Befriedung über die transnationale Justiz ermöglicht werden soll. Transnationale Justiz bezieht sich auf alle Maßnahmen, Instrumente und Bemühungen, welche unternommen werden, um frühere Verbrechen gesellschaftlich aufzuarbeiten und Aussöhnungsprozesse zwischen ehemaligen Konfliktparteien in die Wege zu leiten.3 Da das ICC als Instrument zur Bestrafung gegen schlimmste Menschenrechtsverbrechen tätig ist, wird ihm eine Befriedungsfunktion als Recht sprechendes Organ zugeschrieben. In dieser Arbeit soll ausschließlich diese Funktion betrachtet werden. Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen NGO's und Truth Commissions wird nur ergänzend genannt und hauptsächlich der befriedende Einfluss des ICC auf Nachkriegsgesellschaften betrachtet.

Um die Wirkung und die Arbeit des ICC zu verdeutlichen, werden die drei aktiven Fälle aus Uganda, der Demokratischen Republik Kongo und dem Sudan geschildert. Dabei schließe ich den chronologischen Gewaltverlauf der behandelten Fälle aus der Untersuchung aus und konzentriere mich nur auf die Handlungen des Anklägers. Die Vorgehensweisen des ICC werden in Relation zu einander gestellt, um die Schwierigkeiten und die Wirkung der Institution zu verdeutlichen. Die internationale Gemeinschaft definiere ich als Gesamtheit aller Staaten, die zur gegenseitigen Solidarität verpflichtet sind. Um den befriedenden Effekt der Durchsetzung des Völkerstrafrechts auf die internationale Gemeinschaft zu überprüfen, verwende ich folgende Fragestellung: Welche Wirkung hat die Tätigkeit des ICC auf die internationalen Gemeinschaft?

Um diesen Gegenstand zu untersuchen, ist es vorab notwendig, konzeptionelle und theoretische Grundlagen bezüglich Recht und Frieden zu verdeutlichen. Hierfür stelle ich Frieden mit Recht in Bezug, beziehe mich auf das Völkerrecht und das Römische Statut und untersuche die Abhängigkeit und Wirkung von Recht auf den möglichen Frieden von Nachkriegsgesellschaften. Dabei verwende ich die Theorie des „Ewigen Frieden" von Immanuel Kant und ergänze diese mit der aktuellen Literatur von Lothar Brock mit Bezug auf die Befriedung durch das ICC. In diesem Kapitel soll herausgestellt werden, welchen Effekt Rechtssprechung bei Verbrechen erzeugen und wie Frieden durch Recht entstehen soll. Dies zielt auf die Erklärung der theoretischen Wirkung der Konsolidierung des Recht ab. Hieraus wird der Zusammenhang zwischen Frieden und Recht verdeutlicht und dessen Einfluss auf die internationale Gemeinschaft herausgearbeitet.

Darauf folgt eine Einführung in das Rom-Statut und die Arbeitsweise des ICC. Hierbei werden die für diesen Gegenstand relevanten Fakten der Verfahrensweise des ICC erklärt. Dazu beziehe ich mich primär auf die Literatur von William Schabas, da dieser aktuelle und ausführliche Informationen zur Erklärung des ICC verwendet. Um die Entwicklung zum Internationalen Strafgerichtshof darzustellen, wird die Entstehung von der frühsten Idee an bis zur Unterzeichnung des Rom-Statuts chronologisch aufgezeigt. Schließlich gehe ich auf den Aufbau des Römischen Statuts ein und erkläre gekürzt die Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit, sowie die materielle Zuständigkeit des ICC und ermögliche damit ein Grundverständnis auf den eingeschränkten Tätigkeitsbereich des Internationalen Strafgerichtshofes.

Im folgenden Kapitel beleuchte ich das Profil des ICC. Hierbei zeige ich die Position der USA und eventuelle Fortschritte bezüglich der Beziehung zum ICC auf. Das angestrebte Profil vom ICC wird mit dem nach außen Wirkenden verglichen und daraus auf Hinweise für eine weitere Entwicklung dieses Profils geschlossen. Die Chancen und Hindernisse des ICC werden beleuchtet.

Nach der Veranschaulichung des Profils, betrachte ich die Auswirkungen einer Anklage durch das ICC auf die in der betroffenen Gesellschaft herrschende Gewalt. Hierzu werden die Fälle in Uganda, der Demokratischen Republik Kongo (DRC) und im Sudan erläutert und die Unterschiede aufgezeigt. Ein weiterer Punkt stellt auch die Anklage an sich dar. Hierbei sollen die Wirkung und Tätigkeit des ICC bei einer Anklage auf die betroffene und die internationale Gesellschaft aufgezeigt werden. In diesem Kapitel wird die Wirkung der Durchsetzung des Völkerstrafrechts auf die internationale Gemeinschaft verdeutlicht und mit der Theorie des Friedens durch Recht erläutert.

Abschließend fasse ich die Ergebnisse zusammen und zeige einen möglichen Ausblick der weiteren Entwicklung des ICC auf.

2. Frieden durch Recht?

Um die Wirkung des Rechts auf die internationale Gemeinschaft zu erläutern, wird vorerst der Begriff Recht und deren Funktion in Bezug auf Verbrechen dargelegt. Dann folgt die Erläuterung der Theorie vom Frieden durch Recht und dessen Wirkung auf die internationale Gemeinschaft. Hierbei stütze ich mich primär auf den Friedensbegriff von Kant und die weiterführende Literatur von Brock. Schließlich werden diese Begriffe mit ihrer Funktion bei der Rechtssetzung durch überstaatliche Institutionen einbezogen und ihre Wirkung auf der internationalen Ebene erklärt.

Eine politikwissenschaftliche Definition bezeichnet im Allgemeinen das Recht als ein „Sammelsystem für alle Ordnungssysteme, deren Ziel es ist, das Zusammenleben in einer Gesellschaft verbindlich und auf Dauer zu regeln bzw. soziale Konflikte zu vermeiden."4 Auf nationaler Ebene garantiert das objektive Recht geltende Rechtsnormen. Diese können mit legitimer Zwangsgewalt herbeigeführt werden und garantieren dadurch eine Rechtssicherheit. Dieses in der Regel staatliche Recht umfasst mehr und mehr jeden Lebensbereich des Individuums. Auf dieser Ebene wird ein Bruch des Rechts durch Zwangsgewalt geahndet und somit das Individuum zur Einhaltung der Rechtsnormen verleitet. Das durch das Individuum befolgte Recht erzeugt Sicherheit vor Verbrechen geschützt zu sein, da das Individuum davon ausgeht, dass alle anderen Individuen sich ebenfalls dem Recht unterordnen, um nicht sanktioniert zu werden. Der Profit der Selbstbindung an das Recht ist somit das friedliche Zusammenleben und die Garantie sich auf das Recht berufen zu können. Das Recht wird definiert, um das Leben der Individuen zu regeln. Geschieht ein Verbrechen, was einen Rechtsbruch beinhaltet, tritt die Rechtssprechung in Kraft und bestraft durch Zwangsgewalt den Verbrecher. Der Verbrecher verpflichtet sich der Einhaltung des Rechts mit der Mitgliedschaft in der Gesellschaft. Die Rechtssprechung bezieht sich also ausschließlich auf den Bruch des Rechts und verhindert für den Zeitraum der für das Verbrechen angemessenen Bestrafung die Wiederholung des Verbrechens durch dieses Individuum. Da in einer durch das Recht dominierenden Gesellschaft die Mehrheit der Bevölkerung das Recht nicht bricht, erscheint ein Rechtsstaat eine friedliche Koexistenz der Individuen zu ermöglichen. Damit der Rechtsstaat, repräsentiert durch die ausführenden Beamten, ebenfalls das Recht pflegt, muss er sich wie die Bürger selbst an das Recht binden. „Wer sich der Sprache des Rechts bedient, unterwirft sich der Logik des Rechts, weil andernfalls der Bezug auf das Recht politisch wirkungslos bliebe. Jeder Bezug auf das Recht ist insofern ein Akt der Selbstbindung an das Recht.“5

Krieg und Frieden sind zwei voneinander klar zu unterscheidende Gegenstände, die ausschließlich im Gegensatz zu finden sind. Veränderungen der politischen, gesellschaftlichen oder staatlichen Verhältnisse ziehen ebenfalls Modifikationen der Definitionen von Krieg und Frieden nach sich. Da Krieg, der nach Clausewitz als „Fortsetzung des diplomatischen Verkehrs unter Einmischung anderer Mittel, geführt um der Durchsetzung staatlicher Territorial- oder Machtansprüche willen, gestützt durch eine Produzenten und Produktivkräfte mobilisierende, allumfassende Kriegswirtschaft“6 bezeichnet wird, kann daraus der Begriff Frieden abgeleitet werden. Der Frieden als Zustand, in dem kein Krieg herrscht, kann als „Transformation kriegsträchtiger Entwicklungen und Konstellationen, als Aufhebung des Krieges als soziale Institution“7 betrachtet werden. Johann Galtung stellt den Frieden als positiven und negativen Frieden dar, wobei der positive Frieden einen unerreichbaren Zustand beschreibt. Galtung unterscheidet Gewalt in personale, direkte und strukturelle, indirekte Gewalt und baut darauf die zwei Friedensbegriffe auf. Im negativen Frieden herrscht die Abwesenheit organisierter militärischer Gewaltanwendung. Im positiven Frieden fehlt sogar jegliche strukturelle Gewalt. Diese Kategorien prägen seit über 30 Jahren den Friedensdiskurs und definieren somit den negativen Frieden als „Grundvoraussetzung des Welt- und Gattungs-Überlebens"8 im allgemeinen Konsens der Sozialwissenschaft. Ein negativer Frieden ist nach Galtung das Optimum in jeder Gesellschaft. Der negative Frieden ermöglicht jedoch keinen Ausblick auf einen Zustand, der weiter entwickelt ist als der Nicht-Krieg. Er reflektiert vielmehr die Unfähigkeit, die Existenzbedingungen einer friedlichen Welt als Maßstab künftigen, von der Vernunft geprägtes Handeln zu ermöglichen. Für eine Gesellschaft, die in ihrer jüngsten Vergangenheit mit Völkerrechtsverbrechen konfrontiert wurde, stellt der negative Frieden eine enorme Herausforderung dar. Da der positive Frieden nicht zu erreichen ist und der negative Frieden dem Zustand eines gesellschaftlichen Kalten Krieges gleicht, kann der Frieden nicht mehr als idealer Zustand, sondern als historischen Prozess betrachtet werden. In diesem bewegt sich die Gesellschaft kontinuierlich vom Krieg weg, eliminiert diesen und erschafft eine friedliche Gesellschaft. Die Entwicklung, welche einer Nachkriegsgesellschaft ermöglichen kann, zum positiven Frieden zu gelangen, ist nach Nitsche folgendermaßen erklärt. Er verwendet Galtungs Formen des Friedens und ergänzt sie, so dass sich nach dem Krieg der negative, instabile Frieden einstellt.9 Dies basiert wiederum auf Thomas Hobbes Friedenskategorie des Friedensbegriffs: „Denn Krieg besteht nicht nur in Schlachten oder Kampfhandlungen, sondern in dem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist. [...] Jede andere Zeit ist Frieden.“10So erklärt Nitsche den negativen, instabilen Frieden als die Zeit, in der keine Gewalt im engeren Sinne angewandt wird. Jedoch dient die strukturelle Gewalt noch zur Abschreckung gegen weitere Gewalt. Dem folgt der negative, strukturelle Frieden, in dem der Wille zur Kooperation der Konfliktparteien vorhanden und manifestiert ist. Die Anwendung von Gewalt wird hierbei nicht mehr in Betracht gezogen. In diesen beiden Arten des Friedens finden sich die Elemente der friedlichen Koexistenz wieder. Von dieser kooperativen Existenz des Friedens leitet Nitsche schließlich die Möglichkeit zur Entwicklung eines positiven Friedens ab. Angelehnt an die aktuelle Friedens­und Konfliktforschung setzt sich die Differenz dieser beider Begriffe nur aus dem Ist-Zustand und dem Soll-Zustand zusammen und verliert damit die Trennschärfe zur Abgrenzung.11 „Eine Definition des Friedensbegriffs, die die Verhältnisse der Gesellschaftswelt umfasst, und die aus der Analyse dieser Verhältnisse Maximen zum Umgang mit den neuen Formen des Krieges ableiten können, steht leider noch aus.“12

Eine erfolgreiche Befriedung definiere ich nach Nitsche so, dass in der betroffenen Gesellschaft durch Intervention in einen Konflikt ein negativer, instabiler Frieden entsteht. Da das ICC eine Rechtsinstitution ist, soll diese eine erfolgreiche Befriedung durch das Recht ermöglichen. Der demokratische Frieden zeigt sich in Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden" als philosophischer Friedensbegriff. Kant definiert den Staat als „eine Gesellschaft von Menschen, über die niemand anders, als er selbst zu gebieten und zu disponieren hat."13 Nur ein Staat mit einer repräsentativen Regierungsform kann eine anerkannte Staatsform sein.14 Denn nach Kant gibt es die rechtliche Freiheit des Menschen, alles zu tun, was er will, solange es nicht Unrecht ist. Diese Tautologie beschreibt die Befugnisse der Menschen für ein friedliches Zusammenleben. Darauf folgt die „(rechtliche) Gleichheit in einem Staate [...], nach welchem keiner den anderen wozu rechtlich verbinden kann, ohne dass er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu können."15 Doch die Natur des Menschen ist dem entgegengesetzt und begünstigt Diskriminierung. Die Natur des Menschen beginnt mit der Absonderung zu anderen Menschen und der Verhinderung der Vermischung mit der Verschiedenheit. Diese Abgrenzung von Gruppen geschieht nach Kant nach Religion und Sprache, was zu Ablehnung führt und als Vorwand zum Krieg genutzt wird. So dient eine Annäherung, eine Vermischung und das Verständnis anderer Kulturen gegenüber einem Einverständnis der Menschen friedlich miteinander zu leben.16 Kants Friede ist ein Gebot der Vernunft, sich dem Recht zu unterwerfen. Diese Vernunft wird von der Politik ausgeführt. So entsteht eine Politik des Friedens durch Recht. Die Regierung, welche das Volk repräsentiert, entscheidet sich somit zum Wohl des friedlichen Zusammenlebens für Gesetze, welchen sich die Bürger und die Regierung freiwillig unterwerfen. Dabei spielt das Recht gegenüber dem Nutzen eine vorrangige Rolle. Denn das Recht des Menschen darf nach Kant nicht halbiert werden, wobei es keine Aufopferung gibt, die diese Regel außer Kraft setzten kann. Nur wenn die Gleichheit im Recht verankert und durchgesetzt wird, kann die Regierung als gerechte Staatsform wahrgenommen werden.17

Die Bindung von Staaten an das Völkerrecht soll zu einem international rechtlich anerkannten Normzustand führen. „Denn ohne diesen gibt es kein öffentliches Recht, sondern alles Recht, was man sich außer demselben denken mag (im Naturzustand) ist bloß Privatrecht."18 Ist nun der Staat nach Kant ein Repräsentant in demokratischer Form und regiert seine Politik der Vernunft für den Frieden, dann gilt der demokratische Frieden, wonach Demokratien gegeneinander keinen Krieg führen. „Aber immer noch beruht das Völkerrecht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten."19 Doch die offenkundige Bereitschaft demokratischer Regierungen eine gewaltbereite Außenpolitik zu betreiben, lässt an Kants Theorie zweifeln. Die Außenpolitik gegenüber Nicht-Demokratien ist nicht mit dem Verhalten von Demokratien gleichen Staatsformen gegenüber zu vergleichen. Das zeigt das „normale Verhalten von Demokratien, dass alle Staaten unter den Bedingungen internationaler Anarchie ihre nationalen Interessen rational und notfalls auch mit militärischen Mitteln verfolgen würden."20

Die Befriedung durch das ICC ist wie die Definition des Frieden als eine Entwicklung durch die Etablierung von Normen und Rechten zu betrachten. Denn die Schaffung von Frieden durch Rechtssprechung liegt in der Natur des Menschen. Die Einhaltung von gesellschaftlichen, religiösen oder rechtlichen Regeln stellt einen Grundpfeiler der menschlichen Koexistenz dar. Die Eigenschaft des Rechts umfasst die allgemeinen Normen des menschlichen Verhaltens in der Gesellschaft. Es ermöglicht das Zusammenleben von Menschen. Hierdurch entsteht sozialer Frieden, da Verbote, Verstoße und Normen definiert und verinnerlicht werden. Da in einer Kriegsgesellschaft das Recht außer Kraft gesetzt wurde, unter Umständen sogar das Recht als Garant für ein friedliches Zusammenleben missbraucht wird, muss diese Instanz wieder hergestellt werden. Recht soll das Zusammenleben der Menschen so regeln, dass dieses gewaltfrei ist. In einer Nachkriegsgesellschaft spielt zudem die Vergangenheitsbewältigung eine Hauptrolle. Durch die Ermittlung des ICC bei Völkerrechtsverbrechen wird das Versagen des nationalen Rechts aufgezeigt. Diese Verbrechensbewältigung soll Gerechtigkeit vermitteln, in der Rechtsverletzungen bestraft und beteiligte Parteien in ein Gleichgewicht gebracht werden sollen. Blickt man auf die Beendigung eines Krieges, so muss zur Befriedung der Gesellschaft auch auf die Art der Beendigung des Konflikts geachtet werden. Vereinfacht lassen sich vier sogenannte „Stoppmechanismen"21 zur Beendigung kriegerischer Handlungen nennen, nämlich durch Auszehrung von Ressourcen (Auszehrungsfrieden), Beendigung durch Verhandlungen (Verhandlungsfrieden), der Sieg einer Partei (Siegfrieden) oder durch die militärische Intervention von außen (Erzwingungsfrieden). In der Realität lassen sich jedoch eher Mischformen dieser Kategorien erkennen. Wichtig an dieser Unterscheidung der Beendigung des Krieges ist die Wirkung auf die Gesellschaft. Um das Ende eines Konflikts zu definieren, wird hier angenommen, dass manifestierte Gewalt ausgeschlossen wird. Hierbei muss dennoch in Betracht gezogen werden, dass in den meisten Verhandlungsfrieden Gewalt weiterhin vorherrscht. In diesem Fall steht der Friede auf dem Papier fest, jedoch innergesellschaftlich findet die Beendigung des Konflikts in einem Prozess statt, der Jahre dauern kann. Herfried Münkler betrachtet diese Dynamik folgendermaßen: „ [...] wenn die überwiegende Mehrheit der Menschen sich so verhält, als sei Frieden, und dabei zugleich die Durchsetzungskraft besitzt, die verbleibende Minderheit auf Dauer zu nötigen, sich ebenso zu verhalten [...]‘‘.22

Das Konzept der Friedenskonsolidierung ist noch sehr jung. Dass eine Gesellschaft sich selbst überlassen wurde, weder von den Siegern, noch systematische Hilfe von Außen bekam, um ihre Nachkriegserfahrungen aufzuarbeiten, führte zu einer fragilen Gesellschaftsstruktur. Diese war dadurch bestimmt, dass Sieger das Land ihren Bedürfnissen nach aufbauten und Täter Amnestie erhielten, um die befriedete Gesellschaft nicht mit dem Konflikt auseinander zusetzen. Doch sicherheitspolitische Interessen führten schließlich zu einer Verzahnung von gezielter Unterstützung von außen, um kontrollierte Aufarbeitung des Konflikts zu betreiben. Dies sollte eine Befriedung der Nachkriegsgesellschaft, wenn möglich eine Demokratisierung nach westlichen Vorbild begünstigen. „We simply do not know whether thruth processes are an effective means of bringing about political transformation."23 Um die Transformation zum Rechtsstaat zu lenken, wurden Standardprogramme der Friedenskonsolidierung entwickelt und auf verschiedenen Ebenen angewendet. Die wichtigsten Dimensionen der Friedenskonsolidierung umfassen die sicherheitspolitischen, politischen, ökonomischen, sowie die sozialen und psycho-sozialen Elemente.24 Ein legitimes Gewaltmonopol muss wieder hergestellt werden, Kombattanten in die Gesellschaft integriert und strukturelle Stabilität durch politische Institutionen und Normen manifestiert werden. Die Gesellschaft muss neu aufgebaut und die Kriegsökonomie in eine wohlfahrtsorientierte Friedensökonomie umgewandelt werden. Ein besonders sensibles politisches Problem stellt der Umgang mit Kriegsverbrechern, sei es in der Form von Tribunalen, Wahrheitskommissionen oder der internationalen Strafgerichtsbarkeit dar. Hierbei müssen Fragen von Recht, Gerechtigkeit, Schuld, Sühne, Vertrauen und Aussöhnung gestellt werden. Damit die Aussöhnung geschehen kann, wird eine Integration von Flüchtlingen, Kriegsopfern und restlicher Bevölkerung von Nöten sein. Daraus stellt sich die Nachkriegsgesellschaft im Nachhinein zusammen.

Die Vereinten Nationen als regelndes Organ mit dem Internationalen Gerichtshof und dem Sicherheitsrat verpflichten mit ihrer Charta die Mitgliedsstaaten zur Einhaltung der Politik des Friedens durch das Völkerrecht. In der Zeit nach dem Kalten Krieg ist es zu einer Verlagerung des Kriegsgeschehens von der internationalen zur innerstaatlichen Ebene gekommen. Der Sicherheitsrat füllte dadurch die Lücke des Rechts, indem er die systematische Missachtung der Minderheitenrechte im Irak, die völlige Abkehr von den Menschenrechten in Bosnien und den Zusammenfall des Staates in Somalia als Gefahr für den Frieden thematisierte und dadurch kollektive Maßnahmen nach Artikel VII der Charta der VN ermöglichte.25 So spekulierte der Westen darauf, den Rest der Welt auf die Idee des demokratischen Friedens einzustimmen und sie mittels dieses Argumentes nach ihrem demokratischen Selbstbild zu modellieren und zu befrieden. Dass Demokratien aufgrund des Verstandes und der Verfassung selten Kriege gegeneinander führen, ist empirisch bewiesen, jedoch gilt dies nicht für den Ausspruch, dass Demokratien zusammenhalten oder den selben Weg einschlagen. Die differierenden Außenpolitiken sind Konfliktpunkte, welche vermehrt zwischen den unterschiedlichen Demokratiearten auf der zwischenstaatlichen Ebene vorkommen. Drängt eine demokratische Regierung zu weltweit größtem Einfluss, kann nicht mal garantiert werden, dass Gewalt zwischen Demokratien ausgeschlossen ist.26 Die Realisierung vom Frieden durch Recht kann, mit Blick auf die Durchsetzung des Völkerrechts durch westliche Großmächte, die weniger friedliche Außenpolitik der demokratischen Staaten bedingen, um so eine hegemoniale Weltordnung durch demokratische Strukturen zu errichten. Der Verstand verbietet Gewaltanwendung, die Politik führt dies durch und erzeugt durch die Selbstverschreibung durch das Recht Frieden in der Gesellschaft. Betrachtet man das internationale System als ein anarchisches Autonomiestreben, dann lässt sich daraus nicht die Selbstverpflichtung der Staaten durch das Völkerrecht erkennen. Also muss die Sichtweise auf das System differenziert werden. Das internationale System besteht aus verschiedenen Gesellschaften, politischen Akteuren und aktiven Gruppen, welche miteinander verflochten sind, so schließt sich daraus, dass diese von einander abhängig agierenden Akteure Regeln errichten, welche Handlungsnormen definieren. Die Selbstbindung geschieht aus dem Sicherheitsgedanken heraus. Einerseits existieren kulturübergreifende Rechte und Verbote, andererseits gibt es jedoch auch nationale oder gesellschaftliche Normen, welche sich stark zwischen den Staaten differenzieren. Die Logik der Akteure muss nicht die selbe sein, jedoch verspricht eine Selbstbindung an bestimmte Regeln eine aktive und meist produktive Verflechtung innerhalb des Systems.

Brock sieht keinen Widerspruch in der Selbstbindung dieser politischen Akteure in einem anarchischem System, sondern betont, dass die Einheit von Autonomiestreben und Selbstbindung in jeglicher Sozialbeziehung im internationalen System vorhanden sei. Nach seiner These ist jeder Akteur stets auf beide Handlungslogiken angewiesen. Denn im internationalem System gibt es kein Gewaltmonopol jedoch große Machtunterschiede, welche den Raum zwischen Normen und Regeln variieren lässt. Doch kann sich keine Großmacht ohne Selbstbindung an die erzeugten Regeln über lange Zeit aufrecht erhalten. Trotz Machtstreben besteht die Notwendigkeit Regeln zu achten und sich denen zu unterwerfen, um sich nicht selbst zu gefährden.27

Nach Kant ist der Frieden ein Gebot der Vernunft, sofern die Vernunft die Gelegenheit erhält, sich Bahn zu brechen. Eine gute Verfassung kann folglich das gute Verhalten des Bürgers fördern und dieses stärken. So soll die moralische Erziehung des Bürgers durch die vernünftige Regierungsform gestärkt und erhalten bleiben. „Mit anderen Worten, wir wissen, dass es keinesfalls die Moral ist, die die Welt regiert. Aber das beweist nicht, dass es keine Moral gibt oder dass, wenn es sie gibt, sie nicht wirksam ist."28 Die Frage nach der Stabilität einer gerechten Gesellschaft gehört zu den klassischen Themen der politischen Philosophie und verweist auf das staatliche Strafsystem. Durch die Androhung von Strafe werden äußere Anreize geschaffen, sich normenkonform zu verhalten und eventuelle „innere", egoistische Motive werden durch „äußere", altruistische Motive ersetzt.29 Eine Gesellschaft sollte also geordnet sein und die Eigenschaft aufweisen, ihren Mitgliedern genügend starken Gerechtigkeitssinn zu vermitteln.

Krieg beinhaltet nach Brock willkürliche Gewaltanwendung. Somit stellt sich der Frieden als Aufhebung der willkürlichen Gewaltanwendung in einer Rechtsform dar. Willkür bedeutet, dass die Konfliktparteien nach eigenem Ermessen über die Anwendung von Gewalt entscheiden. So bleibt auch der „gerechte Krieg" ein willkürlicher Krieg, da das Wesentliche, nämlich die Souveränität der Entscheidung über angemessene Gewaltanwendung, beibehalten wird. Nach Brock ist zudem die Entscheidung über kollektive Zwangsmaßnahmen durch den Artikel VII der Charta der VN ebenfalls ein auf Willkür beruhender Krieg. Denn es handelt sich in diesem Fall nicht mehr um einen gerechten oder ungerechten Krieg, sondern um legale und illegale Gewaltanwendung.30 In Kapitel VII sieht die Charta der VN vor, dass niemand alleine und eigenständig mit militärischer Gewalt eine Bedrohung bekämpfen soll, sondern dieser Vorgang einer Verrechtlichung bedarf, um den gefährdeten Frieden nicht um ein Weiteres zu riskieren. Diese Verrechtlichung wird erst dann zur Ordnung, wenn sich Staaten selbst bestimmten Regeln unterwerfen. Somit wird das staatliche Gewaltmonopol einer internationalen, rechtsstaatlichen Kontrolle unterstellt. Diese Verfassung ist die Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und das Völkerstrafrecht. Die ungleichen Machtverhältnisse der Vertragsparteien sollten prinzipiell die Gleichheit nicht gefährden, jedoch ist das Recht des Herrschenden auch das herrschende Recht, so dass der Frieden durch Recht vor Missbrauch und Manipulation immer wieder geschützt werden muss. So definieren Artikel der Charta und des Rom-Statuts die Vergehen, welche als Vertragsbruch gelten. Dabei dient das herrschende Recht der Aufarbeitung der Unrechtserfahrung und kann in Unterlassungs- oder Wiedergutmachungsansprüche übersetzt werden. Dass auf der internationalen Ebene kein Gewaltmonopol existiert, gibt der Selbstverpflichtung der Akteure gegenüber dem Recht eine besondere Bedeutung. Wenn die Staaten sich an das Recht binden, dann aus dem Grund, weil dies Erwartungen auf Sicherheit schafft, welche mit den eigenem Interesse übereinkommen. Das trifft sowohl auf die starken sowie auf die schwachen Staaten zu. Für die Starken gilt eine Reduzierung der Kosten bei der Durchsetzung ihrer Interessen auf der internationalen Ebene. Schwache Staaten nutzen das Recht, um die Ansprüche der Starken einzudämmen, sich damit ein wirksames Mittel für den eigenen Rechtsanspruch zu sichern und diesem auf der internationalen Ebene Nachdruck zu verleihen.

Nach diesem Prinzip arbeitet das Rom-Statut. Die Bindung der Menschen eines Staates an das Völkerstrafrecht bemächtigt das ICC Individuen für Völkerrechtsverbrechen anzuklagen. Die strikte Bindung von Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte als Mittel der kollektiven Friedenssicherung führt dabei zu einem relativ konstruktiven Umgang mit der Problematik der Intervention. Die Souveränität des Staates und die Bindung des Staates an die Vernunft nach Kant, reicht in der internationalen Perspektive nicht aus, so dass eine transnationale Verfassung Normen und Rechte formulieren muss, um Krieg entgegenzuwirken und Frieden zu etablieren. Die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes stellt hierbei einen Meilenstein in der unaufhaltsamen Entwicklung zum Schutz der Menschenrechte dar. Der Schutz der Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechts stehen dabei über der Souveränität der Staaten. Eine Berufung „auf die nationale Souveränität“ [würde] „einer Abschirmung von Menschenrechtsverletzungen dienen."31 Diese Verweigerung der Zusammenarbeit kann Sanktionen zur Folge haben, so dass die Einhaltung des Rechts kostengünstiger für den Akteur erscheint.

Beziehen wir diese Entwicklung auf die Bildung des Völkerstrafrechts, so lässt sich folgern, dass der Internationale Strafgerichtshof Gerechtigkeit durch Recht schafft, um daraus resultierend Frieden zu ermöglichen. Stellt der Sicherheitsrat einen Fall dem ICC vor, dann kann das nur unter dem Artikel VII der Charta der VN geschehen. Dieser umschreibt, dass eine Situation vorliegen muss, welche den Weltfrieden und den Frieden einer Region erheblich bedroht. Darauf bezogen handelt es sich also um eine Maßnahme zur Stabilisierung des Friedens, der durch das Statut wieder hergestellt werden soll. Das Wort Frieden steht hier im Mittelpunkt des Artikel VII der Charta der VN. Nur wenn der Frieden gefährdet zu sein scheint, muss international gehandelt werden. Blickt man nun auf das Römische Statut, findet sich das Wort Frieden nicht. Die Rechtssprechung eines staatlich unabhängigen Strafgerichtshofes soll der betroffenen Gesellschaft das verlorene Rechtsverständnis wiederbringen. Die Gerechtigkeit dient als relatives Mittel der Befriedung. Es ist der Maßstab zur Beurteilung von Personen, Institutionen, Staat und Gesellschaft. Sie dient unter Berücksichtigung aller Interessen zum Schaffen eines Ausgleichs. Da das ICC als internationale Institution Gerechtigkeit vertritt, handelt es nach dem Prinzip der Gleichheit. Diese stellt sich aus der Verfahrensgerechtigkeit zusammen, welche eine Gleichbehandlung aller erfordert, setzt Unparteilichkeit voraus und schließt Willkür aus.32

Da Gesellschaften aus Individuen bestehen, von denen im Normalfall eine Minorität das Recht bricht, ist davon auszugehen, dass auf der Makroebene die gleichen Verhältnisse existieren. Das Völkerrecht, die Menschenrechte und das Völkerstrafrecht stellen die Pfeiler der friedlichen Koexistenz auf der Mikro- und Makroebene dar und garantieren bei Befolgung Frieden in der Gesellschaft. Leider nutzen Individuen das nationale Recht, um es zu manipulieren und dadurch Gewalt zu erzeugen. „Von daher ist Skepsis gegenüber der Idee des Friedens durch Recht angebracht. Diese Skepsis muss aber nicht zu der Einsicht gesteigert werden, dass Fortschritt nur darin besteht, seine Unmöglichkeit anzuerkennen.“33

3. Ein historischer Überblick zur Entstehung des ICC

Im Folgenden wird die Entstehung des ICC begründet und deren wichtigsten Voraussetzungen erklärt. Die immer größer werdende Bedeutung supranationaler Gemeinschaften wie der UN, der NATO und der EU macht es notwendig, dass auch die Rechtsgüter34 dieser Gemeinschaften einen strafrechtlichen Schutz erhalten. In dieser Entwicklung ist jedoch zu bedenken, dass die Souveränität der Staaten durch derartige Zusammenschlüsse und Verträge wie das Rom-Statut zum Teil eingeschränkt wird. Im Folgenden wird die Entwicklung eines internationalen Strafrechts chronologisch verfolgt und schließlich Kapitel des Rom-Statuts in Unterpunkten behandelt. Das Rom-Statut bezieht sich dabei ausschließlich auf Völkerrechtsverbrechen und deren Ahndung. Becker gibt dazu eine kurze Definition: „Ein völkerrechtliches Delikt liegt vor, wenn das Völkerrecht durch ein Völkerrechtssubjekt verletzt wurde.“35 Weitere Einschränkungen auf die Zuständigkeit des ICC folgen in diesem Kapitel.

Historisch gesehen ist das Rom-Statut eine Revolution gegen die Immunität der Täter. Amnestie diente der Befriedung und Machtwechsel wurden im engsten Kreise des Souverän vorgenommen. Ein frühes Beispiel auf dem Weg zur internationalen Strafgerichtsbarkeit stellt das Hagenbach-Tribunal36 dar. Peter von Hagenbachs Auftrag war es 1474, die besiegte Bevölkerung gefügig zu machen und ging gewaltsam gegen diese vor. Heutzutage würde man diese Verbrechen als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen. Aufgrund dieser unverhältnismäßig harten Regierung revoltierte die Bevölkerung gemeinsam mit Hagenbachs Soldaten. Hagenbach wurde verhaftet und die alliierten Gegner schlossen sich zu einem internationalem Tribunal zusammen. Das Gericht bestand aus insgesamt 28 Richtern, von denen jeder aus einer alliierten Stadt stammte und zusätzlich einem Kollegium aus 16 Rittern, welche eine beratende Funktion inne hatten.37 Hagenbach wurde des Verstoßes gegen die Gesetze Gottes und der Menschen für schuldig befunden, aus dem Ritterstand degradiert und zum Tode verurteilt. Hagenbach ist damit einer der ersten bekannten Fälle, der von einem internationalem Strafgerichtshof des Verbrechens gegen die Menschlichkeit für schuldig gesprochen wurde. Mit dem Blick auf die kriegerischen Jahre des 17. Jahrhunderts, in denen Monarchien und Königshäuser gegeneinander um Land, Prestige und Zugang zum Meer kämpften, diente ein Friedensvertrag oder Waffenstillstandsabkommen den Mächtigen ausschließlich zur Versicherung, dass kriegerische Handlungen beidseitig eingestellt werden. Dabei wurde den Staatsoberhäuptern bei schlimmsten Kriegsverbrechen das Exil angeboten oder Amnestie zugesprochen, um die Normalität in der Gesellschaft wieder herzustellen. Rechtssprechung und Verfolgung wurden nicht vorgenommen, denn die absolutistische Souveränität des Fürsten beinhaltete das Recht auf Kriegsführung. Die Geschichte der Ausdifferenzierung internationaler Regelsysteme und Normen reicht bis 1648 in den Westfälischen Frieden zurück, bei dem bestehende Rechtssysteme aufgegriffen wurden, neu formuliert und sich bindend in einer neuen Denkweise entfalteten. Die wechselseitige Anerkennung der Staaten durch die Regeln der Kriegsführung waren dabei entscheidende Punkte. Erst im 18. Jahrhundert kam der Gedanke auf die Bevölkerung vor der Gewalt des Krieges zu schützen und Konflikte, welche den Frieden gefährden, als Verbrechen anzusehen. Kants Schrift „Zum ewigen Frieden" thematisiert die Unrechtmäßigkeit von kriegerischer Gewalt gegen Nichtkombattanten und Kriege, welche friedliche Gesellschaften gefährden. „ [...] So ist der ewige Friede, der auf die bisher fälschlich sogenannte Friedensschlüsse (eigentliche Waffenstillstände) folgt, keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele [...] beständig näher kommt."38 Erste Ideen, dass ständige, weltweite Organisationen jenseits der Kooperation der Großmächte nötig wären, wurden im 18. Jahrhundert formuliert. 1864 schließlich wurde das Rote Kreuz gegründet und somit ein Grundstein für die Verhaltensregeln in der Kriegsführung in den Haager Friedensverträgen gelegt.39 Zar Alexander II. von Russland berief eine Konferenz im Jahre 1868 ein, in der explosive Projektile mit einem Gewicht unter 400 Gramm verboten werden sollten. Dies war die erste moderne internationale Konferenz, welche die Benutzung bestimmter Waffen im Krieg verbot. In der darauf entstandenen St. Petersburg-Deklaration wurde schließlich festgehalten, dass „the only legitimate objective which states should endeavor to accomplish during war is to weaken the military forces of the enemy and that the unnessecessary use of weapons which uselessly aggravate suffering were contrary to laws of humanity".40 Hiermit wurde eine erste Definition von Kriegsverbrechen verabschiedet, die sich noch im heutigen Rom-Statut wiederfindet. Mit der Haager Landkriegsordnung (HLKO)41wurde ein erster Erfolg im Prozess der Juridifizierung internationaler Gewohnheiten getroffen, an welche sich die Mächte von 1907 bis 1910 zur rechtlichen Einengung der kriegerischen Möglichkeiten halten sollten. Mit der technologischen Entwicklung im 19. Jahrhundert wuchs international die Notwendigkeit nach Institutionen und weiteren Regeln zur Regelung der Gewalt. Durch den Völkerrechtsbruch der Deutschen42 wurden neue rechtliche Definitionen von Nöten. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges mussten sich die Großmächte mit einer vergleichsweise nie dar gewesenen Form der Massenvernichtung auseinandersetzen und gründeten mit 27 Nationen 1919 den Völkerbund. Kaiser Willhelm II. wurde nach dem Ersten Weltkrieg erstmals als Souverän für Kriegsverbrechen von einem internationalen Tribunal verurteilt. Jedoch floh er in die Niederlande und erhielt dort Asyl. Nach einigen Anfragen der Ausweisung an die Niederlande und deren Ablehnung wurden jedoch die Ermittlungen eingestellt. Mit der Gründung des Völkerbundes einigte man sich auf eine allgemeine Abrüstung und Beistand bei Angriffen auf Territorien der Mitgliedsstaaten. Bei Streitfällen sollten die Staaten ihre Belange dem Internationalem Gerichtshof vorlegen. Da es jedoch zu massiven Konflikten vieler Mitgliedsstaaten in den 20ern und 30ern Jahren kam43, von denen der der Zweite Weltkrieg am gravierendsten ausfiel, führte der neue Internationale Gerichtshof nicht zu der erhofften nötigen Funktion der Streitbeilegung. Das Ende des zweiten Weltkrieges rief das bisher effektivste Organ der internationalen Gemeinschaft hervor, die Vereinten Nationen. Die Justiz der Sieger verurteilte nach dem Zweiten Weltkrieg in den Nürnberger Tribunalen (IMT)44die nationalsozialistischen Verbrecher. Hierbei handelte es sich nicht um ein unabhängiges Gericht, denn ein solches hätte die Atombombenabwürfe ebenfalls als Völkerrechtsverbrechen und Bruch der Genfer Konventionen untersucht. Die Bestrafung vor dem IMT wurde der Beurteilung der Richter selbst überlassen. Es gab die Kritik, dass Strafen nicht allgemeinen Prinzipien auferlegt werden dürften, denn „[...] dazu gehörten vielmehr eine exakte Beschreibung der Straftat selbst und die Festlegung der Strafe. Kein Gericht dürfe aufgrund unbestimmter allgemeiner Prinzipien bestrafen."45 Dennoch bedeuteten diese Tribunale einen Durchbruch in der internationalen Justiz. Denn zum ersten Mal gab es keine Amnestie für Staatsoberhäupter und Täter. 1946 wurden in Nürnberg ein Dutzend Nationalsozialisten zum Tode verurteilt und innerhalb von Wochen nach ihrer Verurteilung exekutiert. In Tokio wurde diese ausgleichende Justiz Jahre später wiederholt. Angetrieben von diesen zwei Internationalen Militärtribunalen führten nationale Kriegsverbrecher-Tribunale die Höchststrafen ebenfalls wieder ein, so dass eine Periode der relativen Indifferenz in der internationalen Gemeinschaft entstand, was die internationale Bestrafung solcher Verbrechen betraf. 46

Ein strukturell entscheidender Schritt war die Gründung der Vereinten Nationen (VN) am 24. Oktober 1945. „An die Stelle des einzelstaatlichen Ermessens ist die kollektive Entscheidung durch den UN-Sicherheitsrat getreten. Der Sicherheitsrat verfügt zwar über kein Gewaltmonopol, wohl aber über das Monopol zur Legitimation von Gewaltanwendung."47 Ein weiteres Hauptorgan der VN ist der Internationale Gerichtshof oder auch International Court of Justice (ICJ) genannt.48 Deren Aufgabe besteht angelehnt an den Internationalen Gerichtshof im Völkerbund darin, Streitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten nach dem Völkerrecht zu entscheiden und auf Ersuchen der Vollversammlung Gutachten (advisory opinion) zu erstellen.49 Der Unterschied zum ICC besteht darin, dass im ICJ Unstimmigkeiten über das Völkerrecht geklärt, Gutachten erstellt und Mitgliedsstaaten im Streitfall rechtlich unterstützt werden. Das ICC wird dagegen beauftragt, Völkerrechtsverbrechen zu untersuchen. Die Befugnisse des ICJ und des ICC sind komplett von einander abgegrenzt und umfassen unterschiedliche Bereiche der Arbeit mit dem Völkerrecht. „The International Court of Justice (ICJ) does not have criminal jurisdiction to prosecute individuals. It is a civil tribunal that deals primarily with disputes between States. The ICJ is the principle juridicial organ of the United Nations, whereas the ICC is independent of the UN."50 Da Völkermord als ein undenkbares Verbrechen vor dem Zweiten Weltkrieg nicht in die Konventionen mit einbezogen wurde, war es von Nöten eine Genozid-Konvention mit dem Verbot des Völkermordes im Jahr 1948 zu verabschieden. Dieser wichtige Schritt führte vermehrt zu Kritik, da beispielsweise die USA und die angelsächsischen Mächte auf ihr Recht bestanden Menschen umzusiedeln und sahen dies nicht als Völkermord an.

[...]


1 SCHABAS (2009a): An Introduction to the International Criminal Court, ix.

2ICC steht für International Criminal Court, CPI für die französische Übersetzung Court Penale Internationale. Siehe www.icc- cpi.int.

3 Vgl. DER ÜBERBLICK (2007): Gerechtigkeit nach Konflikten. S.10.

4 SCHUBERT/KLEIN (2007): Politiklexikon. S. 247.

5BROCK (2004): Frieden durch Recht. S. 8.

6 Meyers, Reinhard: Krieg und Frieden. In: WOYKE (2006): Handwörterbuch Internationale Politik. S. 287.

7Brock (2002): Was ist das „Mehr“ in der Rede, Frieden sei mehr als die Abwesenheit von Krieg ? In: Meyers, Reinhard: Krieg und Frieden. In: WOYKE (2006). S. 299.

8 Meyers, Reinhard: Krieg und Frieden. In: WOYKE (2006). S. 299.

9 Vgl. NITSCHE (2007): S. 40.

10 Hobbes: Leviathan. In: MASSING/BREIT (2003): Demokratietheorien. S.94.

11 Vgl. NITSCHE (2007): Der Internationale Strafgerichtshof ICC und der Frieden. S. 43.

12 Meyers, Reinhard: Krieg und Frieden. In: WOYKE (2006). S. 302.

13 KANT (2005): Zum ewigen Frieden. S.4.

14 Ebd. (2005): S. 14.

15 KANT (2005): S.11.

16 Vgl. KANT (2005): S. 34 f.

17 Vgl. KANT (2005): S. 49.

18 Ebd. (2005): S. 54.

19 Vgl. Art. 2 Ziff. 1 der UNO-Satzung. KIMMINICH (1997): Einführung in das Völkerrecht. S. 106.

20 Hasenclever, Andreas: Liberale Ansätze zum „demokratischen Frieden". In: SCHIEDER/SPINDLER (2006): Theorien der Internationalen Beziehungen. S. 213.

21 FERDOWSKI/MATTHIES (2003): S.27.

22 MÜNKLER (2002): Die neuen Kriege. S. 27.

23 Gibson, James L.: Can truth reconcile divided nations? In: MASON/MEERNIK (2006):Conflict Prevention and Peacebuilding in Post-War Societies. S. 176.

24 Vgl. FERDOWSKI/MATTHIES (2003): S.33.

25 BROCK (2004a): Frieden als Fortschritt. War Kant auch nur ein leidiger Tröster? S.7.

26 Vgl. BROCK (2004a): S. 10.

27 Vgl. BROCK (2004a): S. 12.

28 Vgl. BROCK (2004a): S. 13.

29 Vgl. Scarano, Nico: Der Gerechtigkeitssinn. In:HÖFFE (1998): Eine Theorie der Gerechtigkeit. S. 233.

30 Vgl. BROCK (2004a): S. 13.

31 Vgl. BROCK (2004a): S. 18.

32 Vgl. NOHLEN/GROTZ (2007): S. 176.

33 BROCK (2005): S. 20.

34 Rechtsgut bezeichnet das geschützte Interesse von natürlichen Personen, Rechtspersonen oder Gesellschaften.

35 BECKER (1996): Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. S. 56.

36 Vgl. NITSCHE (2007): S. 86 ff.

37 Vgl. NITSCHE (2007): S. 86 ff.

38 KANT (2005): S. 56.

39 Vgl. NOLTE (2009): Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. S. 383.

40 REICHEL (2005): S.207.

41 HLKO: Am 26. Januar 1910 in Kraft getreten, regelte es im Interesse der Menschlichkeit die Gesetze des Krieges und zog Grenzen in der Gewaltanwendung.

42 Anklagepunkte waren die Nicht-Verhinderung des Krieges, Gebrauch von Massenvernichtungswaffen, Angriff auf gekennzeichnete Lazarettschiffe und Angriff auf die Neutralität Belgiens und Luxemburgs.

43 Siehe NOLTE (2009): S.384. Konflikte zwischen Paraguay und Bolivien um den Gran Chaco bis zu dem Konflikt zwischen Finnland und Schweden um die Älandinseln und dem italienischen Angriff auf Äthiopien 1935.

44 IMT: International Military Tribunal

45 SCHMITT (1994): Der internationale-rechtliche Verbrechen des Angriffskrieges. S. 205.

46 Vgl. SCHABAS (2000): Life, Death and the Crime of Crimes. S. 263.

47 BROCK (2004): Zwischen kollektiver Friedenssicherung und republikanischem Krieg. S. 10.

48 KRÜGER (1995): Kapitel XIV Der Internationale Gerichtshof Art. 93 (1) der Charta der VN. S.43.

49 Vgl. KRÜGER (1995): Charta der Vereinten Nationen. Statut des Internationalen Gerichtshofes. S.6.

50 ICC: About the court. Frequently asked questions. http://www.icc- cpi.int/Menus/ICC/About+the+Court/Frequently+asked+Questions/. Zugriff am 05.02.2010.

Fin de l'extrait de 68 pages

Résumé des informations

Titre
Der Internationale Strafgerichtshof und seine Befriedungsfunktion
Sous-titre
Die Wirkung der Tätigkeit des ICC auf die internationale Gemeinschaft
Université
Otto-von-Guericke-University Magdeburg
Note
2,3
Auteur
Année
2010
Pages
68
N° de catalogue
V153153
ISBN (ebook)
9783640654789
ISBN (Livre)
9783640654734
Taille d'un fichier
779 KB
Langue
allemand
Mots clés
Internationaler Strafgerichtshof, International Criminal Court, Den Haag, Uganda, Sudan, Darfur, Democratic Republic of Congo, DRC, Völkerrechtsverbrechen, Völkerrecht, Völkerstrafrecht, Menschenrechtsverbrechen, Menschenrechte, Völkermord, Crimes against humanity, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genocide, Genozid, Kriegsverbrechen, War Crime
Citation du texte
MA Brit Harder (Auteur), 2010, Der Internationale Strafgerichtshof und seine Befriedungsfunktion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153153

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