Picknick mit Cyborgs

Ein interdisziplinäres Gespräch über die alltägliche Vernetzung


Livre Spécialisé, 2010

284 Pages


Extrait


Inhalt

Was wir uns dabei gedacht haben

Eine Gebrauchsanleitung

Wie sich Medienvirtuosen kennenlernen

Alte Kanäle - Neue Kanäle

Programmdirektoren und Integrierte

Das Netz, das uns nicht vergisst

Schufa und das BKA haben uns’re Daten da

Meine Daten sind mein Selbst

Die maoistischen Ameisen

Nicht nur Katzen haben sieben Leben

Die Parasiten der Knappheit

Einwanderer und Einwohner im Datenraum

Mobil angeleint

Im Flur am Telefon

Leb’ dein zweites Leben!

Verfolgte Daten

Von der überflüssigen Knappheit

Artefakte, Technofakte, Soziofakte

Die vollvernetzten 24-Stunden-Kommunizierer

Literatur/Quellen

Die Autoren

Sachregister

Was wir uns dabei gedacht haben

Was bekommt man in die Hände, wenn man dieses Buch aufschlägt? Wie soll man den Text einordnen, was erwarten?

Oberflächlich gesehen handelt es sich um ein thematisches Gespräch, das sich um die Alltagsphänomene der Vernetzung durch computerge­stützte Interaktionsmedien und die Konsequenzen des Lebens mit und im Netz dreht. Das Gespräch ist - wie alle Gespräche - oberflächlich, kaum sy­stematisiert, man könnte es impressionistisch nennen, weil es Eindrücken und persönlichen Erfahrungen mit Interaktionsmedien folgt.

Manchmal scheint es auf kaum mehr als nur anekdotische Erfahrungen gestützt. Dennoch fällt auf, dass dieses Gespräch von einer Fülle an Verwei­sen und Hinweisen begleitet wird. Sie sind zumindest als punktuelle Explo­rationsmöglichkeiten angelegt. Ihr Sinn ist es, Hintergrundwissen zu liefern und ein Augenmerk auf diejenigen Punkte zu richten, die uns bedeutsam erscheinen und an denen die Flüchtigkeit des Gesprächs aufgehoben wer­den soll.

Es handelt sich also um ein durch theoretische, empirische und expli­kative Ergänzungen angereichertes Gespräch. Lesende können auf zwei Spuren der Welt der Vernetzung folgen. Entweder so, als säße man zum Ge­spräch zusammen, oder als würde man vertiefte Teilaspekte der virtualisier- ten Vernetzung studieren und gedanklich reflektieren.

Darüber hinaus ist es möglich, zwischen beiden Perspektiven hin und herzu springen und diese dadurch so oszillieren zu lassen, dass eine Über­blendung entsteht: Hinter dem Bereich alltäglicher Phänomene entfaltet sich einerseits ein Subtext des Wissens, andererseits werden die „Abgrün­de“ der Wissensreflexionen durch die Oberflächlichkeit unserer Erfahrun­gen mit den komplexen Weiten des Internets und Cyberspace überbrückt. Was wir hier an der Oberfläche für gewöhnlich finden, ist das, was wir fin­den wollen - und das, was uns beunruhigt, ist das, was wir vielleicht noch finden könnten.

Die Beziehung der beiden Ebenen zueinander ist nicht ohne Hinter­sinn, und man könnte den Versuch der wechselseitigen Anreicherung bei­der Ebenen als eine wissenschaftliche Methode verstehen. Diese Methode der Anreicherung von Alltagserfahrungen erscheint uns trotz ihrer geringen Ausarbeitung angemessen, weil sie den Lesenden eine Option, ein offenes Erfahrungs- und Wissenskonzept anbietet. Mit dem Blick auf wissenschaftli­ches Arbeiten scheint sie angemessen, weil sie das Vorfeld aufzeigt, in dem wir uns bewegen, wenn wir versuchen, Neues systematisch zu beobachten und zu beschreiben. Das mit Fakten und Reflexionen angereicherte Ge­spräch irritiert die gemachten Äußerungen und Behauptungen an dem, was man weiß, um so Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, was man noch nicht weiß - und in diesem Zusammenhang sind Widersprüche, Leerstellen und „offene Enden“ nicht nur auszuhalten, sondern erwünscht und produktiv.

Auf eine einfache, uns aber sehr interessierende Art und Weise neh­men wir also den Begriff Wissenschaft ernst, indem wir versuchen zu zei­gen, wie man im Anflug auf das Unübersichtliche Wissen schafft. Wir ver­suchen daher, die Phänomene in persönlichen Erfahrungen zu spiegeln, wobei wir uns fragen, ob es vielleicht bereits eine Ordnung des neuen Wis­sens gibt, auf deren schwankendem Grund wir unsere Erfahrungen bestäti­gen, behaupten oder verwerfen könnten. Auch deshalb sitzen wir zusam­men beim „Picknick der Cyborgs“ und schreiben nicht alleine vor uns hin.

Doch diese Situation und die gewählte Methodik der Anreicherung ei­nes offenen Wissenskonzepts bietet noch eine zusätzliche Möglichkeit der Beobachtung: Es kommt eine dritte Ebene ins Spiel, die das Gespräch und den reflektierenden Subtext überlagert. Gemeint ist die interdisziplinäre Perspektive.

Vielen, besonders denjenigen, die den Alltag der Wissenschaft und ih­rer Institutionen kennen, mag Interdisziplinarität als Reizwort oder Syno­nym für Lippenbekenntnisse, Missverständnisse und unscharfe Begriffe gel­ten. In der Tat macht die Einführung und das Durchhalten einer interdiszi­plinären Perspektive erhebliche Mühe. Immer wieder werden die eigenen Positionen und die scheinbar fraglosen Gewissheiten der eigenen Disziplin verunsichert.

Fortwährende Übersetzungsarbeit ist also erforderlich. Man muss „par­sen”, wie die Informatikerin sagt, und das umso mehr, als die beiden diszi­plinären Kontexte der Informatik und der Soziologie, aus der die Autorin und der Autor kommen, im Sinne von C.P. Snow zu zwei unterschiedlichen Wissenschaftskulturen gehören: Hier die mathematisch-naturwissenschaft­liche, dort die empirisch-geisteswissenschaftliche Interpretation dessen, was Wissenschaft sein könnte.

Was uns zusammengeführt und dennoch das Wagnis der interdisziplinären Perspektive hat eingehen lassen, ist zum einen der Sachverhalt, dass die auf Computermedien basierende Vernetzung unserer Interaktionen und Kom­munikation unseren gesamten Alltag durchdringt und so die Perspektiven der technischen Ermöglichung und der sozialen Vermöglichung zusam­menzwingt, zum anderen das rege Interesse daran, welche Wissensformen die Phänomene der alltäglichen Vernetzung annehmen, wenn man sie aus dem Blickwinkel einer anderen Disziplin betrachtet und zu beschreiben versucht.

Das geht, wie gesagt, nicht ohne Irritationen und Missverstehen ab. Aber Miss-Verstehen ist im Sinne von Heinz von Foerster immer auch Ver­stehen und vielleicht in der derzeitigen Situation einer rasant voranschrei­tenden Virtualisierung gesellschaftlicher Wirklichkeit ein Beobachtungsprin­zip der Einheit des Uneinheitlichen. Genau davon handelt dieses Buch.

Ein solches Buch bedarf allerdings einer breiten Unterstützung und viel Vorarbeit. Wir danken daher Rainer Rehak, Stefan Klumpp, Christopher Schubert, Agata Krolikówski, Harald Kahl für Transkription und Durchsicht sowie besonders Jana Hatakova für Endkorrektur, Durchsicht „vorletzter Hand” und viele „hintergründige” Anregungen.

Eine Gebrauchsanleitung

Sie haben zwei Augen und zwei Gehirnhälften zurVerfügung? Dann könnte dieses Buch genau richtig für Sie sein! Dieses Buch hat nämlich auch zwei Seiten. Blicken Sie nach links, dann können Sie fortlaufend den Text unseres Gesprächs verfolgen. Blicken Sie nach rechts, dann können Sie, wenn Sie wollen, nur dem begleitenden Hintergrundtext zum Gespräch folgen.

Um die Dynamik des Gesprächs nicht zu unterbrechen, aber dennoch nah am Gesagten inhaltliche Exkursionen anzuregen, vertieft dieser Begleit­text als „zweite Ebene” Themenfelder, die während des Gesprächs auf­tauchten. Er ist jedoch nicht als Fußnotentext angelegt. Entsprechend dem interdisziplinären Konzept des Buches werden hier sowohl technische Er­läuterungen als auch gesellschaftliche Hintergründe angeboten, jeweils mit Hinweisen zur weiterführenden Lektüre. Die rechte Textseite ist deshalb so aufgebaut, dass man sie fortlaufend, als eine Art Hintergrundkommentar zum Gespräch lesen kann.

Wie Sie feststellen werden, tauchen dabei Redundanzen auf, kleine El­lipsen entstehen, Themen werden immer wieder unter unterschiedlichsten Aspekten gestreift. Das ist gewollt, ebenso wie die Möglichkeit, im Buch vor- und zurückzuspringen. So entsteht ein endloses Band, das Kommenta­re und Gespräch verwebt. Im besten Fall ergeben sich daraus Schichten der Wahrnehmung, und vielleicht sind kleine oder größere Entdeckungen zu machen. Sie werden weiter bemerken, dass das ganze Buch nicht in einer Nacht geschrieben wurde, sondern in einem Prozeß über drei Jahre hinweg entstanden ist. Wir haben, besonders im Gesprächsteil, auch diese Sedi­mente beibehalten. Werden Sie also zum „Geologen des Wissens“, vernet­zen Sie beide Hälften und seien Sie mutig!

Wie sich Medienvirtuosen kennenlernen

UTh.: Was ich so faszinierend finde, ist die Tatsache, dass Sie jetzt tatsächlich hier sind, ganz im Realen und so weiter. Und ich bin ganz überrascht, wie Sie „in der Realität” - wie man heute noch so schön sagt - sind, denn wir haben uns ja im Prinzip eigentlich nur, naja, „virtuell” kann man ja nicht so richtig sagen, aber fast...

CK.: Schon.

UTh.: ... nur „telemäßig” kennengelernt.

CK.: Stimmt, ja.

UTh.: Und insofern ist es also doch schon ganz überraschend, erstens mal, welche Möglichkeiten wir heutzutage haben, nicht nur irgendwie einen Brief zu schreiben oder uns ganz persönlich in die Augen zu sehen und zu „daten”, uns zu treffen oder zufällig über den Weg zu laufen, sondern sich im Fernsehen „kennenzulernen”!

CK.: Und man kann eigentlich sagen, dass wir uns ohne die technischen Mittel vermutlich nicht so schnell oder auch gar nicht kennengelernt hätten.

UTh.: Wahrscheinlich überhaupt nicht kennengelernt.

CK.: Vermutlich!

UTh.: Insofern ist schon diese Kennenlernbeziehung ein mediales Produkt.

CK.: So siehfs aus! Zwar unidirektional, zumindest am Anfang - und wir haben weitere technische Hilfsmittel benötigt, um dann die zweiseitige Kommunikation herzustellen...

UTh.: ... ja...

CK.:... aber durchaus schon geprägt durch die neuen Medien.

UTh.: Ja, und vor allem, wir haben uns ja im Grunde schon als kleine Medienvirtuosen erwiesen, indem wir einen ständigen Medienwechsel vollführt haben.

CK.: Ja!

UTh.: Also in unserem Fall von der massenmedialen Tele-Präsenz über das Telefonat, was individualmedial ist und die Individuen unmittelbar koppelt, hin zur interaktionsmedialen Kommunikation via E-Mail.

CK.: Mhm.

UTh.: Insofern sind wir nicht nur auf irgend eine Art „Surfer” durch den Cy­berspace, sondern eigentlich Surfer durch den „Medienspace”.

CK.: Ja, aber wir haben uns, aus heutiger Sicht gesehen, der alten Massen­medien zuerst bedient...

UTh.: Ja.

CK.: ... erst Fernsehen, dann Telefon und dann die E-Mail, in der wir dann die längeren, textuellen Sachen „besprochen” haben.

UTh.: Was ja auch darauf hindeuten würde, dass diese Medien eben ganz besondere Möglichkeiten bieten, denn als ich Sie nachts entdeckt habe in der Fernsehsendung, war das eine der Möglichkeiten, sich sozusagen durchtreiben zu lassen durch sehr, sehr viele Angebote, die von außen an mich herangekommen sind. Also so eine Art Markt - und man geht an Ständen vorbei, an Informationsständen, Unterhaltungsständen, je nach dem, wie man das sagen will. Auf einmal war da so ein Angebot, bei dem man stehen blieb und sich eben überlegt hat, dass man sich das mal noch eine Zeit lang angucken will und sich vielleicht ein bisschen reinziehen lässt. Eine Situation, die aber auf der anderen Seite auch die Möglichkeit bietet mit einem Knopfdruck eventuell wieder zu einem ganz anderen An­gebot zu wechseln. Aber ich selbst muss nichts tun oder nur wenig tun.

CK.: Man ist ja zunächst passiv.

UTh.: Genau.

CK.: Dieses Massenmedium Fernsehen ist ja nicht interaktiv in irgendeiner Weise. Man hat nur mit der Fernbedienung die Kontrolle in der Hand, man kann wegzappen, so schnell man eben will, oder wenn es einen langweilt oder nicht mehr interessiert. Andererseits war dann unser Kontakt über Te­lefon...

UTh.: ... wobei das dann relativ ungewöhnlich erscheint. Zumindest bei den Flirtforen im Internetistes ja meist so, dass man im Prinzip zuerst einen ganz weit distanzierten Kontakt hat und sich dann langsam aber sicher auf das persönliche Treffen hin bewegt.

CK.: Ja, wir haben eigentlich die typischen Kommunikationsmedien wegge­lassen, klassischerweise würde man erst mal chatten und sich also textuell irgendwie annähern und sehen, ob man so über den Menschen etwas her­ausfinden kann, indem man sieht, wie er schreibt. Das haben wir also weg­gelassen. Ja gut nun ist unser Treffen ja nicht der klassische Fall eines Singlebörsen-Treffs, denn da würde man normalerweise erstmal dieses tex­tuelle Medium haben.

Über Medien

Jenes eingangs leicht dahingesagte „telemäßig“ deutet bereits auf die besondere Leistungs­fähigkeit der Medien hin, steht das griechische tele doch für „fern“. Die angesprochenen Medien sind „Fern-Medien“, die Distanzen überbrücken. Sie stellen Aufmerksamkeit für die Unterscheidung von Information und Mitteilung zwischen den Kommunizierenden her. Alle Medien, die diese Distanzüberwindung erlauben, können wir als sozio-technische Medien auffassen, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass es sich um technische Geräte handeln muss. Selbst die Sprache, mit der wir den Abgrund zwischen unseren Bewusstseinswelten zu überbrücken versuchen, bedarf besonderer Sprechtechniken, um verstanden zu werden.

In Anlehnung an den Soziologen Niklas Luhmann sollen unter Medien sozio-technisch strukturierte Mechanismen der Kommunikation verstanden werden, die in der Lage sind, Sinnelemente lose zu koppeln und so eine Form der Kommunikation zu erzeugen. Sprache etwa koppelt Phoneme nach kombinatorischen Regeln der Syntax und Grammatik zur Form sinnvoller Worte, Sätze, Gespräche und Reden; Schrift koppelt Zeichen zu lesbaren Texten usw.

Entsprechend der Struktur der Medien lassen sich die medialen Möglichkeiten, Auf­merksamkeit zu erregen, unterscheiden in:

1) Medien, die geringe Redundanz aufweisen und so die unmittelbare Aufmerksamkeit einer begrenzten Anzahl an Kommunizierenden erregen. Sie wirken daher als IndM- dualmedien, wie z. B. Sprache, Schrift, Telefon.

2) Medien, die redundant operieren. Sie stellen als Massenmedien Aufmerksamkeit bei großen, dispersen Publika her, etwa als mechanisch-chemische Massenmedien, wie Druck, Fotografie und Film oder als elektronische Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen.

3) ien, die eine (Fem-)Steuerung der Redundanz und der Sinnbedingungen durch die Kommunizierenden zulassen. Sie wirken als kybernetische Interaktionsmedien, da sie, z. B. als Computer und Computemetze, die gesteuerte Entgrenzung von In­teraktionen erlauben.

UTh.: Genau, und in dem „klassischen Fall” des Singlebörsen-Treffs, den Sie so schön ansprechen, fehlt das Massenmedium zumeist. Also es wär’ ja nicht so, dass sich die Partner erstmal in einer Fernsehshow vorstellen. Wenn das so ist, dann findet, wie bei irgendwelchen „Herzshows” und ähnlichem, das Casting vor Ort statt, dann bleibt alles auch im Medium, während hier in unserem Fall sozusagen von außen ins Medium reinge­guckt und was Interessantes wahrgenommen wurde. Nach meiner Ansicht ist das ja das Schöne an diesen Massenmedien, dass sie so von einem Punkt aus alles an alle verteilen - erstmal. Sie, die Sie leichtsinnigerweise in den Massenmedien aufgetreten sind, werden also in tausende Stücke zer­legt oder in immer gleiche Stücke zerlegt, weil die distributiv arbeiten, die Massenmedien - und diese Stücke werden dann ausgesendet. So können irgendwelche Leute reagieren, und irgendwelche Leute können auch nicht reagieren.

CK.: Man hat eigentlich sogar beim ZDF, wo die Sendung ausgestrahlt wur­de und wo auch andere Medienformen gleichzeitig genutzt werden, gese­hen, dass es zeitversetzt ist. Anders als ich erwartet hätte, habe ich durch­aus noch längere Zeit nach dieser Fernsehsendung Zuschriften bekom­men, weil die Sendung im Netz zum Download bereit stand, also sich später noch Leute dieses ZDF-Nachtstudio angesehen haben. Und wo wir gerade die Singlebörsen hatten: Wenn man sich da die Struktur ansieht, ist es ja durchaus so, dass bei den größeren Social-Networking-Plattformen schon ein massenmedialer Charakter da ist. Denn wenn man zum Beispiel offiziell nach einem Partner sucht oder auch nur nach einem bloßen Kom­munikationspartner, es muss ja nicht immer gleich eine Liebesbeziehung sein, dann stellt man auch sein Profil der gesamten Masse zur Verfügung, in gewisserWeise also passiv. Und man muss dann erst warten, bis man einen synchronen Kommunikationskanal herstellen kann.

UTh.: Wobei meine Erfahrung zumindest so ist, dass diejenigen, die reinge­hen, die jetzt vielleicht auch suchen, was für einen Partner auch immer, dass die ja im Grunde schon diese Profile filtern. Also es ist ja nicht so, dass sie sich jetzt alles mal runtergucken. Die Zappingsituation ist hier vielleicht ein bisschen weniger gegeben als beim Massenmedium.

CK.: Und heute ist es auch so, dass technische Lösungen dafür gefunden werden, das heißt die Anbieter dieser Plattformen haben bereits Algorith­men, die versuchen, ein passendes „Matching” zwischen Menschen hinzu­bekommen.

Auf dem Weg zum „Nachtstudio"

Zur angesprochenen Nachstudio-Sendung des ZDF vom 19.11.06 gelangt man bspw. online: http://wstreaming.zdf.de/zdf/300/061119_ nachtstudio_nstasx

Eine typische Form, in die die eben vorgestellten kybernetischen Interaktionsmedien die mediale Kommunikation bringen, ist die der sozio-technischen Vernetzung. Hier wirken so­ziale Form, etwa diejenige einer Zweierbeziehung, und technische Form, z. B. ein automati­scher Auswahlmechanismus ähnlicher Datenmuster, bei der Formgebung zusammen. Ein Beispiel dafür ist das sog. Matching.

Was passt, das passt Matching und Matching-Algorithmen

Das effiziente Auffinden und Vergleichen von Datensätzen in endlicher Zeit ist ein lange be- forschtes Thema in der Informatik. Ein Matching (deutsch: „Paarung“) wird durch einen Suchalgorithmus, der nach vorab definierten, vollständigen oder teilweisen Übereinstim­mungen und Mustern - sog. Pattern - fahndet, vorgenommen. Pattem-Matching-Algorith- men können zusätzlich auch Trends in Daten ausfindig machen. Sind solche Musterüberein­stimmungen vorhanden und ausfindig gemacht, werden die passenden Ergebnisse ausgege­ben. Bei Anwendungen vom Matching-Algorithmen in der Praxis kann es dabei von Interes­se sein, nicht nur identische Muster zu finden, sondern besonders Ähnlichkeiten herauszu­filtern.

Die Möglichkeiten, die ein solcher Matching-Algorithmus bietet, um ähnliche Datensät­ze zu erkennen und zu melden, kann am Beispiel der Partnersuche in Flirtforen sichtbar gemacht werden. Früher übliche Suchangebote in einer Online-Partnerbörse arbeiteten nach dem Prinzip einer Suchmaschine. Das bedeutete, dass jeder Suchende Parameter oder Begriffe in eine Suchmaske eingeben konnte, entsprechend also vorab wissen muss­te, beispielsweise welche genauen Eigenschaften der gesuchte Partner haben oder in wel­chem geografischen Bereich nach passenden Personen gesucht werden soll. Hatte der Su­chende jedoch nur eine vage Idee, konnte also keine konkreten Suchparameter angeben, fand er auch nichts.

Wird dagegen ein Matching-Algorithmus herangezogen, kann der Benutzer beispiels­weise bei einer Suche nach Personen mit Hobbyübereinstimmungen „Wassersport“ ange­ben, erhält aber dann auch Vorschläge für passende Partner, die als Hobby „Segeln“ oder „Kanu fahren“ angegeben haben. Nicht nur im Bereich von Partnervermittlung im Netz wird auf Matching-Prozesse zurückgegriffen; auch die Bundesagentur für Arbeit nutzt diese Technik, um Bewerberprofile mit den Anforderungsprofilen angebotener Stellen abzuglei­chen.

Literatun

Robert Sedgewick, 1992: Algorithmen in C. Bonn et al.

Yali Amit, 2002: 2D Object Detection and Recognition - Models, Algorithms, and Networks. Cambridge, Mass.

UTh.: Ja.

CK.: Also so, dass man gleich den passenden Partner oder die passenden zehn Partner angeboten bekommt. Ich finde diese Algorithmen sehr faszi­nierend, weil sie natürlich wenig mit dem normalen sozialen Leben zu tun haben. Der Algorithmus findet heraus: Hier sind gleiche Hobbys oder eben nach dem Motto „Gegensätze ziehen sich an” gerade keine gleichen Hob­bys. Das finde ich schon interessant, diese Filter.

UTh.: Das erinnert mich ja auch an eine andere hübsche Mischung der Realitäts- oder der Medienebenen. Das kennen Sie sicher auch, dieses in Japan eine Zeit lang so beliebte „Toothing”. Man hat da zwei Handys mit der Funktechnik „Bluetooth” und man gibt sein Identitätsprofil in das Han­dy ein oder irgendwas, und dann läuft man in zehn Meter Entfernung an ir­gendjemand vorbei, der ein ähnliches Profil auf seinem Handy hat, und dann tuten die Handys oder klingeln. Manchmal erscheint auch ein blin­kendes Herz auf den Displays.

CK.: Ja, genau. In Deutschland gab es das mit Autoaufklebern, also in ge­wisser Weise analog. Da konnte man sich also bestimmte Zeichen auf das Auto kleben und dann hieß das: Ich bin auf Partnersuche oder ich suche je­manden, der mit mir Schach spielt. Wenn man so ein Auto in einer Groß­stadt gesehen hat, dann wusste man: Ah, ich kann mir das Kennzeichen aufschreiben und dann zum Beispiel über eine Telefonhotline anrufen. Später ging das auch über eine Netzplattform. Also ein bisschen anders als in Japan, aber es ist ziemlich schnell ausgestorben, denn das war wohl ein bisschen zu offensichtlich.

UTh.: Gibt es eigentlich das Toothing noch oder ist das inzwischen auch schon ausgestorben?

CK.: Also mir ist nicht bekannt, dass es in Europa überhaupt mal groß raus­gekommen wäre. Ich weiß nicht, ob es im asiatischen Raum noch benutzt wird. Ich würde es vermuten, weil sich ja solche Trends meistens ziemlich lange halten, wenn sie erfolgreich sind.

UTh.: Ja, das ist das Schöne, wenn man sich in diesem „Datenspace” be­wegt: Man kann immer Marken setzen, die dann auch irgendwo an irgend­einer Stelle gespeichert werden.

Das automatische Matching lässt sich aber vielleicht noch steigern. Da immer mehr partner­suchende Menschen über Handys verfügen, lag scheinbar nichts näher, als die Profilsuche sowie das Verbinden automatisch von diesen besorgen zu lassen. Das sollte über den Da­tenfunk Bluetooth funktionieren, dessen Reichweite auf den Nahbereich von ca. zehn Meter beschränkt ist Begegen sich zwei bindungswillige Partnersuchende z. B. im Park, dann soll­ten ihre Handys über Bluetooth die Profile abgleichen und wenn diese passen, blinken und fiepen, bis zueinanderfindet, was zusammengehört. Leider erwies sich das als schöne Illusi­on aus dem Land der Technoträume.

Toothing - zu schön, um wahr zu sein

Das sog. Toothing (deutsch: „Verzahnung”), das ab März 2004 einige Schlagzeilen besonders in Großbritannien machte, stellte sich nach wenigen Wochen als bloßer Scherz (sog. „Hoax“) heraus. Der Begriff leitete sich von der kontaktlosen Technologie Bluetooth ab, die in Mobiltelefone Einzug hielt In öffentlichen Verkehrsmitteln sollte das Toothing eine po­puläre Methode sein, um Flirt- und Sexpartner zu finden. Dazu wurden die Mobiltelefone in der unmittelbaren Umgebung des Partnersuchenden durch die aktivierte drahtlose Blue- tooth-Verbindung kontaktiert, um Textnachrichten, Bilder oder virtuelle Visitenkarten darauf zu hinterlassen und damit anonym Kontakt aufzunehmen. Das Wort Toothing markierte da­bei die erste Grußformel zwischen den Flirtwilligen.

Britische Medien wie die BBC, die Nachrichtenagentur Reuters oder in Deutschland der Fernsehsender RTL griffen das Thema Toothing auf, selbst in Drehbücher ging die Idee ein. Die britischen Journalisten Ste Curran und Simon Byron hatten die Legende um das Too­thing durch Erlebnisberichte in getürkten Foren und Blogs gestartet (vgl. z. B. http://www. thetriforce.com/newblog/?p=53). Später gaben sie öffentlich zu, dass es diesen angeblichen neuen Trend nie gegeben hätte.

Aber was nicht ist, kann noch werden!

Die kleine Start-Up-Firma „SmallPlanet” aus Los Angeles will unter dem Titel „CrowdSurfer” das Toothing via Handy doch noch realisieren, so ist im Netz unter: http://www.we-make- money-not-art.com/archives/bluetooth/index.php?page=3 zu lesen:

SmallPlanet, a Los Angeles-based startup, created three location-based applications for mobile devices they are planning on rolling out sequentially:

1. CrowdSurfer allows users to make the invisible connections that they may have to those around them. They store their own profiles on their phones, and choose to see or be seen by other users who may have similar interests, gone to the same school, worked at the same company, etc. This is accomplished by periodic „pinging” by Blue­tooth signal typically in a 30-50 foot radius.

If another user is detected, the phone can search the database at SmaHPlanet.net via GPRS connection to discover if they have friends in common. If they are connected by up to 4 degrees contact relations, the profiles of those friends connecting them are dis­played.

Funktionsweise von CrowdSurfer

Alte Kanäle - Neue Kanäle

UTh.: Nochmal zur Mediensituation zurück. Ich finde es eigentlich über­raschend, dass wir doch heute im alltäglichen Leben schon fast selbstver­ständlich, zumindest wenn man mal für die jüngere Generation spricht, davon ausgehen, dass zumindest ein Teil unserer Kontakte virtualisiert ist.

CK.: Ja, man kann schon eine gewisse Enttäuschung feststellen, wenn sich jemand dieser Digitalisierung und Virtualisierung entzieht. Wenn man zum Beispiel jemanden trifft, der sagt: ,Oh, ich habe kein Handy’ oder ,lch habe keine E-Mail-Adresse’, dann ist man doch schon enttäuscht, weil man es ja erwartet.

UTh.: Mhm - ja, vor allem grenzt sich derjenige, der das nicht hat, auch aus den Kommunikationsmöglichkeiten aus. Also das kann dann ja durchaus eine Marginalisierung, also ein An-den-Rand-Drängen bedeuten.

CK.: Ja, das kann eine soziale Ausgrenzung sein.

UTh.: Ja, soziale Ausgrenzung. Also könnte man im Prinzip ja fast sagen, man ist eigentlich sozial nur wirklich oder sozial nur integriert, wenn man im Mediennetz - und zwar möglichst in dem gesamten Mediennetz - kontaktfähig ist anschlussfähig ist kurz gesagt: drinhängt. Das heißt, man müsste medial eine ganze Menge beherrschen in der heutigen Situation: So die Individualmedien, die beim Gespräch anfangen, dann als deren Tele-Version die Telefongespräche, aber auch den schriftlichen Austausch, zum Beispiel indem man Briefe scheibt. Das setzt sich dann mit den Mas­senmedien fort, also in den Sendeformen, wie wir sie haben - hier in unserem Fall spielt ja auch das Fernsehen, das angeblich immer noch Leitmedium ist, eine Rolle, dann natürlich das Radio nicht zu vergessen und eventuell auch der Buchdruck, der ja schon ein bisschen randständig scheint, aber immer noch [lacht] weiter existiert.

CK. Er ist nicht tot!

UTh.: Er ist nicht tot! Und er existiert ja auch weiterhin etwa in diesem Kon­taktanzeigenmarkt. Ich denke gerade daran, weil wir eben dieses Beispiel hatten. Und dieser Markt organisiert sich wohl immer noch zum großen Teil über Printmedien, wurde also noch nicht ganz vom Internet geschluckt.

Auch in der Liebe sind wir Cyborgs anscheinend zunehmend in die Computer- und Mobil­funknetze verstrickt Obwohl Partnersuche in der modernen Gesellschaft, in der man vielfäl­tige Kontakte zu Fremden hat, auch in der Vergangenheit ein mediales Ereignis war, scheint sich hier doch eine Trendwende von der gedruckten Kontaktanzeige zu Anzeigen in Interak­tionsmedien abzuzeichnen. Diese erlauben neben dem angesprochenen Matching immer auch eine Spezialisierung, Auswahl und Verknüpfung der Suchoptionen und Angebote.

Wer sucht wo? Anteil der Kontaktanzeigen in Print- und Onlinemedien:

Leider ist es sehr schwierig, genaue Informationen darüber zu erhalten, wie sich das Verhält­nis von Kontaktanzeigen in Print- und Onlinemedien seit der Verbreitung des Internets ent­wickelt hat Aus verstreuten Presseberichten oder Hinweisen in wissenschaftlichen Arbeiten lässt sich aber der Eindruck gewinnen, dass ein Verdrängungswettbewerb zu Ungunsten der gedruckten Kontaktanzeigen stattfindet So stellt etwa Guy Tomaschett in seiner Dissertation „Anglizismen - ist die deutsche Sprache gefährdet? Zunahme von Anglizismen in den Inse­raten der Schweizer Zeitungen Bote der Urschweiz und Weltwoche bzw. NZZ am Sonntag” 2006 fest:

Während 1989 eine Ausgabe der Weltwoche im Schnitt fast 30 Kontaktanzeigen enthielt, gibt es in einer aktuellen NZZaS keine einzige mehr. Gibt es keine einsamen Singles mehr? Ganz im Gegenteil! Bei der Partnersuche nicht nur auf den Zufall, den Ar­beitsplatz und den Ausgang zu setzen, sondern gezielter und systematischer vorzuge­hen, wird heute von mehr Personen praktiziert. Allerdings hat die Zeitung den Bereich Kontaktanzeigen fast vollständig an das neue Medium Internet verloren: einfach, anonym, mit viel mehr potentiellen Partnern, schneller, rund um die Uhr und mit Such­funktionen, die einem die Auswahl erleichtern.

Gibt es deshalb überhaupt keine gedruckten Kontaktanzeigen mehr? Doch: Die Sams­tagsausgabe der NZZ enthält nach wie vor eine Seite Kontaktanzeigen, die sich an ein gehobeneres, seriöses, älteres Publikum richten. Diese Kundschaft sucht Exklusivität, wie sie Partnervermittiungsagenturen bieten können.

Die NZZaS aber macht nur noch Werbung für Parship, die (kostenpflichtige) Kontakt­börse im Internet, mit der die NZZaS zusammenarbeitet (Online: 129)

In einem Artikel der „Welt am Sonntag” zu Partnerbörsen mit dem Titel „Das Geschäft mit der Liebe blüht” (Artikel vom 13.02.05, Online) werden Partnervermittler zitiert, die davon ausgehen, dass im Offlinebereich, zu dem auch der Printanzeigenmarkt gehört, langsam die Interessenten wegsterben, also ein Generationswechsel hin zum Internet-Dating stattfindet

Literatur:

Guy Tomaschett, 2006: Anglizismen - ist die deutsche Sprache gefährdet? Zunahme von An­glizismen in den Inseraten der Schweitzer Zeitungen Bote der Urschweiz und Weltwoche bzw. NZZ am Sonntag. Online: http://www.dissertationen.unizh.ch/2006/tomaschett/ diss.pdf

Birgit Dengel, 2005: Das Geschäft mit der Liebe blüht Welt am Sonntageom 13.02.05. Onli­ne: http://www.welt.de/print-wams/article122988/Das_Geschaeft_mit_der_Liebe_ blueht html

CK.: Ich denke, dass der Kontaktanzeigenmarkt auf jeden Fall geringer ge­worden ist, weil gerade in den letzten zwei Jahren die Singlebörsen im Netz viel stärker frequentiert werden. Mir sind einfach auch persönlich viele Ge­schichten bekannt, da haben sich tatsächlich Menschen über das Netz ken­nengelernt.

UTh.: Umh - ich glaube aber, dass es durchaus natürlich auch wiederum ein Generationenphänomen ist...

CK.: Natürlich!

UTh.: ... derjenigen Leute, die mit dem Medium sozialisiert sind, also die sogenannten neuen Medien schon seit Kindesbeinen oder seit der Jugend­zeit benutzen. Von Gesprächen mit Älteren oder „Mittelalterlichen” her ha­be ich den Eindruck, dass die dann doch eher so die normalen Kontaktan­zeigenmöglichkeiten nutzen. Aber im Grunde sehen wir, dass man diesen ganzen Strauß der Medien beherrschen oder diese ganze Medienklaviatur spielen muss, eben bis hin zu diesen Interaktionsmöglichkeiten im Internet, das heißt also, bis zu diesen computergestützten, ferngesteuerten oder te- lematischen Interaktionsmöglichkeiten.

CK.: Eigentlich ist hier in Deutschland bereits eine Generation da, die es gar nicht mehr anders kennt. Schüler oder junge Studenten haben ja nicht ir­gendwann im Leben angefangen, sich mit dem Netz zu befassen, sondern sie sind nativ hineingewachsen. Und es gibt hier eine Selbstverständlich­keit, zwischen den Medien zu wechseln und sich verschiedenartige Netz­werke zu bilden und diese über jeweils eine mediale Plattform zu pflegen. Da wundert man sich glatt als jemand, der irgendwann damit angefangen hat, wie selbstverständlich das heute ist.

UTh.: Ja, und ich glaube, das ist eine Erfahrung, die ähnlich der Erfahrung mit der Schrift oder mit dem Druck ist, wo man das natürlich in der Schule gelernt hat und das dann für ganz selbstverständlich hält, dass man Straßen­schilder lesen kann, dass man lesen kann, wann die U-Bahn kommt oder lesen kann, was jetzt der Sportverein macht oder sonst was. Wobei man da­zu sagen muss, dass es jetzt hier einen grundsätzlichen Unterschied gibt, den wir da doch festhalten können: Hier wird jetzt nicht mehr über Ausbil­dungsinstanzen gelernt, wie wir das beim Lesen hatten.

CK.: Naja nun, eine gewisse Instanzierung findet da auch noch statt. Es kommt natürlich darauf an, wie stark die Technik in ein Leben integriert wird, ob man zum Beispiel noch selber die Kommunikation mitbestimmt. Etwa in der Weise, dass man beispielsweise nicht nur Tools, die alle verwen­den, benutzt, sondern sich seine eigenen Kommunikationskanäle schafft Wenn das Netz so vielfältig, z. B. bis in den privaten Bereich der Partnersuche hinein, genutzt wird, stellen sich natürlich auch die Fragen, wie stark das Internet tatsächlich verbreitet ist und ob wirklich diejenigen, die bereits mit dem Internet aufgewachsen sind, also die 14-20­Jährigen, die größte Nutzergruppe stellen?

Sag mir wieviel... die Zahl der Intemetnutzer

Relativ zuverlässige Daten über die Zahl der Internetnutzer ab 14 Jahren in Deutschland lie­fert die ARD/ZDF-Onlinestudie. Hiernach ergibt sich für die Entwicklung von 1997-2009:

Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2009

gelegentliche Onlinenutzung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://www.ARD-ZDF-Onlinestudie.de

Bei einer Gesamtübersicht der Entwicklung der Onlinenutzung in den Jahren 1997-2009 zeigt sich, dass zumindest bei der gelegentlichen Onlinenutzung bei den 14-29-Jährigen in­zwischen von einer Vollversorgung mit dem Zugang zum Internet auszugehen ist Die Alters­gruppen der über 50- und über 60-Jährigen hingegen stellt im Schnitt gerade einmal knapp die Hälfte der Onlinenutzer.

Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2009

gelegentliche Onlinenutzung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://www.ARD-ZDF-Onlinestudie.de oder eben neue Kommunikationskanäle probiert. Eine Instanzierung ist da sicherlich auch noch, aber nicht mehr für die Grundtypen.

UTh.: Ja, aber wer sind die Instanzen, das ist natürlich die interessante Fra­ge, die jetzt hier ins Spiel kommt?

CK.: Ja, das ist natürlich interessant zu erforschen. Eine große Rolle wird natürlich immer noch die Schule spielen - wobei die Medienkompetenz, die in der Schule vermittelt wird, nur gering ist. In der Regel liegen die Leh­rer in ihrem Wissen deutlich hinter dem Wissen der Schüler, klar.

UTh: Ja, wir können jetzt davon sprechen, dass sich die „Kompetenzpyra­mide" umgedreht hat. Also früher hatten wir relativ wenige Ältere oder Alte, die aber über das gesellschaftlich verbindliche Wissen verfügten. Alter war insofern ein Wert an sich. Wenn man es überhaupt erreicht hat, dann stand man meistens oben an dieser imaginären Wissens- oder Weisheitspyrami­de. Heute scheint es eher so zu sein, dass eigentlich unten die Basis mehr weiß, als die Spitze. Also dass diejenigen, die nachwachsen, sich teilweise gegenseitig oder wie auch immer darüber informieren, wie diese Medien funktionieren, oder sich die Medien durch Spielen und durch Ausprobie­ren aneignen, was den Älteren eher fremd ist. In diesem Zusammenhang ist das Altwerden kein Eigenwert mehr - man weiß als Älterer nicht automa­tisch mehr als die Jüngeren.

CK.: Ja, insbesondere der Aspekt der Beschleunigung, der Informations­dichte auch, kommt dazu. Man stellt fest, dass die klassischen Massenme­dien, die ja eher die ältere Generation regelmäßig benutzt - das Fernsehen zum Beispiel -, doch deutlich langsamer, aber dafür qualitativ immer noch hochwertiger sind. Und man sieht auch an der Rezeption der Medien, dass sich diese Schnelligkeit und die... na, wie soll man das sagen, ich würde es nicht „schlechte Qualität” nennen...

UTh.: ... Oberflächlichkeit?

CK.: Ja, „Oberflächlichkeit” ist vielleicht ein guter Begriff dafür. Die Ober­flächlichkeit der Informationstransformation schlägt sich schon nieder und hat sich auch auf das andere Massenmedium Fernsehen ganz deutlich ver­lagert. Das ist in den letzten Jahren zu beobachten, denke ich.

UTh.: Jaja, vielleicht liegt es auch daran, dass ja die Mediensituation oder die Medienkommunikation einfach dichter geworden ist. Das heißt, es sind ja jetzt Medien dazugekommen, neue Kommunikationskanäle aufgemacht worden - und zwar eben auch Kommunikationskanäle -, während das Mas In der Tat lässt sich zeigen, dass dort, wo die Generationen unter der Perspektive, Wissen zu vermitteln und sich Kompetenzen anzueignen, aufeinander treffen, die Jüngeren inzwischen einen deutlichen Vorsprung bei der Medienkompetenz vor den Älteren haben. Ein Sachver­halt, der zumindest angesichts der neuen medialen Kommunikationsformen darauf hindeu­tet, dass sich die angesprochene Kompetenzpyramide, an deren Spitze früher wenige ältere Wissende standen, während die vielen noch unwissenden Jüngeren deren Basis bildeten, heute umgedreht hat Derzeit verfügt die Mehrzahl der Jungen über Medienkompetenzen, die, je weiter das Alter zunimmt, um so schlechter ausfallen.

Die Schule des Lebens ?

In einer Forsa-Umfrage, die im Auftrag der Initiative „IT-Fitness” im Zeitraum vom 29. Ok­tober bis 12. November 2007 unter 1001 zufällig ausgewählten deutschen Schülerinnen und Schülern zwischen 14 und 20 Jahren durchgeführt wurde, zeigte sich nach Einschätzung der Befragten ein deutlicher Kompetenzvorsprung im Umgang mit neuen Medien gegenüber den Lehrenden.

Sollten die Schüler dabei anhand der Schulnoten von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) die Kompetenz der Lehrenden im Umgang mit Computern bewerten, dann wurden 32% mit 1 bzw. 2 bewertet, hingegen 66% mit den Noten 3 und schlechter. Der Durchschnitt lag bei der Bewertung 2,9. Die besseren Bewertungen erhielten jüngere Lehrer, die über 50-jäh­rigen hielt nur eine Minderheit von 3% der Schüler für medienkompetent im Umgang mit neuen Medien.

Entsprechend fällt die Computemutzung im Unterricht aus. Sie ist dort am ausgepräg­testen, wo es um das Programmieren selbst geht (60% im Informatikunterricht), fällt aber be­reits in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern deutlich ab (um die 20%) und ist in den geistes-, sozial- und sprachwissenschaftlich orientierten Fächern marginal (unter 16%).

Die jungen Medienkompetenten eignen sich ihre Kompetenz im Umgang mit neuen Medien folgerichtig zumeist selbst oder über den Austausch mit Gleichaltrigen an, Lehrer spielen hier mit 32% eine eher untergeordnete Rolle.

Quelle der Medienkompetenz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Zusammenfassung der Forsa-Umfrage findet sich online: http://www.it-fitness.de/ lehrerstudie/faktenpapier_it-fitness_studie.pdf senmedium, was wir ja am Anfang schon mal kurz angesprochen haben, ei­gentlich eher unidirektional, also von einem Punkt zum anderen funktio­niert.

CK.: Wie beim ZDF-Nachtstudio.

UTh.: Ja genau! Ich konnte nichts zu Ihnen sagen, als ich Sie das erste Mal gesehen habe, und Sie haben auch gar nicht mitbekommen, dass ich etwas sehe, während Sie sichtbar und auch hörbar waren. Insofern eine ganz in­teressante Situation, aber da war kein Rückkanal.

CK.: Es gab einen Rückkanal, nur keinen synchronen.

UTh.: Nur keinen synchroner Kanal - ich meine, in dieser Situation des Zu- schauens und Zuhörens war eben keiner gegeben. Während wir jetzt auch noch neue Medien haben, die teilweise diesen massenmedialen Impuls mit dem individualmedialen mischen.

CK.: Ja, ich kenne das gut aus Radiosendungen. Ich war nun mehrfach in Radiosendungen, wo es einerseits die Möglichkeit gibt, dass man anrufen kann als Hörer - natürlich immer nur einer -, aber gleichzeitig lief eine an­dere Kommunikationsstruktur, nämlich ein Chat, in dem eine größere Men­ge an Hörern einfach interaktiv kommunizierte. Und ich konnte mirais die­jenige, die im Radio war, aussuchen, ob ich es überhaupt wahrnehme oder ob ich es ignoriere und erst einmal nur mit dem Hörer interagiere, der an­ruft. Es war für mich eine neue Form, also eine gemischte Form aus unidi­rektional und bidirektional, weil ich natürlich in dem Chat auch tippen konnte.

UTh.: Und wie wurde der Chat dann für die Radiohörer wieder rezipierbar? Also Sie müssen ja im Prinzip das dann im Massenmedium auch wieder darstellen.

CK.: Dazu wurde natürlich dann das Internet benutzt, da konnte man sich auf der Webseite des Radiosenders selber mit einklinken. Aber es gab durchaus auch Chats, die nicht direkt mit dem Radiosender verbunden wa­ren, also zum Beispiel ganz unabhängige IRC-Channels...

UTh.:... dass sich dann so eine Art Kaskade gebildet hat, dass es weiterge­geben wurde...

CK.: ... die nicht mehr zusammenhingen mit dem Radiosender.

UTh.: Umh, aber ich meine jetzt auf der anderen Seite, wenn Sie das dann in einer Radiosendung direkt machen und dann ab und zu, was weiß ich, auch im Chat was beantworten oder da entgegennehmen. Sie müssen ja

Eine Möglichkeit, in Massenmedien einen „Rückkanal” für die Kommunikation der Rezipien­ten mit den (Massen-)Medienmachern aufzubauen, der synchron zur Sendung funktionieren kann, stellt der sog. Chat über das Internet dar. Vor allem für den Rundfunk gibt es hier Mög­lichkeiten, die Chatbeiträge, die in der Regel schriftlich gemacht werden, in der betreffenden Sendung gleich zu verlesen und darauf zu reagieren.

Hierzu kann man sich Beispiele aus der Radioarbeit von Constanze Kurz im Chaosradio an­hören, z.B. zu den Themen:

- Soziale Netzwerke - Fluch oder Segen? Eine Debatte über den Umgang mit den neu­en Netzwerken. Frank Rosengart, Constanze Kurz (23.04.08): Podcast online: http:// chaosradio.ccc.de/cr134.html
- Computerverwanzung. Aktuelle Berichterstattung über den Status Quo im Bereich Online-Durchsuchung. Constanze Kurz, Erdgeist, Frank Rieger (27.02.08): Podcast on­line: http://chaosradio.ccc.de/cr132.html
- Ausbruch aus dem panoptischen Gefängnis. Praktische Tipps für den überwachten Alltag. Frank Rosengart, Constanze Kurz (30.01.08): Podcast online: http://chaosradio. ccc.de/cr131.html

Was kann man sich aber überhaupt unter einem Chat im Internet vorstellen und wie funktio­niert hier das Chatten?

Von Zephyr", „ICQ” und anderen: Chats im Netz

Persönliche Gespräche sind für Menschen auch in einer virtuellen Umgebung eine tägliche Selbstverständlichkeit geworden. Die verschiedenen Chat-Dienste haben daher heute eine hohe Nutzerzahl.

Ein frühes Beispiel für Chat-Systeme ist das in den frühen 90er Jahren vom MIT entwik- kelte Zephyr. Der erste Dienst, der sich ab 1996 für Windows-PCs weitverbreitete, war ICQ. Gegenüber Zephyr bot dieses kommerzielle Programm den Kommunikationsteilnehmern eine grafische Oberfläche und damit eine bequeme Benutzbarkeit Erstmals konnten sich damit normale Computerbenutzer auf einfache Weise direkt zum synchronen Austausch verbinden (vgl. Evans/Wurster, 2000). Ein zentraler Server verwaltet ein Adressierungssystem und ermöglicht jedem Benutzer die Identifizierung am Server. Wie die meisten Chats heute hat also ICQ einen zentralen Server, der die Koordination für die Benutzer übernimmt, wäh­rend die Kommunizierenden auf ihren Rechnern dem Anschein nach direkt zu dem jeweili­gen Gesprächspartner verbunden werden. Der Einsatz einer zentralen Instanz als Einstiegs­punkt ermöglicht es dem Benutzer also zunächst, sich mit seinem Benutzernamen zu au­thentifizieren und anzumelden, darüber hinaus aber auch Nachrichten zeitweise zu spei­chern, falls der gewünschte Gesprächspartner gerade offline ist Im Falle von ICQ ist zusätz­lich jedoch auch eine direkte Verbindung zwischen zwei Clients möglich, der zentrale Server dient dann nur als „Fallback”-Instanz im Hintergrund.

Heute weit verbreitete kommerzielle Chat-Systeme sind der Instant Messenger der Fir­ma AOL, der Yahoo! Messenger und der MSN Messenger. Die Instant-Messaging-Plattform Jabber (http://www.jabbercentral.com/) ist ein weiteres in den letzten Jahren populär ge­wordenes Peer-to-Peer-Chat-System. Das Open-Source-Projekt ermöglicht es nun im Unter­schied zu den meisten anderen Chat-Diensten, zuvor inkompatible Chat-Protokolle gemein­sam zu verwenden.

für die, die hören, also die sozusagen nur den massenmedialen Kanal offen haben, für die müssen Sie das ja irgendwie wieder vertexten. Also Sie müs­sen es sprechen oder vorlesen.

CK.: In der Regel ist es so, dass der Moderator oder eben man selbst diese Fragen aufnimmt, so dass sie über das normale Rundfunkmedium dann auch für die anderen Hörer mit verfolgbar sind, klar. Es hat sich auch erge­ben, dass manche Fragen tatsächlich nur im Chat blieben und da auch nicht mehr rauskamen. Zum Beispiel, wenn sie technischer Natur waren oder nur eine kurze Ja-Nein-Frage, so dass sie dann einfach nicht mehr in diesen anderen Radiorahmen kamen.

UTh.: Und warum kamen sie nicht in den anderen Radiorahmen? Ich glau­be, das ist ein ganz spannender Punkt an der Stelle. Sie haben gerade eben gesagt: ,wenn sie technischer Natur waren’ - ist man dann davon ausgegan­gen, dass die meisten sich nicht für technische Details interessieren und dass man deshalb nichts darüber sagen muss?

CK.: Ja, zum einen, weil man annimmt, dass eine Frage in ihrer Detailtiefe den normalen Hörer überfordert oder dass man sehr weit ausholen müss­te, um es tatsächlich für jeden verständlich zu machen. Zum zweiten sind es natürlich auch Fragen - es war eine dreistündige Sendung -, die am An­fang schon beantwortet wurden und man Fakten nicht noch einmal sagen wollte. Manchmal gab es auch einfach Fragen, die „off topic” waren, sie gehörten nicht wirklich zum Thema. Man beantwortet sie zwar mal kurz, aber es ist nichts, was eigentlich zum Thema passt. Es haben sich, wie bei einem Baum, auch Verästelungen gebildet, die nicht zum Stamm der Ra­diosendung dazugehört haben. War ganz interessant zu sehen.

UTh.: Ja, vor allem finde ich: Man kann viel über Medienkonvergenz reden, aber im Prinzip haben sie ja eigentlich zwei Medien parallel benutzt...

CK.: ... drei eigentlich...

UTh.:... oder sogar drei, wenn man das persönliche Gespräch noch mit hin­ein nimmt, was man ja im Studio dann oft auch macht, wenn das Mikrofon gerade nicht „on air” ist. Das kommt noch als zusätzliche Ebene dazu.

CK.: Stimmt, ja.

UTh.: Aber im Prinzip zeigt sich doch sehr schön, dass das Massenmedium eigentlich die Inhalte rüberbringt oder rüberbringen muss, die sich eben für die Masse als interessant erweisen. Damit meine ich also, darin ist es wirk­lich ein exemplarisches Aufmerksamkeitsmedium - es versucht zuzuspit­zen, zu verbreiten.

Neben diesen Insfant-Messaging-Systemen hat sich auch andere Chat-Software wie IRC eta­bliert Die Abkürzung IRC steht für „International Relay Chat”. Mit Hilfe dieses Internetdiens­tes kann sich der Benutzer in virtuellen Chaträumen, den sog. Channels, gleichzeitig mit an­deren Kommunikationsteilnehmern bewegen. ICQ ist ebenfalls ein Peer-to-Peer-System, und der Zugang zum Chat ist unabhängig vom benutzten Computer.

Der Chat - unabhängig davon, ob sich zwei Personen direkt unterhalten oder in Chat­räumen Gruppen von Menschen kommunizieren (vgl. zum Kommunikationsverhalten in Chats die Beiträge in Beißwenger, 2001) - bewegt sich heutzutage mit den jeweiligen Kom­munikationsteilnehmer auf die jeweilige Maschine, die gerade benutzt wird. Die Vorstellung von permanenter kommunikativer Verfügbarkeit wird damit Realität - natürlich nur, solange der Benutzer einen Rechner oder ein anderes Kommunikationsgerät verwendet und sich einloggt.

Literatur/Quellen:

Philip Evans, Thomas Wurster, 2000: Blown to Bits. How the New Economics of Information Transforms Strategy. Boston, Mass.

Michael Beißwenger (Hrsg.), 2001: Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter Kommunikation. Stuttgart

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Freunschafts-Chat auf eBay

CK.: Interessant ist an dem Beispiel noch, dass nach der Sendung jeweils diese Sendung auch als Podcast angeboten wird. Viele von den Leuten, die das eben nicht synchron gehört haben, holen sich später die Radiosen­dung auf ihren Rechner oder eben auf ihr mobiles mp3-Gerät und hören sie sich an. Die Hörerzahlen können über das Internet weit größer sein. Al­so das heißt dann, die Mehrheit der Hörer entscheidet sich dafür, selbst zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt sie die Sendung hören möchten. Es sind manchmal mehr als die Radiohörer am Rundfunkempfänger, wenn man es mal so altmodisch ausdrücken möchte.

UTh.: Ja, das ist ja das Problem der elektronischen Massenmedien. Wenn wir mal Video ein bisschen herausnehmen, sind Sendungen normalerwei­se nur in einem schmalen Zeitfenster zu rezipieren. Das kommt also zu ei­ner bestimmten Zeit rüber. Wenn die Sendung vorbei ist, ist sie vorbei. Und wenn man die Tageszeitung vergessen hat zu kaufen oder so, dann muss man gucken, wo man die vielleicht noch herbekommt, aber es ist schwie­rig, weil die Aktualität eventuell verlorengeht. Stattdessen kommt jetzt mit Podcast, Videocast und was es alles noch so gibt - oder eben auch, wie in Ihrem Beispiel mit Chats, die ja meist zumindest eine gewisse Zeit lang ge­speichert bleiben -, ein asynchrones Element hinein. Man hat die Möglich­keit, das jetzt noch mal versetzt zu rezipieren. Insofern steigt die Reichwei­te, das ist das eine. Aber auf der anderen Seite kommt natürlich auch eine neue Nutzungsform, sozusagen schon im Massenmedium hinzu. Man hat jetzt nicht mehr nur das eine „Audience”, das Publikum, was lauscht, was...

CK.: ... zeitgleich...

UTh.:... was zeitgleich hört, genau. Gut, die Auflösung des „einen, synchro­nen Publikums“ hatte teilweise mit den vielen Sendekanälen usw. sowieso schon begonnen. Früher war das ja sehr stark formiert mit - in Deutschland - zwei öffentlich-rechtlichen Kanälen, wo dann alle zur Fußballweltmeister­schaft alter Zeit...

CK.: ... gemeinschaftlich am Fernseher hockten.

UTh.: ... und bei den Krimis, den „Straßenfegern“! Das hat sich insofern schon aufgelöst. Aber was sich jetzt zeigt, ist eigentlich eine völlige zeitliche Mobilisierung oder Entkopplung vom Ursprung der Sendungen.

CK.: Es hat sich sogar wieder rückübertragen auf das Fernsehen, denn wenn man sich die neue Technik für die DVD-Recorder ansieht...

UTh.: ... ah ja, hmm...

Die Kombination massenmedialer Kommunikation mit einem kybernetischen Interaktions­medium verweist eindrücklich auf die grundsätzlich neue Situation medialer Kommunikati­on. Wurden bislang die elektronischen Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen, be­sonders das Fernsehen, als gesellschaftliche „Leitmedien” betrachtet, so findet durch das Auftreten des Computers und der Computer- sowie Mobilnetze eine Neupositionierung dieser Medien in Form einer Dezentrierung statt.

Vom Lagerfeuer zum FlackeHicht

Ab Ende der 1950er und auch noch in den 1970er und 1980er Jahren konnte davon gespro­chen werden, dass das Fernsehen als zentriertes und zentrierendes Massenmedium die Auf­merksamkeit des ganzen Publikums fesselte. Besonders deutlich war dies an der Rezeption des Fernsehens in Familien zu beobachten. Hier wurde der Fernsehapparat zum zentralen Einrichtungsgegenstand des Wohnzimmers, auf den sich die ganze Aufmerksamkeit aller Fa­milienmitglieder richtete (vgl. Eurich, Wurzberg, 1983). Besonders bei Femsehgroßereignis- sen wie Sportübertragungen, reißerischen Krimis, Krönungen, Staatsbesuchen, Mondlan­dungen etc. war dies der Fall. Man hatte das elektronische Lagerfeuer erfunden, das die The­se des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan vom „Global Village” so ein­drucksvollzu zu bestätigen schien. Der Familienclan war jetzt um das elektronische Lagerfeu­er versammelt, um, wie all die anderen Millionen Clans weltweit, die Mythen und Erzählun­gen der modernen Gesellschaft zu verfolgen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Fernsehen als Familienlagerfeuer (Ende der 1950er Jahre)

Diese zentrierende Funktion für die gesellschaftliche Kommunikation beginnen die elektro­nischen Medien bereits in den 1980er Jahren mit der weiteren Verbreitung privater Angebo­te und einer daraus resultierenden Konkurrenzsituation sowie Parzellierung dieser Angebote zu verlieren. Nach Angaben der ALM (2007) sind in Deutschland allein für das Fernsehen derzeit 119 private Programmangebote zu empfangen. Obwohl man hier einen gesättigten Markt erwarten dürfte, ist die Zahl der privaten Angebote seit 2003 kontinuierlich ange­wachsen.

CK.:... die sind natürlich in der Weise programmierbar, dass man sich sein Wunschprogramm auf die Festplatte schreiben oder sich als DVD gleich brennen lässt und dann eben fernsieht, wann man Lust hat. Auch die Aus­wahl ist stark technisiert, wenn man sich die Menüs dort ansieht, wo man beispielsweise die relevanten Informationen für nächste Woche Dienstag abrufen kann und dann eben noch schnell programmiert. Man braucht nicht mehr um 20:15 Uhr zu Hause zu sein, wenn man sich einen bestimm­ten Film ansehen will, der da nun gerade kommt. Diese Geräte bieten tech­nische Möglichkeiten, die Werbung, die ja viele Leute doch sehr stört, ein­fach gleich mit zu entfernen, wogegen sich natürlich die Fernsehsender wehren, weil sie natürlich dieses nicht möchten - es ist ja ihre Einnahme­quelle.

UTh.: Wie funktioniert das eigentlich, woran wird die Werbung erkannt? Die muss ja irgendwie herausgeschnitten werden.

CK.: Es gibt verschiedene Techniken. Es gibt Techniken, die beziehen sich darauf, dass in der Regel die Tonfrequenzen für die Werbung höher sind. Beim Radio kann man das sehr oft bemerken, dass man unangenehm spürt, dass die Werbung im Radio lauter erscheint; beim Fernsehen ist es nicht so auffällig wegen des Bildes, aber in der Regel kann man es gut de- tektieren.

UTh.: Das wäre dann eher das Volumen als die Frequenz.

CK.: Ja, und die meisten privaten Fernsehsender haben irgendeine Art von Intro für diese Werbung.

UTh.: Jingles.

CK.: Nicht mehr alle, aber manche. Das ist relativ leicht detektierbar. Es gibt aber auch Geräte, wo man es schlicht per Hand machen muss. Das ist natürlich nicht unbedingt eine gute Lösung. Ich denke auch, dass sich die Fernsehsenderauf jeden Fall technisch darauf einstellen werden, denn dau­erhaft werden sie sich natürlich dagegen wehren, dass die Werbung her­ausgeschnitten wird, weil sie damit ihre Einnahmequellen verlieren.

UTh.: Was vermuten Sie, was da die Reaktion sein wird? Also mehr und mehr Inbound-Werbung, die im redaktionellen Teil eingebunden ist, mehr Product-Placement?

CK.: Wir haben es eigentlich heute schon. Mir ist es so ungefähr seit einem Jahr im Fernsehen aufgefallen, dass diese Inbound-Werbung häufiger wird - also vielleicht siebensekündige, mitten in der Sendung befindliche Informa­tionsbits, die eingeblendet werden. Ich denke, das wird zunehmen, denn vermutlich wird der Weg dieser Amerikanisierung, der Schritt für Schritt pas-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Entwicklung von Programmangeboten des Rundfunks und des Fernsehens, aber auch der Printmedien für das Internet, die es erlauben, auch tagesaktuelle Angebote asynchron zu ver­folgen, sowie die Entwicklung von DVB-T, Handy-TV und von Speichergeräten wie DVD-Re- cordem, die es erlauben, zeitversetzt die Programme einer ganzen Woche gefiltert nach indi­viduellen Themenvorgaben aufzunehmen, dürfte die Synchronisierungs- und Zentralisie­rungsfunktion massenmedialer Aufmerksamkeitsmedien zukünftig weiter in Frage stellen.

Wie der Rundfunk, zeigt jetzt auch das Fernsehen eine Tendenz, sich vom Lagerfeuer, um das sich der Familienclan sammelt, zum en passant rezipierten Medium zu entwickeln, das meist nur noch den Hintergrund des Alltags mit seinem Flackerlicht erhellt

Literatur/Quellen:

ALM - Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), 2007: ALM Programmbericht - Fernsehen in Deutschland 2007 Programmforschung und Programmkurs. Berlin. Online: http://www.alm.de/l41.html/

Claus Eurich, Gerd Würzberg, 1983: 30 Jahre Femsehalltag. Wie das Fernsehen unser Leben verändert hat Reinbek.

Weitere Möglichkeiten der Individualisierung massenmedialer Kommunikation durch kyber­netische Interaktionsmedien bieten die angesprochenen Techniken, lästige oder uner­wünschte Inhalte vom Computer im Datenstrom der aufgenommenen Sendungen automa­tisch erkennen und entfernen zu lassen - etwa die allfällge TV-Werbung.

„Nicht immer, aber immer öfter": Erkennung von Werbung in TV-Sequenzen

Ronald Glasberg vom Institut für Telekommunikationssysteme der Technischen Universität Berlin hat hierzu eine Software zur sog. Genre-Klassifikation von mpeg-2-Videos entwickelt Die Videodaten werden dabei von den Audiodaten getrennt, mittels Deskriptoren auf gen­retypische Muster hin analysiert und anschließend mit Musterdaten verglichen und u. a. se­mantisch gewichtet, so dass etwa Werbesendungen von Sportsendungen automatisch an­hand genretypischer Merkmale, wie etwa Schnittrythmus oder Verhältnis von Vordergrund- zu Hintergrundmotiven, zu unterscheiden und ggf. zu herauszufiltem sind (vgl. http://www. nue.tu-berlin.de).

sieri, auch bei der Werbung erfolgen. Also kürzere Werbeblöcke, die nicht mehr angekündigt werden, aber eben dann nur wenige Spots transportie­ren, vermutlich. Die privaten Fernsehsender haben ja auch verkündet, dass sie ihr Programm nicht mehr frei und unverschlüsselt senden wollen.

UTh.: Also eher solche Fernsehabonnements oder andere Bezahlangebote, bei denen man dann annimmt, dass die Leute die Sachen wirklich sehen wollen, weil sie dafür bezahlt haben.

CK.: Ja, mittlerweile gibt es wohl einen ziemlich festen Stamm von zum Bei­spiel Premiere-Abonnenten, die einfach ihre Sehgewohnheiten darauf ein­stellen, da eben der Film nicht einmal kommt, sondern fünfmal, klar. Nur ist in Deutschland diese Bezahlfernsehen-Variante immer noch marginal geblieben. Also spielt sie auch wirtschaftlich nicht die große Rolle. Wenn sich aber tatsächlich die großen Sendeanstalten, RTL oder Sat.1, entschei­den, verschlüsselt zu senden, sollte das schon große Veränderungen bewir­ken, denke ich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Komiker Hape Kerkeling alias „Horst Schlämmer” im Dienste des Buzz-Marketings für Volkswagen (Videoblog 2007, Agentur: DDB Berlin / Tribal DDB)

Für die Werbung, von der die meisten Massenmedien finanziell abhängig sind, weil ihre Pro­duktion und Distribution kostenintensiv ist, ist diese individuelle Mobilisierung der Medien­rezeption problematisch. Wer aber meint, das sei das Ende der Werbung, der irrt!

Jenseits von Tante Klementine und Herrn Kaiser: Neue Werbeformen

Das waren noch Zeiten, als in Zeitschriften, Plakaten, Radio- oder Fernsehwerbung klar zu erkennen war, wenn Tante Klementine etwas vom Waschmittel erzählte oder Herr Kaiser Nettes zu einer Versicherung sagte - aus und vorbei! Die Konkurrenzsituation massenmedia­ler Werbeangebote und die Individualisierung der Rezeption potenzieller Konsumenten hat dazu geführt, dass sich die Werbekommunikation ebenfalls zu individualisieren beginnt und dazu teilweise erstaunliche Mimikryfähigkeiten ausbildet (vgl. z. B. Wyss, 2002).

Zusammenfasssend lesen wir etwa auf der Homepage zur Ausstellung „radicaladverti­sing” (05.04.-17.08.2008):

Auf den Mediaoverkill durch die totale Fragmentierung des Fernsehens, durch Web, Mobilfunk und Instant Messaging antwortet die Werbung mit einer zweiten ebenso ra­dikalen Volte im 21. Jahrundert: sie entfernt sich von der Massenkommunikation und spricht den einzelnen dort an, wo sie ihn erreicht. Die Beziehung zum Konsumenten wandelt sich vom Passiven zum Aktiven. Buzz-Marketing, Guerilla- und Am- bient-Werbung, Web2.0 erfinden den teilnehmenden Consumer. (http://www. radicaladvertising.de)

Im Detail lässt sich zum einen eine Spektakularisierung der Werbung beobachten, die ver­sucht, über die Aufmerksamkeit für Ereignisse Konsumhaltungen im Sinne ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Dazu zählen etwa Sensation Marketing (Marketing durch auffällige, unge­wöhnliche oder schockierende Aktionen), Branded Entertainment (Unterhaltungsangebote, die so attraktiv sind, dass sie nebenbei Markenbotschaften kommunizieren) oder Alternate Reality Games (Spiele, die als Wirklichkeit ausgegeben werden und dabei die Aufmerksam­keit irritieren, um eine positive Einstellung z. B. gegenüber einer Marke zu erzeugen).

Zum anderen fällt eine gezielte Individualisierung der Werbekommunikation auf. Dazu gibt Werbung die massenmediale Produzentenkommunikation auf und fügt sich wie selbst­verständlich in die Alltagskommunikation ein, um als Mund-zu-Mund-Propaganda weiterge­geben zu werden. Seit einigen Jahren dient dazu das euphemistisch als „Web 2.0” oder „Mitmach-Internef titulierte Netz als Basis, weil man entdeckt hat, dass die interaktiv Kom­munizierenden hier selbst die Medieninhalte produzieren. Beispielhafte Formen sind etwa das Buzz-Marketing („Buzz” englisch für „Gerede”). Diese Werbung wirkt als Gerücht, das weitergesagt wird. Dazu wird die Werbebotschaft oft in einen Informations-Virus einge­schlossen, der die Kommunikation thematisch infiziert und so die Kommunikationskette zur Infektionskette für die Verbreitung versteckter Markenorientierung o. ä. macht, entspre­chend der Verbreitungsform auch Virales Marketing genannt Ähnlich funktioniert Influencer Marketing das auf die Überzeugungskraft von Meinungsmachern setzt: Meinungsführer wie Stars, Idole oder die, die in einer Gemeinschaft über Reputation verfügen, werden dazu ge­bracht, bestimmte Produkte oder Dienstleistungen vorbildhaft zu nutzen.

Literatun

Eva Lia Wyss, 2002: Liasons dangereuses? Intertextualität und Mimikry der Werbung im Fern­sehen, in Zeitungen und im Internet In: Herbert Willems (Hrsg.): Die Gesellschaft der Wer­bung. Wiesbaden. S. 597-613.

[...]

Fin de l'extrait de 284 pages

Résumé des informations

Titre
Picknick mit Cyborgs
Sous-titre
Ein interdisziplinäres Gespräch über die alltägliche Vernetzung
Auteurs
Année
2010
Pages
284
N° de catalogue
V153456
ISBN (ebook)
9783640678426
ISBN (Livre)
9783640678563
Taille d'un fichier
19095 KB
Langue
allemand
Mots clés
Picknick, Cyborgs, Gespräch, Vernetzung
Citation du texte
Constanze Kurz (Auteur)Udo Thiedeke (Auteur), 2010, Picknick mit Cyborgs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153456

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