Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zur Verwendung des Computers in der Schule
2.1. Argumente gegen den Computereinsatz
2.2. Argumente für den Computereinsatz
2.3. Pädagogische Aspekte zum Einsatz des Computers in der Grundschule
2.4. Psychologische Aspekte zum Einsatz des Computers in der Grundschule
3. Über den Einsatz des Computers im Musikunterricht
3.1. Die fachwissenschaftliche Diskussion zum Thema Computer im Musikunterricht
3.2. Überlegungen zum Thema Computereinsatz im Musikunterricht der Grundschule
3.2.1. Organisatorische und technische Rahmenbedingungen der Schulen
3.2.2. Musiklehrerkompetenzen
3.2.3. Planung des Musikunterrichts mit dem Computer
3.3. Computersoftware für den Grundschulunterricht im Fach Musik
3.3.1. Kategorien von Unterrichtssoftware
3.3.1.1. Lehr- und Lernprogramme
3.3.1.2. Multimediale Informationsprogramme
3.3.1.3. Musikorientierte Spiele
3.3.1.4. Werkzeugprogramme
3.3.1.5. Tutorielle Systeme und Kommunikations- und Kooperationsumgebungen
3.3.2. Softwareangebot für den Bereich des Musikunterrichts
3.3.3. Qualitätstest und Bewertungsmöglichkeiten für Musik-Lernsoftware
3.3.4. Im Musikunterricht der Grundschule eingesetzte Software
4. Zusammenfassung
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Moderne Technologien halten immer mehr Einzug in unseren Alltag. Sie sind oft wichtiger Bestandteil der Arbeitswelt geworden und auch im privaten Bereich erfreuen sich die Erwachsenen am neuesten Notebook und an digitalen Videokameras. Die Industrie zielt mit ihren technischen Produkten jedoch längst nicht mehr nur auf die Erwachsenen, sondern vor allem auf die Kinder: Zu Weihnachten soll es ein „ schickes Handy “ sein, zum Geburtstag die „ beste Spielkonsole “ und zwischendurch ein schnellerer Computer. „ Den braucht man doch heute für die Schularbeiten “, rechtfertigen manche Eltern den Kauf dieser Neuanschaffung und hoffen dabei der Bildung und Entwicklung ihres Kindes „ Gutes “ zu tun. Dass sie durch den Kauf und die Bereitstellung des PCs möglicherweise Gegenteiliges bewirken, da eben nicht nur Vokabeln mit diesem Medium gelernt werden, sondern vor allem tüchtig gespielt wird, haben viele Eltern im Vorfeld nicht bedacht.1 Laut Statistik sind heute beinahe alle Kinder mit einem Handy ausgestattet und haben zu Hause sowohl Zugang zum Computer als auch zum Internet.2 Durch diese Allgegenwärtigkeit der High- Tech-Geräte und der intensiven Beschäftigung mit diesen, kennen sich Kinder und Jugendliche mit den neuen Technologien gut aus. Gerade im Bereich der Musik wissen sie genauestens Bescheid - manchmal besser als die Erwachsenen selbst: Sie tauschen mit ihren Handys über „ Bluetooth “3 MP3's aus und erstellen „ Playlists “ 4 aus ihrer Musiksammlung. Sie „brennen“ sich gegenseitig Musik-Cd's, schneiden Musikvideos für „ youtube “5 zusammen oder gebrauchen die „ DJ- Features “ 6 ihres Multimedia-Handys um Musik zu „ scratchen “, zu „faden“ oder für's „ Sampling “7. Die Kinder und Jugendlichen sind also in der Lage, ihre Medienkompetenzen zum Teil selbstständig auszubilden. Dieser Umstand könnte sich für den Schulunterricht durchaus Vorteilhaft auswirken, da die Lehrerinnen und Lehrer die Zeit für das Einführen in die Computerbedienung sparen und somit gleich mit der Arbeit an den „ richtigen “ Programmen beginnen könnten. Aber welche sind die „ richtigen “ Programme für den Schulunterricht? Ist die auf dem Markt erhältliche Software für den Unterricht geeignet?
Vor Klärung dieser Fragen muss untersucht werden, ob der Einsatz des Computer als Lernmedium für den Unterricht überhaupt sinnvoll ist, da Kinder und Jugendliche heute schon sehr viel Zeit vor Bildschirmmedien verbringen.8 Wie sinnvoll ist zudem der Einsatz des Computers während der Grundschulzeit, in der sich die sozialen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder in einem besonderen Entwicklungsstadium befinden? Diesen Fragen soll in der vorliegenden Arbeit, anhand der Meinungen und Forschungsergebnisse von Lehrern, Erziehungswissenschaftlern und Psychologen, nachgegangen werden.
Besondere Aufmerksamkeit wird im Folgenden den Einsatzmöglichkeiten des Computers für den Musikunterricht (im Weiteren als MU bez.) in der Grundschule gewidmet: Gibt es didaktisch bzw. methodisch wertvolle Software für den MU, die von Lehrern bedenkenlos eingesetzt werden kann? Wer bewertet diese Software und nach welchen Kriterien? Und was haben Musiklehrer vor dem Einsatz des Computers im Unterricht grundsätzlich zu beachten? Nach Diskussion dieser Fragen soll in einer Zusammenfassung der Hauptfrage dieser Arbeit - ob der Einsatz des Computers im MU der Grundschule pädagogisch wertvoll ist oder nicht - nachgegangen werden.
2. Zur Verwendung des Computers in der Grundschule
Bevor die Meinungen verschiedener Pädagogen und Wissenschaftler zum Thema Computereinsatz in der Grundschule angehört werden sollen, ist der Blick zunächst auf die Vorgaben des Bildungssystems - in diesem Fall auf das Kerncurriculum für die Klassen eins bis vier - zu richten. Die Aufgabe der Schule ist es, den Schülern die im Kerncurriculum festgelegten Kompetenzen, zu vermitteln. Das Niedersächsische Kultusministerium fordert in den curricularen Vorgaben explizit den Umgang mit neuen Medien im Unterricht:
„ In der Auseinandersetzung mit audiovisuellen und neuen Medien eröffnen sich den Schülerinnen
und Schülern erweiterte Möglichkeiten der Wahrnehmung, des Verstehens und des Gestaltens. Für den handelnden Wissenserwerb sind Medien daher selbstverständlicher Bestandteil des Unterrichts. “ 9
Zu den hier erwähnten neuen Medien gehört in jedem Fall auch der Computer. Diesen in den Schulunterricht zu integrieren kann einerseits sinnvoll, andererseits aber auch pädagogisch fragwürdig sein.
Unter den Wissenschaftlern und Pädagogen gibt es zu diesem Thema viele Meinungen:
Einige lehnen den Computereinsatz vehement ab, da sie glauben, dass Computer die kindliche Entwicklung behindern. Andere sehen im Medium Computer wiederum ein wichtiges und zukunftsweisendes Medium für den Schulunterricht, dessen Einsatz gefördert werden müsse. Der Großteil der Pädagogen ist allerdings der Ansicht, dass ein gezielter Einsatz des Computers, wenn dieser mit sowohl didaktisch als auch methodisch angemessener Software verwendet wird, die Motivation der Lernenden durchaus steigern und den individuellen Lernprozess fördern kann. Im Folgenden sollen Argumente für und gegen den Einsatz des PCs in der Grundschule aufgezeigt werden. Besondere Aufmerksamkeit soll hierbei den Erkenntnissen der Wissenschaftler und Pädagogen gewidmet sein, die dieses Thema differenziert betrachten.
2.1. Argumente gegen den Einsatz des Computers in der Grundschule
Ein wahrer Gegner des Computereinsatzes in Schulen ist der amerikanische Astronom und Computer- bzw. Internetkritiker Clifford Stoll. Er betrachtet sowohl die privaten Multimediageräte als auch den Computereinsatz in der Grundschule als Gefahr. Er behauptet:
„ Was nützt einem Kind sein modisches Spielzeug, wenn es ihm im Unterricht an Aufmerksamkeit fehlt, wenn es nicht mehr als einen Abschnitt lesen kann oder in der Lage ist, klare Gedanken zu fassen und aufzuschreiben? [ … ] Wenn Kinder ohnehin schon zu viel fernsehen, warum installiert man MultimediaSysteme in den Schulen? “10
Dies sind sicherlich begründete Fragen, mit denen sich das Bildungssystem insgesamt, sowie Lehrer und Eltern, zum Schutz der Kinder, auseinandersetzen sollten.
Der Psychologe und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Manfred Spitzer sieht Computer in Schulen ebenso ungern wie Stoll. Als er in einem Interview gefragt wird, ob er denn alle Computer von den Schulen wieder entfernen lassen würde, antwortet Spitzer: „ Ich würde erst gar keine anschaffen und das Geld lieber für zusätzliche Lehrer ausgeben. Die Geräte veralten doch so schnell, dass man im Grunde in Müll investiert. In Baden-Württemberg haben wir letztlich mehr als 200 Lehrer-Stellen nur für die Administration der Computer, das ist ein Skandal. Die sollten besser mit den Kindern arbeiten. “ 11
Es scheint plausibel, dass Lehrer vor allem für den Unterricht mit den Schülern eingesetzt werden sollten und nicht zum Einrichten von Computersystemen. Für die administrativen Aufgaben in Schulen müsste im Grunde zusätzliches Personal angefordert werden, die in diesem Bereich speziell ausgebildet sind. Eine Schulform in der Computer bis zur 8. Klasse überhaupt keinen Platz finden ist die private Waldorfschule. Die Waldorfpädagogik begründet dies mit dem Argument: „ Schule sollte Menschen untereinander und mit der Welt in einem Klima menschlicher Wärme real vernetzen “12.
Da Computer dazu nicht in der Lage seien, ist es für die ersten Schuljahre unnötig, Medien dieser Art einzusetzen. Zudem würde der Computerunterricht die genuine Sprach- und Sozialkompetenz hemmen, die wiederum nur in der Zuwendung zum Mitmenschen und nicht anhand eines technischen Surrogats entwickelt werden könne, so der Bund der deutschen Waldorfschulen. 13
2.2. Argumente für den Computereinsatz in der Grundschule
Befürworter des Computereinsatzes in Schulen würden dem eben genannten Argument der Walddorfschule sicher entgegensetzen, dass gerade der Sektor für Sprachensoftware besonders umfangreich sei und demnach sehr wohl eine sprachliche Kompetenz am Computer erworben werden könne; und dass auch die sozialen Probleme, wie z.B. fehlende menschliche Nähe etc., durch Zusammenarbeit im Netzwerk oder Gruppenunterricht am Computer behoben werden könnten. Befürworter des Computerunterrichts halten die Ansichten ihrer Gegner meist für altmodisch und realitätsfern:
„ Der Computer gehört längst selbstverständlich zur Umgebung unserer Kinder im Grundschulalter.
Ob Kinder mit oder ohne Computer lernen sollen, ist so bedeutungsvoll wie der Streit, ob sie auf Schiefertafeln oder Papier schreiben sollen: Selbstverständlich sind verfügbare Werkzeuge zu nutzen! “14
Schenkt man den Stimmen der Computerbefürworter jedoch besondere Aufmerksamkeit, so ist zumindest bei einigen von ihnen, recht bald ein wirtschaftliches oder politisches Interesse festzustellen.
Wenn z.B. der Leiter eines Softwareverlages Lernprogramme von hochqualifizierten Informatikern programmieren lässt, sich im Vorfeld aber nicht von Bildungsexperten bzw. Pädagogen beraten lässt (der Zeit- und Kostenaufwand wäre dabei um einiges höher), dann geht es ihm wohl vorrangig um den Verkauf seines Produkts und nicht um den Wunsch den Benutzern eine gute Bildung zu ermöglichen. Argumente die aus den Reihen der Wirtschaft hervorgehen und sich für den Computereinsatz aussprechen, sollten demnach besonders kritisch betrachtet werden. Wenn für Produkte mit Formeln wie „ Pädagogisch wertvoll! “ oder „ Spielend lernen mit Spaß ! “ geworben wird und dabei nicht zu erkennen ist, welche wissenschaftliche bzw. pädagogische Institution dieses Lernmedium getestet hat, sollten diese Produkte besonders aufmerksam begutachtet werden.
Neben wirtschaftlichen Interessen sollten auch manche Äußerungen, die aus der Politik zu diesem Thema hervorgehen, kritisch überdacht werden.
Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog scheint, aufgrund seiner Aussage auf dem Deutschen Bildungskongress in Bonn (1999), ein „ wahrer Fan “ von Computern im Klassenzimmer zu sein, wenn er behauptet:
„ Der Umgang mit dem Computer gehört aber wie das Lesen Schreiben und Rechnen heute zu den selbstverständlichen Kulturtechniken, die fast in allen Fächern Auswirkungen haben.[...] Für mich steht fest: Computer gehören in jedes Klassenzimmer! Es gab in den letzten Jahren eine groß e Anstrengung der Politik und der Wirtschaft, unsere Schulen ans Netz zu bringen. “15
Wenn das höchste deutsche Staatsoberhaupt die These aufstellt, dass Computer auf die meisten Fächer in der Schule Auswirkungen haben, ist ihm damit teilweise recht zu geben. Ob diese Auswirkungen jedoch positiv für die Lernenden sind, wird in Herzogs Rede nicht offenbar. Fragwürdig ist aber, warum Herzog gleich jedes Klassenzimmer mit vernetzten Lerncomputern ausrüsten lassen will! Wäre dies ein Garant dafür, dass die Kinder leichter und motivierter, sprich „ besser “ lernen?
Diesbezüglich könnte vermutet werden, dass die Politik und die Wirtschaft diese Anstrengungen unternehmen, damit der deutsche Bildungssektor im internationalen Vergleich konkurrenzfähig erscheint. So bemerkt Herzog im weiteren Verlauf seiner Rede: „ Die USA haben vorgemacht, dass so etwas geht - als gemeinschaftliche Anstrengung von Staat und Wirtschaft. “ 16 Als maßgebend für unsere Bildung sieht Herzog vornehmlich nicht die Erkenntnisse der Erziehungswissenschaft, sondern eher das High-Tech-Edutainment 17 der USA . Die Forderung zur Anschaffung hunderttausender Computer für die Klassenzimmer würde Unsummen an Bildungsausgaben verschlingen, die Wirtschaft jedoch ankurbeln. Allerdings würden, wie Manfred Spitzer kritisch anmerkte, die Computersysteme in ein paar Jahren wieder veraltet sein. Ob die Massen vernetzter Computer in den Schulen überhaupt sinnvollen Einsatz fänden, sei zudem dahingestellt. Alternativ könnte der Staat für diese Gelder vielen unbeschäftigten Lehrerinnen und Lehrern eine Arbeit bieten, was wohl letztlich die pädagogisch wertvollere und menschlich sinnvollere Entscheidung wäre.
Nicht zu vergessen sind zudem die hohen laufenden Kosten für den Strom, die Administration und die Software der Schulcomputer. Ist der Kosten-Nutzen-Faktor dieser Großinvestition gerechtfertigt oder wäre es nicht völlig ausreichend, zunächst einmal ein bis zwei gut ausgestattete Computerräume pro Schule einzurichten?
An dieser Stelle soll ein Blick auf den UNO-Weltgipfel von 2005 geworfen werden, bei dem sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, für den Einsatz und die Entwicklung des „ OLPC “18 ausspricht:
„ Der 100 Dollar Laptop ist eine bedeutende technische Leistung. Er kann fast alles was gr öß ere und teurere Computer können. Er verheiß tökonomische und soziale Fortschritte. “19
Dem schließt sich der Gründer des „ OLPC “ -Projekts, Nicolas Negroponte, mit den Worten an:
„ Es wird nicht immer 100 Dollar kosten. Der Preis sinkt weiter. Wir versprechen den Regierungen, dass der Preis niedriger und niedriger und niedriger werden wird. “20
Vorrangig geht es hier also um Preise und technische Leistungen, die wirtschaftliche und ökonomische Fortschritte mit sich bringen sollen - von pädagogischem Nutzen oder gar von Kindern die zunächst etwas zu Essen brauchen, bevor sie für 100 Dollar Laptops für ihre Bildung kaufen gehen, spricht hier keiner. Das die Preise, gerade im Wirtschaftszweig der Computerhardware, weiter und weiter sinken werden, ist dazu nichts neues. Die „knallig-bunten“„ 100-Dollar-Laptops “, die Herr Negroponte millionenfach verkaufen will, sind realistisch betrachtet nicht einmal die Hälfte wert. Diese Geräte entsprechen etwa den technischen Leistungen der Computer aus dem Jahre 2002. Negroponte stellt die Situation jedoch so dar, dass die Verbreitung seines „ Bildungswunder-Laptops “ eine gutgemeinte Geste für „ die Armen dieser Welt “ ist und - sei mir diese zynische Bemerkung an dieser Stelle bitte gestattet - sitzt dabei „ händereibend “ vor seinem Rechner, um seinen Gewinn zu kalkulieren: 100 Millionen Laptops mal 100$ sind eine stattliche Summe, die wirtschaftlich gesehen nicht irrelevant ist. Besonders kritische Stimmen könnten behaupten, er habe eine „ Bildungsmarktlücke “ gefunden. Dass sich nicht alle potenziellen Käufer, also die Regierungen der Schwellen- bzw. Entwicklungsländer, von Negroponte's „ OLCP-Idee “ so unkritisch begeistern lassen, wie er es sich womöglich wünscht, beweist z.B. die indische Regierung durch Sudeep Banerjee. Dieser bezweifelt den pädagogischen Wert dieses Projekts von Grund auf und gibt zum Ausdruck, dass die Computer dem Ziel entgegenstehen könnten, die kreativen und analytischen Fähigkeiten der Kinder zu entwickeln. Eine Investition des Geldes in traditionelle Schulmittel, wie Schulgebäude und Lehrer wäre sinnvoller, so der Staatssekretär. Die Onlinezeitschrift Telepolis gibt zu denken, dass die finanziellen Mittel der Entwicklungsländer auch bei einem Preis von 100 Dollar pro Laptop nicht ausreichen würden.
Zudem würde letztlich massenweise Elektronikschrott anfallen, für den ein besonders teures Recyclingprogramm erstellt werden müsse.21
An diesem Beispiel wird offenbar, dass sich Politik - in diesem Fall die UNO - in naiver Hoffnung der Wirtschaft unterwirft, um der Bildung von Kindern in Entwicklungsländern „ Gutes “ zu tun.
2.3. Pädagogische Aspekte des Computereinsatzes in der Grundschule
In der Fachliteratur sind zum Thema „ Computer in der Grundschule “ differenzierte Äußerungen zu vernehmen. Der Tenor der Erziehungswissenschaftler besagt im Grunde, dass der Computer als ein Lernmedium unter vielen gesehen und genutzt werden soll. Die Einsatzmöglichkeiten seien sehr vielfältig. Dennoch sollte besonders darauf geachtet werden, dass der Computer nicht bedenkenlos im Unterricht eingesetzt wird. Gerade für die Grundschule gilt, dass der Computer dort nur in „ hoher pädagogischer Verantwortung “ eingesetzt werden dürfe.22 Um einer pädagogischen Verantwortung überhaupt nachkommen zu können, müssen zunächst die Grundbedürfnisse der Kinder erforscht werden. Diese hat die Psychologin Mia Kellmer-Pringle in knapper Form mit passenden Worten erfasst:
„ Die Grundschule ist ein lebensnaher Lern- und Lebensraum, der sich bemüht, den elementaren Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Zu diesen zählt das Bedürfnis nach Geborgenheit und Anerkennung der eigenen Persönlichkeit, das Bedürfnis nach neuen Erfahrungen, die Lernen ermöglichen und geistiges Wachstum anregen, das Bedürfnis nach Lob und Anerkennung sowie das Bedürfnis, Verantwortung zuübernehmen und einzuüben. “23
Der Erziehungswissenschaftler Dr. H. Mitzlaff weist darauf hin, dass der Computer vor der Tragweite der eben aufgeführten Bedürfnisse im Grunde bedeutungslos erscheint. Der Computer soll nicht, wie es beim Fernseher oftmals geschieht, den „ Babysitter “ oder die „ Erzähloma “ ersetzen. Sind die Grundbedürfnisse durch das Elternhaus und die Schule bei den Kindern jedoch befriedigt, so dürfte bei einem „ gelegentlichen, zeitlich begrenzten und pädagogisch begleiteten Umgang mit Computern und mit altersadäquater, pädagogisch guter Software keine Gefahr bestehen “24. Wenn es dem Elternhaus zudem gelingen würde ihrem Kind verständlich zu machen, dass es den Computer vor allem nicht als ein Spielzeug ansieht, sondern als ein Lernmittel, dann könnte man ihm die Verantwortung für das Lernen mit diesem Medium nach und nach übertragen und darauf vertrauen, dass die Kinder selbst den „ Ausschalter “ des Computers benutzen. Dies wäre jedoch ein unwahrscheinlicher Idealfall. In der Realität sieht es wohl eher so aus, dass Eltern ihren Kindern versprechen, dass diese nach den Hausaufgaben am Computer noch „ ein paar Minuten “ spielen dürfen.
Insgesamt sollte dem Lernen am Computer aus Sicht der Pädagogik nicht zu skeptisch gegenübergestanden werden. Denn auch diesem Medium können einige positive Wirkungsfaktoren zugeschrieben werden. Ein Computer mit „ guter “ Software gibt dem Lernenden eine sofortige Rückmeldung über seinen Erfolg oder Misserfolg und korrigiert das Ergebnis auf der Stelle. Er bietet die Möglichkeit der Anpassung an den individuellen Leistungsstand und kann beim Lernenden, durch neuartige Konzepte, die Motivation fördern. Zudem bestimmen die Schülerinnen und Schüler ihr Lerntempo selbst, wobei die Aktivitätsdichte bzw. die Arbeitsintensität , auch bei dem langsam Lernenden, durch den Computer noch immer höher ist als im Klassenverband. Ein vom Lerncomputer ausgegebenes Fehlerprotokoll verschafft dem Lehrer zudem neue Möglichkeiten der individuellen Diagnose. Auch die Anschaulichkeit abstrakter Vorgänge kann mit Hilfe des Computers, durch verknüpfen von Bild, Ton, Video mit Text ggf. verbessert werden.25 Die Pädagogik kann dem Computer in der Grundschule also unter bestimmten Voraussetzungen durchaus einen Platz einräumen. Wie verhält es sich jedoch mit den entwicklungspsychologischen Aspekten bei Grundschulkindern, ihrem logischen Denken und Verstehen, wenn sie dem Einfluss des Computers ausgesetzt sind?26
2.4. Psychologische Aspekte des Computereinsatzes in der Grundschule
Aus Sicht der kognitivistisch orientierten Psychologie ist der Mensch als ein aktives, reflektierendes und handelndes Wesen zu betrachten. Bei diesem spielt nicht nur sein äußeres Verhalten eine Rolle - wie es die behavioristischen Ansätze in der Psychologie auffassen - sondern vielmehr die inneren Erkenntnisprozesse, wie die Wahrnehmung, die Informationsverarbeitung und das Verstehen. Diese Aspekte sind besonders bei der Entwicklung von Lernzielen zu beachten.27 Was den Prozess der Wahrnehmung angeht, so ist zwischen deräuß eren und der inneren Wahrnehmung zu unterscheiden:
Die ä uß ere Wahrnehmung erfolgt über die Sinnesorgane Auge, Ohr, Mund, Nase und Haut. Bereits im frühen Kindesalter ist die Wahrnehmung soweit ausgebildet, dass eintreffenden Umweltreize über die Sinnesorgane aufgenommen und weiterverarbeitet werden. Diese Informationen werden vom Gehirn verarbeitet und als neue Erfahrungen gespeichert.
Das Problem heutiger Computer ist, dass die Wahrnehmung von dieses Systemen nur über zwei Sinne angesprochen werden kann: den Hörsinn und den Sehsinn (der Tastsinn dient einzig zur Bedienung des PCs und ist somit nicht relevant). Bei übermäßigem Computerkonsum besteht die Gefahr, dass die Wahrnehmung der Kinder verarmt. Die vom Computer vorgestellte Welt besteht aus einem zweidimensionalen Bild mit meist schlechtem Ton, in der es keine Möglichkeit gibt etwas ertasten, zu schmecken oder zu riechen. Das Kind bekommt sozusagen „nur die halbe Wahrheit“ der Realität vorgesetzt. Dementsprechend kann es nur diese verkürzte Version der Wirklichkeit verstehen.28 Das kann sich besonders dann ungünstig auswirken, wenn der von dem Computer vorgestellte Sachverhalt im Erfahrungsschatz des Kindes noch nicht enthalten ist. So kann das Kind im schlimmsten Fall annehmen, dass z.B. der auf dem Computerbildschirm abgebildete Apfelbaum einzig im Computer existiert.
Die innere Wahrnehmung betrifft die Informationsverarbeitung und schließlich das Verstehen.
Neurowissenschaftlich betrachtet nehmen die Rezeptoren des Menschen (die Sinne) bestimmte Reize der Umwelt (z.B. Licht, Schall) auf und liefern diese als codierte Signale auf elektrochemischem Weg zum Gehirn. Dort kreisen die Signale als Erregungsimpulse zwischen den Synapsen und Nervenzellen auf sich wiederholenden Bahnen, wodurch charakteristische chemische-molekulare Spuren entstehen. Die zunächst noch nicht fest zusammengeschalteten Nervenbahnen festigen sich daraufhin und es entstehen solide Verknüpfungen, auch "Engramme" genannt, die schließlich in das Langzeitgedächtnis übergehen.29 Das Gehirn lernt. Der Neurowissenschaftler Prof. Dr. M. Spitzer geht davon aus, dass das Gehirn immer lernt, da die neuronalen Prozesse zu jederzeit stattfinden.30 Im Grunde würde dies bedeuten, dass Kinder nicht nur in der Schule oder zu Hause bei den Schularbeiten Informationen verarbeiten, sondern zu jeder Zeit, in der das Gehirn aktiv ist.
Der hier aufgezeigte neuronale Vorgang ist Teil des Verstehens. Der Mensch nimmt die Situation oder den Sachverhalt mit dem er konfrontiert ist, wahr. Dabei wird er versuchen, das Neue, Unbekannte in den Zusammenhang seiner bereits erlebten Erfahrungen zu interpretieren. Dr. J. H. Lorenz fasst dies wie folgt zusammen:
„ Die einkommende Information wird mit Vorauskonstruktionen verglichen. [ … ] Das, was um uns herum
geschieht oder gesagt und geschrieben wird, kann nur dann verstanden werden, wenn es an das assimiliert bzw. in das integriert wird, was bereits gewuß t wird. [ … ] Verstehen ist ein aktiver Interpretationsprozeß . “31
Um verstehen zu können, ist ein vorhandenes Wissen notwendig. Kinder können ihr Handeln hinsichtlich Computerarbeit also nur verstehen, wenn ausreichend Vorwissen vorhanden ist. Wie bereits festgestellt, verfügt die überwiegende Anzahl der Kinder heute über ein Vorwissen bezüglich der Bedienung von Computersystemen. Sie verstehen es auch, neue Systeme, wie Mobiltelefone, Digitalkameras und Spielkonsolen, recht bald zu gebrauchen. Dabei kann festgestellt werden, dass die heutigen technologischen Geräte grundsätzlich so konstruiert sind, dass sie größtenteils intuitiv zu bedienen sind.
Aus biologisch-psychologischer Sicht betrachtet, kann das Medium Computer beim Lernen nicht alle Sinne ansprechen. Demnach wird die Wahrnehmung des Kindes im Umgang mit diesem Medium nicht sonderlich gefördert. Der Computer kann allenfalls dazu dienen, dass Kinder die bereits bekannten Themen vertiefen können. Jene Sachverhalte, die den Kindern bisher unbekannt waren, können durch den Computer nicht oder nur sehr begrenzt vermittelt werden. Dementsprechend sollte neues Wissen am Computer ausschließlich mit Hilfestellung eines Erwachsenen vermittelt werden, da die Inhalte ohne Vorwissen fehlinterpretiert, also nicht verstanden werden können.
Aufgrund der zuvor aufgeführten Erkenntnisse, stellt sich nun die Frage, was Kinder effektiv mit dem Computer lernen können und welche Programme dies am sinnvollsten unterstützen? Im Bezug auf das Unterrichtsfach Musik, werden diese Fragen im folgenden Kapitel behandelt.
3. Über den Einsatz des Computers im Musikunterricht
In diesem Kapitel soll ein kurzer Einblick in die bisherige Diskussion zum Thema „ Computer im MU “ gegeben werden. Hierbei sollen Expertenmeinungen angehört, aber auch die Entwicklung der Diskussion, von den 80er Jahren bis heute, aufgezeigt werden. Zudem sollen Überlegungen angestellt werden, die den Computereinsatz im MU in der Primarstufe betreffen. Inwieweit muss z.B. eine Grundschule für den Einsatz ausgestattet sein? Welche Medienkompetenz wird vom Lehrer erwartet und wie kann dieser einen sinnvollen MU mit dem Computer gestalten? Des Weiteren soll der Softwaremarkt nach Musikprogrammen für den Grundschulunterricht untersucht werden: Welche Programme gibt es für diesen Bereich und in was für Kategorien lassen sich diese einordnen?
Auch auf die Fragen nach der Qualität der Programme, ob und wie diese in der Praxis bereits von Pädagogen getestet und bewertet wurden und welche Software schließlich für den MU in der Grundschule zu empfehlen ist, werden im Folgenden beantwortet.
[...]
[1] SPITZER, M: Computer und Schule. In: Nervenheilkunde 5/2007. S.355
[2] Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (Hrsg.): JIM Studie 2009. Stuttgart 2009. S.31ff
[3] „Bluetooth“: ein Mikro-Funknetzwerk zur Übertragung von Daten.
[4] „Playlist“: eine vorprogrammierte, speicher- und editierbare Abspielfolge von Liedtiteln.
[5] „www.youtube.de“ ist eine kostenlose Internetplattform für private Musikvideos etc., die von weltweit von etwa 100 mill. Pers. Genutzt wird.
[6] „DJ-Features“: Funktionen mit denen man im Handy Musik wie in einem Tonstudio bearbeiten kann
[7] „Scratchen“: das Erzeugen besonderer Töne durch rhytmisches Hin- und Herbewegen einer Schallplatte; „Faden“: ein- bzw. ausblenden von Musik; „Samplen“: das Aufnehmen bzw. digitalisieren eines kleinen Teils eines Musikstückes, welcher dann musikalisch in einen neuen Kontext eingebunden werden kann
[8] SPITZER, Manfred: Vorsicht Bildschirm. Stuttgart 2005, S.3 f.
[9] HINTZE, Leonie et. al.: Kerncurriculum für die Grundschule. Hannover 2006. S.7
[10] STOLL, Clifford: LogOut. Frankfurt am Main. 2001. S.27
[11] SPITZER, Manfred: Kinder lernen besser ohne Computer. Zürich 2007. S.3
[12] Bund der freien Walddorfschulen: Was will Walddorfpädagogik? Auf: www.walfdorfschule.info. S.4
[13] vgl. Ebda.: S. 4
[14] HEYDEN, K.-H: Lernen mit dem Computer in der Grundschule. Berlin 1999. S.10
[15] HERZOG, Roman: Rede vom 13.4.1999 in Bonn. Auf: www.bundespräsident.de
[16] Ebda.
[17] „High-Tech-Edutainment“: unterhaltsames Lernen mit neuesten Medien
[18] „OLPC“ bedeutet: „One Laptop per Child“ und ist ein sogenanntes Bildungsprojekt, bei dem Schwellen- bzw. Entwicklungsländer von führenden Computerherstellern mit Millionen von 100$-Laptops ausgestattet werden sollen.
[19] ANNAN, Kofi. Ein Laptop gegen die Armut. UNO-Weltgipfel 2005. Auf: http//:vimeo.com/10394531. Zeit: ca. 2.Minute.
[20] NEGROPONTE, Nicholas: Ein Laptop gegen die Armut. UNO-Weltgipfel 2005. Auf: http//:vimeo.com/10394531. Zeit: ca.2. Minute
[21] MATZAT, Lorenz: Der MIT-Professor und der digitale Graben. Telepolis 2007.
[22] MITZLAFF, Hartmut: Lernen mit Mausklick. Frankfurt am Main 1997 . S.34
[23] KELLMER-PRINGLE, Mia: Was Kinder brauchen. Stuttgart, 1979. S. 44 ff.
[24] MITZLAFF, Hartmut: Lernen mit Mausklick. Frankfurt am Main 1997 . S.35
[25] vgl. MITZLAFF, Hartmut: Handbuch Grundschule und Computer. Frankfurt am Main 1997 . S.75
[26] vgl. AUERSWALD, Stefan: Der Computer im handlungsorientierten Musikunterricht. Augsburg 2000. S.82
[27] vgl. AUERSWALD, Stefan: Der Computer im handlungsorientierten Musikunterricht. Augsburg 2000. S.82
[28] vgl. SPITZER, Manfred: Vorsicht Bildschirm. Stuttgart 2005. S.
[29] vgl. MAIER, Gertrud: Informationsverarbeitung im Gehirn. Graz 1999. (Internetlink)
[30] vgl. SPITZER, Manfred: Das Gehirn lern immer. Bamberg (Jahr unb.). (Internetlink)
[31] LORENZ, Jens Holger: Kognitionspsychologische Grundlagen des Lernens mit dem Computer in der Grundschule. Stuttgart 1994. S.15