Leseprobe
Inhalt
1.) Einleitung
2.) Klassische Erwerbsarbeit und soziale Integration
3.) Atypische Beschäftigungsformen
3.1) Eingrenzung und Formen des Begriffs
3.2) Desintegrationseffekte atypische Beschäftigungsverhältnisse
4.) Auswirkungen auf mögliche fremdenfeindliche Einstellungen
4.1) (Des-) Integrationsparadoxon und Überintegration
4.2) Ausgrenzende Integrationsnorm
4.3) Relative Deprivation
4.4) Einschränkungen
5.) Fazit
6.) Literaturverzeichnis
1.)Einleitung
Erwerbsarbeit entwickelte sich in der bundesrepublikanischen Gesellschaft nach 1945 zum zentralen gesellschaftlichen Integrationsmedium. In der neuen „Lohnarbeitsgesellschaft“ (Castel, 2000: 283), die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der BRD etablierte, bedeutete Arbeit und Lohn mehr als nur die Vergütung verrichteter Aufgaben. Sie verschaffte Zugang zu elementaren Teilhaberechten, ermöglichte Leistungen außerhalb der Arbeit und war Voraussetzung für die Teilnahme am sozialen Leben. Im Rahmen eines allgemein relativ normierten Arbeitsverhältnis kam Erwerbstätigkeit dabei entscheidende integrative Funktionen zu.
Dieses Normalarbeitsverhältnis (NAV) erfährt seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts vermehrt einen Bedeutungsrückgang. Demgegenüber entsteht eine immer größere Anzahl nicht- s tandardisierter oder atypischer Beschäftigungsverhältnisse. Befördert durch Unternehmensstrategien, die sich immer stärker an den kurzfristigen Erwartungshaltungen der Kapitalmärkte orientieren, und dem systematischen Abbau gesetzlicher Rahmenbedingungen breiten sich seitdem Erwerbsverhältnisse aus, die wesentliche dieser integrativen Funktionen nur noch bedingt erfüllen.
Für viele der Betroffenen stellt diese Entwicklung vor allem die Rückkehr einer ständiger Unsicherheit dar, die man zur Hochzeit des „rheinischen Kapitalismus“ (Albert, 1992) eigentlich für überwunden hielt. Diese Arbeit beschäftigt sich vor allem mit der subjektivem Verarbeitung der dadurch entstehende Desintegrationsprozesse und mit ihren möglichen Einflüssen auf fremdenfeindliche Haltungen. Dabei wird von folgender Fragestellungen ausgegangen:
Hat die Erfahrung von Beschäftigungsverhältnisse, die wesentliche Funktionen von klassischer Erwerbsarbeit nicht mehr erfüllen, einen Einfluss auf mögliche fremdenfeindliche Einstellungen der Arbeitnehmer?
Die Arbeitshypothese lautet dementsprechend wie folgt:
Erfüllt Erwerbsarbeit ihre zentralen integrativen Funktionen nicht mehr, können die daraus resultierenden Desintegrationsprozesse fremdenfeindliche Einstellungen der Betroffenen fördern.
Um diese These zu überprüfen, wird es zunächst wichtig sein, die Charakterzüge des NAV kurz darzustellen und zu zeigen, inwiefern klassische Erwerbsarbeit integrative Funktionen ausübt. (2) Anschließend werde ich den Begriff der atypischen Arbeit eingrenzen und ihre Formen beschreiben (3.1), um dann zu zeigen, inwiefern diese desintegrierend wirken können. (3.2) Im nächsten Abschnitt wird ein möglicher Zusammenhang zwischen Desintegrationsprozessen und Fremdenfeindlichkeit untersucht. Dabei werde ich mich zunächst auf einen möglichen Zusammenhang von atypischer Arbeit und fremdenfeindlichen Haltungen, nämlich der Theorie der ausschließenden Integrationsnorm konzentrieren. (4.1 und 4.2) Als zweite mögliche Verbindung zwischen unsicherer Beschäftigung und Fremdenfeindlichkeit werde ich mich auf das Konzept der Relativen Deprivation beziehen.(4.3) Anschließend sollen wichtige Einschränkungen des dargestellten Zusammenhangs aufgezeigt werden. (4.4) Auf Grundlage dieser Arbeit wird es abschließend möglich sein zu bewerten, inwieweit die oben genannte Hypothese zutrifft. (5)
2.)KlassischeErwerbsarbeitundsozialeIntegration
Es gibt in der Wissenschaft einen allgemeinen Konsens darüber, dass Arbeit mehr als nur Einkommen ist. Ihr wird von verschiedenen Seiten eine Rolle als „soziales Band“ (Dörre u.a., 2006: 9), „Großer Integrator“ (Castel, 2000: 337) oder „Dreh- und Angelpunkt für die Lebensorientierung der Einzelnen und für das Gemeinwesen insgesamt“ (Senghaas-Knobloch, 2006: 24) attestiert. Dabei geht die Forschung von einer klassischen Norm von Erwerbsarbeit aus. Unter diesem Normalarbeitsverhältnis wird allgemein eine unbefristete, sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung verstanden, die einen Familienlohn erwirtschaftet, und deren Rahmenbedingungen kollektiv-vertraglich oder arbeits- bzw. sozialrechtlich auf einem Mindestniveau geregelt sind. (Bosch, 2002: 108-110)
Um die Desintegrationsprozesse zu verstehen, die Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen erfahren, ist es deshalb zunächst wichtig, die Integrationsleistungen, die ein Normalarbeitsverhältnis bietet, aufzuzeigen.
Ich halte es dabei für sinnvoll zwischen zwei unterschiedlichen von Formen von Integrationspotenzialen, nämlich zwischen ökonomischer und bürgerschaftlicher Integration zu unterscheiden.
Im Bereich der ökonomischen Integration kommt der Erwerbsarbeit zunächst die Aufgabe der individuellen Existenzsicherung zu. Sie ist für einen Großteil der Bevölkerung wichtigste Unterhaltsquelle im Alltag und entscheidet über das Niveau der materiellen Versorgung. (Senghaas- Knobloch, 2006: 25)
Zusätzlich ist Erwerbsarbeit grundlegend für viele Formen der soziokulturellen Teilhabe. Der Erwerb bzw. das Einkommen sichert also nicht nur die physische Existenz, sondern ist auch Voraussetzung für die Teilnahme an vielen Bereichen des öffentlichen Lebens und kulturellen Angeboten. (Kraemer/ Speidel, 2004a: 4)
Auch ist Erwerbsarbeit Voraussetzung für die Teilhabe an staatlichen Arrangements zur sozialen Absicherung. Diese orientieren sich noch immer stark am Prinzip der Sozialversicherung. Individuelle Anrechte auf die soziale Sicherung ergeben somit sich aus Beitragszahlungen, die im Rahmen relativ kontinuierlicher Erwerbsarbeit eingezahlt wurden. (Senghaas-Knobloch, 2006: 26) Schließlich ergibt sich aus den bisher genannten Funktionen, dass Erwerbsarbeit fundamental wichtig für längerfristige Lebensplanung ist. Sie schafft einen stabilen Rahmen, der die Planung des Lebens ausserhalb der Arbeitswelt ermöglicht. (Kraemer/ Speidel, 2004a: 3)
Über die bisher genannten Funktionen, die sich vor allem aus dem erwirtschafteten Lohn ergeben, hinaus hat Erwerbsarbeit zusätzlich Relevanz für die Positionierung einer Person in der Gesellschaft. Diese werden hier unter dem Begriff bürgerschaftliche Integration beschrieben.
Hierbei ist zunächst wichtig, dass Erwerbsarbeit immer auch gesellschaftlichen Nutzen vermittelt. Sie erstellt Produkte oder Dienstleistungen für einen nachfrageregulierten Markt. In der Erwerbsarbeit wird der Einzelne gesellschaftlich tätig. In diesem Zusammenhang enthält auch der Lohn immer ein Moment der gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung. Erwerbsarbeit schafft also, unabhängig vom Inhalt der Arbeit, gesellschaftliche Zugehörigkeit. (Kronauer u.a., 1993: 26)
Zusätzlich kommt der Erwerbsarbeit eine identitätsstiftende Bedeutung zu. Im Selbstbild des Einzelnen spielt die Identifikation mit der eigenen Tätigkeit bzw. mit dem eigenen Berufsstand oft eine entscheidende Rolle. Auch ein Großteil der sozialen Anerkennung, die dem Einzelnen außerarbeitsweltlich zuteil wird, speist sich aus seiner Berufstätigkeit. (Kraemer/ Speidel, 2004a: 5) Schließlich bietet Erwerbstätigkeit soziale Beziehungen über den privaten Bereich hinaus und bindet die individuelle Arbeitsleistung in die kollektive Erzeugung eines Produkts oder einer Dienstleistung ein. Dadurch erzeugt sie innerhalb der Arbeitswelt Beziehung wechselseitiger Abhängigkeit und Reziprozität, die wiederum soziale Anerkennungen und Bindungen erzeugen. (ebd.)
Trotz Umbrüchen in der Arbeitswelt kommt klassischer Erwerbstätigkeit also noch immer eine hohe Bedeutung für die gesellschaftliche Integration des Einzelnen zu. Beck spricht in diesem Zusammenhang von einer „Art Daseins-Monopol in unserem kulturell verordneten Selbstwertgefühl.“ (Beck, 2000: 46) Dabei ist wichtig, dass die eben genannten Integrationspotenziale nicht ausschließlich im klassischen Normalarbeitsverhältnis zu finden sind. Auch Berufstätigkeiten, die in der ein oder anderen Weise von diesem Musterbild abweichen, können ähnlich integrative Funktionen haben. Atypische Arbeitsverhältnisse bergen aber häufig die Gefahr eines Funktionsverlust in einem oder mehreren der genannten Bereiche.
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