Die solonischen Reformen


Seminar Paper, 1999

21 Pages, Grade: sehr gut


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ausgangslage

Reformen
Seisachteia
Zensusklassen
Recht
Münzwesen
Bürgerrechte
Institutionen

Schlußbetrachtung

Abkürzungsverzeichnis

Literatur / Quellen

Einleitung

Während des 7. vorchristlichen Jahrhunderts existierten in Griechenland zahlreiche Stadtstaaten, von denen die meisten über nicht mehr Fläche als ein deutscher Regierungsbezirk und allenfalls die Bevölkerungszahl einer heutigen Kleinstadt verfügten. Aus heutiger Sicht fehlten diesen Stadtstaaten auch andere Charakteristika eines Staatswesens wie die Komplexität des Verwaltungsapparates und die Anonymität, mit der der Staat den verwalteten Bürgern gegenübertritt. In der Geschichtsschreibung werden sie trotzdem als Staatsgebilde bezeichnet und behandelt, teils, weil sie schon während der Antike von der zeitgenössischen Historiographie als Staaten behandelt wurden, teils, weil sie sich ihrem Selbstverständnisse folgend als solche empfanden, als eigenständige Solidargemeinschaften lebten und Kriege gegeneinander führten, ungeachtet der Tatsache, daß sie sich alle als Griechen fühlten, eine Sprache sprachen und alle Nichtgriechen verachtungsvoll als Barbaren bezeichneten. Der größte dieser Staaten, sowohl an Ausdehnung als auch an Bevölkerung, war die auf der Halbinsel Attika gelegene, mit dem Hafen Piräus verbundene Stadt Athen. Der Militärstaat Sparta kann in diesen Vergleich nicht einbezogen werden, da er eine innere Struktur besaß, die vollkommen aus dem in Griechenland sonst üblichen herausfiel. Athen verfügte über eine Fläche von etwa 2500 qkm und in seiner Glanzzeit vor den Perserkriegen über eine Einwohnerschaft von bis zu einer viertel Million , einschließlich aller Mitbewohner minderen Rechts wie Sklaven und Metoiken. Die schiere Masse war ein nicht unerhebliches Moment bei einer Entwicklung, die sich erst später als Export Athens auch in anderen Teilen Griechenlands vollziehen konnte. Es kam eine Entwicklung in Gang, die über eine Krise im ökonomischen Bereich schließlich nach einem Reformprozeß Strukturen hervorbrachte, die wesentliche Elemente dessen enthielten, was man heute unter den Voraussetzungen eines demokratischen Staates versteht. Es handelte sich also keineswegs um die bewußte Installation einer neuen, tatsächlich oder vermeintlich gerechteren Staatsform, sondern um den aus der Not geborenen Versuch einer Krisenbewältigung, zu der es galt, das erforderliche Maß an Veränderung mit möglichst viel Kontinuität zu vereinigen. Zur Bewältigung dieser Aufgabe bedurfte es eines Vermittlers, der zu den am Konflikt beteiligten Parteien gleich große Nähe und Ferne hatte. Worin diese Krise bestand, wie es zu ihr gekommen war, und welche Maßnahmen der mit dem Krisenmanagment Beauftragte ergriff, dies soll in der Folge gezeigt werden.

Die Ausgangslage:

Von einer Bevölkerungsexplosion kann man sicher nicht sprechen, aber ein die Existenzgrundlagen der wirtschaftlich schwächeren Gesellschaftsmitglieder bedrohendes Wachstum der Einwohnerzahl war beteiligt daran, daß viele landlose Bauern in eine Verschuldung gerieten, bei der jeder Versuch des Abzahlens aussichtslos erscheinen mußte. Den Marktgesetzen folgend waren die Bodenpreise durch größere Nachfrage und erhöhten Geldumlauf gestiegen, so daß es zu einer fortschreitenden Ansammlung des Grundbesitzes in adliger Hand kam. Die verschuldeten Kleinbauern fielen einer Schuldknechtschaft anheim, die bei dauernder Zahlungsunfähigkeit den Gläubiger dazu berechtigte, den Schuldner in die Sklaverei zu verkaufen (Welwei, Polis 152). Selbst wenn dies nicht geschah, erwartete ihn das Schicksal eines Hektemoros, „Sechsteler“, der ein Sechstel seines Ertrages an den Gläubiger abzuführen hatte. Dies stellte jedoch für viele eine Belastung dar, die sie bei steigenden Preisen nur weiter in die Verschuldung und näher an die Versklavung brachte, was zu einer Flucht ins Ausland geradezu zwang. Die Zurückbleibenden stellten ein erhebliches Unruhepotential dar mit der ständigen Gefahr von Aufständen, Staseis genannt, die letztendlich in niemandes Interesse liegen konnten, auch nicht in demjenigen der grundbesitzenden Adligen. Dieser Prozeß der Verarmung konnte durch eine Binnenkolonisation nicht nennenswert gemildert werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß die Bauern sich zum Zwecke der Existenzsicherung bewußt in die Abhängigkeit begaben und die adligen Grundbesitzer diese Entwicklung mit Darlehensvergabe förderten, um die Zahl billiger Arbeitskräfte in ihren Diensten zu erhöhen (Austin, Wirtschaft 49). In diesem Falle wären die Schulden Grund für die Abhängigkeit und nicht eine Zahlungsunfähigkeit. Die Entwicklung der Schrift und des Münzwesens zuerst in Kleinasien und Mitte des 6. Jahrhunderts auch in Athen dürften für weitere wirtschaftliche Veränderungen gesorgt haben, denen sich nicht alle schnell genug anpassen konnten. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch in seiner Bedeutung umstritten, da archäologische Untersuchungen den Beginn des relevanten Münzwesens zunehmend später ansetzen (Schuller, Geschichte 115). Bereits im Jahre 624 hatte man mit der Einführung kodifizierten Rechts den Versuch unternommen, das Staatswesen zu stabilisieren. Da sich diese Reform jedoch hauptsächlich um das Strafrecht bemühte, konnte sie den Reformdruck nicht dauerhaft mildern (Bleicken, Dem. 21). Weil die Adelsfamilien relativ beziehungslos zur Durchsetzung ihrer Eigeninteressen konkurrierten, hatten sie wechselnde Anhängerschaften in der nichtadligen Bevölkerung, was einerseits einen Interessenausgleich ermöglichte, andererseits jedoch die Gefahr von Aufständen und Tyrannis heraufbeschwor. Eine weitere Vorbedingung für die Notwendigkeit von Reformen waren unkontrollierbare Rivalitäten zwischen den Adelshaüsern, die durch ihre Willkür den Bestand des Gemeinwesens gefährdeten. Als Beispiel kann hier der Fall des Putschversuches durch Kylon unter dem Archontat des Alkmeoniden Megakles gelten. Bei der Niederwerfung dieses Aufstandes wurde durch die Tötung der Aufständischen an geheiligter Stätte der „Kylonische Frevel“ begangen, ein Verstoß gegen göttliches Gebot, der Anlaß bot für zahlreiche Fehden zwischen den Mitgliedern beider Familien. Schon der Gesetzgeber Drakon hatte versucht, mit einem Gerichtszwang die Selbsthilfe in solchen Konflikten einzuschränken. Es kam zwar später zu einem Gerichtsverfahren , jedoch unter Bedingungen, die vermuten lassen, daß der Machtkampf lediglich auf anderer Ebene fortgesetzt werden sollte.

Der Hauptgrund für die Not der Kleinbauern lag jedoch in einer durch das Erbrecht bedingten Zerstückelung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes (Welwei, Polis 152). Zwar wird behauptet, daß die Schuldner schon bei Aufnahme eines Kredits ihren Leib als Pfand gegeben hätten (Arist., Athen.Pol.9,1), dies ist jedoch ungenau, da der Schuldner vollkommen frei und im Besitz seiner Bürgerrechte blieb und nur im Falle seiner dauernden Zahlungsunfähigkeit die Möglichkeit einer Versklavung eintrat. Grundsätzlich ist jedoch zu sagen, daß die Verschuldung ein sich selbst beschleunigender Prozeß war, da eventuell zurückgezahlte Schulden von den Adligen zur Gewährung weiterer Darlehen eingesetzt werden konnten. Die mit Schulden belasteten Grundstücke wurden zur äußeren Sichtbarkeit der Belastung mit Pfandsteinen, sog. Horoi, versehen. Da die wachsende Fluchttendenz die Drohung mit der Körperpfändung auch für die Gläubiger zunehmend unattraktiv machte, dürfte die Flucht ins Ausland vor der Versklavung zwar stattgefunden haben, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß, daß ein erheblicher Teil der athenischen Bevölkerung sich davon betroffen gesehen hätte (Arist. Athen. Pol.2,2). Auch die Horoi besaßen wohl weniger den Charakter eines Schandmals, als vielmehr den eines Ersatzes eines Katasteramtes, das bei der rudimentär ausgebildeten Verwaltungsstruktur noch vollkommen unbekannt war. Ohne diese sichtbaren Pfandsiegel wäre die Versuchung für manchen Schuldner wohl allzu groß gewesen, ein Grundstück bei mehreren Gläubigeren gleichzeitig zu beleihen. Austin sieht die Funktion der Steine anders. Für ihn sind Horoi nur bei vermögenden Schuldnern als Schuldenlisten aufgestellt worden. Solons Horoi dagegen seien nur in einem symbolischen Akt entfernt worden (Austin, Wirtschaft 191). Eine durchgängige Verarmung der Bauernschaft ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Hoplitenklasse der Hippeis das Rückgrat des athenischen Heeres bildete und der Krieg um Salamis ohne schlagkräftige Schwerbewaffnete kaum hätte gewonnen werden können.

Trotzdem mag bei Teilen der Mittelschicht die Angst umgegangen sein, es könne ihnen einmal so ergehen wie jetzt schon den ärmeren Bauern, begleitet von einer Empörung über die krassen Vermögensunterschiede(Schaefer, Ordnung 152). Diese Konstellation von Bedingungen stellte nun eine nicht zu unterschätzende Gefahr in Form eines Bürgerkrieges dar, weil die Rivalitäten innerhalb der Adelsschicht Demagogen hervorbringen konnten, die das Unruhepotential im Demos für ihre Zwecke auszunutzen verstehen könnten. Daß es dazu bisher nicht gekommen war, ist nur damit zu erklären, daß es zu diesem Zeitpunkt keine festen Parteibindungen größeren Ausmaßes gab. Aus dieser Unfähigkeit einzelner Gruppen, im Alleingang die eigenen Interessen durchzusetzen, ist es auch zu erklären, daß die Zustimmung zu Reformen im Adel weiter verbreitet war, als dies bei der für ihn günstigen Vermögensverteilung zu erwarten gestanden hätte. Der Verlust an Solidaritätsgefühl unter den Bürgern jedoch mußte eine Bedrohung für den Fortbestand des Staates darstellen. In dieser für die Beteiligten teils unerträglichen, teils von Zukunftsängsten geprägten Situation bedurfte es eines von allen akzeptierten, für alle glaubwürdigen, über allen und gleichzeitig bei allen stehenden Vermittlers, der zudem nicht im Verdacht stand, die Lage dazu zu benutzen, sich selbst an die Macht zu bringen. Eine solche Person hoffte man schließlich in Solon gefunden zu haben. Solon eignete sich sowohl von Herkunft als auch durch seine Einstellung und Lebensweise für die Position einer Figur, die in einer völlig verfahrenen Lage die Rettung für das Gemeinwesen bewerkstelligen sollte und konnte. Solon entstammte selbst zwar einer Adelsfamilie, gehörte jedoch nicht den reich zu nennenden Schichten an, was ihn dem Demos glaubwürdig erscheinen ließ (Arist. Pol. 5,3), besonders da er außerdem bereits in kriegerischen Unternehmungen gegen die Megarer um die Insel Salamis unter Beweis gestellt hatte, daß er sowohl geistreich als auch einsatzfreudig für das Vaterland einzutreten verstand (Plut. Sol.8;9). Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß seine Kriegstaten anekdotenhaft und heroisierend verzerrt überliefert sind. Diese Überhöhungen sind ein Ergebnis späterer Bemühungen, die Autorität von Staat und Gesetz durch Zurückführen auf quasi göttliche Bestimmung zu vergrößern und zu festigen. Alle Herrschaft bedurfte nach griechischem Verständnis göttlicher Legitimation, am besten noch göttlicher Herleitung, was auch im Sprachgebrauch seinen Niederschlag fand; Hierarchie bedeutet nichts anderes als heilige Herrschaft. Solon wird daher auch die Zustimmung des Orakels nachgesagt: „Setze dich mitten ins Schiff und nimm das Steuer zu Händen! Viele der Bürger Athens sind dir zur Hilfe erbötig.“ (Plut. Sol. 14). Wohl wissend um die Notwendigkeit und Bedeutung solch höheren Beistandes gibt sich der Auserwählte denn auch gar nicht unnötig bescheiden: „Wenn ich meines Vaterlands hab geschont, nicht nach Tyrannis und erbarmungsloser Macht hab gegriffen, nicht besudelt und entehret meinen Ruhm, reut´s mich nicht; vielmehr, so denk` ich, siege ich durch solches Tun über alle Menschen." (Plut.Sol.14). Vor dem Hintergrund dieses Legitimationsbedürfnisses ist die gesamte spätere Darstellungsweise der Anfänge griechischer Demokratie und besonders der Person des Reformers Solon zu sehen. So wurden Solon später in die Rolle eines Radikaldemokraten gedrängt, es wurden ihm Gesetze unterschoben, die er nie erlassen hatte, es wurden spätere Entwicklungen ex post ihm zugeschrieben, nur weil sie sich als segensreich erwiesen hatten. Dies geschah bei allem Bemühen der antiken Autoren, Solon durchaus auch kritisch zu sehen. Plutarch scheut sich z.B. keineswegs, dem Reformer vorzuwerfen, ein vollkommen unsinniges Gesetz erlassen zu haben: „Absonderlich aber und lächerlich scheint das Gesetz, welches der Erbtochter das Recht gibt, wenn derjenige, der nach dem Gesetz ihr Herr und Gatte wird, zum Geschlechtsverkehr unfähig ist, sich von einem der nächsten Verwandten des Mannes beschlafen zu lassen.“ (Plut. Sol.20). So ist wohl zusammenfassend zu sagen, daß die antike Geschichtsschreibung dort, wo sie sich als ungenau erwiesen hat, dies aus zeitbedingten Gründen oder ungenügendem Informationsstand geworden ist, und nicht durch absichtliche Entstellung der Tatsachen.

[...]

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Details

Title
Die solonischen Reformen
College
University of Münster  (Philosophische Fakultät)
Course
Proseminar: Athenische Demokratie
Grade
sehr gut
Author
Year
1999
Pages
21
Catalog Number
V15416
ISBN (eBook)
9783638205276
ISBN (Book)
9783638771351
File size
474 KB
Language
German
Keywords
Reformen, Proseminar, Athenische, Demokratie, Solon
Quote paper
Magister Joachim Pahl (Author), 1999, Die solonischen Reformen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15416

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