Das "real maravilloso" im Werk Alejo Carpentiers


Dossier / Travail de Séminaire, 2003

18 Pages, Note: 1


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

1. Vorbemerkung

2. El „Patrimonio de la América entera“: Leben und Werk eines großen Schriftstellers

3. Das „Real Wunderbare“ – Die Historie eines litera- rischen Moderneobjekts
3.1 Die Entstehung des „real maravilloso“
3.2 Carpentier vs. Asturias: Der Unterschied zwi- schen dem „real maravilloso“ und dem „realis- mo mágico“

4. Die Umsetzung des „real maravilloso“: Die Erzäh- lung El reino de este mundo
4.1 Die Genesis von El reino de este mundo
4.2 Die Gegensätze zwischen den Europäern und den haitianischen Afroamerikanern
4.3 El reino de este mundo – Ein Roman, eine Erzählung oder eine essayistische Abhandlung?

LITERATURVERZEICHNIS

1. Vorbemerkung

Der Hispanist und durchaus informierte Alejo Carpentier-Kenner Hans-Otto Dill schildert in seiner 1993 publizierten Monographie Lateinamerikanische Wunder und kreolische Sensibilität folgendes über den als Vorwort zu der Erzählung El reino de este mundo publizierten Essay De lo real maravilloso americano:

Der Essay ist ein MANIFEST ersten Ranges, das sich in die beste Tradition jener Programme einschreibt, die im Lauf der universalen Geschichte von Kunst und Literatur bedeutsame Wendungen auslösten, in diesem Falle den Übergang von tradi-tioneller zu moderner lateinamerikanischer Prosa und die erstmalige Gestaltung der historisch-ethnischen Eigenheiten der Kreolen, Tendenzen, die in einer der Haupt-strömungen des Neuen Romans der 60er und 70er Jahre kulminiert.[1]

In der Tat leitete dieser Aufsatz gewissermaßen eine neue Ära der latein-amerikanischen Epik ein und trug zweifelsohne entschieden zu dem späteren Boom des modernistischen Romans auf diesem Kontinent bei. Er basiert eigentlich auf einer Auseinandersetzung mit dem französischen Surrealismus, denn obschon Carpentier in seinem Schaffen von dieser Kunst- und Literaturanschauung sehr beeinflusst wurde und auf Drängen des Dichters und Kritikers André Breton beispielsweise gar zahlreiche feuilletonistische Beiträge für die Zeitschrift Révolution Surréaliste verfasste, stand er der gedankenlosen Anwendung surrealistischer Stilelemente auch äußerst kritisch gegenüber, wie Alexis Márquez Rodríguez treffend konstatiert:

[...] No olvidemos, además, que en más de una ocasión el mismo Carpentier, al definir su concepto de lo real maravilloso, empleó como recurso metodológico el de su comparación y contraste [!] con el surrealismo.[2]

Carpentier schrieb den Aufsatz nach einer Haiti-Reise, die ihn gleichsam auch zum Niederschreiben des Romans inspirierte. In diesem besagten Vorwort heißt es:

Nachdem ich den keineswegs erdichteten Zauber Haitis verspürt, auf den roten Wegen des Hochlandes im Landesinneren Anzeichen von Magie gefunden, die Trommeln von Petro und Rada gehört hatte, sah ich mich veranlasst zu einer Gegenüberstellung: hier die jüngst erlebte wunderbare Wirklichkeit, dort das für manche europäische Literaturen in den letzten dreißig Jahren charakteristische, bis zur Erschöpfung mühsame Bestreben, das Wunderbare künstlich herzustellen.[3]

Dieses interessante und für die deutschen Leser jedoch unglücklicherweise zuweilen auch etwas komplizierte Konzept Carpentiers soll im Hauptteil dieser bescheidenen Arbeit näher beleuchtet und anhand repräsentativer Textstellen aus der Erzählung El reino de este mundo exemplarisch untersucht werden. Da Alejo Carpentier zudem in der Bundesrepublik zumeist nur in oberflächlichen Einträgen in einigen Lexika erwähnt bzw. in literaturhistorischen Gesamt-darstellungen pauschal abgehandelt wird, gibt der Verfasser in dem ersten Teil des Beitrags einer allgemeinen Einführung in das Leben und Werk dieses hervorragenden kubanischen Autors verhältnismäßig viel Platz. Insbesondere seine Kindheit, die das literarische Schaffen Carpentiers entscheidend geprägt hat, soll nicht unbeachtet gelassen werden.

2. El „Patrimonio de la América entera“: Leben und Werk eines großen Schriftstellers

Wie bei jedem bedeutenden Autor begann auch Carpentiers Leben zunächst mit der Literaturrezeption. Für ihn glich das Lesen einer Tätigkeit, die mehr als ein Hobby war, nämlich eine unaufhörliche und bis an sein Lebensende offenbar nie zu stillende Sucht:

Für mich ist die Lektüregewohnheit etwas fast Physiologisches. Ich lese, kaum habe ich einen Moment Zeit dafür. [...] Vor dem Schlafengehen, beim Warten irgendwo, in einem Augenblick der Muße. [...] Immer muß man etwas lesen.[4]

Zweifellos hätte er ohne seine Lektürelust niemals die zahlreichen Bücher geschrieben, die ihm zum Weltruhm verhalfen, von den mehreren Tausend Buchbesprechungen ganz zu schweigen. Bereits als Jugendlicher las er an-spruchsvolle Literatur: Schriftsteller, wie Zola, Flaubert, oder Azorín waren ihm keineswegs fremd. Während Kinder sich in seinem Alter gewöhnlich für spannungsgeladene Bücher à la Jules Verne zu begeistern pflegten, hatte der junge Kubaner bereits eine Schwäche für Romane von hohem ästhetischen Wert und interessierte sich nicht für abenteuerlustige Figuren, sondern vor

allem für nachdenkliche Charaktere, die sich zumeist durch humanistische Bildung auszeichnen. Solchen Stoff offerierte ihm zu dem Zeitpunkt der heute leider ein wenig in Vergessenheit geratene Nobelpreisträger Anatole France, der ihn später auch zum Niederschreiben einiger Erzählungen inspirierte:

[...] Allí hace su primeras lecturas, que no se diferencian en nada de las que hicieron los exilados en Cuba y siguen haciendo los hijos de cubanos en el exilio: Hugo, Anatole France, etc.[…] Escribe, también, cuentos inspirándose en Anatole France.[5]

Die Lektüre der Werke des französischen Lyrikers, Dramatikers, zumal jedoch brillanten Romanciers erforderten nicht selten solide Kenntnisse in der Philo-sophie und französischen Geschichte.

Dadurch, dass Carpentiers in Russland geborene Mutter, eine ausgezeichnete Pianistin war, wurde er außerdem auch schon sehr früh an die Musik herangeführt. Auch sein Vater, ein bekannter Architekt in Havanna, war ein begabter Musiker bevor er sich für die andere Profession entschied. So war der kleine Alejo neben seinen literarischen Interessen schon mit ungefähr zwölf Jahren zu einem durchaus guten Musiker herangereift:

Aunque primordialmente A. Carpentier sea conocido por su producción literaria, ha sido también un buen musicólogo, además de tener algo de músico; y como tal fue considerado por muchos de los que le trataron, sobre todo en su juventud.[6]

Sein Vater war aber auch ein begeisterter Leser und animierte seinen Sohn dazu, sich nicht ausschließlich nur auf die naive Lektüre zu beschränken, sondern sich kritisch mit der Literatur auseinander zu setzen. So diskutierten die beiden über Schriftsteller, Werke und Literaturströmungen. Jorge, so hieß der elterliche Vormund, verfügte über eine durchaus beeindruckende Biblio-thek, in der Alejo die Möglichkeit hatte, sich besonders in die Werke der von seinem Vater angehimmelten Autoren der 98er Generation, wie Pío Baroja einzulesen. Die Faszination des Sohnes für Anatole France könnte auch damit zusammenhängen, dass es sich dabei um den einzigen französischen Dichter des fin de siècle handelte, dem Jorge Carpentier trotz seiner Herkunft nichts zu verübeln vermochte:

[...] Wie sich sein Sohn später in Erinnerung ruft, sah er die französische Literatur nach Zola und Flaubert in eine Phase unausweichlicher Stagnation geraten, Anatole France ausgenommen.[7]

[...]


[1] Dill 1993 : 51

[2] Márquez-Rodríguez 1982 : 31

[3] Dill 1999 : 315

[4] Dill 1993 : 9-10

[5] Sánchez-Boudy 1969 : 16

[6] Velayos-Zurdo 1985 : 28

[7] Herlinghaus 1991 : 9

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Das "real maravilloso" im Werk Alejo Carpentiers
Université
University of Bremen  (Sprach- und Literaturwissenschaften)
Note
1
Auteur
Année
2003
Pages
18
N° de catalogue
V15436
ISBN (ebook)
9783638205412
Taille d'un fichier
535 KB
Langue
allemand
Annotations
Eine ausführliche Untersuchung der Gattung des &quot,real maravilloso&quot, im Werk des kubanischen Schriftstellers Alejo Carpentier.
Mots clés
Werk, Alejo, Carpentiers
Citation du texte
Wojciech Osinski (Auteur), 2003, Das "real maravilloso" im Werk Alejo Carpentiers, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15436

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