„Ich frage mich, wenn wir innenpolitisch dieses Argument immer verwandt haben, […] warum verwenden wir es dann nicht, wenn Vertreibung, ethnische Kriegführung in Europa wieder Einzug halten und eine blutige Ernte mittlerweile zu verzeichnen ist. Ist das moralische Hochrüstung, ist das Overkill?“ Mag der Menschenrechtsschutz nicht das alleinige Motiv gewesen sein, das Fischer zu diesen Worten bewogen hat, so ist er doch das entscheidende Argument für die Rechtfertigung, des als humanitäre Intervention aufgefassten Luftkrieges zum Schutze der Kosovo-Albaner. Fischer überzeugte am Ende und konnte dies, weil die humanitäre Intervention von vielen Menschen als das Instrument für einen effektiveren Menschenrechtsschutz angesehen wird. Doch der Kosovo-Krieg war nur der vorläufige Höhepunkt einer verbissen geführten Debatte, in der zwei konfligierende Prinzipien aufeinander treffen: das sakrosankte Interventionsverbot und der Menschenrechtsschutz, der von einem zunehmend globalen Menschenrechtsbewusstsein angetrieben wird.
Diese Arbeit möchte einen Beitrag zu dieser Debatte leisten, indem sie zuallererst nachvollzieht, welche empirischen und normativen Prozesse das Phänomen humanitäre Intervention begründen und welche rechtsmoralischen Herausforderungen es mit sich bringt. In diesem Zusammenhang werden kurz die wesentlichen völkerrechtlichen Regelungen erörtert, um zu prüfen, ob die humanitäre Intervention mit der UN-Charta vereinbar ist. Im Speziellen soll auf die Praxis des UN-Sicherheitsrates eingegangen werden − es ist zu klären, inwieweit sich diese bezüglich des internationalen Menschenrechtsschutzes mit den Bedürfnissen der globalisierten und normativ sensibilisierten internationalen Gemeinschaft decken. Daran anschließend wird der Fokus auf die bellum-iustum-Lehre, die Lehre vom gerechten Krieg gerichtet. Es werden die Ursachen für die Renaissance der Denkfigur aus dem Problemfeld der humanitären Intervention abgeleitet und der Nutzen der Lehre als Hilfsnormensatz herausgearbeitet. Es soll im Wesentlichen bewiesen werden, dass die Denkfigur die völkerrechtliche Leestelle der humanitären Intervention überwinden und potentielle Intervenienten orientieren kann. Dazu werden im zweiten Teil der Arbeit die sechs klassischen Kriterien des ius ad bellum als Teilkategorie der bellum-iustum-Lehre angewendet, um zu prüfen, wann und nach welchen Gesichtspunkten eine humanitäre Intervention begonnen werden kann, damit sie als gerechtfertigt gelten darf.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- 1. Teil: Problemfelder der humanitären Intervention
- 1.1 Die humanitäre Intervention - Folge einer doppelten Dynamik
- 1.2 Der rechtsmoralische Widerspruch der Vereinten Nationen
- 1.3 Die bellum-iustum-Lehre als Brückenkonstruktion
- 2. Teil: Die Kriterien der bellum-iustum-Lehre
- 2.1 Die bellum-iustum-Lehre und das ius ad bellum
- 2.2 Das causa-iusta-Kriterium
- 2.3 Das intentio-recto-Kriterium
- 2.4 Das Kriterium der Erfolgswahrscheinlichkeit
- 2.5 Das auctoritas-principis-Kriterium
- 2.6 Das Kriterium der Makroproportionalität
- 2.7 Das ultima-ratio-Kriterium
- 1. Teil: Problemfelder der humanitären Intervention
- Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der humanitären Intervention, einem kontroversen Thema, das durch die dynamischen Prozesse der Globalisierung und die Sensibilisierung für Menschenrechte an Bedeutung gewonnen hat. Ziel ist es, die Ursachen und rechtsethischen Herausforderungen der humanitären Intervention zu analysieren und zu untersuchen, inwieweit die bellum-iustum-Lehre als Hilfsnormensatz für die Rechtfertigung von Interventionen dienen kann.
- Die Doppelte Dynamik der humanitären Intervention: Globalisierung, Interdependenz, Menschenrechte und Staatszerfall
- Die rechtsethischen Herausforderungen der humanitären Intervention: Souveränitätsrecht vs. Menschenrechtsschutz
- Die Rolle der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates im Kontext humanitärer Interventionen
- Die Anwendung der bellum-iustum-Lehre als Hilfsnormensatz für humanitäre Interventionen
- Die sechs klassischen Kriterien des ius ad bellum im Zusammenhang mit humanitären Interventionen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Kontroverse um die humanitäre Intervention anhand der Rede von Joschka Fischer im Jahre 1999. Im ersten Teil werden die Ursachen und Problemfelder der humanitären Intervention, insbesondere die Aushöhlung des staatlichen Souveränitätsrechts, untersucht. Es werden auch die relevanten völkerrechtlichen Regelungen und die Praxis des UN-Sicherheitsrates im Hinblick auf den internationalen Menschenrechtsschutz diskutiert. Der zweite Teil konzentriert sich auf die bellum-iustum-Lehre und analysiert die sechs klassischen Kriterien des ius ad bellum, um zu prüfen, wann eine humanitäre Intervention als gerechtfertigt gelten kann.
Schlüsselwörter
Humanitäre Intervention, Globalisierung, Völkerrecht, UN-Charta, Menschenrechte, Souveränitätsrecht, bellum-iustum-Lehre, ius ad bellum, Rechtfertigung, Kriterien, Interventionsverbot.
- Arbeit zitieren
- Benjamin Kasten (Autor:in), 2009, Eine zeitgemäße Denkfigur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154638