Die hier vorliegende Magisterarbeit fasst die Ergebnisse einer mehrmonatigen Beschäftigung mit dem Thema des Übersetzens zusammen. Der Titel der Arbeit „Linguistische Probleme des Übersetzens – Theorien zur Übersetzbarkeit und Übersetzungsäquivalenz“ beinhaltet schon den Schwerpunkt, welcher im weiteren Verlauf näher beleuchtet werden soll.
Zum einen werden in den ersten zwei Kapiteln der Begriff des Übersetzens, sowie die Entwicklungsgeschichte und die Aufgaben der Übersetzungswissenschaft diskutiert. Im dritten Kapitel werden danach die linguistischen Probleme der Übersetzbarkeit und der Äquivalenz beleuchtet. Des Weiteren werden im vierten Kapitel einerseits die linguistisch orientierten Ansätze von den Vertretern der Leipziger Schule und von Nida/Taber und andererseits die handlungsorientierte Translationstheorie von Reiß/Vermeer und deren Didaktisierung von Nord dargestellt.
Im Anschluss wird im zweiten Teil der Versuch unternommen eine Übersetzungsanalyse durchzuführen. Für die Übersetzungsanalyse habe ich einzelne Sätze aus dem Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakov gewählt.
Das Ziel der vorliegenden Magisterarbeit besteht vor allem darin, im Rahmen der oben genannten übersetzungswissenschaftlichen Ansätze einen Überblick über unterschiedliche Auffassungen von den linguistischen Problemen mit dem Schwerpunkt auf der Übersetzungsäquivalenz und der Übersetzbarkeit zu geben. Zusätzlich soll die Übersetzungsanalyse im zweiten Teil veranschaulichen, dass die Übersetzungsprobleme keinen rein linguistischen Charakter haben können. Neben den morphologischen, syntaktischen und semantischen Übersetzungsschwierigkeiten werden die kulturbedingten Besonderheiten diskutiert, die eine direkte Beziehung zum Problem der Übersetzbarkeit haben. Der Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakov wurde auch bewusst gewählt, weil er viele Konzepte beinhaltet, die ohne Rücksicht auf den kulturellen Kontext, ihren inhaltlichen Wert verlieren.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil I
1. Begriff der Übersetzung
2. Aufgaben und Gliederung der Übersetzungswissenschaft
2.1 Hauptbereiche der Übersetzungswissenschaft
3. Linguistische Probleme der Übersetzungswissenschaft
3.1 Übersetzbarkeit vs. Unübersetzbarkeit
3.2 Äquivalenz
4. Theoretische Ansätze der Übersetzungstheorie
4.1 Linguistisch orientierte traditionelle Übersetzungstheorien
4.1.1 Translationslinguistik: die Leipziger Schule
4.1.1.1 Zweisprachige Kommunikationsmodelle
4.1.1.2 Das Problem der Invarianz
4.1.2 Der linguistisch-kommunikative Ansatz
4.1.2.1 Drei-Schritt-Schema von Nida und Taber
4.2 Handlungsorientierte Theorien
4.2.1 Skopostheorie
4.2.1.1 Translation als interkulturelle Kommunikation
4.2.1.2 Skopos und die Rolle des Translators
4.2.2 Übersetzungsrelevante Textanalyse
4.2.2.1 Das Modell der übersetzungsrelevanten Textanalyse
4.2.2.1.1 Die Rolle des Initiators
4.2.2.1.2 Die Rolle des Translators
4.2.2.2 Zirkelartige Struktur des Übersetzungsprozesses
5. Zusammenfassung
Teil II
6. Versuch einer vergleichender Übersetzungsanalyse Russisch-Deutsch
6.1 Russisch und Deutsch im kontrastiven Vergleich: ein Überblick
6.2 Kulturhistorischer Hintergrund zum Roman „Der Meister und Margarita“
6.3 Übersetzungsanalyse
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die hier vorliegende Magisterarbeit fasst die Ergebnisse einer mehrmonatigen Beschäftigung mit dem Thema des Übersetzens zusammen. Der Titel der Arbeit „Linguistische Probleme des Übersetzens – Theorien zur Übersetzbarkeit und Übersetzungsäquivalenz“ beinhaltet schon den Schwerpunkt, welcher im weiteren Verlauf näher beleuchtet werden soll.
Zum einen werden in den ersten zwei Kapiteln der Begriff des Übersetzens, sowie die Entwicklungsgeschichte und die Aufgaben der Übersetzungswissenschaft diskutiert. Im dritten Kapitel werden danach die linguistischen Probleme der Übersetzbarkeit und der Äquivalenz beleuchtet. Des Weiteren werden im vierten Kapitel einerseits die linguistisch orientierten Ansätze von den Vertretern der Leipziger Schule und von Nida/Taber und andererseits die handlungsorientierte Translationstheorie von Reiß/Vermeer und deren Didaktisierung von Nord dargestellt.
Im Anschluss wird im zweiten Teil der Versuch unternommen eine Übersetzungsanalyse durchzuführen. Für die Übersetzungsanalyse habe ich einzelne Sätze aus dem Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakov gewählt.
Das Ziel der vorliegenden Magisterarbeit besteht vor allem darin, im Rahmen der oben genannten übersetzungswissenschaftlichen Ansätze einen Überblick über unterschiedliche Auffassungen von den linguistischen Problemen mit dem Schwerpunkt auf der Übersetzungsäquivalenz und der Übersetzbarkeit zu geben. Zusätzlich soll die Übersetzungsanalyse im zweiten Teil veranschaulichen, dass die Übersetzungsprobleme keinen rein linguistischen Charakter haben können. Neben den morphologischen, syntaktischen und semantischen Übersetzungsschwierigkeiten werden die kulturbedingten Besonderheiten diskutiert, die eine direkte Beziehung zum Problem der Übersetzbarkeit haben. Der Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakov wurde auch bewusst gewählt, weil er viele Konzepte beinhaltet, die ohne Rücksicht auf den kulturellen Kontext, ihren inhaltlichen Wert verlieren.
Teil I
1. Begriff der Übersetzung
Je nachdem, welcher Aspekt des Übersetzens im Vordergrund steht, unterscheiden sich auch die Definitionen des Begriffs „Übersetzung“. Die streng linguistischen Definitionen, wie es bei den Vertretern der Leipziger Schule der Fall ist, sehen das Übersetzen als einen Umkodierungsprozess, infolge dessen der Sachinhalt der Nachricht aus einer Ausgangssprache (AS) mittels eines Kodes in sprachliche Zeichen enkodiert und danach über den gleichen Kode wieder dekodiert wird. Eine ganz andere Auffassung vom Übersetzen verfolgen die Anhänger so genannter handlungsorientierter Ansätze, die Übersetzung als „Kulturtransfer“ verstehen (vgl. Stolze 2008:18). Die Translation, bei der Übersetzer nur in passiver Rolle einer Schaltstelle fungiert, wird hier nicht als eine Transkodierung der Wörter oder Sätzen aus einer Sprache in eine andere definiert, sondern als ein Informationsangebot in einer Zielsprache (ZS) und deren Kultur über ein Informationsangebot aus einer Ausgangssprache und deren Kultur (s. Kap. 4.2.1). Dem Übersetzer wird in diesem Prozess eine aktive Rolle zugewiesen, indem er für die Wahl der Übersetzungsstrategie und somit auch für das Übersetzen selbst die Verantwortung übernimmt. (vgl. Vermeer 1994:13). Die Vertreter der handlungsorientierten Theorie verweisen dabei auf die entscheidende Rolle der Zielsituation mit ihren determinierenden Faktoren, solchen wie Empfänger, Ort und Zeit der Rezeption usw. (Nord 2009:30f)
Koller betont die Mehrdeutigkeit des Begriffs. Nach ihm wird der Terminus „Übersetzen“ nicht nur in einem sprachwissenschaftlichen Kontext verwendet, sondern auch, wenn von der „ Fähigkeit zur Übersetzung analytisch-wissenschaftlicher Sachverhalte in verschiedene Stufen anschaulicher, außenwissenschaftlicher Sprach- und Denkformen “ (Koller 1992:80) gesprochen wird. Oder wenn mathematische Formeln in allgemeinsprachliche Ausdrücke übersetzt werden. Oder wenn man bei der Psychoanalyse Unbewusstes in Bewusstes übersetzt usw. (mehr dazu ebd.).
Im Rahmen der Übersetzungswissenschaft wird „ Übersetzung als Form interlingualer Kommunikation “ definiert, wobei „ texthaft realisierbare Inhalte von einem Sender der Ausgangssprache (AS) zu einem Empfänger der Zielsprache (ZS) “ über eine Sprachbarriere hinweg übertragen werden (Lörscher 2004:260).
2. Aufgaben und Gliederung der Übersetzung swissenschaft
Die Übersetzungswissenschaft ist eine relativ junge Disziplin. Historisch betrachtet beschäftigten sich über Jahrhunderte hinweg verschiedene Wissenschaften wie z.B. Theologie, Philosophie oder Literatur mit den Fragen des Übersetzens. Daraus folgte eine Heterogenität in den Fragestellungen bezüglich des Übersetzens (vgl. Gerzymisch-Arbogast: 2003:23ff). Das sprachwissenschaftliche Interesse am Übersetzen entstand infolge der ersten Forschungen zur Maschinellen Übersetzung. Als Auslöser hierfür gilt der im März 1947 erschienener Brief von Warren Weaver an Norbert Wiener, in dem er sein informationstheoretisches Konzept der Maschinellen Übersetzung präsentierte: „Diese Maschinen werden am Ende nicht zur Eleganz und Schönheit der Übersetzung beitragen, doch werden sie bei Alltagsübersetzungen von großem Nutzen sein, indem sie dem Leser den wesentlichen Inhalt fremdsprachlich geschriebener Dokumente zugänglich machen“ (Stolze 2008:49). Übersetzungstheorie wurde damit zu einer Hilfsdisziplin der maschinellen Übersetzung (vgl. ebd.).
Die anfängliche Euphorie über die Möglichkeiten der maschinellen Übersetzung und die spätere Enttäuschung wurden in den 60-er Jahren durch ein immer stärker werdendes Interesse an einer „humanen“ Übersetzungswissenschaft abgelöst. Ab dieser Zeitperiode wird Übersetzungswissenschaft einerseits als Teilgebiet der Angewandten Sprachwissenschaft und andererseits als Teilgebiet der Literaturwissenschaft zugerechnet. Im Rahmen der Allgemeinen und Angewandten Sprachwissenschaft wird die Translatologie am Anfang ihrer Entwicklung durch die früheren Arbeiten von W. Wills, W. Koller und Vertretern der Leipziger Schule thematisiert (s. dazu Kap. 4.1.1). Die literaturwissenschaftliche Übersetzungsforschung orientiert sich ihrerseits an hermeneutischen Ansätzen, indem sie sich mit der kritischen Analyse einzelner Literatur- und Übersetzungswerken befasst (vgl. Gerzymisch-Arbogast 2003:25ff).
Die Forderung nach wissenschaftlicher Begründung der Translationswissenschaft geht auf die 70-er Jahre zurück. Als Folge dessen wird eine neue Tendenz innerhalb der Übersetzungswissenschaft postuliert. Anfang der 80-er Jahre wendet sich damit die neue gebrauchstext- und zweckorientierte „allgemeine Translationstheorie“ von den linguistischen und literaturwissenschaftlichen Ausrichtungen ab. Die Skopostheorie (s. dazu Kapitel 4.2.1) verlangt die Eigenständigkeit der Übersetzungswissenschaft (vgl. ebd.).
Nach der linguistischen und literaturwissenschaftlicher Auffassung von Koller bedeutet der Begriff „Übersetzungswissenschaft“: „(…) die Wissenschaft, die Übersetzen und Übersetzungen mit unterschiedlichem Erkenntnisinteresse und unter Anwendung der Methoden verschiedener Disziplinen unter den verschiedenen Aspekten zu beschreiben, zu analysieren und zu erklären versucht.“ (Zitat: Koller 1992:123) Abhängig davon, welche Übersetzungsdaten beschrieben oder erklärt werden sollen, werden einzelne linguistische, text- oder literaturwissenschaftliche etc. Methoden oder ein ganzer Methodenkomplex dieser in Anspruch genommen. Eine allumfassende übersetzungswissenschaftliche Methode, so Koller, gibt es nicht (ebd.).
Seine weite Auffassung von Translationswissenschaft rechtfertigt Koller mit der Behauptung, dass eine engere Definition des Aufgabenspektrums unangemessen wäre. Es ist unmöglich festzulegen, welche ihrer Aufgaben als eine zentrale bezeichnet werden kann, wie z.B. die Beschreibung der potentiellen Zuordnungsvarianten oder die Analyse der ästhetischen Transformationen in der literarischen Übersetzung (vgl. ebd.:123-124).
2.1 Hauptbereiche der Übersetzungswissenschaft
Koller teilt die Übersetzungswissenschaft in neun Hauptbereiche ein, die auf ihren Forschungsschwerpunkten basieren (nach Koller 1992:125ff)):
1. Übersetzungstheorie
2. Linguistisch-sprachenpaarbezogene Übersetzungswissenschaft
3. Textbezogene Übersetzungswissenschaft
4. Übersetzungsprozessual orientierte Übersetzungswissenschaft
5. Wissenschaftliche Übersetzungskritik
6. Angewandte Übersetzungswissenschaft
7. Theoriegeschichtliche Komponente der Übersetzungswissenschaft
8. Übersetzungs- und rezeptionsgeschichtliche Komponente der Übersetzungswissenschaft
9. Didaktik des Übersetzens
Die Übersetzungstheorie setzt sich nach Koller mit Grundfragen auseinander, die das Wesen des Übersetzens betreffen: seine Grenzen und Möglichkeiten und die damit verbundenen Übersetzungsschwierigkeiten. In diesem Zusammenhang werden verschiedene Methoden und Verfahren analysiert, die eine mögliche Lösung für die Übersetzungsprobleme anbieten könnten. Zu den Grundfragen der Übersetzungstheorie gehört auch die Frage über das Wesen der Äquivalenz (vgl. ebd. 125). Die Überlegungen darüber finden im nächsten Bereich ihre praktische Anwendung.
Der zweite Teilbereich, der bei Koller durch die linguistisch-sprachenpaarbezogene Übersetzungswissenschaft repräsentiert ist, beschäftigt sich mit der Beschreibung der Äquivalente in Bezug auf konkrete Sprachenpaare. Es geht vor allem um die Ausarbeitung theoretischer Grundlagen für jedes bestimmtes Sprachenpaar hinsichtlich der Übersetzungsschwierigkeiten. Mit Hilfe des Sprachvergleichs werden dabei potentielle Äquivalente auf unterschiedlichen Sprachebenen ausgearbeitet (vgl. ebd. 125f).
Die textbezogene Übersetzungswissenschaft beschäftigt sich mit Äquivalenzrelationen, die sich auf einen Text oder eine Textgattung beziehen. Da es in jeder Sprache unterschiedliche Textgattungen gibt, für die bestimmte sprachlich-stilistische Normen gelten, besteht die Aufgabe der textbezogenen Übersetzungswissenschaft darin, verschiedene AS- und ZS-Textsorten zu analysieren und mit einander zu vergleichen. Berücksichtigt müssen dabei nicht nur sprachliche, stilistische und textuelle, sondern auch ästhetische Merkmale. Am Ende soll für jede einzelne Textgattung eine eigene Übersetzungstheorie entwickelt werden (vgl. ebd.).
Im Zentrum der Interessen der übersetzungsprozessual orientierten Übersetzungswissenschaft steht, so Koller, der professionelle Übersetzer. Die Frage, auf die man sich dabei eine Antwort zu finden erhofft, ist: Was passiert in den Köpfen von Übersetzern? Am Beispiel der mentalen Tätigkeit von professionellen Übersetzern werden ihre strategischen Fähigkeiten hinsichtlich der Lösung verschiedener Übersetzungsprobleme analysiert. In einem Erfolgsfall könnte auf der Basis gewonnener Ergebnisse ein didaktisches Handbuch über die Strategiewahl in bestimmten übersetzungsschwierigen Situationen ausgearbeitet werden (vgl. ebd. 127).
Die wissenschaftliche Übersetzungskritik hat zur Aufgabe die Ausarbeitung von Kriterien, nach denen die Übersetzungen objektiv bewertet werden können (ebd.).
Die angewandte Übersetzungswissenschaft sorgt für praktische Anwendung vom übersetzungstheoretischen Wissen. Neue Ideen auf dem Gebiet der Übersetzungswissenschaft bekommen die Form von Wörterbüchern, Nachschlagwerken oder Ratgebern (vgl. ebd.), die den Übersetzer auf seinem Weg zu einer adäquaten Übersetzung begleiten.
Die Theoriegeschichte der Übersetzungswissenschaft kennzeichnet sich durch eine Vielfalt verschiedener übersetzungswissenschaftlicher Ansätze. Jede dieser Theorien bringt immer neue Aspekte über das Wesen des Übersetzens zum Vorschein, die noch dazu an eine aktuelle Situation im Rahmen der Übersetzungswissenschaft und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den benachbarten Wissenschaften, angepasst werden. Deshalb besteht die Hauptaufgabe dieses Teilbereichs nach Koller in der Systematisierung aller diesen Diskussionen und Auseinandersetzungen unter den Vertretern unterschiedlicher Ansätze (vgl. ebd.).
Der Teilbereich, der Koller als Übersetzungs- und rezeptionsgeschichtliche Komponente der Übersetzungswissenschaft bezeichnet, umfasst nach ihm nicht nur die Geschichte des Übersetzens als solches, sondern auch die einzelnen Werke, die sich auf bestimmte Autoren, Epochen, Genres etc. beziehen. Auch die Leistungen einzelner Übersetzer können hinsichtlich ihrer Wirkung für die Geschichte des Übersetzens von großer Bedeutung sein und werden deshalb entsprechend bearbeitet und bewertet (vgl. ebd. 127f).
Die Erkenntnisse aller oben genannten Teilbereiche unter Berücksichtigung pädagogischer und linguistischer Aspekte bilden eine Grundlage für die Entwicklung didaktischer Konzeptionen, die für konkrete Sprachenpaare bestimmt sein sollen. Ihre praktische Anwendung haben sie im Rahmen des Übersetzungsunterrichts (vgl. ebd. 128).
3. Linguistische Probleme der Übersetzungswissenschaft
Linguistische Probleme des Übersetzens fußen auf der Fragestellung nach der Gleichheit/Verschiedenheit aller Sprachen unter einander (vgl. Löbner 2003:230). Mit diesen Fragen beschäftigten sich Sprach- und Übersetzungswissenschaftler schon seit geraumer Zeit. Im Bereich der Translationswissenschaft wird dementsprechend nach Möglichkeiten und Grenzen beim Übersetzen von Ausdrücken aus einer Sprache in eine andere geforscht. Dabei stößt man unumgänglich auf verschiedene Probleme.
Offensichtlich werden im ersten Moment die grammatischen Probleme, d.h. das erste, was einem beim Übersetzen auffällt, sind die Unterschiede im Satzmuster. Löbner verdeutlicht diese Problematik in seinem Buch „Semantik“ (2003) an einem einfachen Satz ‚ich habe Kopfschmerzen’. Es wird aufgezeigt was für Auswirkungen die Übersetzung dieses Satzes ins Französische, Englische, Russische, Ungarische oder Japanische auf die Satzstruktur jeder der genannten Sprachen haben kann. Die drei Ingredienzien (Experiencer als derjenige, der Schmerzen empfindet; Schmerz als Empfindung und Kopf als ein Körperteil), die in eine Kopfschmerzensituation involviert sind, werden in jeder der oben genannten Sprachen auf unterschiedliche Art und Weise in den Satz eingebaut (vgl. Löbner 2003:235). Das zeigen folgende Beispiele (nach Löbner 2003:235):
(1) „ ich habe Kopfschmerzen/ mir tut der Kopf weh (dt.)
(2) I have a headache (engl.) (wörtlich: ‚ich habe einen Kopfschmerz’)
(3) j’ai mal à la tête (frz.) (wörtlich: ‚ich habe Schlimm an dem Kopf’)
(4) u menja bolit golova (russ.) (wörtlich: ‚an mir schmerzt Kopf’)
(5) fai a fej-em (ungr.) (wörtlich: ‚der Kopf-mein schmerzt’)
(6) atama ga ita-i (jap.) (wörtlich: ‚Kopf ist weh’)“
Während in den ersten fünf Beispielen alle drei Komponenten, wenn auch andersartig, im Satz involviert sind, enthält die japanische Konstruktion nur zwei davon: der Experiencer fehlt. Die Antwort auf die Frage, wo denn der Experiencer bleibt, liegt unerwartet nahe – das ist der Sprecher. Das Fehlen des Experiencers im japanischen Satz erklärt sich durch den subjektiven Charakter der Empfindung im obigen Beispiel. Was aber würde passieren, wenn der Experiencer nicht der Sprecher selbst sondern ein Dritter wäre (sieh dazu. ebd.:236ff)? Auch in diesem Fall würde der japanische Satz von einem deutschen oder französischen grammatisch abweichen (nach Löbner 2003:240):[1]
(7) „ Ken hat Kopfschmerzen (dt.)
(8) Ken a [hat] mal à la tête (frz.)
(9) Ken wa atama ga ita- sô da (jap.)
Ken scheint Kopfschmerzen zu haben“.
In der übersetzten Variante heißt es nicht zufällig ‚scheint’ anstatt ‚hat’. Das hängt mit der japanischen Grammatik zusammen. Und zwar wird da zwischen Aussagen auf der Basis von direkter Evidenz und zwischen solchen, die auf Wissen aus zweiter Hand basieren, differenziert. Im letzten Fall soll diese Art von Wissen als solche auch markiert werden. Deswegen wird im Japanischen das Suffix –sô, ein so genanntes Evidential benutzt (mehr dazu ebd. 240).
Ein weiteres für das Übersetzen bedeutendes Problem bilden die semantischen Unterschiede. Es wäre zu einfach, wenn jedem Wort in einer Sprache ein gleichbedeutendes in einer anderen entspräche. Doch das Gegenteil ist der Fall. Und zwar reicht diese Skala von Äquivalenzunterschieden laut Koller von Eins-zu-Viele-Entsprechungen bis Eins-zu-Null-Entsprechung (s. dazu Kap. 3.2).
Es ist wichtig für den Anfang die Ursachen dieser Probleme aufzuklären. Geographische oder kulturelle Unterschiede können in bestimmten Fällen Übersetzungsprobleme hervorrufen. Zum Beispiel kann es in einer Sprache keine Begriffe für bestimmte Phänomene, Tier- oder Pflanzenarten oder Artefakte geben, die es in dem Land, in dem eine bestimmte Sprache gesprochen wird, nicht gibt. Oder es können auch die sozialen Faktoren der Grund dafür sein. Löbner nennt als Beispiel dazu die Anredepronomen ‚du’ und ‚Sie’, die im Englischen bekanntermaßen nur durch das Pronomen ‚you’ vertreten sind (vgl. ebd. 233). Bei der Synchronisierung eines amerikanischen Films, wo sich Mann und Frau im Büro kennen- und später auch lieben lernen, sollen die Übersetzer die Entscheidung treffen, zu welchem Moment auf dem Wege vom Büro ins Bett das formale Siezen durch das informale „intimere“ Duzen ersetzt werden soll. Wenn man die Hauptfiguren, Mann und Frau, gegen Professor und seine Studentin austauscht und das ganze dann für japanische Zuschauer interessant zu machen versucht, wird die bevorstehende Aufgabe um einiges komplizierter, weil Studierende in Japan ihre Professoren nicht mit einem Pronomen ‚Sie’, sondern mit ‚ sensei’ (LehrerIn) bzw. ‚Nachname+ sensei ’ anreden (vgl. ebd. 230ff). Eine in diesem Zusammenhang erwähnenswerte Analyse der Filmsynchronisation bietet Köppl in ihrem Artikel „Filmsynchronisation und Politik: Wenn Übersetzer sich die Finger verbrennen“ an, indem sie mögliche politische Hintergründe nennt, die jeweils zur Verzerrung der Originalfassung führten (mehr dazu Köppl 2005:187ff).
Eine andere Auffassung von didaktisch relevanten Übersetzungsproblemen wird von Nord (2009) dargeboten. Es werden dabei vier Kategorien unterschieden, die ausgehend von der Situation zu den sprachlichen Merkmalen angeordnet sind (sieh dazu Nord 2009:176ff):
- Pragmatische Übersetzungsprobleme
Situationsbedingte Übersetzungsprobleme, die sich aus der Gegenüberstellung der textexternen Faktoren ergeben: z.B. Unterschiede in der Intention von Sender und Empfänger, im AT-Produktions- und Translationsanlaß usw.
- Konventionsbezogene Übersetzungsprobleme
Verhaltensbezogene Übersetzungsprobleme: kulturbedingte Unterschiede in Verhaltensnormen innerhalb einer konkreten Situation könnten den Kommunikationsprozess stören.
- Sprachenpaar-spezifische Übersetzungsprobleme
Übersetzungsprobleme, die aufgrund der Unterschiede in Sprachstruktur entstehen, d.h. auf ein konkretes Sprachenpaar bezogene Unterschiede in Lexik und Syntax.
- Text(exemplar)spezifische Übersetzungsprobleme
AT-bezogenes Übersetzungsproblem: das sind Sonderfälle, die nicht in eine der drei oben genannten Gruppen von Problemen eingeordnet werden können.
Nach Nord hat die kontrastive Kulturkunde zur Aufgabe, kulturspezifische Problemlösungen zu suchen, während mögliche Lösungen bezüglich Übersetzungsprobleme innerhalb der Sprachenpaare (z.B. Modalpartikeln Deutsch-Englisch, Gerundium Spanisch-Deutsch) kontrastive Grammatik oder didaktische Translationsgrammatik anzubieten hat. Die textspezifischen Übersetzungsprobleme rechnet Nord zu den Lieblingsproblemen der professionellen Übersetzer zu, weil sie ihre Kreativität und Findigkeit erfordern (sieh dazu ebd. 2009:178f).
3.1 Übersetzbarkeit vs. Unübersetzbarkeit
Die Möglichkeit und Grenzen der Übersetzbarkeit beeinflussen das ganze Wesen des Übersetzens. Das Problem der Übersetzbarkeit bzw. der Unübersetzbarkeit teilt folgerichtig die Übersetzungswissenschaftler in zwei Fronten ein. Auf der einen Seite stehen die Vertreter der These, die besagt, dass alles sich im Prinzip übersetzen lässt (vgl. Ptáčníková 2008:127). Das sind vor allem Anhänger des Universalismus, mit der Auffassung, dass alle Sprachen denselben Prinzipien gehorchen, obwohl es auch gewisse Unterschiede gibt. Die Gegenmeinung, repräsentiert durch die Vertreter des Relativismus, vertritt die Ansicht, dass das Übersetzen praktisch unmöglich ist. Diese Auffassung basiert auf der Sapir-Whorf-Hypothese, die besagt, dass die Formulierung der Gedanken abhängig von der jeweiligen Grammatik ist. Dies führt dazu, dass Menschen, die Sprachen mit verschiedenen Grammatiken sprechen, äußerlich ähnliche Beobachtungen unterschiedlich sehen und bewerten (vgl. Stolze 2008:242). Die eigentlichen Gründe für dieses Problem liegen jedoch nicht nur in den Unterschieden zwischen zwei Sprachen, sondern auch im kommunikativen Zusammenhang, welcher kulturelle Unterschiede beinhaltet (vgl. Ptáčníková 2008:127). Es besteht dennoch keine Einigkeit darüber, ob und wie sich Kultur und Sprache beim Übersetzen beeinflussen.
Die wichtigste Frage, die nach Koller hier beantwortet werden soll, ist die Frage nach der Relation zwischen Sprache, Denken, Wirklichkeit und menschlichem Verhalten. Bezüglich der gerade angesprochenen Relation wird auf die Tatsache verwiesen, dass sich der Mensch im Prozess der Sozialisation bestimmte Muster der Weltanschauung bzw. der Weltinterpretation aneignet. Dieser Aneignungsprozess verläuft in erster Linie durch sprachliche Kommunikation. Indem man über Wirklichkeit kommuniziert, lernt man verschiedene Sachverhalte wie z.B. Sexualität, Familie oder Tod auf bestimmte Art und Weise zu betrachten und zu beurteilen. Da aber die Wirklichkeitsinterpretationen kulturabhängig sind, ist auch die sprachliche Ausdrucksweise historisch-gesellschaftlich bedingt. So zieht Koller die Schlussfolgerung, dass die Sprache die Wirklichkeitsinterpretationen widerspiegelt, die mit der Sprache vermittelt werden (vgl. Koller 1992:161f).
Unter Berücksichtigung dieses gegenseitig ineinander greifenden Verhältnisses zwischen Sprache und kommunikativem Zusammenhang unternimmt Koller den Versuch beide Extreme – Übersetzbarkeit/Unübersetzbarkeit –grafisch darzustellen (vgl. ebd. 165).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 (Koller 1992:165)
In Abb. 1 wird absolute Übersetzbarkeit dargestellt. Koller sieht in dieser Konstellation einen Idealfall, der sich z.B. auf die Einwohner einer Stadt beziehen könnte, die zweisprachig aufwachsen. Der gleiche kommunikative Kontext von AS- und ZS-Kommunikationspartnern macht die absolute Übersetzbarkeit unabhängig der Sprachunterschiede möglich.
Im Sinne der absoluten Übersetzbarkeit vertrat die Leipziger Schule in ihren früheren Arbeiten die simplifizierte Meinung, dass man alles mittels Kodewechsel von einer Sprache in die andere übersetzen kann . Nach ihrer Auffassung konnte jeder „erkenntnismäßige Bewusstseininhalt in jeder Sprache“ kodiert und danach in der Zielsprache wieder dekodiert werden. (Koller 1992:161). Im Falle der Übersetzungsschwierigkeiten, d.h. wenn es keinen adäquaten Ausdruck in der ZS für einen Ausdruck in der AS gibt, kann die Lücke durch Wortschatzerweiterung ausgefüllt werden. Die Erweiterung des Wortschatzes findet z.B. durch Lehnwörter, Neologismen oder Paraphrasen statt. Ob das Äquivalent in der Zielsprache auch adäquat verständlich ist, bleibt dabei strittig. Im Notfall könnte das ausgesuchte Äquivalent durch weitere Hilfsmittel wie Fußnoten oder auf eine andere Art fassbar gemacht werden (vgl. Ptáčníková 2008:128).
Die Vertreter der Antithese verweisen dagegen auf Unterschiede in den Weltanschauungen von Menschen hin. Sie sind der Auffassung, dass Menschen im Rahmen einer Sprache denken, derer Struktur wesentlich kulturellen Einflüssen ausgesetzt wurde. Ausgehend von dieser These wird die Unübersetzbarkeit begründet (vgl. ebd. 127).
Koller stellt die absolute Unübersetzbarkeit folgendermaßen dar:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 (Koller 1992:165)
Die absolute Nicht-Übersetzbarkeit kommt in Situationen vor, wenn kommunikative Zusammenhänge von AS und ZS inkommensurabel sind, d.h. keinerlei Gemeinsamkeiten aufweisen. Als Beispiel nennt Koller „wilde Eingeborenenstämme“ (vgl. Koller 1992:165).
Nord verweist in Bezug auf die Übersetzbarkeitsproblematik auf die Schwierigkeiten, die vor allem bei der Übersetzung aus den Sprachen mit ähnlichen kommunikativen Zusammenhängen, vorkommen. Die „Verständnisfallen“ entstehen gerade durch unauffällige Unterschiede im kommunikativen Kontext, die den Übersetzern als unwesentlich erscheinen. Ein derartiges Problem könnte das Anredesystem in verschiedenen Sprachen sein. So wird z.B. das in Norwegen verbreitete Duzen der Lehrer bei der Übersetzung aus dem Norwegischen ins Französische, wo das Siezen zusammen mit Anrede Madame oder Monsieur Standart ist, höchstwahrscheinlich als Konventionsbruch verstanden (vgl. ebd. 167).
In diesem Zusammenhang erwähnt auch Vermeer, dass bei jeder Translation eine unumgängliche Sinnverschiebung stattfindet. Die Modifizierung des AS-Sachverhalts wird demzufolge durch die kulturspezifische sprachliche Form in der ZS festgelegt (vgl. Ptáčníková 2008:129).
In der Suche nach der „goldenen Mitte“ spricht Koller von der teilweisen Übersetzbarkeit.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 (Koller 1992:166)
Die teilweise Übersetzbarkeit kommt in Frage, wenn die kommunikativen Zusammenhänge von AS und ZS vergleichbar sind. Aufgrund der Kommensurabilität sind die sich überlappenden Sprachverwendungen übersetzbar. Letztendlich kommt Koller zu dem Schluss, dass je höher Abstand zwischen kommunikativen Zusammenhängen von AS und ZS, desto weniger möglich die Übersetzbarkeit ist. Dies führt nicht obligatorisch dazu, dass der Übersetzungsprozess bei der zunehmenden Übersetzbarkeit gleich einfacher wird als im Gegenfall (vgl. Koller 1992:166).
Auch in der modernen Linguistik verbreitet sich in Bezug auf die Diskussion über die Grenzen der Übersetzbarkeit immer mehr die Ansicht der generellen Übersetzbarkeit von Sprachen (vgl. Stolze 2008:45). Dennoch werden trotz der zunehmenden Verbreitung dieser Auffassung der prinzipiellen Übersetzbarkeit Einschränkungen gemacht, weil jedes Verstehen subjektiv ist. Dies führt zu der Konsequenz, dass mehrere nicht identische Übersetzungen desselben Textes vorliegen können. Darüber hinaus kann in einigen Fällen der Zeit- und Kulturabstand zu mehreren Sinnvarianten führen (vgl. ebd. 211).
Reiß und Vermeer, bei denen die Translation eine Sondersorte des verbalen Transfers darstellt, verweisen darauf, dass jeder Transfer notwendigerweise Wertänderungen mit sich bringt. Je nach Textsorte können diese Änderungen entweder in Kauf genommen oder zu einem Hauptproblem gemacht werden. Und diese Entscheidung hängt vom Translationsziel „Skopos“ ab. (Reiß/Vermeer 1991:29)
Um Universalismus und Relativismus unter ein Dach zu bringen, sollte nach Löbner die Reihenfolge beider Auffassungen in Bezug auf Analyse von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den Sprachen bestimmt werden. Erstmal werden die Unterschiede festgestellt und danach die Versuche unternommen, den gemeinsamen Nenner zu finden (vgl. Löbner 2003:252).
[...]
[1] Beispiele entnommen: Löbner 2003:239
- Arbeit zitieren
- Natallia Prykhozhka (Autor:in), 2009, Linguistische Probleme des Übersetzens - Theorien zur Übersetzbarkeit und Übersetzungsäquivalenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154701
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