Jedem Menschen steht es rechtlich zu, über seine Abstammung Kenntnis zu erlangen. Die Auseinandersetzung mit diesem Wissen ist entscheidender Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung. Wird ein Kind im Rahmen einer anonymen Kindesabgabe, d. h. durch das Ablegen in eine Babyklappe oder durch eine anonyme Geburt, von den leiblichen Eltern fortgegeben, wächst es ohne Kenntnis seiner Herkunft auf. Dies stellt sowohl ein rechtliches als auch ein ethisches Problem dar. Dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung des abgegebenen Kindes stehen die Zielsetzungen der Angebote, tangierte Rechtsgüter weiterer beteiligter Personen, die für die Aufrechterhaltung der bestehenden Abgabemöglichkeiten sprechen, sowie Moralvorstellungen der Gesellschaft entgegen. Aus diesem bestehenden Spannungsfeld heraus wurde 2014 die Möglichkeit zur vertraulichen Geburt geschaffen.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Bedeutsamkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu untersuchen, das bei anonymer und vertraulicher Geburt sowie der Abgabe des Säuglings in einer Babyklappe einem ethisch-rechtlichen Spannungsfeld unterliegt.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Begriffsbestimmung
- 1.1 Abstammung
- 1.1.1 Abstammung von der Mutter
- 1.1.2 Abstammung vom Vater
- 1.2 Rechtliche Perspektive
- 1.3 Ethische Perspektive
- 1.4 Nichtwissen der eigenen Abstammung als historisches und gesellschaftliches Phänomen
- 2. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als vergessene Seite der Kindesabgabe - ein historischer Zugang
- 2.1 Altertum und Neuzeit: Findelkinder ohne Wissen um ihre Herkunft
- 2.1.1 Antikes Griechenland, Rom und Germanien
- 2.1.2 Mittelalter
- 2.1.3 Neuzeit
- 2.2 1900: „Gretchen-Paragraph“
- 2.3 NS-Zeit: Rassetypische Ideologisierung des Wissens um Abstammung
- 2.4 Ab 1999: Babyklappe und anonyme Geburt als Lebensschutz
- 2.5 Bis heute: Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung gerät ins Bewusstsein
- 2.6 Einführung der vertraulichen Geburt
- 3. Die Praxis der Kindesabgabe in Deutschland und deren rechtliche Bedeutung im 21. Jahrhundert
- 3.1 Babyklappe
- 3.2 Adoption als einzige juristisch legale Form der Kindesabgabe bis 2014
- 3.2.1 Verbreitung in Deutschland
- 3.2.2 Rechtliche Bewertung
- 3.3 Anonyme Geburt
- 3.3.1 Verbreitung in Deutschland
- 3.3.2 Rechtliche Bewertung
- 3.4 Vertrauliche Geburt
- 3.4.1 Ablauf
- 3.4.2 Verbreitung in Deutschland
- 3.4.3 Rechtliche Bewertung
- 3.5 Die Praxis der Kindesabgabe zwischen legalem und illegalem Angebot
- 4. Eine Frage der verletzten Rechte: Akteure der Kindesabgabe und deren rechtliche Bedeutung
- 4.1 Leibliche Eltern
- 4.1.1 Schwangere Frau/Leibliche Mutter
- 4.1.2 Leiblicher Vater
- 4.2 Kind unbekannter Abstammung
- 4.3 Professionelle Akteure/Fachdisziplinen
- 4.3.1 Krankenhaus als „Anbieter“ bzw. „Nicht-Anbieter“ von Babyklappe, anonymer Geburt und vertraulicher Geburt
- 4.3.2 Schwangerschaftsberatungsstellen
- 4.3.3 Polizei und Staatsanwaltschaft
- 4.3.4 Jugendamt
- 4.3.5 Standesamt
- 4.4 Pflegeeltern als mögliche Adoptiveltern
- 4.5 Rechtliche Empfehlung und konkrete Praxis der Duldung im Spannungsfeld der Akteure
- 5. Ethische Diskussion als Interessensabwägung
- 5.1 Emotional geführte gesellschaftspolitische Diskussion zwischen Ethik und Recht
- 5.2 Interessensabwägung begründet durch Ethik und Recht
- 5.2.1 Abwägung zwischen der ethischen Frage des Lebensschutzes und dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
- 5.2.2 Abwägung zwischen der ethischen Frage der Hilfe für Menschen in Not und der Frage der Verhinderung von Kindestötung sowie der Frage des Angebots illegaler Kindesabgabe
- 5.2.3 Abwägung zwischen der ethischen Frage der Selbstbestimmung und den Rechten des leiblichen Vaters
- 5.2.4 Abwägung zwischen der ethischen Frage des ärztlichen Eides und der Etablierung von Babyklappe und anonymer Geburt
- 5.2.5 Abwägung zwischen der ethischen Frage der besseren Lebenschancen für das Kind in der Adoptivfamilie und der elterlichen Verantwortung der leiblichen Eltern
- 5.3 Empfehlungen des Deutschen Ethikrats
- 6. Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung
- 6.1 Zurückstehen hinter dem Lebensrecht
- 6.2 Duldung als Übergang
- 6.3 Deutsches Recht und Praxis im europäischen Kontext
- 6.4 Betroffene Kinder erheben ihre Stimme und fordern ihre Rechte ein
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in Deutschland, insbesondere im Kontext anonymer Geburt, vertraulicher Geburt und Babyklappen. Ziel ist es, die rechtlichen und ethischen Herausforderungen dieser Thematik zu beleuchten und die Situation aus einer kritisch-historischen Perspektive zu analysieren.
- Historische Entwicklung des Umgangs mit Kindern unbekannter Herkunft
- Rechtliche Bewertung von Babyklappen, anonymer und vertraulicher Geburt
- Ethische Abwägung verschiedener Interessen (Lebensschutz, Selbstbestimmung, Rechte des Kindes)
- Rolle verschiedener Akteure (Eltern, Behörden, medizinisches Personal)
- Der Stellenwert des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Vergleich zum Lebensrecht des Kindes
Zusammenfassung der Kapitel
1. Begriffsbestimmung: Dieses Kapitel legt die Grundlage der Arbeit, indem es den Begriff der Abstammung sowohl von mütterlicher als auch väterlicher Seite rechtlich und ethisch definiert. Es beleuchtet die Komplexität des Themas und die unterschiedlichen Perspektiven, die in der weiteren Arbeit betrachtet werden.
2. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als vergessene Seite der Kindesabgabe - ein historischer Zugang: Dieses Kapitel bietet einen historischen Überblick über den Umgang mit Findelkindern und Kindern unbekannter Herkunft in verschiedenen Epochen. Es analysiert die Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart und zeigt, wie sich die gesellschaftliche und rechtliche Bewertung des Wissens um die eigene Abstammung verändert hat, besonders im Hinblick auf den „Gretchen-Paragraphen“, die NS-Zeit und die Einführung moderner Formen der Kindesabgabe.
3. Die Praxis der Kindesabgabe in Deutschland und deren rechtliche Bedeutung im 21. Jahrhundert: Dieses Kapitel beschreibt die verschiedenen Praktiken der Kindesabgabe in Deutschland, darunter Babyklappen, anonyme und vertrauliche Geburt. Es analysiert die Verbreitung und die rechtliche Bewertung jeder Methode im Detail, unter Berücksichtigung der rechtlichen Grauzonen und der Entwicklung des Rechts seit 2014.
4. Eine Frage der verletzten Rechte: Akteure der Kindesabgabe und deren rechtliche Bedeutung: Dieses Kapitel untersucht die verschiedenen Akteure, die an der Kindesabgabe beteiligt sind – leibliche Eltern, das Kind, professionelle Akteure (Krankenhäuser, Beratungsstellen, Behörden). Es analysiert die jeweiligen Rechte und Pflichten dieser Akteure und die Spannungsfelder, die sich aus ihren unterschiedlichen Interessen ergeben.
5. Ethische Diskussion als Interessensabwägung: Dieses Kapitel widmet sich der ethischen Dimension der Kindesabgabe. Es untersucht die wichtigsten ethischen Konflikte und die verscheidenen Interessensabwägungen, die im Kontext des Lebensschutzes, der Selbstbestimmung der Mutter, der Rechte des leiblichen Vaters und der Lebenschancen des Kindes notwendig sind. Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrats werden hier ebenfalls eingeordnet.
6. Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung: Dieses Kapitel untersucht die Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Kontext der Kindesabgabe. Es diskutiert, wie dieses Recht im Verhältnis zum Lebensrecht des Kindes steht und welche Rolle die Duldung von anonymer und vertraulicher Geburt spielt. Schließlich wird der deutsche Kontext im europäischen Vergleich beleuchtet.
Schlüsselwörter
Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, anonyme Geburt, vertrauliche Geburt, Babyklappe, Kindesabgabe, Ethik, Recht, Lebensschutz, Selbstbestimmung, Interessensabwägung, Deutscher Ethikrat, Adoption, leibliche Eltern, Kind, historische Entwicklung.
Häufig gestellte Fragen
Was ist der thematische Fokus dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in Deutschland, insbesondere im Kontext anonymer Geburt, vertraulicher Geburt und Babyklappen. Ziel ist es, die rechtlichen und ethischen Herausforderungen dieser Thematik zu beleuchten und die Situation aus einer kritisch-historischen Perspektive zu analysieren.
Welche historischen Aspekte werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit beleuchtet die historische Entwicklung des Umgangs mit Kindern unbekannter Herkunft von der Antike bis zur Gegenwart. Sie analysiert, wie sich die gesellschaftliche und rechtliche Bewertung des Wissens um die eigene Abstammung verändert hat, insbesondere im Hinblick auf den „Gretchen-Paragraphen“, die NS-Zeit und die Einführung moderner Formen der Kindesabgabe.
Welche Formen der Kindesabgabe werden untersucht?
Die Arbeit untersucht die verschiedenen Praktiken der Kindesabgabe in Deutschland, darunter Babyklappen, anonyme und vertrauliche Geburt. Sie analysiert die Verbreitung und die rechtliche Bewertung jeder Methode im Detail.
Welche Akteure werden im Zusammenhang mit der Kindesabgabe betrachtet?
Die Arbeit untersucht die verschiedenen Akteure, die an der Kindesabgabe beteiligt sind – leibliche Eltern, das Kind, professionelle Akteure (Krankenhäuser, Beratungsstellen, Behörden). Sie analysiert die jeweiligen Rechte und Pflichten dieser Akteure und die Spannungsfelder, die sich aus ihren unterschiedlichen Interessen ergeben.
Welche ethischen Fragen werden in der Arbeit diskutiert?
Die Arbeit widmet sich der ethischen Dimension der Kindesabgabe. Sie untersucht die wichtigsten ethischen Konflikte und die verschiedenen Interessensabwägungen, die im Kontext des Lebensschutzes, der Selbstbestimmung der Mutter, der Rechte des leiblichen Vaters und der Lebenschancen des Kindes notwendig sind. Die Empfehlungen des Deutschen Ethikrats werden hier ebenfalls eingeordnet.
Wie wird das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung bewertet?
Die Arbeit untersucht die Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Kontext der Kindesabgabe. Sie diskutiert, wie dieses Recht im Verhältnis zum Lebensrecht des Kindes steht und welche Rolle die Duldung von anonymer und vertraulicher Geburt spielt. Schließlich wird der deutsche Kontext im europäischen Vergleich beleuchtet.
Welche Schlüsselwörter sind für diese Arbeit relevant?
Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, anonyme Geburt, vertrauliche Geburt, Babyklappe, Kindesabgabe, Ethik, Recht, Lebensschutz, Selbstbestimmung, Interessensabwägung, Deutscher Ethikrat, Adoption, leibliche Eltern, Kind, historische Entwicklung.
Welche Themen werden in den einzelnen Kapiteln behandelt?
- Kapitel 1: Begriffsbestimmung der Abstammung aus rechtlicher und ethischer Perspektive.
- Kapitel 2: Historischer Überblick über den Umgang mit Findelkindern und die Entwicklung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung.
- Kapitel 3: Die Praxis der Kindesabgabe in Deutschland (Babyklappe, anonyme und vertrauliche Geburt) und deren rechtliche Bedeutung.
- Kapitel 4: Analyse der Akteure der Kindesabgabe (Eltern, Kind, professionelle Akteure) und deren Rechte und Pflichten.
- Kapitel 5: Ethische Diskussion und Interessensabwägung im Kontext der Kindesabgabe.
- Kapitel 6: Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Verhältnis zum Lebensrecht des Kindes und im europäischen Kontext.
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- Veronika Ernstberger (Autor), 2019, Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Spannungsfeld zwischen Ethik und Recht, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1549351