Der alevitische Cem in der Diaspora


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

26 Seiten, Note: Pending


Leseprobe

INHALT

1. Einleitung

2. Zum Alevitentum
2.1 Ein historischer Abriss zur Unterdrückung der Aleviten
2.2 Religiöse Vorstellungen

3. Theoretischer Unterbau
3.1 Ritual
3.2 Ritualtransfer/ Ritualwanderung
3.3 Migration
3.4 Hybridisierung

4. Der traditionelle bzw. idealtypische Cem
4.1 Formale Beschreibung des Cem
4.2 Zu Ablauf und Inhalt eines idealtypischen Cem
4.3 Funktion und Interpretation des traditionellen Cem

5. Cem heute
5.1 Veränderte Kontextfaktoren
5.2 Cem in Hamburg
5.2.1 Formale Bedingungen
5.2.2 Zum Inhalt und Ablauf der Cems in Hamburg
5.2.3 Interpretation der Cems

6. Cem in Heilbronn
6.1 Formale Beschreibung
6.2 Zu Ablauf und Inhalt
6.3 Interpretation

7. Schluss

8. Literatur

1. Einleitung

Als ich Bekannten und Verwandten von meinem Hausarbeitsthema berichtete konnten sie mehrheitlich nichts mit dem Begriff „Aleviten“ anfangen, obwohl Aleviten schätzungsweise etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Türkei ausmachen (Wunn 2007:98) und ungefähr eine halbe Mio. in Deutschland leben ( Motika/ Langer 2005: 74)1. Es gibt jedoch vielfältige Gründe, weshalb die Aleviten lange wert darauf legten auch unbekannt zu bleiben. In der Türkei bietet sich dieser Bevölkerungsgruppe folgende Situation: „Aleviten [...] zählen zu den traditionell durch die sunnitische Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzten Gruppen. Erlittene Diskriminierungen und die ökonomische Marginalisierung setzen diese unter zusätzlichen Migrationsdruck.“ (Motika/ Langer 2005: 75) Diese Unterdrückung hat sie - zum einen- in der Vergangenheit dazu bewogen ihre Identität geheim zu halten (dieses Verhalten wird takiye genannt) und sich in Randbezirken (z.B. im Gebirge) anzusiedeln. Zum anderen tendierten viele im letzten Jahrhundert zur Migration. Während des Revivals des Alevitentums in den 80er Jahren in Deutschland -während dessen die Aleviten die takiye aufgaben- wurden hier zahlreiche alevitische Vereine gegründet. Diese Vereine arbeiteten und arbeiten immer noch an einer alevitischen Erinnerungskultur und waren von da an Träger der rituellen Praxis. Das wichtigste Ritual der Aleviten ist der Cem. In dieser Hausarbeit möchte ich mich nun mit der Art der Ausführung dieses Rituals in der deutschen Diaspora beschäftigen. Um mich diesem Phänomen des sozusagen „mit-immigrierten“ Rituals anzunähern möchte ich mich des Konzeptes des „Ritualtransfers“ bedienen. Dieses wurde an der Ruprecht-Karls-Universität im Rahmen des SFB 619 RITUALDYNAMIK entwickelt. Dazu möchte ich am Anfang einen übersichtsartigen Abriss über die Verfolgungsgeschichte der Aleviten in der Türkei vorstellen, dem dann eine kleine Einführung in die alevitischen religiösen Vorstellungen folgen wird. Im dritten Kapitel der Hausarbeit werden die Begriffe Ritual, Ritualtransfer, Migration und Hybridisierung angesprochen. Um untersuchen zu können inwiefern es Unterschiede zwischen dem historisch traditionellen und dem Cem in der Diaspora gibt möchte ich im vierten Kapitel ein Standard-Cem erläutern. Hier muss betont werden, dass es sich nicht um einen tatsächlich so praktizierten Cem handelt, sondern um einen Idealtyp. Im fünften Kapitel möchte ich auf die veränderten Kontextfaktoren in Deutschland, die für einen Ritualtransfer eine besondere Rolle spielen, eingehen. Dem folgt dann ein Beispiel für einen Cem aus der Anfangszeit des alevitischen Revivals in Deutschland, der sich sehr deutlich von dem traditionellen Cem aus den anatolischen Dörfern unterscheidet.

Das von Sökefeld geschilderte Ritual zeigt nicht nur den Einfluss der äußeren Bedingungen, sondern auch die Folgen der kulturellen Amnesie des Alevitentums, auf die im dritten Kapitel eingegangen wird. Dem folgt ein Exempel aus der heutigen Zeit das auf eigenen Beobachtungen bei einem Cem in Heilbronn basiert. Mit diesen drei Beispielen soll gezeigt werden welchen Veränderungen der Cem unterlegen ist und wie diese zu interpretieren sind. Damit soll kein direkter Vergleich zwischen dem Cem in der Türkei und dem in Deutschland erfolgen, denn die Zeremonie in der Türkei war zum einen durch die Binnenmigration Veränderungen ausgesetzt. Zum anderen wirken durch moderne Medien und Kommunikationsmittel die Veränderungen durch Migration auch auf die Dorfcems zurück. Vielmehr soll durch diese Momentaufnahmen gezeigt werden was das Konzept Ritualtransfer leisten kann und es soll schlaglichtartig auf die Zusammenhänge der Kontextfaktoren und der Ritualtransformation eingegangen werden.

2. Zum Alevitentum

2.1 Ein historischer Abriss zur Unterdrückung der Aleviten

Die Verfolgung der Aleviten begann im Osmanischen Reich (1299-1923). Dort existierten verschiedene Glaubensgemeinschaften die im Millet-System anerkannt wurden und gewisse Sonderrechte besaßen. Das Alevitentum gehörte nicht zu diesen anerkannten Gemeinschaften (Aydin 2006: 17-24) und war deshalb Verfolgung, Zwangsumsiedlungen und Unterdrückung ausgesetzt (Kaplan 2004: 17). Nach darauf folgenden Aufständen wurde der Bekta§i-Orden (der einen wichtigen Einfluss auf das Alevitentum hatte und auch Teil dessen wurde) verboten und alle schriftlichen Dokumente aus dieser Zeit wurden vernichtet. Vom 16. bis Mitte des 17. Jahrhundert wurden tausende Kizilba^-Aleviten (alevitischer Zweig) hingerichtet. Um diesen Repressalien zu entfliehen und die eigenen sozialen und religiösen Werte zu sichern zogen sich die Aleviten in eine selbst gewählte Isolation in ländliche Gebiete in Randbereichen des Reiches zurück und verheimlichten ihren Glauben vor Nicht-Aleviten (takiye). Dies führte auch dazu dass das rituelle Leben im Geheimen verrichtet wurde.

Mit der Gründung der Türkischen Republik 1923 unter Atatürk begann die Herausführung der Aleviten aus der Isolation. Atatürk strebte eine Säkularisierung des Staates an und versuchte den sunnitischen Staatsislam in die Privatsphäre zurückzudrängen. Außerdem schaffte er das islamische Schariarecht ab und führte das Zivilrecht ein, was großen Zuspruch bei den Aleviten fand. Dieser Prozess endete mit der Abwahl seines Nachfolgers Inönü mit der eine Re-Islamisierung einsetzte, die ihren Höhepunkt in den 70er bis 80er Jahren erreichte.

Nicht nur diese Re-Islamisierung bereitete den Aleviten Probleme, sondern auch die explizit anti-kommunistische Politik. Da die Aleviten aufgrund der Glaubenslehre in den 60er und 70er Jahren sehr mit der sozialistischen Bewegung sympathisierten waren sie nun wieder Repressalien ausgesetzt. (2004: 18-19) Diese Repressalien führten dazu, dass das Alevitentum abermals im Verborgenen ausgeführt wurde. Die Aleviten ordneten sich zudem aufgrund gewisser Ausgangsbedingungen politisch links ein, nämlich aufgrund eines religiösen Cleavages : die sunnitischen Türken erwiesen sich nicht nur religiös bewahrend, sondern auch als staatsnah und demzufolge als politisch konservativ. Die Aleviten, die zwar mit den laizistischen Grundideen Atatürks übereinstimmten, sich jedoch als kulturelle Gruppe von den nationalistischen Zügen des Kemalismus distanzierten, verorteten sich im linken Spektrum, also staatsfern. So findet man sich in der Türkei aufgrund der Herkunft auf einer Seite des politischen Spektrums verortet, praktisch ohne eigenes zutun. ( Seufert 1999: 74-75) Diese linke Verortung hatte in den 70er Jahren erheblichen Einfluss auf die rituelle Praxis der Aleviten. Denn linke Aleviten lehnten das Alevitentum als Religion gänzlich ab, was dazu führte dass das rituelle Leben in vielen Gebieten komplett zum erliegen kam. ( Sökefeld 2008: 14) „Diese Entwicklung [...] unterbrach die mündliche Weitergabe des Wissens und resultierte in einer Art kultureller Amnesie, die bis heute nachwirkt und zur Folge hat, dass der jüngeren Generation fast jedes Wissen über das Alevitentum fehlt.“ (2008: 14) Die politischen Entwicklungen und die damit einhergehende Benachteiligung der Aleviten gipfelten in Terroranschlägen, bei denen staatlicher Schutz ausblieb und hunderte Aleviten ums Leben kamen. Besonders seit dem Anschlag in Sivas am 2. Juli 1993 bei dem die Polizei tatenlos zusah wie 37 Menschen verbrannten ist das Vertrauen der Aleviten in den türkischen Staat nachhaltig erschüttert worden. Im Gegensatz zu der Strategie der takiye hofft die alevitische Bewegung seit den 90er Jahren durch Öffentlichkeit und Erinnerung an die Massaker, die Anerkennung des Alevitentums und die Verhinderung von weiteren Menschenrechtsverletzungen durchzusetzen. (Kaplan 2004:19-20) Da heutzutage das Alevitentum immer noch nicht vom türkischen Staat anerkannt wird, kämpft die sog. alevitische Bewegung auf nationaler und internationaler Ebene dafür. So ist die öffentliche Bekennung zum Alevitentum in der Diaspora bei Leuten die dies normalerweise nicht als notwendig erachten würden, durch die Unterdrückung in der Türkei bedingt. Viele würden sonst nicht den Drang verspüren sich einem Verein anzuschließen und ihre religiöse Praxis weiter zupflegen bzw. sie wieder aufleben zu lassen. Sie sehen so die Möglichkeit auf nationaler bzw. internationaler Ebene wahrgenommen zu werden. (Shankland/ £etin 2005: 55) Besonders auf sozialistisch gesinnte Aleviten die dementsprechend nicht besonders religiös 2 Cleavage= „Fachbegriff der Parteien- und Wahlverhaltensforschung für eine Konfliktformation, die charakterisiert ist durch einen in der Gesellschaft verankerten Konflikt mindestes zweier Streitparteien.“ (Schmidt 2004: 372) sind trifft diese Beobachtung zu. Aus dem sozialistischen Kontext heraus ist auch die Frage ob das Alevitentum als eine Religion oder eine Kultur zu verstehen ist nachzuvollziehen. Als Nachwirkung der linken Bewegung in den 70er Jahren spielt für viele Aleviten der religiöse Glaube keine Rolle und sie betrachten das Alevitentum als Kultur und nicht als Religion. (Sökefeld 2008: 17)

2.2 Religiöse Vorstellungen

Die Aleviten stammen ursprünglich aus der Türkei und sind eine sehr heterogene Gruppe. Die religiöse Zugehörigkeit überschneidet sich mit ethnischer Differenz: es gibt türkische, zaza- sprechende und kurdische Aleviten. Anfänglich waren die Aleviten bäuerliche Gemeinschaften und haben sich innerhalb der unterschiedlichen Dörfer individuell entwickelt. Es existiert also keine allgemeinverbindliche Doktrin oder Kanonisierung der religiösen Vorstellungen, die auf alle Aleviten zutreffen würde. Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten: alle neigen tendenziell zu einer Glaubensvorstellung, die Gott im Innern sucht. Ebenso lehnen alle die „Fünf Säulen“ des Islam als Grundvoraussetzung für Religiosität ab. Anstelle dessen rücken sie ihre eigenen drei Bedingungen ins Zentrum des Glaubens: „Beherrsche deine Hände, deine Lende und deine Zunge“, dies kann mit „Stehle nicht, begehe keinen Ehebruch und lüge nicht“ übersetzt werden. (Shankland/£etin 2008: 219-220) Ein weiterer Unterschied zum sunnitischen Islam besteht in ihrem Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen anderen Gott außer Allah, Mohammed ist sein Prophet und Ali sein Freund“. (Kaplan 2004: 38) Sie glauben also an eine Art Trinität, eine geistige Gleichartigkeit von Gott, Mohammed und Ali. Sie sehen Ali der Mohammeds Neffe und Schwiegersohn war als legitimen Nachfolger des Propheten an. Dieser Glaube unterscheidet sie grundlegend vom Sunnitentum und hat auch zu der Teilung der islamischen Gemeinschaft und in der weiteren Folge zu der Unterdrückung der Aleviten geführt. (2004: 16)

3. Theoretischer Unterbau

Ich werde in diesem Teil keine umfassenden Definitionen der einzelnen Begriffe geben. Besonders bei Ritual und Migration würde es auch den Rahmen sprengen, deshalb möchte ich nur die Aspekte herausheben, die für diese Hausarbeit eine Rolle spielen.

3.1 Ritual

Polythetischer Ansatz:

Ritual soll hier durch eine aufzählende Beschreibung verschiedener Stichworte definiert werden:

- Verkörperung: Rituale bestehen aus intentionalen Handlungen, die handelnde Personen voraussetzen. Diese Handlungen entstehen durch Verkörperung in Raum und Zeit. Davon lassen sich die wichtigen Aspekte der Inszenierung, Aufführung und Performativität ableiten.
- Förmlichkeit: Ritualhandlungen bestehen oft aus wiederholten, nachahmbaren Handlungen.
- Ritualdynamik: Verändert kann nur werden, was eine abgrenzbare Form hat. Jedoch keine Erstarrung, sondern Veränderungen, Wechsel und Dynamik sind der Normalfall.
- Rahmung: meint die Abgrenzung zur Alltagswelt und die kognitive Rahmung bei den Teilnehmern („Dies ist ein Ritual“).
- Transformation und Wirksamkeit: Rituale bewirken einen Wechsel des Status oder der Kompetenz.
- Überhöhung: Rituale „haben vielfach einen heiligen bzw. die Teilnehmer überhöhenden Zweck. Diese Handlungen stabilisieren, solidarisieren oder hierarchisieren soziale Beziehungen und transzendieren nicht selten die im Handlungskomplex ausgedrückten Ereignisse, indem sie sie zu einer anderen, meist als höher bewerteten Welt oder Tradition in Beziehung setzen.“

(Michaels 2003: 4-5)

Diesem Definitionsversuch ist hinzuzufügen dass Michaels sich gegen die Fragestellung „Was ist ein Ritual?“ ausspricht. „Das Ritual losgelöst von allen historischen, regionalen oder sprachlichen Kontexten gibt es ohnehin ebenso wenig wie ein Wesen des Rituals.“ Er schlägt dagegen die Frage vor: „Wer bezeichnet x,y warum als Ritual [...]?“ und zeigt damit, dass ein Ritual von seinen Kontexten abhängig ist. (2003: 6) Auf diese für ein Ritual äußerst wichtigen Kontexte wird noch bei der Definition von Ritualtransfer einzugehen sein.

3.2 Ritualtransfer/ Ritualwanderung

Von einem Ritualtransfer spricht man, „wenn Akteure ein Ritual von einem sozialen Umfeld in ein anderes soziales Umfeld dauerhaft übertragen.“ (Neubert: 3)

Neubert geht damit einen Zwischenschritt, den andere Autoren auslassen. Er geht davon aus, dass der Transfer sich zwischen verschiedenen sozialen Umfeldern abspielt. Diese Umfelder werden von Kontextfaktoren geprägt. Harth und Michaels formulieren dagegen, dass Rituale immer innerhalb von Kontexten realisiert werden. (Harth/Michaels 2003: 24) In beiden Fällen spielen folgende Kontextaspekte eine Rolle:

- die Medien, in denen das Skript sowie die Ausführung des Rituals gefasst sind,
- das geographisch-räumliche, das ökologische, das kulturelle, das religiöse, das politische, das ökonomische, das soziale und das geschlechtsspezifische Umfeld,
- die Trägergruppe und
- die historischen Zusammenhänge der genannten Aspekte. (Langer et al 2005: 25)

Es gibt also kein Ritual, dessen Bedeutung und Praxis aus sich heraus hergestellt wird. (Sökefeld 2005: 220) Durch einen veränderten Kontext lässt sich so auch eine Wandlung des Rituals selbst darstellen. (Harth/Michaels 2003:24) So kann es in diesem Transferprozess zu Verlust, Gewinn und Transformationen von Ritualen bzw. Teilen eines Rituals kommen. Er kann räumlich und/oder zeitlich ablaufen. (Langer et al 2005: 23)

3.3 Migration

Zentral für die Untersuchung des Phänomens Ritualtransfer im alevitischen Kontext ist der Aspekt der Migration und die Bildung von transnationalen Diaspora- Communities. In Anlehnung an die Ergebnisse der allgemeinen Diaspora- und Migrationsforschung lässt sich Migration nach heutigem Kenntnisstand nicht simplifizierend als die Wanderung von Herkunfts- nach Zielort darstellen. (Motika/ Langer 2005: 77-78)

Denn die Verbindung zwischen Herkunfts- und Migrationsorten gewinnt durch moderne Kommunikations- und Verkehrsmittel an Bedeutung und bildet selbst einen Faktor der auf die rituelle Praxis erheblichen Einfluss nimmt. (dazu in Punkt 5.1 mehr) Es haben sich durch die Kombination von Binnen- und Fernmigration hochkomplexe Prozesse der Translokalität, Transregionalität und Transnationalität herausgebildet. ( Motika/ Langer 2005: 77-78) Die Auflösung des eindeutigen Siedlungsgebietes der Aleviten durch Migration nimmt großen Einfluss auf den Ritualtransfer, „wobei Entörtlichung durch Migration nicht zu einer Enträumlichung des Kulturellen führt, wie das Bestreben der Gründung und des Baus von Kulturzentren [...] und Gebetshäusern [...] zeigt.“ (Motika/ Langer 2005: 78) Diese Prozesse können auch mit dem Begriff der Hybridisierung umschrieben werden.

3.4 Hybridisierung

Bezeichnet den Prozess der globalen Ausbreitung von Vielfalt, von Diversität. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass die vielen unterschiedlichen Einheiten im Laufe des Prozesses nicht ihre Eigenständigkeit verlieren, sondern neue Einheiten gerade deshalb hervorbringen, weil sie verschieden sind. (Wienold 2007: 278)

Nach neueren Kulturtheorien ist Hybridisierung nicht mehr ein Problem der Identität, sondern ein Ort zwischen den Grenzen, der es ermöglicht Heterogenität als Spielraum pluraler Identität zu fassen. Hybridität kann so als Spektrum von Übergängen und Mischungen gesehen werden. (Sariönder 2005: 164-165)

4. Der traditionelle bzw. idealtypische Cem

„Cem bedeutet religiöse Versammlung und Vereinigung. Cem ist der zentrale Gottesdienst der Aleviten“ (Kaplan 2004: 65) und damit deren wichtigstes Ritual. Der traditionelle Cem der hier beschrieben werden soll orientiert sich an den Cems, die von den Aleviten während der takiye in ihren Dörfern praktiziert wurden. Vorab muss gesagt werden, dass es von Dorf zu Dorf verschiedene Variationen in Form, Reihenfolge und Inhalt gab und die folgende Beschreibung als Idealtyp eines Cems zu verstehen ist.

4.1 Formale Beschreibung des Cem

Zeit

Ursprünglich wurde der Cem in der Nacht von Donnerstag auf Freitag durchgeführt, er dauerte von den frühen Abendstunden bis zum nächsten Morgen. ( Karolewski 2005: 119)

Ort

Bei dem Ort der Durchführung handelte es sich vorwiegend um ein gewöhnliches Wohnhaus. Die Ausstattung des Raumes wird auf die Zeremonie ausgerichtet: So wird eine erhöhte Sitzfläche für den dede (Geistlicher/Ritualleiter) geschaffen. Der Raum ist folgendermaßen aufgeteilt: Der dede sitzt auf der Erhöhung, auf der sich auch das Schafsfell (post) befindet. Vor dem dede wird eine Fläche freigehalten, der Meydan (Platz). In der Mitte des Meydan befindet sich der Dar (Galgen), hier erfolgen die Ausübung verschiedener ritueller Handlungen. In dieser Kreisform um den Meydan sitzen die Teilnehmer des Cem auf dem Boden. ( Karolewski 2005: 120) Dieses Sitzen im Kreis soll ermöglichen dass sich jeder sehen kann und die Egalität der Teilnehmer betonen. Das erhöhte Sitzen des dede wird nicht als Heraushebung des Ritualleiters verstanden, sondern soll symbolisieren dass der Mensch als solcher „der Träger des göttlichen Lichts“ ist, so wird „der Mensch als Gebetsrichtung“ dargestellt. (Langer 2008:75). Die Ritualfläche wird durch das Ausziehen der Schuhe begrenzt, die Fläche die die Teilnehmer nur barfuss betreten dürfen markiert den heiligen Raum. Meist ist die Schwelle einer Tür die Grenze zu diesem heiligen Raum. (2008: 77)

Teilnehmer

Die Teilnahme war früher auf initiierte Mitglieder beschränkt, meist durften sogar nur Ehepaare die sich in einer Musahips (diese sind eine Wahlgeschwisterschaft mit einem anderen Ehepaar eingegangen) befanden teilnehmen. Dies schloss dann Unverheiratete und Kinder aus. Da im Alevitentum die Gleichstellung von Frau und Mann betont wird nehmen sie gemeinsam am Ritual teil. Sie wurden aber zumindest in der Sitzordnung voneinander getrennt, so saßen Frauen und Männer jeweils links bzw. rechts vom dede.

[...]


1 Die Angaben zum Bevölkerungsanteil der Aleviten schwanken stark, da bei türkischen Volkszählungen nicht nach Religion unterschieden wird und viele Aleviten auch noch heute ihre Identität verschweigen. ( Motika/ Langer 2005: 74 Fn.4)

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Der alevitische Cem in der Diaspora
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Ethnologie)
Veranstaltung
Seminar: Pilgerschaft, Mission, Vertreibung: Formen religiöser Ortsbindung und Migration
Note
Pending
Autor
Jahr
2010
Seiten
26
Katalognummer
V155186
ISBN (eBook)
9783640765935
ISBN (Buch)
9783640766291
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diaspora, Pending
Arbeit zitieren
Kristina Scheuermann (Autor:in), 2010, Der alevitische Cem in der Diaspora, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155186

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