Leseprobe
Gliederung
1 Introductio
2 Drei Helden - zwei Welten
3 Die Konflikte der Helden und deren Bewaltigungsstrategien
3.1 Gahmuret zwischen Kampf und Minne
3.2 Parzival im Konflikt mit Hofischkeit und Gott
3.2.1 Verlust und Wiedergewinnung der ritterlichen ere
3.2.2 Der zwivel als Gefahr far das gottliche Heil
3.3 Gawan und die Losung zwischenmenschlicher Konflikte
3.3.1 Die Konfliktentscharfung als Minneritter
3.3.2 Gawan als Opfer im Kampf der Emotionen
3.3.3 Erlosung durch Gawan und Versohnung durch Artus
4 Conclusio
Introductio
Konflikte, d.h. Auseinandersetzungen zwischen mindestens zwei Personen oder Per- sonengruppen, sind in der deutschen Artusepik des Mittelalters vielfaltig vertreten. So gerat beispielsweise der Protagonist Erec im gleichnamigen Roman Hartmanns von Aue, dem wahrscheinlich ersten Artusroman in deutscher Sprache, in einen Konflikt, indem er von unmaze beherrscht kein Gleichgewicht finden kann zwischen der Ausubung seiner ritterlichen Pflichten und dem Bann der sinnlichen Minne, die ihm Enite bietet. Als ihm die Verfehlung bewusst wird, versucht er den Konflikt durch eine allzu enthaltsame Lebensweise zu bewalti- gen und somit sein sundhaftes Verhalten vor Gott zu kompensieren. Spurbar wird diese Abs- tinenz von jeglicher ehelichen Gemeinschaft vor allem an Enite, die unter der torichten Kon- fliktbewaltigungsstrategie ihres Gatten erheblich leidet und doch nur darum, weil sie das Medium der schmachvollen, geruchteartigen Nachrichten am Hofe in Karnant war. Die zweite Folge des verhangnisvollen ver/igen-Konflikts ist die gesellschaftliche Verachtung, in die er sich selbst mit der Vernachlassigung seiner hofischen Verantwortung hineinmanovriert hat. Diesen Fauxpas, der nicht durch Gott, sondern durch seine Hofgesellschaft zum Teil mit re- signativem Weggang gesuhnt wird, kann Erec seiner Ansicht nach nur mit der Waffe wieder- gutmachen: Er sturzt sich rucksichtslos und nur auf seine eigene Ehre und Reputation bedacht in zweifelhafte, unnotige Kampfe. Erst am Ende, beim erlosenden Kampf gegen Mabonagrin, werden ihm seine ubermutige Kampfeslust und die ubertriebene BuBe bewusst. Er hebt die Minneaskese wieder auf, versohnt sich mit Enite und endlich kommen sie als vorbildliches Herrscherpaar zuruck nach Karnant.
Diesen Artusroman Hartmannscher Pragung, der einige Jahre vor Wolframs ,Parzi- val’ entstanden ist, kundet evident von Konflikten, die der Protagonist gemaB seiner personli- chen Reife losen muss. Ohne Konflikte, die der Held durch Unachtsamkeit oder unbewussten VerstoB gegen konventionalisierte Regeln selbst auslost, gabe es keinen Erzahlstoff, denn der der Handelnde ware perfekt und kame der idealen Person gleich, namlich Konig Artus. Der Protagonist muss also im Laufe der Handlung einen Reifeprozess absolvieren oder, falls er schon am Anfang durch kluges, umsichtiges Handeln auffallt, in bestimmten Situationen Schwachen zeigen, die er nur durch Bewaltigung zum Positiven kehren und sich selbst dabei weiterentwickeln kann.
Im ,Parzival’ Wolframs fallt auf, dass es der entwicklungsbedurftigen Helden zwei gibt. Das Verhaltnis Protagonist - Antagonist scheint sich hier anwenden zu lassen. Dem muss aber erwidert werden, dass der Antagonist am Ende der Handlung zum Gralskonig wird, sich also auch im positiven Sinne entwickelt und nicht der typische Antagonist ist. Protagonist und Antagonist sind also eher Handelnde in zwei verschiedenen Welten, mithin also zwei verschiedenen Handlungsstrangen, die sich erst am Ende begegnen.
Die Losung dessen liegt in den unterschiedlichen Welten. Der Erzahler stellt dem Helden aus den Artusromanen Hartmannscher Pragung eine zweite Welt gegenuber: die Gralswelt. Mys- tisch verklart wird sie dargestellt, da sie ein reines Phantasieprodukt und denkbar merkwurdig ist, wie Parzival bei seinem ersten Besuch feststellt.
In beiden Welten gelten jeweils eigene Verhaltenkodices, die in Punkt 2 charakteri- siert werden sollen. Weiterhin haben sie unterschiedliche hochste Ideale und Ziele sowie Mafinahmen, diese zu erreichen. Und beide Welten haben unterschiedliche Konfliktarten und somit auch eigene Strategien zur Konfliktbewaltigung. Wie diese Bewaltigungsstrategien im Einzelnen vollzogen werden, von wem sie vollzogen werden und worin die Unterschiede be- stehen, soll das Hauptthema dieser Arbeit sein und als Bestandteil der Untersuchungen in Punkt 3 erortert werden. Dabei soll untersucht werden, ob den Handlungstragenden je nach Zugehorigkeit zum Grals- oder Artusrittergeschlecht gewisse Handlungsmuster in den Kon- fliktsituationen zugeordnet werden konnen.
2. Drei Helden - zwei Welten
„Damit entsteht ein Doppelroman: Gawein ist der typische Vertreter des Artusrittertums, dem in Parzival das neue Gralsrittertum gegenubergestellt wird.[1] ‘a Um aber erortern zu konnen, inwieweit die Konfliktbewaltigungsstrategien der handelnden Personen auf die Zugehorigkeit zu Artus- oder Gralswelt zu bewerten sind, muss zunachst in aller Kur- ze in Erinnerung gerufen werden, worin das Wesen jeder Welt besteht und welche Unter- schiede zwischen ihnen zu erkennen sind.
Die typischen Zuge des klassischen Artusromans wie ,Erec’ oder ,Iwein’ Hartmanns von Aue hat Wolfram auch aus den franzosischen Vorlagen Chretiens in den ,Parzival’ uber- nommen. Er fugt diesem aber noch eine weitere, spirituelle Sphare hinzu: die Ausweitung der bekannten Handlung auf die Gralswelt dient ihm dazu, die Idealitat des Artushofes zu relati- vieren[2]. Der chaotische Zustand des Artushofes, der zum Einen durch die gewalttatige Ober- hand Segremors und Keies und zum Anderen durch den Zwist mit Ither hervorgerufen wurde, weist laut Dorothea Klein auf die Notwendigkeit einer Neuerung des Grals bei Wolfram hin. Dies symbolisiere die Hilfsbedurftigkeit der spirituellen wie auch der ritterlich-hofischen Ge sellschaft[3]. Da die oberste Gewalt in der Gralswelt Gott ist, der naturlich nur in allegorischer Gestalt des heiligen Steins, jedoch nicht personell anwesend ist, und seine Existenz nur auf dem Glauben an ihn beruht, erfahrt die Gralswelt eine Mystifizierung. Beide Gesellschaften tragen hofischen Charakter, wahrend sich aber die Artuswelt vorrangig den bekannten ritterli- chen Verhaltensnormen aus dem Tugendenkatalog verschreibt und die Minne wie der Kampf einen hohen Stellenwert geniefien, wird die Gralsgesellschaft nur von der zentralen Instanz und hochsten Macht gelenkt, namlich Gott. Das Verbot der weltlichen, geschlechtlichen Liebe ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Artusgesellschaft. Lediglich zur Dynastiesicherung ist es den Gralkonigen gestattet, sich der gelenkten Minne hinzugeben.
Die Tristesse am Hofe des Gralkonigs Anfortas ist bedingt durch seine falsche Minne, die Gott mit einer schmerzhaften Strafe belegt hat. Die daraus resultierende Trauer und Sorge seiner Angehorigen uberschatten die Gralsburg und weisen sie als eine aus den Fugen gerate- ne Gesellschaft aus, die genau wie der Artushof erlosungsbedurftig[4] sind.
Die Erlosungswerke sind auf die Handlungstrager bereits verwandtschaftlich vorbe- stimmt. Parzival, dessen Onkel mutterlicherseits Anfortas ist, muss mit dem Stellen der Mit- leidsfrage die Gralsburg Munsalvaesche erlosen, was ihm nach der Unterweisung durch Gurnemanz und durch eigene Einsicht gelingt und ihn, kraft Gottes Hilfe, letztlich sogar zum Gralkonig befordert. Gawan ist ebenfalls dafur vorgesehen, seine mutterliche Verwandtschaft, diese aber auf Clinschors Schloss zu erlosen. Bei Gawan geht es, artusrittertypisch, weniger um den Kampf als Erlosungsmittel, sondern um die ritterlichen Tugenden manheit und stxte. Diesem Erlosungswerk Herr zu werden, ist Gawan noch allein in der Lage. Doch die Losung eines komplizierten Konfliktgeflechts aus minne, triwe und haz ruft Konig Artus als Konflikt- losungsstratege ersten Ranges auf den Plan.
An den Erlosungswerken zeigt sich das Konfliktlosungsvermogen der gereiften Hel- den. Voraussetzung dafur ist allerdings, dass sie sich vorher in eigenen Konflikten selbstandig bewahrt haben. Dafur gibt es in beiden Welten genugend Konfliktpotential. In der Gralswelt birgt vor allem der zwivel an der Gnade und Barmherzigkeit Gottes eine immense Gefahr, denn diese ,dubitatio‘ genannte Verfehlung galt in der christlichen Theologe des Mittelalters als schwere Sunde. In der Artuswelt konnen durch die falsche oder fehlende Anwendung des Tugendenkataloges Konflikte entfacht und durch den Kampf noch verstarkt werden.
Analysiert man die beiden Gesellschaften allegorisch im Hinblick auf die Wechsel- wirkung zwischen Mensch und Gott, so wird der Gedanke, die Idee hinter den Welten sicht- bar, was Joachim Bumke mit seinen Ausfuhrungen treffend formuliert: „Was Gott mit den Menschen vorhat, zeigt sich in der Ordnung von Munsalvaesche und in Parzivals Weg zum Gral. Was die Menschen selbst vermogen, dank der Fahigkeiten, die Gott ihnen verliehen hat, ist in der Geschichte von Gawan und der Reintegration der Artusgesellschaft dargestellt.“[5]
3 Die Konflikte der Helden und deren Bewaltigungsstrategien
3.1 Gahmuret zwischen Kampf und Minne
Es ist eine sehr durftige und mangelhafte Entschuldigung, die Gahmuret vorbringt, als er sich heimlich, ,verholne’ (57, 12), inmitten schwarzer Nacht davonstiehlt, um Belakane zu verlassen. Er gesteht in seinem Abschiedsbrief zwar ein, dass er sie stets schmerzhaft ver- missen wird, doch wiegt die religiose Diskrepanz zwischen Gahmurets Christentum und Belakanes Heidentum fur Gahmuret erheblich mehr. Mit der Zeile „w^r din ordn in miner e / so wxr mir immer nach dir we“ (55, 25f.) sagt Gahmuret im Konjunktiv aus, dass es die Moglichkeit fur ein gemeinsames Zusammenleben gabe, wenn ihre Religion die gleiche Ord- nung[6] hatte wie seine. Spater spendet er Belakane noch mehr Hoffnung, in dem er ihr die reel- le Chance einer Wiedervereinigung erlautert: frouwe, wiltu toufen dich / du maht ouch noch erwerben mich“. (56, 25f.) Hatte Gahmuret ihr diesen Satz direkt und nicht uber den postali- schen Umweg eines Briefes, so ware seinem Ohre nicht entgangen, dass sie durchaus bereit gewesen ware, sich taufen zu lassen und zwar „balde daz geschiht!“ (56, 28f.). Ihren Stand- punkt bestatigt sie sogar noch einmal mit den Worten „ich mich gerne toufen sollte / unde leben swie er wollte.“ (57,7f.)
Mit Belakanes angeblich fehlender Bereitschaft, die Religion zu wechseln, was naturlich ei- nen Verrat an ihrer ureigenen Religion bedeutet hatte, den zu riskieren sie fur den geliebten Gahmuret bereit gewesen ware, kann eine Flucht Gahmurets nicht begrundet sein. Auch die zunachst noch in einiger Ferne liegende Geburt seines ersten Sohne und der Versuch, seinen vaterlichen Pflichten zu entkommen, kann nicht als Grund fur seinen Abschied gewertet, denn er berichtet im Brief voller Stolz von seinen beruhmten Vorfahren und der dementsprechen- den Aussicht, die sich dem Jungen bieten wird: „werde unser zweier kindelin / anme antlutze einem man gelich / deiswar der wirt ellens rich.“ An Gahmurets Berichten uber die ritterli- chen Wohltaten seiner Ahnen, die er geradezu lobpreist fur ihre Kampfeswutigkeit und ihr daraus gewonnenes Heldentum, Adel und Ehre, „werdekeit" (56,24) sowie die Krone als au- Berliches Zeichen schimmert ein Grund fur seinen Aufbruch durch. Wohl vom dringenden Kampfeswillen beflugelt, schreibt er Belakane diesen Brief, der in Anbetracht des kampferi- schen Vokabulars und der Aufzahlung der ebenso kampfeswutigen Ahnenschaft so interpre- tiert werden kann, dass Gahmurets einziger Grund zur Flucht aus Patelamunt seine stete Kampfeslust und sein Drang nach Bewahrung mit Schwert ist. Belakanes Heidentum ist dabei eine reine Ausrede und nicht bedeutsam fur den Artusritter, so wie es ebenfalls Ulrich Pretzel ausdruckt: „Das religiose Problem ist in Wahrheit fur Gahmuret kaum existent."[7]
Der Konflikt, der sich hier andeutet, ist daher nicht religios motiviert, sondern besteht aus- schlieBlich in der Wahl zwischen dem Leben als Landesherr, Ehemann und prasentem Vater und dem Leben, das von standiger ritterlicher Aventiure gepragt ist. Die Konfliktbewalti- gungsstrategie, die Gahmuret verfolgt, sieht vor, das Leben eines sich auf Aventiure bewah- renden Helden dem Familienleben vorzuziehen. Als am Morgen nach der Hochzeit „daz velt herberge stuont al bloz“ (54,11) beginnt Gahmuret, sich nach dem Kampf zu sehnen. Er be- trauert, dass „er niht riterschefte vant / des was sin freude sorgen phant(54,20) Das sind typische Gefuhlsregungen fur einen Artusritter wie Gahmuret, dessen Leben kampferfullt sein muss, wenn er es als erfulltes Leben betrachten will. Er versucht zwar, sich in seinem Ab- schiedsbrief an Belakane ihr gegenuber zu rechtfertigen, weshalb er diesen Weg gegangen ist. Als wirklich gelungener Kompromiss ist seine Erklarung aber nicht zu sehen, vor allem, wenn man von der Endgultigkeit seines Abschiedes ausgeht.
Von einer weitergehenden Interpretation ist abhangig, ob der Grund fur Gahmurets nachtlich stattfindende Abreise die fur ihn zu vermeidende direkte, personelle Konfrontation am lichten Tage ist. In diesem Falle waren zwar die warmen Worte, mit denen der Brief beginnt, ein Trost gewesen, spatestens aber bei der Diskussion uber die Religionsfrage hatte Belakane ihren Geliebten argumentativ bremsen konnen. Scheut er also nur das Gesprach mit ihr? Spe- kulativ ware dies positiv zu beantworten, denn moglicherweise ware Gahmuret dann von ihrer Liebe, die er seinerseits ebenso stark fur sie empfindet, geblendet worden und hatte daruber seine ritterlichen Pflichten vergessen. Diese Interpretation wird abgeschwacht durch die Aus- fuhrungen Sonja Emmerlings, die in ihrer Dissertation feststellt, dass „der Kampf [...] Vor rang vor der Minne [hat]... Denn die Interessen der Gesellschaft finden in Gahmurets Vor stellung von Ritterschaft ebenso wenig Raum wie die seiner jeweiligen Minnepartnerin."[8]
Der Abschiedsbrief, der einen markanten Punkt im ganzen Werk, namlich Gahmurets Verlassen von Patelamunt in seiner Bedeutung noch verstarkt, kann als Wider- spiegelung von Gahmurets Charakter gesehen werden: er ist ein christlich orientierter, glaubi- ger, kampfbereiter, stolzer Artusritter.
Indem aber Gahmuret dem Verlangen nach Ritterschaft nachgibt zu Ungunsten der Minne und der Herrschaft uber das Land Zazamanc, dessen Konig er aufgrund der Verbindung mit Belakane geworden ist, erwachst aus diesem Fakt ein Minnekonflikt.
Gahmuret reitet im zweiten Buch nach Spanien zu seinem Vetter Kaylet. Dort wird er sogleich verwiesen nach Waleis, wo in Kanvoleiz ein Turnier stattfinden soll, das von Ko- nigin Herzeloyde veranstaltet wird. Der Sieger soll ihre Hand und Konigreich bekommen, um dort als Herrscher zu walten. Damit ist wieder eine Bewahrungsprobe fur Gahmuret geschaf- fen. Er kann sich als Ritter beweisen, indem er die Hand Herzeloydes durch Kampf erringt und bekommt dazu die Herrschaft uber ein (weiteres) Konigreich in Aussicht gestellt.
[...]
[1] Weddige: Einfuhrung in die germanistische Mediavistik, S. 203
[2] vgl. Weddige: Einfuhrung in die germanistische Mediavistik 6, S. 202/203
[3] Vgl. Klein: Mittelalter, S. 161
[4] Vgl. Bumke: Wolfram von Eschenbach, S. 183
[5] Bumke: Wolfram von Eschenbach, S. 193
[6] Der Begriff ,Ordnung’ hat meines Erachtens hier eine doppelte Bedeutung. Zu Einen ist es ein Verweis zum mittelalterlichen Begriff des ,Ordo’, der das komplexe Reicht Christi meint und in dem konnotiert ist, dass alles Irdische auf den christlichen Zweck ausgerichtet ist. Zum Anderen suggeriert der Begriff, in der Verwendung Gahmurets, dass es im heidnischen Glauben keine gottliche Ordnung und somit uberhaupt keine Ordnung gibt.
[7] Pretzel: Gahmuret im Kampf der Pflichten, S. 383
[8] Emmerling: Geschlechterbeziehungen, S. 255