Leseprobe
Gliederung
Einleitung
1. Fragestellung
Hauptteil
2. „Die Klavierspielerin“
2.1 Kurze Zusammenfassung des Romans
2.2 Darstellung der Sexualität
2.3 Fazit I
3. „Raststätte“
3.1 Zum Inhalt des Theaterstücks
3.2 Vergleichende Darstellung der Sexualität
3.3 Fazit II
Schluss
4. Abschließendes Fazit mit Hypothesen über die Autorenintention
1. Fragestellung
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede ergeben sich bei der vergleichenden Betrachtung der Darstellung der Sexualität in Elfriede Jelineks Roman „Die Klavierspielerin“ und dem Theaterstück „Raststätte“?
2. Die Klavierspielerin
2.1 Kurze Zusammenfassung des Romans
Im Mittelpunkt des 1983 von Elfriede Jelinek geschriebenen Romans „Die Klavierspielerin“ steht die 30 – jährige Klavierlehrerin Erika Kohut, die noch bei ihrer Mutter wohnt und von dieser wie eine Sklavin gehalten wird. Der Vater kam früh in eine Irrenanstalt und verstarb dort recht schnell. Seitdem war Erika für die Mutter Tochter, und gleichzeitig Mann – Ersatz. Sie musste sogar neben der Mutter im Ehebett schlafen. Die Mutter drillt ihr Kind zur Einzelpersönlichkeit und erzieht sie somit zur Lebensfeindlichkeit. Sie soll sich der Karriere wegen sogar von Männern fernhalten. Durch permanente Eingriffe der Mutter in ihr Privatleben, kann Erika keine Beziehung zu ihrem Körper aufbauen. Psychologisch gesehen bildet sich kein Geschlecht heraus, sie bleibt einfach das Kind der Mutter und wird psychisch nicht zur Frau. Sie entwickelt die Vorstellung, dass das weibliche Geschlecht lediglich ein „defizärer Modus des männlichen ist“ (vgl.Janz 1995,S.71). Eine richtige Form der Geschlechterdifferenzierung kann von Erika nicht vollzogen werden. Sie versucht, sich durch Schikanen an ihren Schülern immer wieder in eine Machtposition zu versetzen und ihren Körper durch Verletzungen mit einer Rasierklinge schlichtweg abzutöten. Dadurch übt sie Kontrolle über ihren Körper aus. Sie verletzt sich sogar an den Geschlechtsorganen, was einer symbolischen Selbstkastration gleichkommt. Heimlich geht sie in Peep – Shows und verleiht damit ihrem Voyeurismus und gleichzeitig ihrer sexuellen Passivität Ausdruck.
Erika bewegt sich in einem System von falschen männlichen und weiblichen Identifikationen. Sie begibt sich durch ihren Voyeurismus eindeutig in eine männliche Position und versucht so ihre Angst vor der Weiblichkeit zu bewältigen. Weiblichkeit nimmt Erika als etwas durchweg Negatives und sogar Ekelhaftes wahr. In einem beginnenden Verhältnis zu ihrem Klavierschüler Walter Klemmer, gibt sie dem Schüler masochistische Anweisungen, die er an ihr ausführen soll. Ein wichtiger Punkt dabei ist die permanente Vertauschung der Rollen zwischen Lehrerin und Schüler, die immer dann stattfindet, wenn Sexualität ins Spiel kommt. Zunächst will der Schüler den Forderungen seiner Lehrerin nicht nachkommen, doch das Verhältnis endet in einem letzten Gewaltakt, in dem Walter Klemmer Erika vergewaltigt und sie ohne Hoffnung auf eine Liebesbeziehung, welche Erika sich insgeheim erhofft hatte, verlässt.
2.2 Darstellung der Sexualität
Eine wichtige Voraussetzung bei der Analyse der Darstellung der Sexualität im Roman, ist der Bezug zum eigenen Körper, der bei der Hauptfigur Erika seitens der Mutter von jeher unterdrückt wurde. „Ihr Körper ist ein einziger großer Kühlschrank“ (vgl.Jelinek 2003,S.25). „Erika hat nie etwas mit Wärme umschlossen, auch nicht ihren eigenen Leib“ (vgl.Jelinek 2003,S.118). Die Frau empfindet keinerlei Eigenliebe, sie hasst ihren Körper weil sie nie eine sexuelle Identität finden konnte. Die Mutter achtete auf ihrer Seite des Ehebettes sehr genau darauf, dass Erikas Hände immer über der Bettdecke blieben. So konnte die Tochter ihren eigenen Körper nie richtig entdecken und hat Sexualität und Lust auch nicht als Erfahrung und Ausdruck eines schönen Gefühls kennen gelernt. Erika durfte nie einen Mann mit nach Hause bringen: „Die Mutter droht dem Kind mit Erschlagen, sobald es mit einem Mann gesichtet werden sollte.“ (vgl.Jelinek 2003,S.17) Die wenigen sexuellen Erlebnisse, die Erika dann doch hatte, konnten sich deshalb immer nur heimlich abspielen. Erika machte jedoch auch in dieser Hinsicht nur schlechte Erfahrungen: „Recht bald nahmen die jungen Herren sich charmante Freiheiten heraus, die auch noch im Freien andauerten. (…) Die Frau wird hernach belogen, betrogen und nicht oft angerufen.“ (vgl.Jelinek 2003,S.79) Männer wollten von ihr nur ihre eigene Befriedigung. „Erika versuchte sie mit Leidenschaft und Lust an sich zu fesseln. Heftig mit Fäusten schlug sie auf das wippende tote Gewicht über ihr ein (…). Sie selbst hat nichts verspürt. Sie ist empfindungslos wie ein Stück Dachpappe“ (vgl.Jelinek 2003,S.79). An dieser Stelle wird Erikas Verhältnis zum eigenen Körper explizit geschildert. Da sie Liebe als Kind nie erfahren hat und ihren weiblichen Körper so wie er ist nicht annehmen kann, verspürt sie auch keine Gefühle beim Geschlechtsakt. Sexualität ist für sie ein Mittel, um Beziehungen aufrecht zu erhalten und Männer an sich zu binden, auch wenn sie von ihr nur als „totes Gewicht“ wahrgenommen werden. Sie sehnt sich nach Zuwendung und Geborgenheit, wurde aber von jedem Mann sehr schnell wieder verlassen.
Jelineks Roman stellt ein klares Männer, - und Frauenbild heraus, was bei der Sexualität eine ebenso wichtige Rolle spielt.
Der Mann ist gegenüber der Frau der „Wolf“ (vgl. Jelinek 2003, S.48) und gleichzeitig der „Jäger“ (vgl. Jelinek 2003, S.56). Er ist ihr Ernährer und Versorger; die Emanzipation scheint es nie gegeben zu haben. Zum Dank schläft die Frau mit dem Mann. Sie stöhnt dabei „hell auf“, (vgl.Jelinek 2003,S.103) um den Mann in seiner Manneskraft zu bestärken. Die Frau ist nur „Fleisch“, das aber „hübsch“ sein und „eine gute Figur“ haben muss (vgl.Jelinek 2003,S.57). Ihr Wert richtet sich nach „der Größe der weiblichen Kurven“ (vgl.Jelinek 2003,S.57).
Die Frauen sind „Möbelstücke“ (vgl.Jelinek 2003,S.92), die Männer sich nach Belieben aussuchen und umstellen können. Sie sind nur zu praktischen Zwecken wie den Haushalt zu gebrauchen und „wenn dem Mann danach zumute ist, geht er auch ohne ein Wort“ (vgl.Jelinek 2003,S.126). Männer werden in dem Roman als extrem triebgeleitet dargestellt; Frauen dienen dem Zweck diese Triebe zu befriedigen und sind ansonsten „eben einfach vorhanden“ (vgl.Jelinek 2003,S.136). Wenn der Mann wütend ist, „wird die Frau besonders gemein besprungen“ und wenn sie sich dann weigert „die Gabel zu machen, gibt es Prügel bis aufs Zahnfleisch“ (vgl.Jelinek 2003,S.137). Sexualität wird hier nicht als Liebesakt dargestellt, sondern als Akt der Gewalt bzw. als Ausdruck der Macht der Männer gegenüber den Frauen. Ein Mann schlägt grundlos auf eine Frau ein. Was in unserer heutigen Gesellschaft sanktioniert ist, wird hier als etwas vollkommen Normales und Alltägliches angesehen. Der Frau wird ein nicht annähernd so großer Wert wie dem Mann zugesprochen; Gleichberechtigung gibt es nicht. „Weiblicher Wert [nimmt] mit zunehmenden Jahren und zunehmender Intelligenz stark ab. (…) Für das Endergebnis zählen letztlich nur Falten, Runzel, Zellulitis, Grauhaar, Tränensack, Großporigkeit, Zahnersatz, Brille, Figurverlust.“ (vgl.Jelinek 2003,S.171)
Die erste sexuelle Begegnung im Roman findet zwischen Erika und ihrem Cousin statt, der für eine Weile zu Besuch kommt. Burschi, wie dieser genannt wird, ist ein regelrechter Frauenschwarm. Er stellt seine sexuellen Reize gern zur Schau: „Das Genital vom Burschi ist nur notdürftig in ein Säckchen hineingezwängt worden, das an zwei Schnüren angenäht ist, welche über die Hüften und seitlich zu je einer Schleife verknüpft sind (…)“ (vgl.Jelinek 2003,S.42). Die Mädchen des Dorfes schwärmen um ihn herum wie „reife Früchte“ (vgl.Jelinek 2003,S.43) und Burschi bräuchte sie nur noch abzupflücken. „Er nimmt das Mädchen, welches sich anbietet bei den Handgelenken und drückt [es zu Boden]. (…) Hat er besonders gute Laune, darf das Mädchen, das vor ihm am Erdboden krabbelt, ihm auch noch die Füße küssen (…)“ (vgl.Jelinek 2003,S.43). Auch hier sind die Frauen der unterlegene Teil und befinden sich in einer erniedrigenden Haltung. Sie liegen dem Mann zu Füßen und küssen diese sogar, was ein Symbol für ihre Unterwürfigkeit ist. Burschi verschwindet aber dann letztlich nicht mit einem der Dorfmädchen, sondern führt Erika in eine ruhige Ecke. Sie betrachtet dort aufmerksam sein „Hodenpaket“ und den „kleine[n] rote[n] Mount Everest“ der „verführerisch vor IHREN Augen“ (vgl.Jelinek 2003,S.46) kreist. Dann sinkt auch sie vor ihm zu Boden und berührt mit dem Mund „das rote Päckchen voll Geschlecht“ (vgl.Jelinek 2003,S.46). Doch ehe es richtig angefangen hat, ist alles auch schon wieder vorbei. Burschi verschwindet; Erika bleibt allein zurück. Abgesehen davon, dass es sich um Cousin und Cousine handelt, und das Erika schon über 30 ist, könnte man bei dieser Szene noch von einem durchaus normalen Erkunden und Erforschen der Sexualität sprechen. Doch nach dieser Begegnung schneidet sich Erika mit der Rasierklinge in den Handrücken und empfindet dabei keinen Schmerz, was erstmals auf eine Abnormalität ihres Verhaltens deutet.
Dieser Eindruck verschärft sich, als Erika in der nächsten Szene eine sogenannte Peep – Show besucht. Die Lokalität wird detailliert beschrieben. Es befinden sich dort Kabinen, in die Männer hineingehen können und durch Sichtschlitze, die sich für einen Moment öffnen, wenn der Mann Geld hineinwirft, können sie eine fast nackte Frau beobachten, die sich lasziv räkelt. Während die eine Hand Münzen in den Schlitz wirft, „pumpt [die andere] die Manneskraft sinnlos zum Fenster hinaus (…) weil der Käufer leider die schönen nackten Damen nicht mitnehmen kann, damit er sie zum Zerplatzen hernimmt.“ (vgl.Jelinek 2003,S.52) Wieder ist die Frau nur ein Sexobjekt; es geht nicht um ihre Seele, sondern um ihre Geschlechtsorgane. Die sich – zur – Schau – stellende Dame wiederum, hat den „dringenden Wunsch“, dass „diesen Ochsen (…) der Schwanz abreißt beim Wichsen“ (vgl.Jelinek 2003,S.53). Männer wie Frauen haben gleichermaßen respektlose Einstellungen gegenüber dem anderen Geschlecht.
Erika betritt nun als einzige Frau die speziell für Männer eingerichtete Lokalität. Sie „will nichts weiter als zuschauen. (…) Hier in dieser Kabine wird sie zu gar nichts.“ (vgl.Jelinek 2003,S.55) Sie ist dort weder Mann noch Frau, sie ist einfach ein „Gerät in Menschenform“ (vgl.Jelinek 2003,S.55). Es sind auch nicht die sexuellen Triebe, die sie dort hingeführt haben, denn „Erika hat ein Gefühl von massivem Holz dort, wo der Zimmermann bei der echten Frau ein Loch gelassen hat.“ Sie hegt eine regelrechte Abneigung gegenüber ihrem eigenen Geschlecht: „Es ist ein schwammiges, morsches, einsames Holz im Hochwald, und die Fäulnis schreitet voran. (…) Sie verwest innerlich.“ (vgl.Jelinek 2003,S.55) Und auch anderen Frauen spricht sie jeden Wert ab; auch bei ihnen schaut der Mann „auf das Nichts, er schaut auf den reinen Mangel.“ (vgl.Jelinek 2003,S.56). Es folgen weitere eher anormale Verhaltensweisen Erikas, beispielsweise hebt sie ein benutztes Taschentuch auf und riecht daran und schaut währenddessen der nackten Frau zu, obwohl sie augenscheinlich keine homosexuelle Neigung hat. Vielmehr geht es ihr vermutlich um das Verbotene, das den Reiz ausmacht. Es geht um die Überschreitung von Grenzen, denn während des gesamten Aufenthalts, hat Erika keine sexuellen Empfindungen. Auch die männliche Sexualität, wird in dieser Szene sehr nüchtern und lieblos geschildert. Es geht einzig und allein um das Ausleben körperlicher Triebe. „Manche melken draußen heimlich vor“, andere haben „Ladehemmung“ (vgl.Jelinek 2003,S.57). Die „kleine[n] Pumpwerke sind unter Volldampf in Betrieb“ (vgl.Jelinek 2003,S.57). Sexualität ist reine Mechanik.
Der Mann wird bestimmt und definiert durch seinen Geschlechtstrieb. Er ist hier nur ein „Schütze der seinen Gummiwurm ins Ziel bringt“ (vgl.Jelinek 2003,S.57).
Nach dieser Szene ist Erika wieder allein mit sich und ihrem Rasiermesser; „[i]hr Hobby ist das Schneiden am eigenen Körper“ (vgl.Jelinek 2003,S.90). Doch dieses Mal geht sie noch einen Schritt weiter und schneidet sich ihre eigenen Geschlechtsorgane auf. Jeder, der sich etwas so grausames vorstellt, bekommt allein bei dem Gedanken daran, was diese Frau dabei für Schmerzen erleiden muss, eine Gänsehaut. Doch Erika tut „wie üblich nichts weh“, sie empfindet es sogar als „beruhigend (vgl.Jelinek 2003,S.91). Spätestens an dieser Stelle wird jedem Leser klar, dass die Hauptfigur des Romans an einer massiven psychischen Störung leidet, die sich insbesondere in der Selbstzerstörung und später dann noch deutlicher in ihrer Sexualität zeigt. Der Übergang vom Kind zur Frau wurde von ihr nie vollzogen. „Was zuerst in kindlichem Stolz auf dem Kopf prangte, ist jetzt dort gelandet, wo das weibliche Holz still auf die Axt warten muss. Die Prinzessin ist jetzt erwachsen“ und „kennt ihren Platz im Leben“ (vgl.Jelinek 2003,S.92) Erika kann sich mit ihrer Rolle als Frau in der Gesellschaft nicht abfinden, deshalb steht auch ihr Privatleben in einem starken Gegensatz zu ihrem gesellschaftlichen Status. Jede Form der Identitätsfindung, sei es die persönliche oder die sexuelle, wurde von ihrer Mutter stets unterbunden. Sie durfte sich nie selbst Zärtlichkeiten schenken, noch sie anderweitig empfangen. Sexualität wurde ihr als etwas Verbotenes vermittelt. Deshalb suchte sie dann den Schmerz als Ventil für unterdrückte Gefühle und Wünsche. Es kommt an dieser Stelle aber noch ein weiteres dominierendes Motiv des Romans zum Ausdruck. In dem Moment in dem sie sich mit der Rasierklinge schneidet, ist sie nicht mehr nur passiver Beobachter, sondern plötzlich Akteur; „sie hat es in der Hand. (…) Sie ist sich selbst ganz ausgesetzt, was immer noch besser ist als anderen ausgesetzt zu sein“ (vgl.Jelinek 2003,S.90). Bei dieser fast schon Selbstkastration, ist Erika keine Frau mehr, sondern Herrin und stellt damit eine Situation her, in der sie nicht Objekt sondern Subjekt des sexuellen Aktes ist. Nur so kann sie sich gegen den weiblichen „Mangel“, dem „Nichts“, der „ranzige[n] Ratte (…] die sich ihr Geschlecht nennt“ (vgl.Jelinek 2003,S.88) zur Wehr setzen.
Und gleichzeitig ist sie dann auch wieder bereit, sich gegenüber einem Mann in die unterlegene Tochter – Rolle einzufügen. „Wer von ihr erreichte, dass sie einem Befehl gehorchte (…), der könnte ALLES von ihr bekommen. Sich an eine harte Mauer anlehnen, die nicht nachgibt!“ (vgl.Jelinek 2003,S.106) Erika, die ihren Platz im Leben nicht gefunden hat, sucht trotz der Dominanz ihrem eigenen Körper gegenüber, jemanden der SIE führt. „Sie wartet auf diesen einen Befehl (…), ihre Pfoten zucken dem letzten, endgültigen Gehorsam sehnsüchtig entgegen.“ (vgl.Jelinek 2003,S.106) Sie ist sogar bereit dafür zu sterben: „Der Schmerz ist selbst nur die Folge des Willens zur Lust, zum Zerstören, zum Zugrunderichten und, in seiner höchsten Form eine Art von Lust. Erika würde die Grenze zu ihrer eigenen Ermordung gern überschreiten.“ (vgl.Jelinek 2003,S.110).
Erika geht in Pornokinos und sieht zu, wie Frauen sich auf der Leinwand mit ihren langen Fingernägeln verletzen und Männer Reitpeitschen in diese Frauen bohren und sie währenddessen schlagen. Doch für Erika ist das noch nicht genug. ‚Schmerz ist in seiner höchsten Form eine Art von Lust’. Diese höchste Form hat Erika jedoch noch nicht erreicht, sie ist empfindungslos, selbst wenn sie ihre empfindlichsten Körperteile mit einem Rasiermesser blutig schneidet. Erika sehnt sich nach noch mehr „Schmerzgestaltung“ und „Schmerzausschmückung“ (vgl.Jelinek 2003,S.110).
Im zweiten Teil des Romans, streift Erika wieder in aller Heimlichkeit über den Wiener „Praterstrich“ (vgl.Jelinek 2003,S.134). Sie hat „ihren Wirkungsbereich erweitert“ (vgl.Jelinek 2003,S.137). Den Frauen dort wird nichts menschliches mehr zugesprochen; oft sind von ihnen nur noch „zerschossene Überreste, aus fahrenden Autos geworfen“ (vgl.Jelinek 2003,S.134) übrig. Die Männer sind „läufig“ wie Tiere und gehen dort ihrem „Hobby, dem Vögeln“ (vgl.Jelinek 2003,S.139) nach. In der Gegend gibt es Pornokinos, Prostituierte und einschlägige Etablissements. Doch Erikas Ziel ist die „Jesuitenwiese“ (vgl.Jelinek 2003,S.140). Sie sucht nach Liebespaaren, die sich „zu zweit vergnügen“ (vgl.Jelinek 2003,S.140). Als sie dann endlich das Geschrei eines sich liebenden Paares hört, ist dies „Heimat für die Schauende“ (vgl.Jelinek 2003,S.143). Das Paar „fickt sich in Erikas Augäpfel hinein (…) Der Mann schraubt sich ausländisch jauchzend in die Frau“ (vgl.Jelinek 2003,S.143). Er ist Türke und „Türken verachten die Frauen von Natur aus“ (vgl.Jelinek 2003,S.134). Die selbst in der sozialen Wahrnehmung deklassierten Männer (wie z.B. türkische Gastarbeiter), sind noch dominant gegenüber den Frauen. Sie scheinen für Erika die Bevorzugung der männlichen Position noch zu verstärken. Die Frau dagegen ist nur eine „betrunkene Standardfrau“ (vgl.Jelinek 2003,S.143). Das unterschiedliche Paar ist sich auch beim Sex nicht einig. „Die Frau sagt Hü, der Mann Hott“ (vgl.Jelinek 2003,S.143). Es kommt während des Aktes zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beiden. Der Mann achtet nur auf seinen eigenen Spaß, die Frau scheint dabei nicht auf ihre Kosten zu kommen. Sie möchte, dass er langsamer macht, doch er ignoriert ihre Wünsche und „werkt im Akkord“ (vgl.Jelinek 2003, S.145). Er verhält sich dabei beinahe wie ein Tier. „Er speichelt die Frau ganz ein, als wolle er sie als Beute essen“ (vgl.Jelinek 2003,S.145). Die Frau gibt letztlich auf und spielt dem Mann kurz vor seinem Höhepunkt eigene Lust vor, damit es schnell zu Ende ist. Sie „feuert ihn in der Zielgeraden mit hopp an.“ (vgl.Jelinek 2003,S. 145).
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