Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Das Demokratieprinzip
2.2 Die Kompetenzubertragung und Uberprufung durch deutsche Organe
2.3 Die neue Begleitgesetzgebung zum Lissabon Vertrag
3. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Vertag von Lissabon ist am 01. Dezember 2009 in Kraft getreten. Er war das Er- gebnis eines langen Prozesses, einer Reflexionsphase, in welchem der ursprunglich geplante Vertrag uber eine Verfassung fur Europa (Verfassungsvertrag) vom 29. Ok- tober 2004 scheiterte, da unter anderem Frankreich und die Niederlande den Vertrag in Referenden ablehnten. Der Vertrag von Lissabon begreift sich nun als die Anderung des Unionsvertrages und des EG-Vertrages, welcher in den „Vertrag uber die Ar- beitsweise der Europaischen Union" umbenannt wurde. Doch auch bevor der Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 in Kraft treten konnte, galt es einige Hurden zu bewaltigen.
Richtet sich der Blick nach Deutschland, so gab es allein hier einen langen Prozess hin zu einem „Ja" zum Lissabon Vertrag. Nachdem Bundestag und Bundesrat dem EU- Reformvertrag zugestimmt hatten, legte der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler im Mai 2008 eine Verfassungsklage gegen den Vertrag von Lissabon ein, wie er es auch bereits gegen den Verfassungsvertrag getan hatte. Er beklagte die Entstaatlichung Deutschlands, die Reduktion des Grundrechtsschutzes und durchschlagende Demo- kratiedefizite (Vgl. wwwl). Auch die Linkspartei klagte im Juni 2008 gegen den Ver- trag und legte zusatzlich eine Organklage ein. Fur sie besteht die Problematik im grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 GG, welcher auf dem in Art. 20 Abs. 1 niederge- legten Demokratiegebot beruht (Vgl. www2). Im Januar 2009 ging erneut eine Klage gegen den Lissabon Vertrag in Karlsruhe ein. Der ehemalige Vorstandschef der Thyssen AG, Dieter Spethmann, der fruhere CSU-Europaabgeordnete Franz Ludwig Graf Stauffenberg, der Volkswirtschaftler Joachim Starbatty und der Berliner Jurapro- fessor Markus Kerber wollen die Inkraftsetzung des Reformvertrags ebenfalls ver- hindern. Kernpunkt dieser Klage war der Vorwurf, in der Europaischen Union seien die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts-Urteils von 1993 zur europaischen Wahrungsgemeinschaft nicht eingehalten worden (Vgl. www3). Diese Aufzahlung soll und kann hier keine Vollstandigkeit der Klagen gegen den Vertrag von Lissabon dar- stellen, es soll lediglich zeigen, dass der Vertrag einige Gegner hatte und immer noch hat.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte nach den eingegangenen Klagen die Aufgabe, diese zu prufen und ein Urteil uber das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zu fallen. Am 30. Juni 2009 war es soweit. Das Urteil des BVerfG zum Vertrag von Lissabon wurde veroffentlicht. Das Ergebnis war ein „Ja" zum Reformvertrag, jedoch mit Einschrankungen. Als verfassungswidrig stufte das BVerfG lediglich das Begleit- gesetz ein. Das Gericht forderte fur die Ratifizierung mehr Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat, welche in einem neuen Begleitgesetz festgelegt werden sollten.
In der folgenden Arbeit soll eine Rezeption der Literatur uber das Urteil vorgenom- men werden. Dabei werden neun Zeitschriftenaufsatze untersucht, welche sich mit dem Urteil auseinandersetzen. Diese stammen aus der „Juristen Zeitung", der Zeit- schrift „Neue Juristische Wochenschrift", der „Zeitschrift fur offentliches Recht und Verwaltungswissenschaft", der „Stiftung Wissenschaft und Politik", der Zeitschrift „Deutsches Verwaltungsblatt" und dem Journal .Integration". Die Zeitschriftenaufsatze wurden im Zeitraum Juli 2009 bis Februar 2010 veroffentlicht.
Da aufgrund des angesetzten Umfangs dieser Arbeit nicht auf alle Aspekte zur Beur- teilung des Urteil eingegangen werden kann, beschrankt sich die Rezeptur in Kapitel 2 besonders auf zwei Aspekte: der erste Aspekt bezieht sich das Demokratiedefizit und dem selbst gefordertem Recht zur Uberprufung weiterer europaischer Integration. Der zweite Aspekt behandelt die Kompetenzubertragung von nationalen Kompe- tenzen auf EU-Ebene und dessen Uberprufung durch deutsche Organe. Beide Aspekte sind jedoch nicht ganz klar voneinander zu trennen, sondern auch immer wieder in- einander verwoben. In beiden Unterkapiteln 2.1 und 2.2 werden, wenn es sich anbie- tet, auch kurze Gesamtresumees der Autoren der Aufsatze gegeben. Der letzte Punkt im Hauptteil dieser Arbeit fasst kurz die neue Gesetzgebung zusammen, welche die Bundesregierung nach dem Urteil erlassen hat um den Forderungen des BVerfG (zu- mindest teilweise) gerecht zu werden. Die Zusammenfassung und Schlussbetrachtung schlieRt diese Arbeit ab.
2. Hauptteil
2.1 Das Demokratieprinzip
Das Demokratieprinzip ist nach Peter Becker und Andreas Maurer der Dreh- und An- gelpunkt des Urteils. Aufgrund von zu viel oder zu ungenauer Kompetenzubertragung von nationaler zur EU-Ebene sieht das BVerfG „(...) eine mogliche Schwachung des demokratischen Prinzips" (Becker/ Maurer 2009: 1). Da jedoch das grundsatzliche Ergebnis sei, dass sich die Europaische Union als demokratisch qualifiziert hat, findet Claus Dieter Classen „(...) die ausfuhrliche Beschreibung des aus staatlicher Perspek- tive bestehenden demokratischen Defizits" im allgemeinen uberflussig (Classen 2009: 882). Er begrundet dies zusatzlich damit, dass die Vorstellungen des BVerfG uber die Legitimation der europaischen Integration nicht gerechtfertigt seien, da die Vorstellungen des Demokratieprinzips selbst in Deutschland nicht immer verwirklicht wer- den.
Das Gericht sieht das Europaische Parlament zwar durch den Reformvertrag gestarkt, allerdings nicht in dem Mafte, um demokratisch legitimiert zu sein. Es fehle die Wahl des Europaischen Parlaments auf der Grundlage einer Erfolgswertgleichheit und da- mit sei das Demokratieprinzip nicht erfullt. Becker und Maurer kritisieren diese (Kern-) Aussage des Urteils, da der Lissabonner Vertrag gar nicht den Anspruch er- heben wurde ein einheitlich europaisches Volk zu bilden.
Trotz neuer Legitimationsformen wie der doppelt-qualifizierten Mehrheit bei Ab- stimmungen der europaischen Organe oder der Miteinbeziehung nationaler Parla- mente in die Prozesse der europaischen Gesetzgebung beharrt das Gericht auf einem Demokratiedefizit (Vgl. Becker/ Maurer: 2). Mit diesem Befund behalt sich das Gericht vor, in Zukunft zu prufen „(...) ob die Grenze zur Aushohlung der nationalstaatli- chen Souveranitat bzw. die Schwelle zur Bundesstaatlichkeit der Europaischen Union uberschritten wird" (Becker/ Maurer 2009: 2). Eine weitere Vertiefung des europaischen Integrationsprozesses soll somit immer wieder durch das BVerfG zugelassen oder auch abgelehnt werden konnen. Bereiche, fur welche es die Uberprufung von Kompetenzubertragung fordert, sind die:
„Staatsburgerschaftsangelegenheiten, das militarische und polizeiliche Gewaltmonopol, das ma- terielle und formelle Strafrecht, fiskalische Grundentscheidungen uber Einnahmen und Ausga- ben (...) die sozialstaatliche Gestaltung der Lebensverhaltnisse sowie Fragen des Familienrechts, des Schul- und des Bildungssystems und [den] Umgang mit religiosen Gemeinschaften" (Becker/ Maurer 2009: 3).
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