Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Portfoliodividenden aus dem Gesichtspunkt der Methodenlehre
1.1 Gesetzeslücke
1.2 Verhältnis Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht
1.3 Verdrängung von nationalem Recht durch Gemeinschaftsrecht
1.3.1 Anrechnungs- und Befreiungsmethode
1.3.2 Geringster Eingriff
1.4 Ausblick
2 Literaturverzeichnis
3 Sonstige Quellen
3.1 Verzeichnis der Internetquellen
4 Entscheidungen durch Gerichte
4.1 Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes
4.2 Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes
4.3 Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes
4.4 Entscheidungen des Unabhängigen Finanzsenats
4.5 Entscheidungen der britischen Gerichte
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Portfoliodividenden aus dem Gesichtspunkt der Methodenlehre
Der VwGH hat im Erkenntnis vom 17.4.2008, 2008/15/0064 festgestellt, dass die Kapitalverkehrsfreiheit des Art 56 der Regelung des § 10 Abs 2 KStG, nach welcher die Dividenden aus den ausländischen Minderheitsbeteiligungen der Mitbeteiligten uneingeschränkt besteuert werden, (jedenfalls in Bezug auf Beteiligungen aus anderen Mitgliedstaaten) entgegen steht.[1] Im Schrifttum werden die Ausführungen des VwGH zur Verdrängung von nationalem Recht durch das Gemeinschaftsrecht mittels Anwendung der Anrechnungsmethode als geringstmöglicher Eingriff in das nationale Recht kritisiert[2] und neue praktische Probleme aufgezeigt[3].
Der Gesetzgeber entschied sich mit der Anpassung des § 10 KStG idF AbgÄG 2009 (RV) gegen die Anrechnungsmethode und für die Befreiungsmethode bei EU- und EWR-Minderheitsbeteiligungen, wenn die Voraussetzungen des internationalen Schachtelprivilegs nicht vorliegen.[4] Die Befreiungsmethode kommt auch bei nationalen Beteiligungen zur Anwendung.[5]
Bei einer Beteiligung gem. § 10 Abs 1 Z 5 u. 6 KStG idF AbgÄG 2009 kommt die Anrechnungsmethode zur Anwendung, wenn einer der folgenden Anwendungsfälle zutrifft:[6]
- Die ausländische Körperschaft unterliegt im Ausland tatsächlich direkt oder indirekt keiner der österreichischen Körperschaftsteuer vergleichbaren Steuer.
- Die Gewinne der ausländischen Körperschaft unterliegen im Ausland einer der österreichischen Körperschaftsteuer vergleichbaren Steuer, deren anzuwendender Steuersatz um mehr als 10 Prozentpunkte niedriger als die österreichische Körperschaftsteuer gemäß § 22 Abs 1 KStG ist.
- Die ausländische Körperschaft ist im Ausland Gegenstand einer umfassenden persönlichen oder sachlichen Befreiung. Eine Befreiung im Sinne der Abs 1 u. 3 bleibt unbeachtlich.
In diesem Fall hat der VwGH heikle steuerpolitische Fragen entschieden. Dieses Erkenntnis des VwGH ist im Schrifttum heftiger Kritik ausgesetzt und das wird zum Anlass genommen, sich mit dem Erkenntnis des VwGH vom 17.4.2008 auseinanderzusetzen.
1.1 Gesetzeslücke
Die Gesetzeslücke wird als planwidrige Unvollständigkeit der vorhandenen Rechtsvorschriften beschrieben.[7] In der juristischen Methodenlehre wird das Schließen der Gesetzeslücke als legitime gesetzesergänzende Rechtsfortbildung betrachtet.[8] Eine gesetzesergänzende Rechtsfortbildung ist mittels Analogie,[9] teleologischer Reduktion (Ausnahmelücke)[10] und als subsidiärer Rückgriff auf die natürlichen Rechtsgrundsätze nach derzeitigem methodologischem Verständnis prinzipiell zulässig.[11] In Deutschland dürfen Steuertatbestände „durch Analogie weder geschaffen noch verschärft werden; vielmehr lebt insoweit das Steuerrecht ‚aus dem Diktum des Gesetzgebers‘.“[12]
Es gibt die Auffassung, dass die Grenze der Auslegung erreicht wird, wenn der mögliche Wortsinn oder die Absicht des Gesetzgebers überschritten wird, und somit liegt die ergänzende Rechtsfortbildung vor.[13] Es wird grundsätzlich zwischen echten Lücken und unechten bzw. teleologischen Lücken unterschieden.[14] Wenn eine anzuwendende Rechtsvorschrift vorhanden, aber unvollständig bzw. ohne Ergänzung unanwendbar ist, liegt eine echte Lücke vor.[15] Die Analogie ist bei einer echten Lücke unbestritten zulässig und anzustreben, denn die Anwendung einer positiven Norm wird hier erst durch die Ergänzung ermöglicht.[16] Es liegt jedoch keine Planwidrigkeit vor, wenn sich der Gesetzgeber bewusst für diesen Fehler entschieden hat, auch wenn dieser sachlich unbegründet ist und daher de lege ferenda mit rechtlichen Argumenten der tiefen Schichten des Rechts bekämpfbar wäre.[17]
Fehlen bestimmte Standpunkte bzw. die Zwecke und Grundwertungen oder Prinzipien in der anzuwenden Rechtsvorschrift, ist eine unechte Lücke gegeben.[18] Nach Ansicht des VwGH ist in einem solchen Fall Analogie unzulässig.[19] Auch der VfGH folgt grundsätzlich dieser Linie, jedoch ist er bei der Annahme von planwidrigen Lücken großzügiger.[20] Nach überwiegender Auffassung sind, wenn auch nicht unbestritten, unechte bzw. teleologische Lücken zu schließen.[21] Kramer meint, dass die Vorstellung von der Allwissenheit des Gesetzes, die noch im letzten Jahrhundert von Gesetzespositivismus und im Zeichen des Lückenlosigkeitsdogmas vertreten wurde, jedenfalls offensichtlich illusionär ist.[22]
Bei einer Delegationslücke bzw. einer Lücke intra verba legis wird die Rechtsfortbildung vom Gesetzgeber bewusst an die Rechtsanwendung delegiert.[23] Eine Ausnahmelücke ist gegeben, wenn sich bei der teleologischen Reduktion der Wortsinn als zu weit erweist, somit wird über das Ziel hinaus geschossen und es fehlt eine Regelung für die Ausnahme.[24]
1.2 Verhältnis Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht
Das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht hat gegenüber gemeinschaftsrechtswidrigem nationalem Recht Vorrang.[25] Daher ist jede nationale Verwaltungsbehörde oder Gerichtsbehörde verpflichtet, das für sie geltende innerstaatliche Recht auf seine Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen und im Falle eines Widerspruches unangewendet zu lassen.[26] Dies gilt auch für verfassungsgesetzliche Bestimmungen und in Zweifelsfragen der Gültigkeit und der Auslegung des Gemeinschaftsrechts können mitgliedsstaatliche Gerichte bzw. müssen letztinstanzliche Gerichte diese an den EuGH herantragen.[27] Eine Vorlagepflicht besteht nicht, wenn die Fragen nicht entscheidungserheblich sind, wenn Zweifelsfragen auf Grundlage einer bestehenden gesicherten Rechtsprechung des EuGH gelöst werden können oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts offenkundig ist und keinerlei vernünftige Zweifel bestehen (acte claire).[28]
Eine Nichtvorlage wird als Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter eingestuft.[29] Der VfGH kann eine Verletzung dieses Rechtes nur bei Entscheidungen der letzten Instanz durch die unabhängige Verwaltungsbehörde feststellen.[30] In allen anderen Fällen entscheidet der VwGH über die Vorlagepflicht und es gibt keine Möglichkeit zur Beschwerde an den VfGH.[31]
[...]
[1] Vgl. VwGH 17.4.2008, 2008/15/0064
[2] Vgl. Beiser 2008b, S. 511 f; Vgl. Lang 2009, S. 216 ff; Vgl. Massoner/Stürzlinger 2008, S. 400 ff; Vgl. Massoner/Stürzlinger 2009, S. 280 ff; Vgl. Prechtl 2008, S. 497 ff
[3] Vgl. Kühbacher 2008, S. 387 ff; Vgl. Laudacher 2008, S. 780 ff; Vgl. Prechtl 2008, S. 497 ff
[4] Vgl. § 10 Abs 1 Z 5 bis 7 KStG idF AbgÄG 2009 (RV)
[5] Vgl. § 10 Abs 1 Z 1 KStG
[6] § 10 Abs 5 Z 1 bis 3 KStG idF AbgÄG 2009 (RV)
[7] Vgl. Larenz 1992, S. 259 f; Vgl. Bydlinski 2005, S. 60
[8] Vgl. Larenz 1992, S. 258; Vgl. Bydlinski 1991, S. 472; Vgl. Bydlinski 2005, S. 59
[9] Vgl. Kerschner/Weiß 2006, S. 51; Vgl. Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer 2007, Rz 136
[10] Vgl. Kerschner/Weiß 2006, S. 51
[11] Vgl. Bydlinski 2007, ABGB, § 7, Rz 3 bis 5
[12] Zippelius 2006, S. 67
[13] Vgl. Kerschner/Weiß 2006, S. 51; Vgl. Kramer 2005, S. 156 ff; Vgl. Bydlinski 2005, S. 55
[14] Vgl. Bydlinski 2005, S. 61 f; Vgl. Kerschner/Weiß 2006, S. 52 f; Vgl. Kramer 2005, S. 167; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 136
[15] Vgl. Bydlinski 2005, S. 62; Vgl. Kerschner/Weiß 2006, S. 52; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 136
[16] Vgl. Bydlinski 2005, S. 62; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 136
[17] Vgl. Bydlinski 1991, S. 475; Vgl. Bydlinski 2005, S. 62; Vgl. Kramer 2005, S. 165
[18] Vgl. Bydlinski 2005, S. 61; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 136
[19] Vgl. VwGH 13.9.2002, 99/12/0200; Vgl. VwGH 8.9.1998, 96/08/0207; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 136
[20] Vgl. VfGH 9.3.2006, V96/05; Vgl. Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer 2007, Rz 135 f
[21] Vgl. Bydlinski 2005, S. 60 f; Vgl. Kerschner/Weiß 2006, S. 53
[22] Vgl. Kramer 2005, S. 159 f
[23] Vgl. Kramer 2005, S. 167
[24] Vgl. Kramer 2005, S. 170 f
[25] Vgl. Art 234 EG-V; Vgl. Funk 2003, Rz 142 u. 147; Vgl. Kneihs 2008, S. 112; Vgl. Öhlinger 2007, Rz 144; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 246/23
[26] Vgl. Funk 2003, Rz 147, 344 u. 393; Vgl. Kneihs 2008, S. 26, 112 u. 116; Vgl. Öhlinger 2007, Rz 38 f, 145 f u. 210 f; Walter/Mayer 2000, Rz 246/23 ff
[27] Vgl. Funk 2003, Rz 147, 344 u. 393; Vgl. Kneihs 2008, S. 26, 112 u. 116; Vgl. Öhlinger 2007, Rz 38 f, 145 f u. 210 f; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 246/23 ff
[28] Vgl. Funk 2003, Rz 433; Vgl. Kneihs 2008, S. 114; Vgl. Öhlinger 2007, Rz 101 u. 210; Vgl. Walter/Mayer 2000, Rz 246/35
[29] Vgl. Art 83 Abs 2 B-VG; Vgl. Funk 2003, Rz 433; Vgl. Kneihs 2008, S. 114; Vgl. Öhlinger 2007, Rz 212
[30] Vgl. Art 144 B-VG; Vgl. Funk 2003, Rz 433; Vgl. Kneihs 2008, S. 115
[31] Vgl. Art 133 Z 4 B-VG; Vgl. Funk 2003, Rz 367 u. 433; Vgl. Kneihs 2008, S. 115