Der Einfluss milieuspezifischer Bildungsprozesse auf die Integration von Migranten


Mémoire de Maîtrise, 2010

118 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abstract

Verzeichnis der Abkürzungen

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Tabellen

1. Einleitung

2. Migration
2.1 Zum Migrationsbegriff
2.2 Die soziale Bedeutung des Migrationshintergrundes

3. Bildung
3.1 Zum Bildungsbegriff
3.2 Bildung und soziale Herkunft
3.3 Ursachen für den Bildungsmisserfolg sozial Benachteiligter
3.3.1 Außerschulische Ursachen
3.3.2 Innerschulische Ursachen
3.4 Bildung als zentrale Instanz der Sozialintegration
3.5 Zusammenfassung Bildung

4. Milieu
4.1 Zum Milieubegriff
4.2 Bourdieus Theorie sozialer Ungleichheit
4.2.1 Sozialer Raum und Kapital
4.2.2 Habitus als Vermittler zwischen Struktur und Praxis
4.2.3 Bourdieus Beitrag zur Analyse von Bildungsungleichheit
4.3 Die Struktur sozialer Milieus in Deutschland
4.5 Zusammenfassung Milieu

5. Integration
5.1 Zum Integrationsbegriff
5.2 Dimensionen der Sozialintegration
5.3 Formen der Sozialintegration
5.4 Integrationsfördernde Bedingungen
5.5 Ethnische Schichtungen
5.6 Integration und Bildung
5.7 Zusammenfassung Integration

6. Zusammenfassung und Diskussion

7. Grundlagen der Empirie
7.1 Methodologie und Datenauswahl
7.2 Untersuchungsgegenstand und Hypothesen

8. Untersuchung des Kinderpanels
8.1 Vorbetrachtungen
8.1.1 Milieutypologie
8.1.2 Bildungsniveau
8.2 Milieuspezifische Ursachen der Leistungsunterschiede
8.2.1 Einstellung zur Bildung
8.2.2 Bildungsprozesse I: bildungsrelevante Freizeitgestaltung
8.2.3 Bildungsprozesse II: Institutionelle Betreuungserfahrungen
8.2.4 Bildungsprozesse III: Sprachkenntnisse
8.3 Kulturationswerte
8.4 Interaktion
8.4.1 Berechnung des Interaktionsgrades
8.4.2 Interaktionswerte
8.5 Die Zusammenhänge von Kulturation und Interaktion
8.5.1 Sprachkenntnisse und Interaktion
8.5.2 Leistungsniveau und Interaktion
8.5.3 Freizeitgestaltung und Interaktion
8.5.4 Vorschulische Betreuung und Interaktion
8.6 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse
8.7 Nachbetrachtung
8.7.1 Kulturation und Platzierung
8.7.2 Platzierung und Interaktion

9. Abgleich mit den Hypothesen und der Theorie

10. Fazit

11. Literatur

Zusammenfassung

Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die durch PISA hervorgerufene Diskussion über die Bildungsungleichheit von Jugendlichen unterschiedlicher regionaler und sozialer Herkunft. Da Bildung im Allgemeinen die zentrale Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben darstellt, ist mit dieser Ungleichheit zugleich ein differenziertes Potenzial sozialer Integration verknüpft.

Anhand von Daten des DJI-Kinderpanels wird in dieser Arbeit untersucht, inwiefern milieuspezifische Bildungsstrategien Basis für die ungleiche Bildungsverteilung sind. Darüberhinaus soll erörtert werden, ob der Migrationshintergrund dabei als eigenständige Ungleichheitskategorie begriffen werden kann.Dem Bildungsbereich wird sich sowohl von eineminstitutionellen als auch einem außerinstitutionellen Standpunkt genähert und damit die Kulturationsdimension abgebildet, die Basis der Sozial-integration ist. Ferner wird die Dimension der Interaktionen thematisiert und die Entwicklung der Platzierung theoretisch nachgezeichnet.

Es zeigt sich dabei, dass schulische und außerschulische Bildung in erster Linie von familiärem kulturellem Kapital abhängig ist und weniger von milieuspezifischen Mentalitäten geprägtwird. Darüberhinaus ist insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund bildungsrelevantes Freizeitverhalten prägend für schulische Leistungen.Aus diesem Grund stellt sich Bildungsungleichheit maßgeblich über die vertikale Positionierung der Akteure ein und ist damit eine Frage schichtspezifischen Verhaltens, dessen Auswirkung sich bereits während der Grundschule in unterschiedlichen Leistungsniveaus manifestiert.

Abstract

Basis of this work is the discussion caused by PISA about the educational inequality of pupils of differentregional and social origin. Likewise, a certain potential of social integration is connected with this inequality, since education is the central requirement for access and participation in social life.

Using data of the DJI-Kinderpanel, this paper examines to which extent milieu-specific educational strategies are bases for the disparity of education and whether a migratory background can be regarded as an independent category of inequality at all. Educational development,representing the basic dimension of culturation, is viewed from aninstitutional as well as a non-institutional perspective.Furthermore the dimension of interaction is analyzed empirically and the theoretical development of placement is discussed.

Both, institutional and non-institutional education, prove to be less a matter of milieu-specific mentalities but decisively marked by the cultural capital of the children’s parents.Moreover, extracurricular behavior is substantially more responsible for the academic performanceof children with migratory background than for indigenous children. Educational inequality develops along the vertical axis of the social structure and is a matter of a specific behavior connected to the socioeconomic status. The resulting disparity of education develops before and during kids attending elementary school.

Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1: Bevölkerungsanteile mit und ohne Mhg

Abbildung 2: (In)formelle Bildungsprozesse und Einflussfaktoren

Abbildung 3: Schulabschlüsse von Deutschen und Ausländern 2003/

Abbildung 4: Der Soziale Raum nach Bourdieu

Abbildung 5: Habituskonzept

Abbildung 6: SINUS Milieutypologie

Abbildung 7: SINUS Typologie der Migranten-Milieus

Abbildung 8: Integrationsformen

Abbildung 9: Formen der Sozialintegration

Abbildung 10: Kausale Struktur der Assimilation

Abbildung 11: Milieuhäufigkeit nach Migrationsstatus

Abbildung 12: Milieu- und migrationsspezifische Leistungsniveaus

Abbildung 13: Einkommensabhängige Leistungsniveaus

Abbildung 14: Bildungsabhängige Leistungsniveaus

Abbildung 15: Einstellung und Leistungsniveaus

Abbildung 16: FBI und Leistungsniveaus

Abbildung 17: Milieuspezifische FBI-Werte

Abbildung 18: FBI-Werte und Nettoeinkommen

Abbildung 19: FBI-Werte und Bildungsabschlüsse

Abbildung 20: FBI-Werte nach Schicht / Milieu

Abbildung 21: Leistungsniveau und FBI-Werte nach Milieuzugehörigkeit von Kindern
mit Migrationshintergrund

Abbildung 22: Betreuungserfahrung und Leistungsniveau

Abbildung 23: Betreuungserfahrung und FBI

Abbildung 24: Deutschkenntnisse und Leistungsniveau

Abbildung 25: Milieuspezifische Kulturationswerte

Abbildung 26: Interaktionsniveau und Einkommen

Abbildung 27: Migration und Interaktion

Abbildung 27: Deutschkenntnisse und Interaktionsniveau

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Verteilung der Milieus im Kinderpanel

Tabelle 2: Milieutyp und Leistungskategorien

Tabelle 3: Milieu und FBI

Tabelle 4: FBI-Werte nach Migrationsstatus

Tabelle 5: FBI-Werte nach Schicht, Milieu und Migrationshintergrund

Tabelle 6: Sortierte FBI-Werte nach Schicht und Migrationshintergrund

Tabelle 7: FBI- und Leistungswerte von Kindern mit Mhg

Tabelle 8: Deutschkenntnisse und Migrationshintergrund

Tabelle 9: Deutschkenntnisse in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund und
den Bildungsabschlüssen der Mütter (in %)

Tabelle 10: Milieuspezifische Kulturationswerte nach Mhg

1. Einleitung

Gibt man bei der Internetsuchmaschine Google das Stichwort „PISA-Schock“ ein, erhält man in einer halben Sekunde etwa 170.000 Resultate. Diese Wortkreation und dessen mediale Präsenz reichen zurück auf die Ergebnisse der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000, die Deutschland ein schlechtes Abschneiden des Bildungssystems attestierten, besonders was die Auslese von Kindern aus sozial benachteiligten Familien anbelangt. Wie die folgenden, im Turnus von drei Jahren durchgeführten, PISA-Studien bescheinigten, hat sich diese Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Schichten und Kindern mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren kaum verändert und die Interventionen, um diesen ernüchternden Resultaten entgegenzuwirken, bewegen sich auf mangelhaftem Niveau.[1] Ob schnelle Lösungen, die im politischen Alltag möglichst medienwirksam eingefordert (und auch angeboten) werden, wie beispielsweise das Abschaffen ganzer Schulzweige, den Kern des Problems sozialer Ungleichheit treffen und zielgerichtet wirksam werden, darf bezweifelt werden, denn besonders schichtspezifische Ungleichheiten haben sich als sehr starres Gebilde verschiedener Ursachen erwiesen. So beschrieb Dahrendorf bereits in den 1960er Jahren eine Kumulation mehrdimensionaler Benachteiligungen[2], die später ihre Formulierung in der „statistischen Kunstfigur der ‚katholischen Arbeitertochter vom Lande’“ fand.[3] Seitdem haben sich zwar geschlechtsspezifische Ungleichheiten weitgehend ausgeglichen (wenn nicht teilweise sogar ins Gegenteil verkehrt), die schichtspezifischen Ungleichheiten haben sich hingegen kaum verändert.[4] Darüber hinaus hat die Kategorie der Ethnie an Bedeutung gewonnen. So stellt die sozioökonomische und interethnische Ungleichheit im Bildungssystem heute eine Herausforderung dar, die es angesichts der Bedeutungszunahme von Bildungserwerb und Qualifikationsanforderungen zu lösen gilt.

Politische Maßnahmen können dabei nur dann fruchtbar sein, wenn es gelingt, die verschiedenen Zusammenhänge aufzudecken, die zu diesen (Bildungs-)Ungleichheiten führen.In dieser Hinsicht spielt Bildungselbst eine zentrale Rolle - sowohl direkt, bei der vertikalen Positionierung der Akteure in der Sozialstruktur, als auch indirekt, bei der Reproduktion von Ungleichheiten.Parteiübergreifend als „Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet, ist Bildungspolitik, bzw. Bildung im Allgemeinen die zentrale Ressource, wenn es um Integration, also die Teilhabe am ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Leben geht. Für individuelle Akteure bedeutet ein Mehr an Bildung eine potenziell bessere Positionierung auf dem Arbeitsmarkt und durch die damit gewonnenen ökonomischen Ressourcen größere Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Makroökonomisch ist es für Deutschland in einer globalisierten Welt unerlässlich, eine international anerkannte Wissensgesellschaft zu werden bzw. zu bleiben. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen ist Deutschland durch seine Ressourcenarmut auf den Vorsprung durch Innovationskraft angewiesen. Was andere Länder durch den Export von Rohstoffen erwirtschaften, muss Deutschland durch den Export von Technologien kompensieren. Zum anderen wird in unterschiedlichen Publikationen auf die Notwendigkeit des Bildungsvorsprungs als Antwort auf den demographischen Wandel, der als Schrumpfen und Altern der deutschen Gesellschaft beschrieben werden kann, hingewiesen. Mit der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausrechnung ermittelte das statistische Bundesamt im ungünstigsten Fall (ohne Wanderungen) das Fehlen jedes 4. Arbeitsnehmers im Jahr 2050.[5] Damit sinkt ein erhebliches Kreativitäts- und Innovationspotenzial,welches allerdings ein Schlüsselfaktor für technologischen Fortschritt ist. Die geringere Zahl an Köpfen senkt das Humanvermögen[6] der Gesellschaft und mindertdie Attraktivität des Produktionsstandortes Deutschland.Eine Möglichkeit diesen Trend zumindest teilweise aufzufangen, ist die Ausarbeitung eines Vorsprungs durch qualitätssteigernde Maßnahmen.

Neben dem Anheben des Innovationspotenzials gewinnt damit auch Zuwanderung, die das Schrumpfen der deutschen Gesellschaft zumindest bremsen und sozialstaatliche Systeme teilweise entlasten könnte, an Bedeutung. Deutschland wird (auch) in der Zukunft auf ausländische Fachkräfte und das Potenzial multiethnischer Akteure angewiesen sein.[7] Voraussetzung hierfür istjedoch, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht durch das Raster des deutschen Bildungssystems fallen, wie es laut PISA zur Zeit der Fall ist, sondern die größtmöglichen Chancen eingeräumt bekommen, individuelle kulturelle Vorteile in ein gesamtgesellschaftliches Gut wandeln zu können.Vor dem Hintergrund dieser Notwendigkeiten stellt sich also die Frage, wie Menschen mit Migrationshintergrund adäquat gefördert werden können, um ein integrativer Bestandteil der deutschen Bevölkerung sein zu können.

Wie bereits erwähnt, prangert der Bericht des PISA-Konsortiums nicht nur das schlechte Abschneiden von Kindern mit Migrationshintergrund an, sondern bezieht sich im Allgemeinen auf Kinder aus sozial schwachen Familien. In Kenntnisnahme desZusammenhangsvon Migrations- und Erwerbsstatus[8] stellt sich gleichwohl die Frage, ob angesichts des schlechten Abschneidens deutscher Kinder aus sozial schwachen Milieus der Migrationshintergrund für den Bildungserfolg überhaupt eine (direkte) Bedeutung hat.Folglich soll ein Vergleich von Akteuren unterschiedlicher sozialer und regionaler Herkunft angestellt, und - unter der Annahme, dass sich diese Unterschiede in differenzierten Bildungsbiographien niederschlagen -die Voraussetzung einer erfolgreichen Sozialintegration in die deutsche Gesellschaft untersucht werden.

Der theoretischeTeil dieser Arbeit gliedert sich in vier Kernbereiche, deren Reihenfolge so gewählt wurde, dass sie weitgehend aufeinander aufbauen. Zunächst wird der Migrationsbegriff erklärt und die migrationsspezifische Bildungsproblematik angerissen. Im zweiten Kapitel wird genauer auf das Bildungsverständnis eingegangen und der Forschungsstand bezüglich Bildung und regionaler bzw.sozialer Herkunft nachgezeichnet.Mit Blick auf verschiedene Ungleichheitsaspekte wird die Bedeutung der sozialen Herkunft im 4. Kapitel anhand des Milieubegriffsnäher beleuchtet. Im 5. Kapitel wird Essers Konzeption der Sozialintegration thematisiert. Zusammenfassendwerden die Beziehungen der Kernbereiche untereinander erläutert und mit den bis dahin gewonnenen theoretischen Erkenntnissen verknüpft.

Im empirischen Teil der Arbeit werden lebensweltliche Bildungsprozesse unterschiedlicher Milieus anhand des Kinderpanels des Deutschen Jugendinstituts (DJI) empirisch analysiert. Dabei werden jeweils Kinder mit und ohne Migrationshintergrund separat erfasst, wodurch sich nachzeichnen lässt, inwiefern der Migrationsstatus bzw. die Milieuzugehörigkeit das bildungsspezifische Fortkommen sozialer Akteure beeinflusst. Die Ergebnisse der Analyse werden anschließend interpretiert.

Im letzten Teil werden die Erkenntnisse der empirischen Untersuchung mit der Theorie und den Hypothesen abgeglichen. Abschließend wird ein Fazit aus der Arbeit gezogen undeinige Konsequenzen für die bildungspolitische Ausrichtung Deutschlands angeführt.

2. Migration

2.1 Zum Migrationsbegriff

Migration bezeichnet die "räumliche Mobilität bzw. geografische Ortsveränderung von Menschen über eine bestimmte Mindestdistanz und für einen bestimmten Mindestzeitraum hinweg zur Errichtung eines neuen dauerhaften oder vorübergehenden Wohnsitzes“.[9] Ausgehend von dieser Definition wurden Migranten auf institutioneller Ebene bis 2005 über ihre Staatsangehörigkeit bestimmt. Erst seit dem Mikrozensus 2005 wird das Konzept des Migrationshintergrundes angewandt, welches im Folgenden auch im Rahmen dieser Arbeit die Basis migrationsspezifischer Themen und Berechnungen ist.[10]

Für dasErfassen des Migrationshintergrundes ist neben der Staatsangehörigkeit des Befragten auch die Staatsangehörigkeit bzw. Migrationserfahrung der Eltern relevant. Menschen mit Migrationshintergrund sind demnach:

- Ausländer, d.h. Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, unabhängig davon, ob sie zugewandert oder in Deutschland geboren sind,
- Zugewanderte und nicht zugewanderte Deutsche (Spätaussiedler und eingebürgerte Ausländer),
- Kinder von Spätaussiedlern oder eingebürgerten (zugewanderter oder nicht zugewanderter) Ausländern,
- Kinder von Ausländern mit zusätzlicher deutscher Staatsangehörigkeit,
- Kinder, bei denen nur ein Elternteil Migrant/Migrantin, in Deutschland geborener Eingebürgerter oder Ausländer ist.

Damit bietet dieses Konzept den Vorteil, dass sich ein vielfältigeres Bild vor allem von indirekten Migrationseffekten nachzeichnen lässt.

2.2 Die soziale Bedeutung des Migrationshintergrundes

Ausgehend von dieser relativ neuen Erfassungsmethode ist das Ausmaß von Migration in Deutschland wesentlich größer als bisher angenommen. Insbesondere für Kinder und Jugendliche (in westdeutschen Großstädten) ist Migration kein Randthema, sondern spielt eine zentrale Rolle im sozialen Leben. Insgesamt leben 15,3 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, was einem Anteil von 18,6 % der Gesamtbevölkerung entspricht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der Gruppe der 0-6-Jährigen sind nur 7,3 % selbst zugewandert.[12] Steigen die Zuwanderungsraten in den kommenden Jahren nicht weiter an, so wird der Migrationsanteil der Bevölkerung (per Definition) langfristig rückläufig. Das ProblemungleicherBildungschancen oder die Herausforderung, Menschen in die soziale Gemeinschaft zu integrieren,bleibt dabei jedoch weiterhin bestehen. Denn auch wenn davon auszugehen ist, dass in Deutschland geborene Kinder mit Migrationshintergrund gegenüber selbst Zugewanderten eine potenziell bessere Ausgangslage haben(was beispielsweise das Erlernen der deutschen Sprache anbelangt), bietet der Umstand, hier geboren zu sein, „keine Gewähr dafür [...], dass die messbaren Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund [...] verschwinden“.[13] Diese bestehen vorrangig in schlechterer Schulausbildung von Menschen mit Migrationshintergrund und, damit verbunden, dem überproportional häufigen Auftreten prekärer Einkommenssituationen bzw. einem erhöhten Risiko von Arbeitslosigkeit.[14]

Es ist jedoch fraglich, inwiefern wirklich migrationsspezifische Phänomene, die man etwa als Einfluss der Ursprungskultur zusammenfassen könnte, diese Ungleichheiten bedingen. Einerseits können hier Probleme im Erlernen der Sprache genannt werden, die wiederum eine Basis für den Bildungserwerb ist. Andererseits belegen mehrere empirische Berichte, dass die Migrantenpopulation in Deutschland eine heterogene Gruppe ist[15] und Bildungserfolge demnach nicht lediglich auf die Staatsangehörigkeit oder den Migrationshintergrund zurückgeführt werden können. So führt beispielsweise Mahrbach an, dass der Einfluss sozioökonomischer Ungleichheit wesentlich schwerer wiegt als der Migrationsstatus.[16] Und auch Betz verweist darauf, dass weniger die „Strukturkategorie ‚Migration‘“ als vielmehr die unterschiedlichen Sozialisations-bedingungen in den Familien den Bildungs(miss)erfolg von Migrantenkindern nachhaltig beeinflussen.[17]

Es zeichnet sich bereits ab, dass das Zusammenspiel unterschiedlicher Variablen hier wirksam wird. Um diese im weiteren Verlauf der Arbeit zu erfassen, sollen zunächst die Dimensionen bildungsspezifischer Ungleichheit und deren Ursachen betrachtet werden.

3. Bildung

3.1 Zum Bildungsbegriff

Um den Einfluss von Bildungsprozessen auf die Sozialintegration untersuchen zu können, muss zunächst ein fester Rahmen des Bildungsbegriffs konzipiert werden. Sowohl im gesellschaftlichen,als auch im wissenschaftlichen Bereich, wird Bildung vornehmlich als schulischer Lernerfolg verstanden.[18] Dieser enge Analysefokus ist jedoch aufgrund der Unterschiedlichkeit der Bildungsinhalte von Institutionen und anderen Lebensbereichen, in denen bildungsnahe Inhalte vermittelt werden (z.B. Familie), zu erweitern. Bildung muss als Befähigung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Lebenverstanden werden. Zwarstellen zertifizierte und institutionalisierte Bildungsabschlüsse dabei einen nicht unwesentlichen Aspekt dar, allerdings muss der Begriff umeinen Blickwinkel ergänzt werden, der die Genese von Handlungsfähigkeitin den Mittelpunkt rückt.Entgegen dem öffentlichen und medialen Gebrauch des Begriffs handelt es sich also weniger um einen Zustand, wie es die Gleichsetzung von Bildungserfolg mit schulischem Erfolg vermuten ließe, sondern um einen umfassenden Prozess der Wesensbildung, der mit der frühkindlichen Sozialisation beginnt. Mit dem Begriff der Sozialisation wird gleichsam verbunden, dass sich (insbesondere die außerschulischen)Bildungsprozesse, in Abhängigkeit von bestimmten Einflussfaktoren, wie beispielsweise der Milieuzugehörigkeit, unterscheiden. Die unterschiedlichen Formen der Bildung können demnach wie folgt dargestellt werden:

Abbildung 2: (In)formelle Bildungsprozesse und Einflussfaktoren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Oft wird die Frage, auf welcher Ebene und in welcher Art und Weise sich ungleiche Startbedingungen und die stark kritisierte soziale Auslese „bildungsferner“ Schichten manifestieren, mit einer eingeschränkten Sichtweise auf ein rein institutionelles Feldzu erklären versucht . So beschreibt Betz die unterschiedlichen Ebenen der Forschungsansätze und kommt zu dem Schluss, dass sowohl auf der Ebene von Organisationen, auf struktureller Ebene, als auch bei stärker handlungsbezogenen Ansätzen „ausschließlich institutionalisierteBildung“ fokussiertund somit der„Schulerfolg der Kinder[...] zur abhängigen, zur entscheidenden Variablen“ wird.[19]

Besonders angesichts der „sozialstrukturell verfestigte[n] und gesellschaftspolitisch legitimierte[n] Bewertung von Bildung“[20] ist diese Sichtweise zwar notwendig und mit Blick auf die empirische Umsetzung naheliegend. Dennoch muss die Ursachensuche sozialer Ungleichheit unvollständig bleiben, wenn nicht alle lebensweltlichen Bildungsprozesse,auch und besonders fachübergreifend, analysiert werden.

3.2 Bildung und soziale Herkunft

Betrachtet man die Bildungsabschlüsse seit den 1950er Jahren, so hat die Bildungsexpansion der folgenden Jahrzehnte zu einer Steigerung des Bildungsniveaus in allen Sozialgruppen geführt. Während die Hauptschule zu Beginn der fünfziger Jahre drei Viertel der Schülerinnen und Schüler beherbergte, beläuft sich der Anteilgut 50 Jahre später auf nur noch 30 Prozent. Im gleichen Zeitraum hat sich der Anteil von Schülerinnen und Schülern an den Realschulen verdreifacht (von 7 auf 23,5 Prozent) und an den Gymnasien verdoppelt(von 15 auf 32,5 Prozent).[21] Dabei konnten die Chancenunterschiedejedoch nur leicht abgeschwächt werden und prägen weiterhin die Landschaft der Bildungsabschlüsse. Es hat sich somiteine Entwicklung vollzogen, die Ulrich Beck als „Fahrstuhleffekt“ bezeichnet, demnach es „bei allen sich neu einpendelnden oder durchgehaltenen Ungleichheiten ein kollektives Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität“[22] etc. gibt.

Die eingangs erläuterten konfessionellen, regionalen und geschlechtsspezifischen Chancenunterschiede konnten während der Phase der Bildungsexpansion zwar abgebaut werden, allerdings stelltdie Schichtzugehörigkeit nach wie vor ein wirkungsstarkes und resistentes Gefüge bildungsspezifischer Ungleichheit dar. Einzig bei den mittleren Bildungsabschlüssen konnte eine Verringerung sozialer Ungleichheit verzeichnet werden,die höheren Bildungssysteme sind jedoch weiterhin den Kindern aus der Mittel- und Oberschicht vorbehalten.[23] Dabei wirkt die Schichtzugehörigkeit in den Bildungsbiographien mehrfach selektierend. So ist der Anteil von Schülerinnen und Schülern an Gymnasien, die aus bildungsnahen Schichten stammen vier Mal höher als der Anteil von Kindern aus Facharbeiterfamilien. Ein anschließendes Hochschulstudium wird dann nur von 1/6 aller Arbeiterkinder aufgenommen, hingegen aber von fast der Hälfte aller Kinder aus einkommensstarken Familien.[24] Besonders mit Blick auf die soziale Herkunft der Studierenden an den Universitäten ist ein Zuwachs sozialer Ungleichheit zu verzeichnen: Zwischen 1982 und 2003 ist der Anteil der Studierenden aus der höchsten Sozialschicht von 17 auf 37 Prozent angestiegen, während sich der Anteil der Studierenden aus der untersten Herkunftsgruppe von 23 auf 12 Prozent verringert hat.[25]

In den PISA-Studien (und ähnlich bei anderen international vergleichenden Schülertests wie z.B. IGLU) werden mit dem "Index ofEconomic, Socialand Cultural Status" die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Indikatoren der familiären Herkunft für den Bildungserfolg zusammen abgebildet. Dabei zeigt sich, dass „etwa 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler [der] Hauptschulen […] aus den unteren sozialen Schichten [stammen], welche die PISA-Studie im untersten ESCS-Quartil verortet. Aus dem obersten ESCS-Quartil besuchen dagegen rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler das Gymnasium“.[26] Darüberhinaus ist der Kompetenzzuwachs der Schülerinnen und Schüler von PISA 2003 gegenüber PISA 2000 weitgehend auf die Gymnasiasten zurückzuführen, während das Bildungsniveau an Real- und Hauptschulen größtenteils stagnierte. Damit ist der familiäre Hintergrund von Schülerinnen und Schülern der stärkste Erklärungsfaktor für Bildungskompetenzen.

Neben der Schichtzugehörigkeit, ist auch der Migrationshintergrund ein entscheidender Einflussfaktor für den Bildungserfolg in Deutschland. Im nationalen Vergleich zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunft ein geringeres Bildungsniveau haben, wobei, wie o.a. der Migrationsstatusmit dersozialen Herkunft korreliert.[27]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Rund 19 Prozent der auslän-dischen Jugendlichen verließen nach dem Schuljahr 2003/04 das Schulsystem ohne Schulab-schluss. Im Gegensatz dazu lag der Anteil deutscher Jugend-licher ohne Schulabschluss bei etwa acht Prozent. Deutliche Unterschiede sind auch bei den Jugendlichen mit Hauptschul-abschluss zu verzeichnen. Hier sind Ausländer mit etwa 40% am stärksten vertreten, wohin- gegen nur etwa ein Viertel aller deutschen Schülerinnen und Schüler an Hauptschulen ihren Abschlusserworben haben. Etwa spiegelverkehrt zeigensich die Zahlen von Real- und Gymnasialabschlüssen. Im Zeitverlauf haben sich die Bildungschancen für Migrantenkinder weiterhin verschlechtert.[28]

Der sozial selektive Übergang von und zur Hauptschule ist damit zu einer unbeabsichtigten Nebenfolge der Bildungsexpansion geworden. Die Hauptschule als „Restschule mit Ghetto-Charakter“[29] weist ein deutliches Klima der Desintegration auf, wobei deren Schüler, als „Kellerkinder der Bildungsexpansion“[30] bezeichnet, die negativen Folgen dieser Entwicklung für das Sozial- und Lernklima zu tragen haben.

3.3 Ursachen für den Bildungsmisserfolg sozial Benachteiligter

Die Komplexität und sozialphänomenologische Vernetzung der Bildungsvoraus-setzungen weist gleichzeitig auf die vielfältigen Ursachen für die Unterschiedlichkeit der Bildungsverläufe zwischen Schülerinnen und Schülern hin.Dabei kann zwischen institutionellen (u.a. Organisation und Ausstattung der Schule, Methodik und Didaktik des Unterrichts und seiner Inhalte, Qualifikation und Kompetenz des Personals einer Schule) und außerinstitutionellen (individuelle und familiäre Ressourcen, Migrationsbiografie, Möglichkeiten der Familie zur Unterstützung des Schulerfolgs) Aspekten unterschieden werden.

3.3.1 Außerschulische Ursachen

Mit Blick auf Migranten im deutschen Schulsystem betont der Bildungsbericht des BMBF die zentrale Bedeutung kommunikativer Möglichkeiten als familiäre Ressource. „Einblicke in die Bildungseinrichtungen entstehen vor allem durch die Teilhabe an kommunikativen Netzwerken [wie etwa] Elternabende, Elternsprechstunden und informelle Kontakte zwischen Eltern“.[31] Kenntnisse über Bildungsinstitutionen und die Beteiligung an den genannten Netzwerken werden dabei als Voraussetzung für schulischen Erfolg verstanden. Die Zusammenarbeit zwischen Familie und Bildungsinstitutionen bewegt sich jedoch selten auf einem optimalen Niveau.

Unerwähnt bleibt bei Britz allerdings die Frage, ob es bei der Erlangung entsprechender Bildungserfahrungen und kulturellem Kapital eine Art Eigendynamik gibt, die aus einer sozioökonomischen Schlechterstellung von Migrantenfamilien resultiert.[32] Denn „gering qualifizierte Eltern sind selbst wiederum Ausgangspunkt (nicht Ursache!) sozialer Benachteiligung für ihre Kinder“.[33] Damit tritt ein Kreislauf intergenerationaler Reproduktion sozialer- und Bildungsungleichheit in Kraft, der bisher nicht aufgebrochen werden konnte.

Wie in der folgenden empirischen Untersuchung nachgezeichnet werden soll, bilden die familiären Ressourcen die Basis für die Bildungsentwicklung ihrer Kinder. Dies betrifft sowohl die bildungsabhängige Einkommenssituation der Eltern, als auch deren Wissen und konsequente Umsetzung von adäquater Förderung. Sind in Familien beispielsweise die ökonomischen Ressourcen vorhanden, altersgerechte Lexika, Lernsoftware,Nachhilfestunden, Sprachreisen, Studiengebühren oder Privatschulen zu finanzieren, wird sich dies positiv auf die Bildungsentwicklung ihrer Kinder auswirken.Damit ist eine potenzielle Besserstellung im Bildungssystem und später auf dem Arbeitsmarkt verbunden, die ihrerseits einebessere Ausgangsposition für die bildungsspezifische Förderung der nachfolgenden Generation bedeutet. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Eltern die Ressource Bildung in Wissensgesellschaften schätzen und (bewusst oderunbewusst) fähig sind, Lernmotivation und Bildungsinteresse ihrer Kinder zu wecken. Demnach spielen im Rahmen außerschulischer Bildung ökonomische, soziale und individuelle Ressourcen der Akteure eine zentrale Rolle

Da die Familie in der Regel die Primärinstanz für Bildungs- und Lernprozesse ist,[34] sind Bildungserfolge und -misserfolge von Kindern primär in diesem Bereich zu suchen.

3.3.2 Innerschulische Ursachen

Neben außerschulischen Aspekten wurden in der Bildungsforschung der letzten Jahre immer wieder Kritikpunkte mit der Fokussierung auf innerschulische Aspekte angeführt. Oft werden hier Strukturdefizite des deutschen, gegliederten Schulsystems thematisiert, die einseitige Ausrichtung bezüglich Kultur und Sprache sowie dieUngleichbehandlung durch institutionelle Diskriminierung.[35]

Eine Ausprägung dieser Defizite sieht Auernheimerin der frühen Trennung der Bildungswege.Mit ihr manifestieren sich unterschiedliche Leistungsniveaus, wobei Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Eingangsvoraussetzungen (unabhängig vom Migrationshintergrund) den Rückstand gegenüber Gleichaltrigen kaum aufholen können.[36] Eine spätere formale Trennungkäme dem Angleichen unterschiedlicher Schulniveaus positiv zugute.

Gleichzeitig kritisiert Auernheimer, dass die starke äußere Differenzierung im deutschen Bildungssystem die Illusion der Leistungshomogenität weckt, wohingegen Lehrerinnen und Lehrer für die tatsächliche Leistungsheterogenität nicht qualifiziert sind.[37] Während also aus dem Grund der Leistungsheterogenität die schulischen Anforderungen des Schulsystemsstratifiziert sind, finden sich starke Überlappungen der Leistungsniveaus zwischen den einzelnen Schulformen und die angestrebte Homogenität wird nicht erreicht.[38]

Eine Ursache dafür sieht Gomolla in der „wohlmeinende[n]“ institutionellen Diskriminierung von Migrantenkindern an den Übergangsschwellen in der Bildungslaufbahn (Einschulung, Übergang in die Sekundarstufe, Aufnahme eines Sonderschulverfahrens). „Wohlmeinend“ bedeutet hier, dass die Selektionslogik keinem Muster absichtlicher Benachteiligung durch das Lehrpersonal folgt. So werden beispielsweise als leistungsstark eingeschätzte Grundschülerinnen und -schüler mit Blick auf die mangelnden Sprachförderangebote des lokalen Gymnasiums für die Real- oder gar Hauptschule empfohlen.[39] Wie Auernheimer kommentiert, mag das in Rechnung stellen des familiären Hintergrunds in Bezug auf die fehlende individuelle Förderung in den höheren Schulen im gegebenen System rational sein, der erzielte Effekt sei jedoch einzig die soziale Selektion.[40]

Darüber hinaus hat der so genannte Pygmalion-Effekt, wonach die Erwartungen der Lehrer die Schülerleistungen beeinflussen, negative Auswirkungen auf das Lernverhalten. „Auch gesellschaftliche Vorstellungen können dazu beitragen, dass die Zuweisung zur Hauptschule als Stigmatisierung und als ‚Bildungssackgasse‘ empfunden werden“.[41] Damit wird gleichsam ein Mangel an Perspektiven assoziiert, der Resignation begünstigt und die Lernmotivation beeinträchtigt. Neben dieser sozialen Zuschreibung und Verfestigung eines Gesellschaftsbildes, ist nach Britz ebenso die soziale Segregation bedenkenswert, die sich insbesondere an Hauptschulen in städtischen Ballungsgebieten einstellt, die fast ausschließlich von Schülerinnen und Schülern mit Sprachdefiziten im Schuldeutsch besucht werden. Die Einschränkungen „elaborierte Sprachcodes“ zu erwerben „muss bei aller Würdigung der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit Anlass zur Sorge geben“.[42] So würden Hauptschulen, die überwiegend Migrationsjugendlichen und anderen sozial marginalisierten Gruppen vorbehalten sind, zu "quasi exterritorialen, gesellschaftlich vernachlässigten Räumen, weil die Eltern in der Regel nicht in der Lage sind, die Qualität der schulischen Arbeit zu kontrollieren und gegebenenfalls zu intervenieren".[43]

Weiterhin nachteilig für die Bildungsentwicklung wirkt sich das Fehlen eines Ganztagsschulsystems aus, wodurchinsbesondere Kindern mit einer nichtdeutschen Erstsprache und aus schulfremden Milieus weitere Förderungsmöglichkeiten und Zeit zur Intervention genommen werden.[44]

3.4 Bildung als zentrale Instanz der Sozialintegration

Die bildungsspezifischen Bedingungen der sozialen Integration können makro- wie auch mikrosozial betrachtet werden. Auf Makro- und Mesoebene ist dabeizu fragen, inwiefern sich die Bildungsbiographien von Akteuren bedingen bzw. wie sich die akteursspezifische Bildung in einen ökonomischen und soziokulturellenKontext einfügt.[45] In diesem Sinne hat Bildung an Wert gewonnen oder ist - anders formuliert - zu einem Wert geworden, zu einer Ware und wichtigen Ressource. Dieser Bedeutungszuwachs erstreckt sich sowohl auf die Voraussetzungen als auch auf die Potenziale, die mit dem Erreichen eines bestimmten Bildungsabschlusses verbunden sind. Wenn, wie oben beschrieben, die unterschiedlichen Bildungsniveaus (und damit auch die anschließende Berufskarriere) so deutlich mit der sozialen Herkunft korreliert, weist dies nicht nur auf ein Klima der Chancenungleichheit und der sozialen Exklusion hin, sondern auch auf die Bedeutungszunahme von ökonomischer Stärke der Eltern oder deren Einbettung in soziale Netzwerke als Einflussfaktoren auf die Schulleistungen ihrer Kinder. Die mit der Globalisierung zunehmende Leistungsorientierung von (Wissens-)Gesellschaften rundet diese Bedeutungszunahme ab. Die Nachfrage nach körperlicher Arbeit im 1. und 2. Industriesektor tritt in den Hintergrund, wohingegen ein stark wachsender Dienstleistungssektor nach immer mehr und immer besser ausgebildeten Fachkräften verlangt. Mit den stetig steigendenQualifikations-anforderungenistgleichzeitigverbunden, dass gut ausgebildete Akteure zur Normalität werden und damit das Prestige der Regelschulen an relativer Bedeutung einbüßt.[46] Dieser Wandel, der sich seit einigen Jahren am Arbeitsmarkt vollzieht, stellt immer stärker die Weichen, welche Möglichkeiten sich (v)erschließen, wenn ein bestimmtes Bildungsniveau (nicht) erreicht wird. Gleichzeitig bleibt eine gewisse vertikale Immobilität und Undurchlässigkeit in Bezug auf schichtspezifische Abstufung (oder allgemeiner: sozialen Erfolg) bestehen. So ist das Risiko der Arbeitslosigkeit in etwa umgekehrt proportional zur Höhe des Bildungsabschlusses und das durchschnittliche Einkommen von Akademikern beträgt heute etwa das 2,1fache des durchschnittlichen Einkommens von Hauptschülern ohne Berufsabschluss.[47] Mit der Höhe des Einkommens wiederum sindsozialer und kultureller Wohlstand, Wohnsituation, Gesundheit usw.unmittelbar verbunden. Diesem Geflecht gegenseitiger Bedingung kann in erster Linie über Bildung entgegengetreten werden, wobei im Besonderen die Tragweite persönlicher (Bildungs-)Entscheidungen mit Blick aufqualifikatorischen Scheinerwerb, enorm zugenommen hat.[48]

Auf Mikroebene hat Bildung einen sehr direkten und persönlichen Einfluss, besonders wenn sie als ein Prozess der Wesensbildung verstanden wird. „Gebildet“ kann in diesem Sinne verstanden werden als orientierungssicher und selbstkritisch, aufgeschlossen für neue Ideen, weltoffen, selbstbestimmt und verantwortungsbereit. Bildung mündet inpersönlicher Reife und demBewusstsein für die eigene Lage;in aktivem Gestaltungswillen, anstattsich passiv treiben zulassen. Diese Persönlichkeits-entwicklung findet vorrangig in außerschulischen Bildungsinstanzen statt, in den jeweiligen sozialen Netzwerken, in denen sich die Akteure bewegen, sei es der Sportverein, die Peer-Group oder die Familie.

Grundvoraussetzung für soziale Integration - und dies gilt vorrangig, wenn auch nicht ausschließlich, für Menschen mit Migrationshintergrund - ist Kommunikationsfähigkeit. Sprachliche Kompetenzen erhöhen die Bildungschancen, da z.B. ein unzureichendes Leseverständnis den Kompetenzerwerb in allen anderen Fächern beeinträchtigt.[49] Desweiteren verschafft die Beherrschung der deutschen Sprache Zugang zu (milieufremden) sozialen Netzwerken. Umgekehrt ist die weitere Nutzung der Herkunftssprache in der Familie kein Hindernis für den Erwerb guter Deutschkenntnisse.[50] Ganz im Gegenteil: mit dem zwei- oder mehrsprachigen Aufwachsen haben Migrantenkinder einenpotenziellen Bildungsvorsprung, der allerdings einer „planvoll angelegten schulischen Förderung“[51] bedarf.

Wie im 5. Kapitel näher erläutert wird, dient Bildung (aus beiderlei Perspektiven) den distinkten Anforderungen einzelner Integrationsaspekte.

3.5 Zusammenfassung Bildung

Bildung kann bezüglich Inhalt und Art der Aneignung nach formellen und informellenAspekten unterschieden werden. Während schulische Bildung vornehmlich als Ausbildung mit speziellem Wissensinhalt und Qualifikationserwerb verstanden werden kann, bezeichnet außerschulische Bildung die sozialisations- und erziehungsabhängige Wesensbildung. Die Ausrichtung ist jeweils eine „autonome Lebensführung in möglichst allen Lebensbereichen in einem konkret gegebenen gesellschaftlich-kulturellen Kontext“.[52] Dies umfasst die eigenständige Lebensgestaltung mit Blick auf eine berufliche Existenz, auf Partnerschaft und eigene Kinder, auf soziale Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Die unterschiedlichen Bildungsbereiche dominieren in jeweils unterschiedlichen gesell-schaftlichen Kontexten, sind dabei aber nie losgelöst voneinander zu betrachten. Während schulische Bildung auf dem Arbeitsmarkt vorrangige Bedeutung erlangt, erstreckt sich außerschulische Bildung hauptsächlich auf zwischenmenschlicher Beziehungsebene, wobei auch immer häufiger sogenannte „Softskills“ auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden. Beide Formen der Bildungstellen im Zusammenspiel eine Basis sozialer Integration dar. Besonderheit für Menschen mit Migrations-hintergrund sind dabei kulturelle Unterschiede, die mitunter eine Hürde in Bezug auf die Interaktionsmöglichkeiten und Einschränkungen ihrer Handlungsspielräume im schulischen wie außerschulischen Bereich bedeuten.

Bildung resultiert zu einem großen Teil aus den für Akteure und deren Interaktions-partner zur Verfügung stehenden Ressourcen und beeinflussenwiederum Bildungs-entwicklung nachfolgender Generationen. Die Ungleichverteilung der Kapitalien (ökonomisches-, soziales- oder kulturelles Kapital) führt zu Unterschieden im Bildungswesen. Handlungsspielraum, d.h. die Möglichkeit den Fortgang einer gewissen, von Kapitalarten bestimmten, Pfadabhängigkeit zu beeinflussen, besteht hier hauptsächlich im institutionellen Bereich.[53] Die Wandlungsfähigkeit außerinstitutio-neller Bildung ohne äußere Einwirkungenist zäh und marginal. Die Richtung jedweder Impulse, wie immer diese auch aussehen mögen, kann jedoch nur über das Wissen um die Alltagswirklichkeit von Akteuren (und Institutionen gleichermaßen) bestimmt werden. Aus diesem Grund müssen soziokulturelle Praktiken fokussiert werden, denen sich nachfolgend über das Milieukonzept genähert werden soll.

4. Milieu

4.1 Zum Milieubegriff

Der Milieubegriff hat sich aus der Analyse sozialer Ungleichheiten[54] entwickelt und prägt das Bild der Sozialstrukturanalyse vor allem seit den1980er Jahren.In älteren Ansätzen, wie beispielsweise Stände-, Klassen- oder Schichttheorien,wurde hauptsächlich die objektive Komponente der Sozialstruktur thematisiert und die Verteilungökonomischen Kapitals als zentrales Erklärungsinstrument verschiedener Denk und Verhaltensmuster herangezogen (z.B. Weber, Marx).[55] Mit dem Wandel von vor- bzw. frühindustriellen zu postindustriellen Gesellschaften, zeichnete sich eine Pluralisierung von Lebensstilen ab. Dieser Zunahme an unterschiedlichen Mentalitäten und Lebensweisen soll durch die Erweiterung des rein vertikalen Blickwinkels um einen horizontalen Aspekt Rechnung getragen werden.[56]

[...]


[1] Vgl. PISA-Konsortium Deutschland (2007), S. 18f.

[2] Vgl. Dahrendorf (1966), S. 48.

[3] Geißler (2005), S. 72.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), S. 21.

[6] Vgl. BMFSFJ (1995), S. 28. Unter dem Begriff des Humanvermögens wird die Gesamtheit der Leistungspoten-zialeeiner Gesellschaft verstanden.

[7] Vgl. Zuwanderungsrat der Bundesregierung (2004).

[8] Vgl. hierzu Kapitel 2.2.

[9] Vgl. Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung. S. 39. Von speziellen Migrationsarten (z.B. Pendel-migration) soll in dieser Arbeit abgesehen werden. Ebenso soll den Gründen für Wanderungsentscheidungen im Einzelnen nicht nachgegangen werden.

[10] Zur Vereinfachung der Terminologie sollen, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, Menschen mit Migrationshintergrund gemeint sein, wenn ein Bezug zu Migranten hergestellt wird.

[11] Vgl. BMBF (2006), S 142f.

[12] Vgl. Rauschenbach (2006), S.5.

[13] Ebd.

[14] Vgl. Mahrbach (2006), S.8f.

[15] Vgl. Betz (2004), S.12; ebenso SINUS (2008).

[16] Vgl. Marbach (2006), S.9.

[17] Vgl. Betz (2004), S. 13.

[18] Vgl. Grundmann et al. (2008), S. 48.

[19] Betz (2005), S. 261.

[20] Grundmann et al. (2008), S. 47.

[21] Vgl. Allmendinger (2006), S. 33.

[22] Beck (1986), S. 122.

[23] Vgl. Allmendinger (2006), S. 33.

[24] Vgl. ebd.

[25] Vgl. BMBF (2004a), S. 137.

[26] Allmendinger (2006), S. 34.

[27] Vgl. OECD (2006), S. 62f.

[28] Vgl. Statistisches Bundesamt (2005a), S. 68.

[29] Statistisches Bundesamt (2008), S. 76.

[30] Ebd.

[31] Britz (2005).

[32] Dies betrifft auch deutsche, sozioökonomisch schlechter gestellte Gruppen.

[33] Solga&Dombrowski (2009), S.7.

[34] Vgl. BMBF (2004b), S. 310.

[35] Vgl. Britz(2007).

[36] Vgl. Auernheimer (2006), S.12.

[37] Vgl. ebd.

[38] Vgl. Bos et al. (2003), S. 133f.

[39] Gomolla (2006), S. 87ff. Auch Bos et al. (2003) machen deutlich, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten wesentlich stärkere Leistungen erzielen müssen als ihre Mitschüler aus bildungsnahen Familien, um beispielsweise eine Gymnasialempfehlung zu erhalten.

[40] Auernheimer(2006), S. 13.

[41] Britz (2007).

[42] Ebd.

[43] Auernheimer(2006), S. 13.

[44] Vgl. Auernheimer (2006),S. 13.

[45] Gemeint ist hier, dass sowohl der Bildungsstand von Eltern, Peers usw. Auswirkungen auf die Bildungsent-wicklung von Kindern hat, als auch die Tatsache, dass ein spezifisches Bildungsniveau immer nur in Abhängigkeit von anderen Bildungsniveaus oder von ökonomischer Nachfrage bewertet werden kann. Als Beispiel wäre hier der Prestigeverlust von Haupt- und Realschule seit den 1950er Jahren zu nennen.

[46] Vgl. Willke (1999), S. 232ff.

[47] Vgl. Gill (2005), S. 177f.

[48] Vgl. Bude (2006, 2008).

[49] Vgl. Britz (2007).

[50] Vgl. ebd.

[51] Britz (2005).

[52] BMBF (2004b), S. 21.

[53] D.h., die Unterschiede insofern abzufedern, dass sie nicht zwangsläufig zu Ungleichheit führen.

[54] Soziale Ungleichheit bezieht sich nach Hradil (2001) auf die regelmäßige Besser- oder Schlechterstellung von Akteuren aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen. Fokussiert werden dabei Güter, die in der jeweiligen Gesellschaft als wertvoll eingestuft werden (z.B. Geld, Bildung, usw.). Die Verteilung dieser Güter wird als ungleich, jedoch nicht als ungerecht oder illegitim angesehen.

[55] Vgl. Wieland (2004).

[56] Vgl. Hradil (1987), S. 7.

Fin de l'extrait de 118 pages

Résumé des informations

Titre
Der Einfluss milieuspezifischer Bildungsprozesse auf die Integration von Migranten
Université
University of Hamburg  (Soziologie)
Note
1,0
Auteur
Année
2010
Pages
118
N° de catalogue
V155811
ISBN (ebook)
9783640694051
ISBN (Livre)
9783640694853
Taille d'un fichier
2701 KB
Langue
allemand
Mots clés
Pisa, Habitus, Sozialstruktur, Milieu, Bildung, Migration, Integration, Bourdieu, Esser, Sinus
Citation du texte
Norman Knabe (Auteur), 2010, Der Einfluss milieuspezifischer Bildungsprozesse auf die Integration von Migranten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155811

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